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Verhandlungen im GazakriegDie USA brauchen jetzt ein Ende

Israel und die Hamas versuchen in den Verhandlungen weiterhin, ihre Kriegsziele zu erreichen. Doch Washington und Teheran haben ein Interesse an Deeskalation.

Israels Ministerpräsident Netanjahu besucht seine Truppen an Gazas Grenze zu Ägypten in Rafah, 18. Juli. Er will, dass sie dort permanent bleiben. Ägypten lehnt das ab Foto: Avi Ohayon/Israel Gpo/imago

taz | Kairo Was im Krieg im Gazastreifen nicht erreicht wurde, versuchen beide Seiten nun mit den Verhandlungen über einen Waffenstillstand zu erreichen. Israels Premier Benjamin Netanjahu will sich die Option offenhalten, die israelische Offensive zu einem späteren Zeitpunkt weiterzuführen. Er spricht immer noch von dem Kriegsziel, die Hamas zu eliminieren. Um das zu erreichen, will er, dass die israelische Armee auch nach einem Waffenstand in Teilen des Gazastreifens stationiert bleibt.

Die Hamas will das Gegenteil. Sie fordert Garantien, dass die israelische Offensive im Gaza­streifen permanent beendet wird und sich die israelische Armee vollständig zurückzieht.

Weder Israel noch die Hamas haben ihre Ziele bisher mit militärischen Mitteln erreichen können. Jetzt soll es also am Verhandlungstisch klappen. Die Hamas hat die israelischen Geiseln und glaubt, dass Netanjahus Kriegsziel eine Illusion ist. Mit dem neuesten Anschlagsversuch in Tel Aviv hat sie auch die Botschaft ausgesandt, dass sie eine weitere schmerzhafte Front eröffnen könnte.

Israel stimmte dem US-Vorschlag zu

Netanjahu dagegen hat die vollkommene militärische Übermacht in diesem asymmetrischen Krieg und kann den Gazastreifen noch weiter in Schutt und Asche legen – nicht nur in der Hoffnung, die Hamas zu einem Deal in seinem Sinne zu zwingen, sondern auch, um sich bis zu einer möglichen Präsidentschaft Donald Trumps in den USA über die Zeit zu retten.

Dieses große Ganze spiegelt sich auch in den Verhandlungsdetails wider, etwa im „Brückendeal“, den US-Außenminister Antony Blinken nach Nahost mitgebracht hat. Nach einem dreistündigen Gespräch mit Netanjahu in Israel segnete dieser am späten Montag den neuen Vorschlag öffentlich ab, weil dort die israelischen Sicherheitsaspekte besser berücksichtigt seien. Die Hamas gibt sich dagegen verärgert.

Sie habe bereits im Juli dem damaligen US-Plan zugestimmt, heißt es von ihrer Seite. Darin war ausgemacht, dass zunächst israelische Geiseln und palästinensische Gefangene ausgetauscht werden, begleitet von einer sechswöchigen Feuerpause, die dann in einer zweiten Phase in einen permanenten Waffenstillstand und israelischen Rückzug münden sollte.

USA stehen unter Druck

Laut dem neuen Vorschlag soll nun die israelische Armee im sogenannten Nezarim-Korridor stationiert bleiben, der den Gazastreifen in einen nördlichen und südlichen Teil teilt, außerdem an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten und dem dortigen Grenzübergang Rafah. Der Gazastreifen bliebe damit teilweise besetzt – und vollkommen von der israelischen Armee umzingelt.

Dagegen verwahrt sich nicht nur die Hamas, sondern auch Ägypten, das darin eine Verletzung des Friedensvertrages mit Israel von 1979 sieht. Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi, der am Dienstag Blinken empfing, warnte vor einer regionalen Ausweitung des Konflikts und riet, „sich auf Weisheit zu besinnen“.

Blinken und Netanjahu sagen beide, dass nun der Ball bei der Hamas liege. Aber die beschwert sich, dass Netanjahu immer neue Bedingungen stelle und das von den USA schöngeredet werde. Blinken spricht unverdrossen von der bisher besten und zugleich letzten Chance. In Wirklichkeit geben die USA den Druck weiter, unter dem sie selbst stehen. Und genau das ist das Neue an dieser Verhandlungsrunde. Die USA plädieren nun, ganz anders als bisher, für eine sofortige Waffenruhe.

Weder Hisbollah, Iran noch die USA wollen eine Eskalation

Das hat mehrere Gründe, und dazu gehört nicht etwa die Sorge um die palästinensischen Zivilisten im Gazastreifen. Zum einen fürchten die USA nach der Tötung des Hamas-Chefs Ismail Hanijeh in Teheran und des Hisbollah-Kommandeurs Fuad Schukri in Beirut einen Gegenschlag Irans, der Hisbollah im Libanon und der Huthi-Rebellen im Jemen auf Israel. Das zusammen mit der dann möglichen militärischen israelischen Antwort wäre eine Eskalation, die total außer Kontrolle geraten könnte.

Die USA könnten mit ihrem Flottenaufgebot im östlichen Mittelmeer zum Schutze Israels direkt mit hineingezogen werden. Das kann Kamala Harris, die Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten, in ihrem Wahlkampf politisch überhaupt nicht gebrauchen, ganz abgesehen von den militärischen Folgen.

All das setzt Washington enorm unter Druck. Zwischen den USA, dem Iran und der Hisbollah gibt es somit, trotz aller grundsätzlichen Differenzen, eine gemeinsame Analyse: Keiner von ihnen möchte einen großen Krieg, und der Schlüssel zur Deeskalation liegt in einem Ende der israelischen Offensive im Gazastreifen.

Zugeständnisse auf beiden Seiten sind nötig

Das ist wohl auch der Grund, warum es bisher keinen iranischen Militärschlag gegeben hat. Falls die Gazaverhandlungen zu einem erfolgreichen Ende gebracht werden, werden der Iran, die Hisbollah und die Houthis für sich in Anspruch nehmen, dass ihre Drohungen den nötigen Druck aufgebaut haben, damit die USA die Notbremse ziehen. Falls nicht, können sie immer noch zu einem späteren Zeitpunkt militärisch antworten.

US-Präsident Joe Biden hat in seiner Rede zum Parteitag der Demokraten versprochen, dass er in seiner Amtszeit einen Gaza-Deal zustande bringen werde. Dafür braucht er aber zwei Seiten: Israel und eben auch die Hamas.

Es bleibt eine unerschütterliche Tatsache, egal wer wie zu diesem Konflikt steht: Israel wird seine Geiseln nicht ohne einen Preis zurückbekommen. Genauso, wie sich die israelische Armee nicht kostenlos aus dem Gazastreifen zurückziehen wird. Irgendwo dazwischen wird sich entscheiden, ob die Verhandlungen scheitern werden oder nicht.

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18 Kommentare

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  • In Israel demonstrieren viele Menschen gegen die Taktik von Nethanjahu. Warum sieht man eigentlich nirgends auf der Welt ein ähnliches Engagement von Palästinensern gegen die feigen Geiselnehmer aus Gaza? Dabei könnte genau das die notwendige Dynamik in den politischen Prozess bringen.

    • @vieldenker:

      Im Ernst?

  • Die USA, Iran und die Hisbollah haben kein Interesse an einem großen Krieg. Dann sollte man den Aggressor in dem Fall stoppen.

    • @Moritz Pierwoss:

      Offensichtlich hat aber die USA mit den jetzigen Methoden (Aufrufe+Waffenlieferungen) keinen nennenswerten Einfluß auf Israel.



      Den Biden geht an die Presse und fordert einen Deal -auch und gerade von Israel- und am nächsten Tag bombt Netanjahu wieder ein paar Zivilisten weg. So geht das seit Monaten.

    • @Moritz Pierwoss:

      Volle Zustimmung, nieder mit der Hamas.

  • ..schreibt die Tageszeitung Haaretz, dass, selbst wenn eine Einigung erzielt wird, diese innerhalb weniger Wochen scheitern wird. Als Problem werden Finanzminister Bezalel Smotrich und der nationale Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir gesehen.

    Beide hatten in der Vergangenheit mehrfach gedroht, die israelische Regierung platzen zu lassen, sollte Netanjahu bei den Verhandlungen dem „rücksichtslosen Deal“ – einer Waffenruhe – zustimmen.

    Netanjahu soll, laut Haaretz, in den letzten Wochen zahlreiche Treffen abgehalten haben, um die erwartete Reaktion der beiden Minister zu besprechen. Im schlimmsten Fall würden sich Ben Gvir und Smotrich aus der Regierung zurückziehen und erst zurückkehren, wenn das Abkommen scheitert. Um einen Zusammenbruch der Regierung und vorgezogene Neuwahlen zu verhindern, würden beide in der Koalition bleiben. Die beiden kontrollieren insgesamt 13 der 120 Sitze in der Knesset (Einkammerparlament Israels), was ihnen einen großen Einfluss in Netanyahus 64-sitziger Koalition verschafft.

    www.fr.de/politik/...n-zr-93251905.html

  • Warum sitzt am einen Ende des Tisches eigentlich kein halbwegs genuiner Vertreter der gazanischen Bevölkerung? Die Hamas gilt international fast überall als Terroristen- und Verbrecherbande und ist in vielen Staaten verboten.



    Natürlich ist es Ziel bei weitem nicht nur Israels, den Kopf dieser kriminellen Organisation zu zerschlagen. Das unveränderte und weiter verkündete Ziel der Hamas bleibt dagegen die Vernichtung des jüdischen Volkes im Nahen Osten.



    Überrascht bin ich allerdings, wie klar jetzt auch die Taz erkennt, daß die amerikanische Regierung die Wahlkampfinteressen einer einzelnen politischen Partei über das Lebensrecht des jüdischen Volkes stellt. Einem großen Teil, vermutlich der Mehrheit der Wähler ist das egal, die übrigen erkennen hoffentlich, was sie zu tun haben.

    • @Axel Berger:

      Hamas wird tatsächlich nur von knapp über 40 Staaten als terroristische Vereinigung eingestuft und das sind im Grunde alles westliche Staaten.



      Und den amerikanischen Wählern sollte wie auch allen anderen zugestanden werden, dass sie selbst entscheiden können für was ihre Steuergelder ausgegeben werden. Es sind ja nicht nur ein hoher Prozentsatz der Amerikaner gegen die Waffenlieferungen nach Israel, sondern auch in die Ukraine. Bei enorm gestiegenen Lebensmittelpreisen und Mieten, massiver Anstieg von Obdachlosigkeit, extrem veraltete Infrastruktur, kaum bezahlbarer Wohnraum, Opiumkrise, Menschen die sich wenn nicht durch ein Studium dann spätestens durch eine medizinische Behandlung schwer verschulden und nicht zu vergessen: "The U.S. federal price tag for the post-9/11 wars is over $8 trillion." watson.brown.edu/costsofwar/ Und das sind nur die finanziellen Kosten. "At least four times as many active duty personnel and war veterans of post-9/11 conflicts have died of suicide than in combat." Die meisten Amerikaner egal welcher Partei sind Kriegsmüde und wollen das endlich was im Land getan wird anstatt Krieg zu führen oder zu unterstützen.

    • @Axel Berger:

      Die Strategie Netanyahus bezeichnet Freedland als eine «katastrophale Fehleinschätzung». Netanyahu habe während seiner 16 Jahre als Ministerpräsident die Hamas im Gazastreifen stets unterstützt, um die Palästinenser zu entzweien und eine Zweistaatenlösung zu verhindern.



      Mit Ausnahme kurzer, Militäroperationen habe Netanyahu die Hamas im Gazastreifen ungehindert regieren lassen und sie von den Golfstaaten finanzieren lassen. Netanyahu habe die Vorstellung gefallen, dass die Palästinenser zwei geteilte Einheiten seien – die Fatah im Westjordanland, die Hamas im Gazastreifen. Das habe es ihm erlaubt, darauf zu bestehen, dass es keinen palästinensischen Partner gebe, mit dem er Geschäfte machen könnte. Das wiederum bedeutete: keinen Friedensprozess, keine Aussicht auf einen palästinensischen Staat und keine Forderung nach territorialen Zugeständnissen Israels.



      Diese Strategie sei kein Geheimnis gewesen. Im März 2019 hatte Netanyahu zu seinen Likud-Kollegen gesagt:



      «Wer die Gründung eines palästinensischen Staates vereiteln will, muss die Hamas und den Transfer von Geld an die Hamas unterstützen. Das ist unsere Strategie, um Gaza von den Palästinensern im Westjordanland zu isolieren.»

  • "Die USA plädieren nun, ganz anders als bisher, für eine sofortige Waffenruhe...



    Das hat mehrere Gründe, und dazu gehört nicht etwa die Sorge um die palästinensischen Zivilisten im Gazastreifen."..das ist ja der Skandal der US-Politik, die ihre Respektierung des Internationalen Rechts von ihren jeweiligen angeblichen geopolitischen Interessen abhängig machen. Im Fall der Totalzerstörung des Gaza, samt seiner Zivilbevölkerung, hat die US-Administration aber ihre eigenen Interessen nach weltweiter Entspannung sträflich vernachlässtigt. Indem sie sich von Netanjahu hat vorführen lassen und munter weiter die Bomben liefert, die den Massenmord in Gaza verursachen, hat das Ansehen der USA in der Welt massiv gelitten. In dieser Hinsicht ist Biden ein alter störrischer weisser Mann , der nicht mehr in der Lage ist, die wahren Interessen der USA zu verteidigen.

  • Was ist denn das Kriegsziel der Hamas? Bitte jetzt nicht sagen “die Auslöschung des Staates Israel”… die Hamas hat bereits im Oktober 2023 einen Waffenstillstand gefordert..

    • @elma:

      Das ursprüngliche Ziel war es, einen großen regionalen Krieg zu provozieren.

      Angesichts der derzeitigen Lage dürfte aber das Überleben der Organisation an sich immer stärker in den Mittelpunkt rücken.

      Was ist denn Ihre Theorie, was die Hamas am 07. Oktober bezweckt hat?

      • @Nafets Rehcsif:

        Nein, kein großer regionaler Krieg. Sie wollten das Thema "Palästina" wieder auf die Agenda der wichtigen Player bringen: USA, Israel. Das ist gelungen - mit den 1200 Toten des Anschlags.



        Wäre es um einen großen regionalen Krieg gegangen, dann hätte man das vorher mit Hisbollah und v.a. mit Iran wasserdicht abgesprochen - hat man aber offensichtlich nicht, denn der Iran steigt ja nicht wirklich ein, tut nur das Nötigste, um zuhause nicht das Gesicht zu verlieren.

    • @elma:

      Sondern? Effektiv läuft es doch genau darauf hinaus, wenn ich mir deren "Parteiprogramm" so ankucke. Und ein Massaker anrichten, Geißeln nehmen und dann direkt mit "just a prank bro" kommen wollen? Lächerlich, das glaubt doch kein Mensch bzw. mehr als zur Schau stellen ist das dann nicht.

    • 6G
      600539 (Profil gelöscht)
      @elma:

      Das Kriegsziel der Hamas , falls die Frage ernstgemeint ist was mich stark an Ihrem Wissensstand zweifeln lässt , werde ich diese trotzdem beantworten .. Das Ziel der Hamas die int. als Terrororganisation eingestuft ist wie auch die Al Aksa Brigaden , die Hisbollah etc etc und auch als solche handelt ,( djihdisten ) ist die Auslöschung aller Juden in der Region , also from the river to the sea . Genau : kein Staat Israel . Und das x fache wiederholen des 7 Oktober . Die Eroberunng und Errichtung eines Kalifats in dem die Sharia herrscht am besten über die komplette Welt . Westliche zivilisierte Werte wie Pluralismus , Demokratie , Frauen und LGBTQ Rechte Fehlanzeige ..



      Lesen sie dochmal was die feinen Funktionäre der Hamas die in 5 Sterne Hotels in Qatar residieren ( mit unseren Hilfsgeldern ) während Ihr Volk hungert und verheizt wird um Opfer zu beklagen und sich hinter Ihnen zu verschanzen um anzugreifen , wieder und wieder . Lesen Sie mal was deren Agenda ist





      [...] Beitrag gekürzt. Bitte beachten Sie die Netiquette. Vielen Dank! Die Moderation

      • @600539 (Profil gelöscht):

        Ja, im "Parteiprogramm" der Hamas steht die Auslöschung Israels. Aber auch die Hamas weiß, daß ihr dafür alles fehlt: Mannschaften, es gibt keinen Panzer, kein Flugzeug, kein Kriegsschiff, keine sophisticated Drohnen. Nichts. Sie können ein einzelnes Blutbad. Aber dann müssen sie sehen, dass sie ganz schnell wieder in die Tunnel zurück kommen.



        Auslöschung Israels, dass ist die Eroberung von Tel Aviv und Jerusalem uvm. Völlig illusorisch.

    • @elma:

      Den Unterschied zwischen einem strategischen Kriegsziel und dem taktischen Zwischenziel einer einzelnen Kampfhandlung kennen Sie aber schon, oder?