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Arbeitspflicht für Geflüchtete gefordertDie Brandmauer brennt ab

Kommentar von Marta Ahmedov

Der Hamburger SPD-Politiker Kazim Abaci will eine Arbeitspflicht für Geflüchtete. Damit übernimmt er eine Forderung der AfD und stützt den Rechtsruck.

Hat sich bei der AfD beliebt gemacht: SPD-Politiker Kazım Abacı, hier im Januar 2024 im Hamburger Rathaus Foto: dpa/Marcus Brandt

J eden Tag ein Stück weiter nach rechts: Das jüngste Beispiel für diese Diskursverschiebung lieferte am Dienstag der Hamburger SPD-Politiker Kazım Abacı, als er im Hamburger Abendblatt eine Arbeitspflicht für Geflüchtete forderte.

Abacı bedient damit das rassistische Stereotyp von faulen Geflüchteten, die als „Sozial­touristen“ nach Deutschland kommen und nicht arbeiten wollen. „Nach jahrelangem Wegschauen übernimmt er nun originäre AfD-Forderungen“, freute sich der Vorsitzende der Hamburger AfD-Fraktion, Dirk Nockemann.

Wäre das nicht so bitter, könnte man beinahe lachen. Denn gerade Kazım Abacı inszenierte sich noch im Januar als großer Demokratieverteidiger und organisierte nach der „Correctiv“-Recherche über ein Treffen von Rechtsextremen eine Kundgebung gegen die AfD.

Neben dieser freuten sich auch die CDU und die FDP über die Forderung von Abacı. Kritik kam hingegen von den Linken, Grünen und sogar aus der eigenen Partei: „Eine mögliche Arbeitspflicht für Geflüchtete ist eine sehr zugespitzte Forderung, der sicher nicht alle zustimmen können“, distanzierte sich der SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Bei der Forderung handele es sich um eine Einzelmeinung, die auch nicht Teil der Beratungen in der rot-grünen Koalition sei, stellte auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Jennifer Jasberg klar.

Die Forderung ist auch deshalb absurd, weil viele Geflüchtete in Deutschland gar nicht arbeiten dürfen, obwohl sie wollen

Ob Einzelmeinung oder nicht: Abacı ist offizieller Sprecher seiner Fraktion für Migration und Integration. Seine Äußerungen können nicht getrennt von dieser Rolle betrachtet werden. Abacı wollte sich angesichts der Kritik damit retten, dass er betonte, nur eine „Verpflichtung zu einer gemeinnützigen Arbeit“ zu fordern. Das macht das Ganze allerdings noch schlimmer, denn „gemeinnützig“ ist einfach nur ein schönes Wort für „unbezahlt“. Die Tätigkeiten, die Abaci vorschlägt – etwa in der Seniorenhilfe oder Grünflächenpflege – werden von deutschen Arbeitnehmern als reguläre Jobs ausgeübt, für die der Mindestlohn gilt. Abacı will dagegen, dass Geflüchtete bis zu vier Stunden täglich zu dieser Arbeit verpflichtet und dafür mit nur 80 Cent pro Stunde entlohnt werden.

Die Forderung ist auch deshalb absurd, weil viele Geflüchtete in Deutschland gar nicht arbeiten dürfen, obwohl sie gern wollen. Anträge auf Arbeitserlaubnisse werden oft monatelang nicht bearbeitet oder abgelehnt. Bevor Abacı eine Arbeitspflicht fordert, sollte er sich in seiner Partei dafür einsetzen, dass Arbeitsverbote aufgehoben und bürokratische Hindernisse abgebaut werden.

Es ist zwar keine große Überraschung, dass es in den Reihen der Sozialdemokraten Opportunisten wie Abacı gibt, die ihre Fahne je nach Diskursklima in den Wind hängen und auch vor Populismus gegen Geflüchtete keinen Halt machen. So eine Forderung direkt nach den Wahlerfolgen der AfD in Sachsen und Thüringen zu äußern, zeugt jedoch von einer neuen Qualität des Rechtsrucks.

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10 Kommentare

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    Die Moderation

  • Oh, die SPD jetzt also auch mit Reichsarbeitsdienst 2.0.

    Bei der Geschwindigkeit, mit der die etablierten Parteien nach rechts driften, wird man sich in 1, 2 Jahren darum prügeln, in einer Koalition mit den Blaunen einen neuen Führer zu inthronisieren.

  • Ja, so ist das geworden in diesem Land, echt bitter. Es scheint keine Empathie und Mitgefühl mehr zu geben, mit Menschen die unserer aller Solidarität bedürfen. Also, Geflüchtete, Emigranten aber auch Bürgergeldbezieher und alle die halt aus was für Gründen auch immer in Not geraten sind. Quer durch fast allen Medien und den auch demokratischen Parteien wird verlangt dass bei jenen die eh schon am unteren Rand der Gesellschaft leben die Daumenschrauben angezogen werden, während jene welche die Sonneplätze besetzt halten sich weiterhin hemmungslos die Taschen füllen dürfen, auf Kosten ihrer Mitmenschen und unserer Umwelt.



    Nur noch Populismus wohin man blickt, egal bei welchen Themen bestimmt den Diskurs in der breiten Öffentlichkeit. Wenn das so weitergeht, werden wir in einigen Jahren wehmütig zurückblicken mit der Erkenntnis dass ja doch nicht alles so schlecht war in der Demokratie.

  • Es wäre ja schon ein guter Anfang, wenn Geflüchtete leichter eine Arbeitserlaubnis bekämen als bisher. Wie sollte eine "Arbeitspflicht" ohne Arbeitserlaubnis überhaupt funktionieren?

    Politiker, die versuchen, mit immer radikaleren Ideen zu punkten, sollten Migranten einmal ein paar Wochen zum Ausländeramt und zur Arbeitsagentur begleiten, damit sie sehen, wie das Ganze in der Praxis funktioniert bzw. warum vieles in Deutschland eben nicht funktioniert.

  • Jetzt muß er nur noch erklären, warum man SPD aber nicht AfD wählen sollte,

  • Zwischen Arbeitsverbot und Arbeitspflicht gibt es nichts?

  • Ob Herr Abaci bei Umsetzung des Sellnerplans einen Umzug nach Nordafrika in Betracht ziehen müsste? Jetzt vielleicht nicht mehr. Die Sozis mal wieder, schon seit Noske im Zweifel doch lieber auf der Seite der Mächtigen als auf der der Schwachen.

  • Sozialdemokratie 2024!



    Mütter und Väter dieser Partei würden ihr Kind nicht wiedererkennen.

  • Ich bin mal für eine Arbeitspflicht für Finanzminister. Wo bleiben die rd. 40 Mrd. von CumCum und CumEx?

  • Aufgrund seines Hintergrundes dürfte auszuschließen sein, dass Herr A. besondere Zuneigung zur AfD verspürt, er wäre bei der AfD in der jetzigen Ausrichtung ja selbst jemand, der hier nicht willkommen ist.

    Er will nur das, was eigentlich früher eine linke und fortschrittliche Forderung war (er ist ja auch in der SPD und schon leicht ergraut): differenzieren und nicht alle Flüchtlinge über einen Kamm scheren.