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Erinnerungskultur in HamburgWeniger Schmidt wagen

Friederike Gräff
Kommentar von Friederike Gräff

In Hamburg hängt eine weitere Plakette für Helmut Schmidt. Dabei gäbe es genügend Leute, an die dringender erinnert werden sollte. Ein Gegenvorschlag.

Neue Helmut Schmidt-Ehrerbietungen gibt es fortlaufend in Hamburg. Diese Tafel wurde 2019 vor der Michaeliskirche aufgestellt Foto: dpa | Axel Heimken

J etzt noch eine Gedenkplakette in Hamburg-Eilbek zur Erinnerung an Helmut Schmidt. Bislang gibt es: eine Helmut-Schmidt-Straße, eine Helmut-Schmidt-Brücke, ein Helmut-Schmidt-Gymnasium, einen Helmut-Schmidt-Flughafen­ und ein Studierendenhaus. Es ist viel Helmut-Schmidt-Erinnerung in Hamburg – und das passt ganz gut, denn Schmidt war ja gegen Visionen und wenn etwas nicht visionär ist, dann ist es die Schmidt-Verehrung. Das bayerische Pendant ist der Franz-Josef-Strauß-Flughafen und das Grundprinzip kommt mit gerade mal zwei Merkmalen aus: erstens Hochrangiger Berufspolitiker und zweitens Mann.

Das ist nicht besonders viel. Die Frage ist übrigens nicht, ob Schmidt ein schlechter oder guter Kanzler war oder er die Hochwasserkatastrophe gut gemeistert hat. Es war allerdings auch sein Job und daher müsste die Latte, ihn dafür auszuzeichnen, eher hoch hängen. Tatsächlich scheint zumindest eine Straße für jeden Kanzler, der es nicht völlig verbockt hat, vorgesehen zu sein, sowie ein paar Ehrendoktorwürden und vielleicht eine Primel, die nach einem benannt wird.

In Hamburg scheint die Auswahl an erinnerungswürdigen Söhnen und Töchtern der Stadt gering, zumindest fiel die Wahl kürzlich auf Karl Lagerfeld und damit auf einen weiteren Mann, dessen Gestus panzerfester Selbstherrlichkeit eigentlich aus der Mode gekommen ist. So viele Straßen hat nicht mal Hamburg, dass man sie nach Leuten benennen müsste, die eines nicht sind: inspirierend für die Zukunft.

Dabei gibt es solche Menschen und dies ist der Aufruf, die Hamburger Psychiatrie-Rebellin­ Dorothea Buck mit zwei Schulen, vier Tafeln und einer Hauptstraße zu ehren, statt sie mit einer Grünfläche und einer Straße an der ­Peripherie abzuspeisen. Buck wurde als junges Mädchen in der Psychiatrie von den Nazis zwangssterilisiert. Später wurde sie Bildhauerin und begann, eine Psychiatrie zu hinterfragen, die ihre Pa­ti­en­t:in­nen noch immer ­entmündigte.

Erinnerung als Promitrophäensammlung

Gemeinsam mit einem Psychologen entwickelte sie ein Psychoseseminar, in dem Patient:innen, Angehörige und Mitarbeitende der Psychiatrie sich auf Augenhöhe austauschen. Außerdem gründete sie gemeinsam mit anderen Betroffenen einen Verband Psychiatrie-Erfahrener. Und nein, es gibt nicht nur Dorothea Buck, man kann gleich ein Straßenschild für Rolf Laute in Auftrag geben, der mit den Schlumpern einer der ersten war, der einen Raum für Künstler mit und ohne Behinderung geschaffen hat.

Natürlich kann man öffentliche Erinnerung als Promitrophäensammlung betreiben, die sich selbst genügt – eine Art Wachsfigurenkabinett, wobei man damit in Hamburg auch nur mäßig gute Erfahrungen macht. Dann ehrt man Leute um ihrer Macht willen, die mit Politik oder Mode ihr Geld verdient haben und das System in etwa dem maroden Zustand an ihre Nachfolger weitergegeben haben, in dem sie es vorfanden – und deutet ihre unangenehme Breitbeinigkeit als Originalität.

Sollte sich Oliver Pocher irgendwann in Hamburg niederlassen, hätte er gute Chancen auf eine Nebenstraße in der Hafencity, wahlweise auch Til Schweiger für seine Tatort-­Verdienste, wenn er aus dem Umfragetief wieder aufsteigen sollte.

Hamburg betont gerne, dass es nichts auf (Adels-)Titel gibt, aber bisher ist ihm als Alternative nichts als Status und Promibonus eingefallen. Das ist schrecklich langweilig. Denk' doch mal nach, Du Stadt, und play it big, und dann ist noch mehr drin als ein Straßenschild. Vielleicht schenkst Du den Schlumpern dann den Benko-Turm oder der Buck-Stiftung einen Haufen Geld. Aber jetzt erst mal eine Straße, mitten im Herzen der Stadt.

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Friederike Gräff
Redakteurin taz nord
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18 Kommentare

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  • "Es war allerdings auch sein Job und daher müsste die Latte, ihn dafür auszuzeichnen, eher hoch hängen."

    Hätte es die Taz damals gegeben, hätte sie Zeter und Mordio geschrien, weil der Innensenator Schmidt damals formell verfassungswidrig die Bundeswehr eingespannt hat, um den "Job", tausende Menschen vor der Flut zu retten, zu erledigen.

    Aber die Taz wäre auch damals schon eher in Pöseldorf gelesen worden als in Wilhelmsburg.

  • Es gibt in Hamburg auch eine Straße und eine Kaianlage, die nach Albert Ballin benannt sind. Andere nach Ballin benannte Objekte wurden von den Nazis umbenannt und haben Ballins Namen nicht zurückerhalten.

  • Lustig, ich hatte mal wieder über den Niedergang der SPD nachgedacht und mir auch die Frage gestellt, ab welchem Zeitpunkt Probleme lösen "out" und Haltung wie auch Ideologie "in" war. Da viel mir als Erstes Helmut Schmidt ein. Bei Schröder kam Probleme lösen auch noch mal vor. Und beide sind in der jetzigen Rest-SPD mehr oder weniger persona non grata, der eine mehr, der andere weniger. Die Autorin stößt in dasselbe Horn. Und auch hier zeigt sich das Probem der SPD: Sie möchten die Erinnerung an einen Mann tilgen, den die Bevölkerung sehr verehrt und den die SPD verachtet, weil er ohne ausreichende ideologische Verblendung war. Dass er nicht die Visionen der lefties hatte sondern einfach Probleme löste oder lösen wollte, brach ihm das Genick. Wenn man sich zu sehr mit der Realität auseinandersetzt, kann man in der SPD nichts werden. Aber da braucht man um Scholz, Esken, Mützenich, Stegner und Kühnert keine Angst haben.

  • Ich verbinde mit Schmidt nur seine Behauptung er hätte als Offizier an der Ostfront nichts von Greueltaten der SS oder der Wehrmacht gesehen oder gemerkt.

    • @Manfred Peter:

      Nicht zu vergessen seine Aussage, man könne nicht eine Millionen Menschen ins Land lassen "Das geht nun wirklich nicht" oder seine ethnopluralistischen Gedanken, Menschen aus bestimmten Kulturen würden in Deutschland mehr Probleme verursachen, als man welche mit Ihnen lösen würde.



      Solche Aussagen sind nach Ansicht des BVS rassistisch. Und genau so sollte man den Helmut auch sehen und behandeln.

  • In einer linken Tageszeitung Helmut Schmidt mit Franz Josef Strauß gleichzusetzen, ist nicht nur gewagt, man/frau könnte es geradezu als Geschichtsvergessen bezeichnen.



    Sicherlich gibt es viele Menschen, die Bedeutendes für die Gesellschaft getan haben und nicht Alle werden so geehrt, wie sie es vielleicht verdient hätten.



    Prominente sind aber Teil ihrer Zeit und Bekanntschaft und Ruhm Ausdruck für Ihre Akzeptanz in der Gesellschaft.



    Ein Oliver Pocher genießt dies nicht.



    Die Bekämpfung der Sturmflut und Ihrer Folgen als



    " nur seinen Job gemacht" , ist geradezu eine Frechheit.



    Neben Schmidt werden hier indirekt auch die vielen Helferinnen und Helfer diskreditiert, die, nach Augenzeugen Berichten, sehr beeindruckende Arbeit geleistet haben.



    Schmidt war politisch sicher nicht unumstritten, doch das ist eben auch Teil schillernder Persönlichkeiten.



    Als elder statesman wurde er hoch geschätzt und das parteiübergreifend.



    Meine Frage an Menschen , die der Meinung sind schlecht über große Demokraten reden zu können, wäre: was hast Du für unser Land und unsere demokratische Gesellschaft gemacht?

    • @Philippo1000:

      Vielleicht ist es "geschichtsvergessen", vielleicht aber auch nur eine bei vielen Menschen ausgeprägte Unfähigkeit (Unwilligkeit) zu akzeptieren, daß Menschen früherer Jahrzehnte/Jahrhunderte ein anderes Wertesystem hatten.

      Das zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren, bedeutet ja nicht, diese Wertvorstellungen zu billigen oder auch nur "Verständnis" dafür zu haben. Aber man könnte dann das Denken und Handeln besser nachvollziehen und im Idealfall daraus Schlüsse ziehen, wie man es heute besser machen sollte.

      So wird nur eine übertriebene Neigung zum "Denkmalsturz" daraus, weil der Geehrte nicht so war, wie er es nach Ansicht der Autorin hätte sein sollen.

      Was die Rolle Schmitts bei der Sturmflut angeht, kann ich Frau Gräff nur empfehlen, sich im Archiv der taz oder den einschlägigen Pressedatenbanken einige Artikel über das Verhalten des damaligen Landrats Jürgen Pföhler bei der Ahrflut 2021 durchzulesen.

      Mit etwas gutem Willen könnte sie dann zu der Einsicht kommen, daß Helmut Schmitt damals doch etwas mehr als "seinen Job" gemacht hat.

    • @Philippo1000:

      "In einer linken Tageszeitung Helmut Schmidt mit Franz Josef Strauß gleichzusetzen, ist nicht nur gewagt, man/frau könnte es geradezu als Geschichtsvergessen bezeichnen."

      Wenn maus die Vergleichsmathematik beachtet

      "das Grundprinzip kommt mit gerade mal zwei Merkmalen aus: erstens Hochrangiger Berufspolitiker und zweitens Mann."

      ist hyperventiliern nicht nötig.

    • @Philippo1000:

      Es hat niemand schlecht über Schmidt oder andere "große Demokraten" gesprochen und auch wurden Schmidt und Strauss nicht gleichgesetzt, sondern lediglich, im Rahmen der Thematik des Beitrags, miteinander verglichen.

  • "Dabei gäbe es genügend Leute, an die dringender erinnert werden sollte."

    OK, ein Mahnmal für Olaf Scholz. Der war schon als Bürgermeister höchst umstritten. NIE WIEDER

  • Wollen wir jetzt eine Neiddebatte führen ?

  • Die Promenade die an Karl Lagerfeld erinnern soll,, ist der unattraktivste Teil des Alsterwanderwegs in der Innenstadt. Er verläuft an den Hintereingängen von Modehäusern bzw. leblosen Rückfassaden. Am Ende befindet sich das Geschäft mit Mode von Gudrun Sjöden. Ich mag diese Mode, es darf aber stark bezweifelt werden, ob Kalle das gut gefunden hätte. Das wäre sicher nicht sein „Stil“ gewesen. Der Anspruch eines Karl Lagerfeld dürfte ein anderer gewesen sein. Wollte man ihn vorführen? Ich fürchte das war nicht der Fall. Diejenigen die das vorgeschlagen haben, haben wenig Wissen über die Stadt.

  • Bitte Udo Lindenberg nicht vergessen.

    • @Stoffel:

      Richtig



      "Jeder Tag ist gleich lang, aber nicht gleich breit." Zitat Udo Lindenberg.

    • @Stoffel:

      Udo steht in HH doch eh kurz vor der Heiligsprechung - und eine Lindenberg-Chaussee würde mir auch viel besser gefallen als die allgegenwärtigen Schmidtschnauze- und LokiHuldigungen an jeder Ecke.

    • @Stoffel:

      Wenn Lindenberg stirbt, wird ihm auf dem Dach des Atlantic ein Mausoleum errichtet und das Haus nach ihm zum "Grand Hotel unter dem Lindenberg" umbenannt.

    • @Stoffel:

      Dessen Todesnachricht ist mir entgangen. Tragisch, er war ein Guter.

    • @Stoffel:

      wann ist der gestorben?