Debatte über Verhandlungen mit Russland: Was Transnistrien lehrt
Transnistrien ist für unsere Kolumnistin ein Sehnsuchtsort geblieben. Doch unter russischer Kontrolle ist keine freie Entwicklung möglich.
G enau so lange wie die Ukraine vollumfänglich von Russland angegriffen wird, wird sie dazu aufgerufen, sich an den Verhandlungstisch mit dem Aggressor zu setzen. Und das, bevor Russlands Truppen abgezogen sind. Diese Rufe werden mittlerweile lauter.
Die Republik Moldau hat genau das Jahrzehnte versucht. Das Ergebnis: Die russischen Truppen, die im Osten des Landes, auf dem Gebiet Transnistrien, stationiert sind, befinden sich noch immer dort.
Fast jeden Sommer meines Lebens habe ich in Transnistrien verbracht. Vom Flughafen in der Hauptstadt Moldaus Chișinău ging es vorbei an den Checkpoints: Erst kamen die moldauischen Grenzbeamten, Luft anhalten bei den russischen „Friedenssoldaten“, wie sie sich nennen, und zuletzt in die grauen und misstrauischen Gesichter der transnistrischen Beamten blickend, kam ich erst zur Ruhe, wenn ich am reich gedeckten Esstisch meiner Oma saß.
Mir fehlt Transnistrien als Erinnerungsort, als Ort meiner Kindheit. Ich vermisse meine Oma, die kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine starb; ich vermisse ihr schiefes, mit Teppichen ausgelegtes Holzhaus, ihren reichen Garten, und baden an dem Fluss, der Transnistrien und Moldau voneinander trennt.
Armut, Unterdrückung und Willkür
Transnistrien hat 1990 seine Unabhängigkeit erklärt – und war doch nie frei. Bis heute ist es ein mafiöser Oligarchenstaat unter dem Einfluss Russlands. Ein durch Armut, Unterdrückung und Willkür gezeichneter Landstrich.
Mit jedem Jahr, das ich älter wurde, ging es den Menschen dort dreckiger, wanderten die Jungen ab, nahm die Gewalt durch den Geheimdienst zu.
In meinem Aufwachsen in Deutschland war Transnistrien den wenigsten ein Begriff. Schon als Jugendliche befremdete mich, wie sich kaum jemand dafür zu interessieren schien, dass mitten in Europa, in einem souveränen Staat, russische Truppen stationiert waren.
Ein frozen conflict, der jederzeit wieder hätte auftauen können. Rückblickend verstehe ich, dass dahinter ein privilegiertes Desinteresse steckte, eine romantisierte Russlandliebe des Westens, die nur den eigenen Wohlstand im Blick hatte und dafür die Interessen anderer Länder Osteuropas ausblendete. Mit dem 24. Februar 2022 hat sich das, wenn auch viel zu spät, geändert.
Beide Länder, die Ukraine und Moldau, verbindet der Wunsch nach Unabhängigkeit, die Erfahrung sowjetischer Herrschaft und russischer Einflussnahme.
1994 und erneut 1999 hatte sich Russland dazu bereiterklärt, seine Truppen aus Transnistrien abzuziehen – und es doch nie getan. Zahlreiche Gespräche im sogenannten 5+2-Format haben minimale Verbesserungen für das Leben der Menschen auf beiden Seiten bringen können, der Konflikt und die Tatsache, dass sich Russlands Soldaten nicht zurückziehen wollen, konnten nicht gelöst werden. Diese Erfahrung darf die Ukraine niemals machen.
Gerade erst feierte Moldau seine Unabhängigkeit. 33 Jahre frei von sowjetischer Herrschaft. Sicher, nicht alles läuft gut in dem kleinen Land. Doch es gibt eine freie Presse, freie Justiz, eine Zivilgesellschaft. Moldau ist eine Demokratie, wenn auch im Lernprozess.
Im Oktober stehen Präsidentschaftswahlen an, in einem Referendum sollen Bürger über eine EU-Mitgliedschaft abstimmen. Schon jetzt haben die Versuche Russlands, Moldau zu destabilisieren, einen neuen Höhepunkt erreicht.
Transnistrien, der eingefrorene Konflikt, ist die Achillesferse Moldaus. 33 Jahre, nachdem das Land seine Unabhängigkeit erlangt hat, bleibt es ein Kampf. diese auch zu garantieren.
Ich wünsche diese Achillesferse keinem Land, am wenigsten der Ukraine. Heißt: Verhandlungen ja, aber nur, wenn Russland verschwindet.
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