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Abschied vom FamilienautoDie Lüge des Kapitalismus

Unser Autor ist eigentlich Autohasser und hat seinen eigenen Opel Zafira trotzdem irgendwie heiß geliebt. Warum Klimaschutz mehr Gefühl braucht.

Gefühle für ein Auto hängen ja meist nicht am Verbrennungsmotor, sondern an den Erinnerungen. Und die gibt's auch bei E-Autos Foto: Jochen Eckel/imago

A m Ende wurde es dann doch emotional. Als wir die Kindersitze, Michael-Jackson-CDs und die Straßenkarten aus unserem Opel Zafira holten, wurde uns ein bisschen schwer ums Herz.

Was hatten wir in den letzten 19 Jahren mit der braven Familienkutsche nicht alles erlebt: Die Fahrten zum Skiurlaub, vollgestopft bis unters Dach, die Dramen auf dem Rücksitz, wenn der Zuckernachschub stockte, oder auf dem Fahrersitz, wenn wieder eineR von uns fast am Steuer einschlief.

Die Beulen im Pariser Verkehr, der treue Dienst als Opataxi, Frühschicht-Gefährte morgens um drei oder als Mannschaftsbus des ruhmreichen Friedenauer TSC, die Ritter-Rost-Gesänge bei den endlosen Fahrten in die Bretagne oder nach Värmland.

Und jetzt also das Ende: multiples Organversagen an Benzinpumpe, Kupplung, Bremsen, ein zweites Leben als Organspender. Wir machten Abschiedsfotos und murmelten: Parke in Frieden!

Wir sind nicht so rational, wie wir gerne wären

Und ich dachte: eigentlich unglaublich. Wie ein Autohasser wie ich an dieser Tonne aus Stahl, Plastik und Gummi hängen kann. Eine Blechkiste, die wie Milliarden andere mit seinem Dieselmotor die Luft verpestet, die Straßen verstopft, die Menschen gefährdet. Und wie jemand, der seit 40 Jahren öffentlich und privat über die Autokratie in Deutschland schimpft, beim Abschied von einem solchen Gefährt(en) sentimental wird.

Tja. Die Wahrheit ist: Wir sind alle nicht so rational, wie wir gerne denken. Nur wollen wir WeltretterInnen das oft nicht wahrhaben. Wir argumentieren mit CO2-Emissionen, Stickoxidwerten, Sterblichkeitsstatistiken, Investitionszyklen und Abschreibungsfristen.

Aber wir ignorieren, dass Menschen ihr Fahrzeug als rollende Zuflucht gegen die Welt da draußen lieben. Dass Kohlekumpel stolz darauf sind, in der vierten Generation die Braunkohle aus dem Boden zu schaufeln. Dass Bauern weiter ihre Kühe auf ihren Moorböden halten wollen. Dass Menschen es hassen, wenn sie denken, jemand wolle ihnen ihre gemütliche Ölheizung wegnehmen.

All das muss man natürlich trotzdem machen. Aber vielleicht denken wir zu wenig darüber nach, wie wir das Nötige so gestalten, dass man es mögen und wollen kann. Die Gefühle für ein Auto hängen ja meist nicht am Verbrennungsmotor, sondern an den Erinnerungen. Die kann auch ein E-Auto liefern.

Die große Lüge des Kapitalismus

Mit Kohle-Arbeitern könnte man neben Job-Alternativen auch über ihre Heimatliebe sprechen und ihnen Anerkennung zollen, uns Wärme und Licht garantiert zu haben. Bäuerinnen und Bauern sind von morgens bis abends ­Experten für Nachhaltigkeit, man müsste ihnen naturnahes Arbeiten aber auch ermöglichen und nachfragen. Und ihnen erst mal zuhören.

Die große Lüge des Kapitalismus lautet: Es geht immer nur ums Geld. Das ist Quatsch. Sehen Sie sich um. Viel häufiger bewegen uns Anerkennung, Stolz, Liebe, Gehörtwerden, Mitreden, Mitfühlen, Bindung und Vertrauen. Weil ein Auto wahnsinnig teuer ist, war der Abschied vom Zafira für unsere Familie betriebswirtschaftlich ein Gewinn. Aber darum ging es nicht. Sondern um das Gefühl, ein Mitglied der Familie im Stich zu lassen.

Irre, klar. Aber Irren ist menschlich.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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14 Kommentare

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  • "Die große Lüge des Kapitalismus lautet: Es geht immer nur ums Geld. Das ist Quatsch. Sehen Sie sich um. Viel häufiger bewegen uns Anerkennung, Stolz, Liebe, Gehörtwerden, Mitreden, Mitfühlen, Bindung und Vertrauen." Absolute Zustimmung. Danke für den schönen Text!

  • Also für uns mit zwei kleinen Kindern ist unser Diesel Skoda Okavia ein Hafen der Mobilität, mit allem an Bord, was unserer Kinder benötigen um von A nach B zu kommen. Allein von dem Gedanken meiner Familie den öffentlichen Verkehrsmitteln auszusetzen wird mir schlecht. In den vergangenen Jahren habe ich dort zu viele ausgefalle Züge, Busse, Fahrstühle und auch Gewalt erlebt, als das ich unsere kleinen Kinder dem aussetzen wollte. Insbesondere in den letzten Wochen kam kaum ein Zug pünktlich und ich habe krasse Situationen erlebt, den ich meinen kleinen Kinder nicht aussetzen möchten - da bleibt eigentlich nur eigene fahrbare Untersatz oder eben zu Hause bleiben.

  • "Wie ein Autohasser wie ich an dieser Tonne aus Stahl, Plastik und Gummi hängen kann."

    Es ist einfach, nur die Autos der anderen zu hassen.

  • guter Kommentar

    wir beachten viel zu wenig die Gefühle und Möglichkeiten der Menschen.

    Wir fördern sauteure E-Autos für Menschen die sich fast alles leisten (können).



    Wir faseln von Energiewende im Wohnraum, da fördern wir wieder die, die sich locker mal ne Wärmepumpe in den Garten und eine Fotovoltaikanlage aufs eigene Dach pflastern können.

    Was bieten wir den andern?



    Denen, die weit draussen wohnen, wo es fast oder gar keinen Bus- und Bahnanschluss gibt



    Wir denken überhaupt nicht an die in den Mietwohnungen, die keine Lademöglichkeit haben



    und erst recht nicht an diejenigen die sich kaum über Wasser halten können.

    Im besten Fall bieten wir ihnen ein schlechtes Gewissen,



    das Gefühl eine gesellschaftliche Last zu sein,,



    und noch selbst Schuld an vielem zu haben.



    Schliesslich verhalten sie sich nicht zukunftsfähig nicht "richtig".

    Ganz schön arrogant.

    Wieder zurück zum Auto:



    Eine solche Kiste 19 Jahre zu fahren und zu nutzen ist ausserordentlich nachhaltig.

    Viele haben in dieser Zeit vier bis fünf verschlissen.

  • PS: Autos können auch Gefühle wie Stress, Hass, Zorn, Wut und Ekel hervorrufen - so komplett sollte die Aufzählung schon sein.



    Ein emotionales schweres Problem geht man aber in der Tat am besten (auch) emotional an.

  • Bindung und Vertrauen. Ja.Das ist wohl der Grund, warum 11 Bekannte von uns ihr E-Auto verkauft und wieder einen Verbrenner gekauft haben. Es brummt so schön und im Verbrenner ist man schon als kleines Kind in den Schlaf gebrummt worden. Es war zu hören wenn Papa nach Hause kam.Und da war dieser herrliche Autogeruch.



    Ist nachvollziehbar.

  • Die Lüge des Kapitalismus (Teil 2)



    Dazu fiel mir gerade noch was ein.



    In den 80ern kaufte man/frau auch schon Sachen, z.B. Kleidung ( überwiegend Haltbares aus Naturfasern)



    oder Autos (überwiegend deutsche, weil die länger halten sollten).



    Dann kam die Wende und in Ostdeutschland wurde die Geschichte nochmal in fast forward erlebt.



    Pause.



    Also irgendwie hatten Alle Alles.



    Das hieß Fernseher, PC, Karre,Hifi, Cd's, DvD's etc. .



    Das ist natürlich schlecht für den Kapitalismus.



    Also wurden Bedürfnisse geschaffen indem die "Finanzierung" eines Gegenstands von einer Peinlichkeit in einer guten Idee verwandelt wurde.



    Ein Auto sollte eben nicht mehr gefahren werden, bis der Tüv uns scheidet, sondern nach 1,2 oder 3 Jahren ausgetauscht werden.



    Wie sollten die ganzen Karren denn sonst an die frau gebracht werden?



    Das weitete sich dann derart aus, dass bis zur Klobürste Alles auf Kredit gekauft werden konnte.



    Der zusätzliche auftretendene Müll wurde mit dem grünen Punkt kaschiert und ins Ausland transportiert.



    Dann gab es glücklicherweise technische Neuerungen wie Handys für Alle, die mittlerweile spätestens im Jahresrhythmus getauscht werden müssen.



    Und was brauchst Du?



    Ruhe?



    Ach so...

  • Frage an den Autor. Wie werden zukünftige Reisen bei ihm aussehen? Wie kommen Sie in den Skiurlaub oder in die Bretagne? Stelle ich mir nicht leicht vor, ohne Auto.

  • Die. fast schon religiöse Überbetonung des Materiellen ist wohl eher eine sozialistische Lebenslüge. Aber ansonsten stimme ich als abstinenter Autofan dem Autor schmunzelnd zu;-)

  • Gut ist, dass hier Verständnis für eine gewisse Inkonsequenz gezeigt wird.



    Das sehe ich ähnlich.



    Klar ist die Menschheit der größte Parasit der Erde.



    Wer sich nicht gleich umbringt, muss Kompromisse machen.



    Wer allerdings etwas gegen den Klimawandel tun will, sollte auch rationale Entscheidungen fällen.



    Der Letzte Artikel des Autors handelte vom Fliegen und es ist ja noch Ferienzeit und somit bleibt das auch noch rtin wenig aktuell.



    Ein Ausflug nach Kalifornien kostet das Klima soviel CO2 Äquivalente wie ein altes Auto mit 10l/100km Verbrauch im Jahr, bei 15000km Jahresleistung in die Luft bläst.



    Wer also sein Auto selten nutzt, vielleicht mal häufiger Fahrrad fährt oder die komischen Dinger , die in den Schuhen stecken, nicht nur zum Rumstehen benutzt, kann sehr lange umweltfreundlich leben.



    Jedenfalls kann so mit Leichtigkeit ein positivererer CO2 Fußabdruck entstehen, als bei Jemandem, der mit viel Tamtam das Auto abschafft und dann in den Urlaub fliegt!

  • Hauptsache, man schafft den Entzug irgendwann.



    Wie bei anderen ungesunden Drogen fängt man am einfachsten gar nicht an.

    Dafür sollten wir u.a. mal die Anreize anders setzen: Bus/Bahn/Rad wieder unterstützen, und motorisierten ineffizienten Individualverkehr seine Kosten auch voll bezahlen lassen.

    Dann können die Leute bei Bosch ihre Cleverness für Sinnvolleres einsetzen.

  • "... die Straßen verstopft, die Menschen gefährdet."



    Nicht das Auto gefährdet die Menschen.



    Es sind die Autofahrer.

  • Komischer Artikel. Das Individuum konsumiert im Kapitalismus, so wie der Autor. Abgeschöpft wird an ganz anderer Stelle. Es geht nur ums Geld, das hat der Autor leider nicht verstanden oder will es sich schönreden.

  • "Die große Lüge des Kapitalismus lautet: Es geht immer nur ums Geld. Das ist Quatsch. Sehen Sie sich um"



    Ich habe es nun schon häufiger hier gepostet: Kapitalismus und Freie, soziale Marktwirtschaft sind himmelweit verschieden