piwik no script img

Symposium über AntideutscheIm Schwitzkasten der Ideologien

Unsere Autorin fragt sich schon lange, was antideutsch ist. Eine Veranstaltung in Berlin verspricht Antworten. Kann das gut gehen?

Heiß war es im Hörsaal der Humboldt-Universität in Berlin, und draußen störte ein propalästinensischer Autokorso Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Ist das ein Fiebertraum? Das werden sich manche bei der Podiumsdiskussion gefragt haben, die Anfang August an der Humboldt-Universität zu Berlin stattgefunden hat. Das Thema: Antideutsche. Vor der Veranstaltung hatte ich große Hoffnungen. Endlich die Antwort auf eine politische Frage zu finden, die ich mir gestellt habe. Ich bin links, ich mache Witze über Deutsche, ich verteidige manchmal Israel. Bin ich deshalb antideutsch?

Der Titel, eine Enttäuschung: „Was waren die Antideutschen?“ Wie bitte? Die Strömung soll schon tot sein, bevor ich sie verstanden habe. Da auch die Linke öfter für tot erklärt wurde, als sie sterben kann, wollte ich dem Event eine Chance geben. Schließlich wird ja antideutsch bzw. Anti-D immer noch verwendet, meist beleidigend gemeint oder gar als Feindbild: Bei der International Queer Pride wurden dieses Jahr Antideutsche explizit ausgeladen.

Eingeladen wurden „die Antideutschen“ am 2. August von der Platypus Affiliated Society, um „auf die Bewegung zurückzublicken“. Platypus ist eine Organisation, die mithilfe von Lesekreisen aufzeigen will, was Marxismus mal war.

Meine besser gebildeten Freunde waren etwas aufgeregt wegen der Gäste: Das Urgestein der Anti-Deutschen, Justus Wertmüller, wurde auf das Podium eingeladen („Den wollte ich schon immer mal sehen“) sowie Detlef zum Winkel („einfach wholesome Linksliberaler“). Außerdem Jan (ohne Nachname) von Platypus und Jan (ebenfalls ohne Nachname) von der Gesellschaft für kritische Bildung.

250 Menschen schienen die Aufregung zu teilen, der Hörsaal war trotz circa 35 Grad Innentemperatur brechend voll. Die Holzbänke quietschen, die feucht-fiebrige Hitze sorgt schon zu Beginn für einen unangenehmen Schweißgeruch.

Nur Männer

Ich bereue deshalb meine Entscheidung. Ich bleibe, wegen der amüsierenden Kommentare des stabilen älteren Pärchens hinter mir. „Was, nur Männer?!“, sagt der Mann empört zu der Frau. „Das trauen sich nur noch die Antideutschen heutzutage.“ Ein Blick durch den Saal verrät: Viele sind jung, männlich, intellektuell gebildet.

Ich habe noch nie so viele Polohemden mit Fred-Perry-Logo auf einmal gesehen. Nun aber zum Inhalt: Der Moderator forderte die Teilnehmer auf, über politische Wendepunkte in den letzten zwei Jahrzehnten zu sprechen, die den Begriff antideutsch geprägt haben. Ein paar Mal macht es Klick, bei den Ausführungen von Detlef zum Winkel. Antideutsch sein bedeutete die Abneigung und Abgrenzung der Nationalbewegung zur Wiedervereinigung 1989/90.

Dann erwähnt er einen Punkt, der das Bezugsmerkmal der Antideutschen zu sein scheint: bedingungslose Solidarität mit Israel. Wie kam es historisch dazu? Eine Wurzel der antideutschen Positionen, so zum Winkel, liege im Entsetzen über irakische Luftangriffe auf Israel im Golfkrieg 1991, der die linksextremistische Friedensbewegung mit Gleichgültigkeit zugesehen habe.

Es sei daraus eine linke Position entstanden, die sich israelsolidarisch und strikt antifaschistisch aufgestellt hätte. Einer der spannendsten Punkte des Abends, über den ich gern mehr gelernt hätte. (Auch als Argumentationsgrundlage, wenn es mal wieder wie so oft heute bei einem lockeren Kneipenabend um die Israelfrage geht.) Auch 2,5 Stunden hitziges Podium haben mir zum Verständnis nicht ausgereicht.

Der Star des Abends war Wertmüller, Anti-D seit der ersten Stunde, Redakteur bei der Berliner Zeitschrift Bahamas einst ein wichtiges Organ der Antideutschen, heute ein Nischenblatt, das sich von linken Positionen immer mehr entfernt. In der aktuellen Ausgabe wird etwa die Ramadanbeleuchtung in Frankfurt am Main als Handreichung zur Islamisierung gesehen. Die Zeitschrift gefällt sogar dem Rechtsextremisten Martin Sellner.

Wertmüller spricht schnell, mit der Stimme eines Sportkommentators aus den 50ern. Es folgen Anschuldigungen gegen alles, was irgendwie links ist. Die „Queeren“ seien alle propalästinensisch, die deutsche Linke würde sich den „zweiten Holocaust gar sinnlich“ herbeiwünschen, sie seien außerdem für das Regime in der UdSSR verantwortlich.

Plötzliche Unruhe im Saal

Bei all dem Durcheinander mögen die Zuhörenden fast vergessen, dass er die Frage „Was waren die Antideutschen?“ überhaupt nicht angeschnitten hat. Es ist still im Saal, wenn Wertmüller redet. Teils, weil niemand die Shitshow verpassen will, aber auch, weil sich Wertmüller-Fanboys im Publikum befinden.

Jan von Platypus ist differenzierter und versucht, die Aussagen von Wertmüller einzuordnen, will aufzeigen, wo Anti-Ds an der Linken erfolgreich Kritik geübt haben. Die beiden Jans zitieren ein Stück eines anderen Jans, nämlich Jan Gerbers „Die Antideutschen – ein Nachruf“, der dieses Jahr in der Bahamas erschienen ist. Mentale Notiz: Das sollte ich auch mal lesen. Zum Winkel weist auf Erfolge der Antideutschen hin, etwa dass es so viele heute schaffen, gemeinsam gegen die AfD aufzustehen.

Im Saal kommt Unruhe auf, nicht aber wegen des Gesagten, sondern weil draußen ein palästinasolidarischer Autokorso die Veranstaltung stört. Wegen des Huplärms müssen die Fenster geschlossen werden und die Luftfeuchtigkeit katapultiert einen auf die Bahamas.

Theatralischer Abgang

Als Jan von Platypus sagt, dass sich Linke nicht „plump auf die Seite einer Regierung schlagen“ dürfe, tritt Wertmüller – von Zwischenrufen begleitet – theatralisch vor das Pult: Von Jan will er wissen: „Auf die israelische – ja oder nein?“ Als Jan mit „Nein“ antwortet, stürmt Wertmüller mit den Worten „Yallah Intifada, ich gehe“ aus dem Hörsaal.

Im Schlepptau hat er rund 30 jüngere Wertmüllers aus dem Publikum, die Fred-Perry-Cap-und-Polohemden-Fraktion. Sein Abgang wirkt inszeniert, gerade passend nach dem Propalästinakorso vor der Tür und gerade rechtzeitig vor möglicher Kritik aus dem Publikum an seinen Darstellungen. Vielleicht, denke ich, ist das schon die Offenbarung, die ich mir vom Panel erhofft habe.

Obwohl auf dem Podium nur Menschen sitzen, die sich mit der antideutschen Strömung identifizieren oder sie durchdringen wollen, kann Wertmüller eine Diskussion offenbar nicht aushalten. Schade.

Nach seinem Abgang erfrischt sich die Luft etwas und es gibt eine Fragerunde. Es geht um Erfolge und die Zukunft der Anti-Ds. Zum Winkel rät zur Unterstützung von Omas gegen rechts. Viele junge Menschen stellen kluge Fragen.

Wenn man sich die so anhört, dann gibt es noch Hoffnung für eine Linke, die sich konsequent gegen Antisemitismus und Nationalismus positioniert. Ob sie sich nun antideutsch nennt oder nicht, ist mir eigentlich egal. So lang mir niemand erklären kann, woran die Anti-Ds gestorben sein sollen, erkläre ich sie noch nicht für tot.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Ein sehr lehrreicher Artikel und viele interessante Kommentare! Danke! Als naiver und nicht-vernetzter Mensch dachte ich all die Jahrzehnte, ,antideutsch‘ sei ,anti-nationalistisch‘, ,anti-kapitalistisch‘, ,anti-selbstgefällig-erinnerungskulturalistisch‘.



    Ich dachte, man sieht halt viele Kontinuitäten vom Wilhelminismus zum Nationalsozialismus zu den Auschwitz-Prozessen zu den NS-Kontinuitäten in der Justiz, im BND, in der Politik, im Rentensystem/ Prnsionswesen ( s. Freisler-Witwe) etc.



    Antideutsch ist, wer findet, dass NICHT genug getan wurde und wird, um ein , Nie wieder!‘ zu gewährleisten. Wer findet, dass man zu wenig Kapitalismuskritik zulässt, was wiederum die Ungleichheit und den Rassismus verstärkt. Wer findet, dass Zivilcourage zu wenig gelehrt, hochgehalten und gewertschätzt wird. Obwohl sie uns schützen könnte, als einzige, vor dem ,wieder‘.

  • Den AntiDs ist es zu verdanken, dass in der deutschen Linken überhaupt eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus stattfinden konnte, die über ein pauschales "Antisemitismus=Rassismus" hinausgeht.



    Ich verdanke es zumindestens älteren, antideutsch sozialisierten Linken, dafür sensibilisiert worden zu sein.

    Die Schnittmenge von antisemitischem Verschwörungswahn und Transphobie ist übrigens sehr groß, und kluge AntiDs verstehen, dass Queer-Feminismus, Kapitslismuskritik und Anti-Nationalismus zusammen gedacht werden können, statt wie bei Wertmüller gegeneinander ausgespielt.

  • Ich habe mal recherchiert. Man kann sich selbst ein Bild von dieser Veranstaltung machen. Es gibt eine Aufzeichnung:



    archive.org/detail...en-berlin-02.08.24

  • Antideutsch = Anti-Deutschland. Im Sinne, Nationen oder Staaten sind nicht zielstrebend für eine sozial gerechte Welt.

    Klar, unterkomplex. Doch das Hinzufügen weiterer Kriterien oder das Hineininterpretieren vom Status Israel/Nahost, oder dass ohne Staaten keine Demokratien und Menschenrechte existieren würden, sind nur Verkomplizierungen von Special Snowflakes. Eine simple Idee wird so sehr aufgebauscht, dass nicht einmal eine Brockhaus-Enzyklopädie mit leeren Seiten soviel Information aufnehmen kann.

    Lösungen von Antideutschen werden präsentiert, doch Couch-Philosophen aus dem linken Spektrum sitzen gemütlich vor dem PC, anstatt Lösungen umzusetzen. Dichten irgendwas langatmiges hinein, nicht unter 5,000 Wörtern, warum die Lösung doch nicht so perfekt ist, und wundern sich hinterher warum Antideutsche völlig Banane seien.

    Same with Antiimps btw. Und Antikapitalisten, wenn die sich antikapitalistisch einsetzen, also Theorie = Praxis, kriegen die ebenfalls von anderen Antikapitalisten eines aufs Dach mit einem philosophischen Pamphlet mit mindestens 6,000 Wörtern.

    Zerstreitet euch ruhig weiter in immer kleiner werdenen linken Blasen. Anstatt zusammenzufügen, wie ein Puzzle.

  • Genau so ein verlorener Sektiererverein wie die Antikolonialen oder die Antiimperialisten. Auch Anti, nur mit anderem Tunnelblick.



    Das letzte Gespräch, dass ich mit einem selbsterklärten Antideutschen hatte, drehte sich darum, was für eine außenpolitische Katastrophe Präsident Obama für die Welt bedeutet hat und was unter Trump jetzt alles besser laufen wird. Hintergund war eine Diskussion über die einseitige Anerkennung Jerusalems als unteilbare Hauptstadt Israels.



    Spätestens das war der Punkt, wo ich aufgehört hab dran zu glauben, dass hinter der dickhosigen Fassade irgendwas wirklich Konstruktives steckt.

  • diese thematik finde ich total wirr und verwirrend - erinnert an die raketen und anti-raketen und anti-anti-raketen aus kaltem krieg01 !

    ich fänd's schön, wenn wir deutschen mal 200 jahre die fresse halten würden zum thema judentum und israel. wir sind nur 1% der weltbevölkerung, und haben komische vergangenheit - da braucht es das nicht, dass wir, baerbock und weissdergeier ständig an jeden baum pinkeln wollen

  • Bin ein bisschen enttäuscht, dass Jürgen E. da nicht aufgetaucht ist.

    blog.zeit.de/stoer...-ganz-rechts_22956

  • Klingt wie das Gegenstück zu den Reichsbürgern. Zumindest scheint das intellektuelle Niveau ähnlich zu sein...

  • Anti-Deutsche sind keine Linken.

    • @Bartleby208:

      Oh doch, auch die Antideutschen gehören sehr wohl zum linken (bzw. je nach Definition sogar zum linksextremen) Spektrum! Aber das ist ja fast normal dass jeweils der anderen K-Gruppe das Linkssein abgesprochen wird…

  • Was erstaunlich kurz kam waren die praktischen Gründe in Deutschland, statt die theoretischen Erwägungen.

    Nicht nur wegen des Fernen Irak Kriegs, sondern auch weil in Deutschland die Polizei in den Baseballschlägerjahren nicht antifaschistisch war, weil die organisierte Linke unfähig war Übergriffe zu verhindern, weil die westliche BRD Linke autoritär verkappt war, weil das Regenbogenhaus gebrannt hat und die Deutschen das beklatscht haben, bis auf wenige Antifas, weil all dies war war nötig antideutsche Kritik ins Zentrum zu setzen.

    Antideutsche entstanden aus der Erkenntnis, dass die einzigen die jüdisches Leben wirklich mit Leib und Leben und eben auch Staatsmacht schützen würden, langfristig schützen würden, die Menschen in Israel waren. Juden*Jüd*innen, arabische Israelis im "jüdischen Staat" und Co.

    Nicht hingegen würden Deutsche Israelis oder Juden*Jüd*innen schützen. Wie notwendig dieses Verständnis in der Zeit war zeigen die aktuellen Geschehnisse in Deutschland nur all zu gut.

  • Eine Bewegung die Antifaschismus nie ernst gemeint hat, bzw. die die es taten haben die Bewegung aus Gründen schon vor langer Zeit verlassen.

  • Antideutsche kenne ich nur als Facebook-Trolle :-)

  • ein erfrischender beitrag. er deutet sowohl die dringlichkeit einer formierung später sog. antideutscher positionen an, als auch die spätere verkrustung von teilen einer letztlich heterogenen strömung.

    bei manchen ihrer prominenten vertreter (meist waren das v.a. sprechstarke theorie-bros) hat sie sich leider bald in sektiererischem gehabe im stile der k-gruppen geäußert, manche sind staatstragend geworden, lassen menschen im mittelmeer ersaufen und halten sich für sozial-liberal, andere haben durch die pflege islambezogener rassistischer ressentiments schnittmengen nach rechts und rechtsaussen ausgebildet, wieder andere sind heute waschechte neonazis geworden verantworten federführend teile der propagandamaschinerie der neuen deutschen rechtsradikalen. popkulturell aktive linke wie torsun, die sich mal als antideutsch bezeichnet haben, menschen mit antideutschen positionen vertraut gemacht haben, aber gut erkannt haben, wann da was ins dogmatische, postfaktische oder verschwörerische gekippt ist, werde ich immer feiern: "mit der mitte in die zukunft heißt tradition pur. der exportschlager aus deutschland war schon immer leitkultur".

  • Wer es wirklich genauer wissen will: redaktion-bahamas.org/



    "Die Bahamas ist eine Zeitschrift. Man soll nicht an sie glauben, man soll sie lesen."



    Das sagte Stephan Grigat auf einer Veranstaltung zu einem aufgebrachten Besucher, der ihm vorwarf, "ja auch für die Bahamas zu schreiben". Grigat musste ihm dann erklären, dass er schon seit über 10 Jahren nicht mehr für diese schreibe...Der Vortrag war irgendwann Mitte der Nuller Jahre in einer südwestdeutschen Universitätsstadt...ja, da werden Erinnerungen wach...

    • @Kai Ayadi:

      Stephan ist ein eigentlich kluger Mensch.







      Bahamas ist leider bananas. Also nichts, was man sich antun sollte. Gegen Antisemitismus streiten kann sehr wohl heißen, für die Menschen aller Art zu sein und gegen die Hasspredigten des Netanyahukabinetts gerade. Das ist nicht Judentum, das ist unverhohlener Nationalismus gegen andere Menschen

  • Ganz lustiger Artikel. Aber wen, ausser die Teilnehmer, interessiert solch eine Veranstaltung? Irgendeinen Mehrwert kann ich jedenfalls nicht erkennen.

  • Antideutsch waren die Alexander Feuerherdt & Co., die undifferenziert keine Ahnung vom Nahostthema hatten und versuchten, sich mit Pauschalumarmungen des Siedlerunrechts dort irgendwie besser zu fühlen. Als ob sie ihre deutsche Besonderheit so einfach los würden. Als wäre das Völkerrecht im Nahen Osten nicht sehr klar und deutlich.

    Das war _nie ernstzunehmen und diskreditierte leider den legitimen Zweifel an auch deutschen nationalen Narrativen.