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Preußenkitsch in PotsdamVerunsicherte Gesellschaft

Heike Holdinghausen
Kommentar von Heike Holdinghausen

Die neue Garnisonkirche steht für komplettes Retro. Wer ein rückwärtsgewandtes Stadtbild insgesamt sucht, ist in Potsdam genau richtig.

Proteste im April gegen die Eröffnung der Garnisonkirche in Potsdam Foto: Eberhard Thonfeld/imago

D er Wiederaufbau der Garnisonkirche ist als Symbol des preußischen Militarismus abzulehnen? Ach was. Preußen ist selbst in Potsdam so mausetot, dass auch seine Symbole niemanden erschrecken müssen. Seine Reste lassen sich in fast jede politische Richtung kneten, mit Toleranzedikt und Allgemeinem Landrecht nach Mitte-links, mit Militarismus und Kaiserreich nach rechts.

Die Symbolik ist so beliebig, dass sie auch schon wieder egal ist. Das Zeichen, das der Wiederaufbau der Garnisonkirche setzt – ausgerechnet auf Kosten eines alten DDR-Rechenzentrums, das inzwischen zu einem soziokulturellen Freiraum geworden ist –, ist gleichwohl beunruhigend.

Die neue alte Kirche im Zentrum weist auf eine verunsicherte Gesellschaft, die gerne diskutiert, wo sie herkommt, aber keinerlei Idee davon hat, wo sie hin muss. Wer durch die Potsdamer Innenstadt flaniert, kann das auf wenigen Quadratmetern besichtigen: Ein kurzer Weg ist es von der Garnisonkirche bis zum weitgehend original aufgebauten Stadtschloss, vor dem putzige Reihenhäuser auf historischem Grundriss fast fertig gebaut sind; dafür musste die Fachhochschule weichen.

Der Staudenhof, ein Plattenbau, der günstigen Wohnraum bot, wird gerade abgerissen; auch dort folgen Neubauten. Ressourcensparendes, gemeinwohlorientiertes, klimaneutrales Bauen und Wohnen? Hier nicht. Wer ein Bild sucht für eine Gesellschaft, die sich mutlos an die fossile Industrie des vergangenen Jahrhunderts klammert, sich Wohnen und Produzieren nur räumlich getrennt vorstellen kann und das gute Leben im Konsumieren sucht – die findet es hier, mitten in Potsdam.

Wer danach noch einen Ausflug an den Stadtrand macht, fährt durch Eigenheime und teuren Geschosswohnungsbau, autogerecht, mit Gasanschluss. Erst seit Kurzem gehen die Stadtwerke das Thema Fernwärme durch Geothermie an. Der Ausbau der Straßenbahn zu geplanten Neubauvierteln im Grünen hingegen scheitert – am Denkmalschutz.

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Heike Holdinghausen
Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
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14 Kommentare

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  • 1) Wäre die Garnisonskirche nicht neu aufgebaut worden, sondern alter Bestand, würde dann nicht eher das vollkommen einfallslos gestaltete Gebäude dahinter stören?



    2) Hätte sich die Gestaltung der Garnisonskirche diesem, nun ja, was eigentlich?, anpassen sollen?



    3) Wie wird dieses Ensemble in, sagen wir, 50 Jahren beurteilt werden? Welches der beiden Gebäude wird als schöner empfunden werden?



    4) In den 1980er Jahren hätte das Schild auf dem Foto das Gebäude links gemeint. Damals gab es eine Postmoderne, die keine Lust mehr darauf hatte, den dreihundertmillionsten kreativitätsfreien Aufguss der -zweifellos meisterlichen- Gebäude der -zweifellos notwendigen- Architektur des Bauhauses, nun ja: hinzustümpern; zum Wohle des Investors und seiner Kasse.



    5) "Einfach zum Nachdenken" (Titel einer Radiosendung im österreichischen Rundfunk).

  • Danke, Frau Holdinghausen! Erfrischend und meinungsstark (schreibt Ihnen ein alter weisser Mann!)

  • Es gibt auch andere Blickwinkel auf Potsdam: kleine, individuelle Läden in der Innenstadt, keine sog. flagstores in den wenigen Einkaufsstraßen, riesige Parks fussläufig von der Innenstadt, besonders abends menschenleer, an vielen Stellen



    der Parks friedliches baden und relaxen, nicht immer erlaubt aber geduldet, alles



    erreichbar mit dem Fahrrad, mit Babelsberg ein Fußballverein, dessen Fans und



    Umfeld sich sich wohltuend von anderen Vereinen abhebt. Dass es natürlich



    in Berlin alles viel besser ist - einen Potsdamer juckt das nicht, so schlecht lebt es sich



    nicht im Stadtmuseum, retro ist nicht gleich reaktionär.

    • @Hubertus Behr:

      Schöner Kommentar!

  • Wo kommen wir denn hin, wenn wir uns nicht mehr am vermeintlichen Symbolgehalt von Dingen hochziehen?

  • "Der Ausbau der Straßenbahn an geplante Neubauviertel im Grünen hingegen scheitert – am Denkmalschutz."

    --> Nicht nur der Ausbau der Straßenbahn scheitert am Denkmalschutz und - noch viel schlimmer - an der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG). Insbesondere die SPSG ist eine Einrichtung, deren Wirken mal ein Essay wert wäre. Sie ist nämlich von Berlin und Brandenburg beliehene untere Denkmalschutzbehörde und vor allem handelt sie - satzungsgemäß - als Unterdrückungsinstrument der Potsdamer Stadtgesellschaft. Ihr vorrangiger Satzungszweck ist die Erhaltung und Pflege der Kulturgüter, was man auch klar als "Verhinderungsplanung" bezeichnen könnte.

    Der Generaldirektor der Stiftung hat - durch die Beleihung mit dem Denkmalschutz im quasi durchgängig denkmalgeschützten Potsdam - mehr bauliche Macht als der Oberbürgermeister. Dass die Potsdamer Oberbürgermeister auch nicht die kompetentesten waren (Platzeck, Jakobs, Schubert) und eher als Grüßauguste agieren macht die Sache natürlich nicht leichter. Allerdings trifft die Stiftung beinahe jede Entscheidung gegen die Stadtgesellschaft und nach gusto der ortsansässigen Millionäre (z.B. Jauch, Joop, Plattner).

  • Wie man es gerade braucht. Einerseits wird die Platte als "günstig" angepriesen, dann wieder das Gegenteil von Platte: ressourcensparend und klimaneutral. Unsere Städte haben sich bis heute nicht vom Brutalismus der 60iger erholt, in Ost und West gleichermaßen. Von Ästhetik will gar nicht anfangen, die Fehler liegen schon in so elementaren Dingen wie Maßstab und Belichtung.



    Retro? DDR-Legebatterien sind retro.



    "Jenossen, hört ihr mir?"



    "Ja!"



    "Jenossen seht ihr mir?"



    "Nee."



    "Det sind Wände, wa!"



    Und immer das blödsinnige Gequatsche von Militarismus, als ob es die Zeitenwende außerhalb von Scholzens Ankündigungen wirklich gäbe (und auch das wäre noch kein Militarismus).

    • @Kurt Kraus:

      Militarismus in der deutschen Debatte ist alles was von einem sinplistischen Stammtisch Pazifismus einer reaktionären alt gewordenen Friedensbewegung abweicht. Vom Militarismus ist Deutschland heute weiter weg als je zuvor.

  • Es ist ja nicht mal ästhetisch oder "authentisch", wenn man Fotos betrachtet.



    Sich vom 'Preußentum' abzuwenden, von manchen künstlich verklärt, hatte und hat schon Gründe. Schade, dass Bundesgelder so verplempert wurden, um lautstarken Borussisten zu folgen.

  • "Preußen ist selbst in Potsdam so mausetot, dass auch seine Symbole niemanden erschrecken müssen."

    So einfach würde ich das nicht wegwischen. Pistorius hat gerade in guter alter wilhelminischer Tradition in fernen Ländern "Weltgeltung" gespielt.

  • "Wer ein rückwärtsgewandtes Stadtbild insgesamt sucht, ist in Potsdam genau richtig."



    Ich werde nie verstehen, was so schlimm daran ist, wenn ein Land sich seiner Vergangenheit bewusst ist...

    • @Encantado:

      Es geht ja nicht um "seiner Vergangenheit bewusst" sein, sondern darum, sich die Vergangenheit nachzubauen. Wäre man sich "seiner Vergangenheit bewusst", würde man die Garnisonskirche nicht wiederaufbauen (auch wenn Militarismus gerade wieder ganz gut zieht).

      • @HRMe:

        Das ist ja der entscheidende Punkt: Denkmalschutz finde ich großartig - aber eine völlig zerstörte Kirche neu zu bauen, hat mehr mit Disney Land zu tun als mit Kulturpflege. Und diese Verkitschung stört mich viel mehr als die vermeintliche Symbolik (nichts gegen ein bisschen Preussentum, das man ja wirklich in jede beliebige politische Richtung interpretatieren kann - aber dann lese ich lieber Fontane, statt mir solche Vergangenheitssimulation anzutun).

  • Weshalb den "verunsicherte Gesellschaft"? Genau wegen jener alten Gebäude wird Potsdam jährlich millionenfach besucht, Potsdam gilt als lebenswert und die wieder errichteten Gebäude gelten gemeinhin als schön. Man kann den Barock auch ohne jeden politischen Hintergrund genießen.

    Und wenn man den einen politischen Hintergrund sehen wollen würde, dann doch bitte, dass die Ideologie von Herrn Ulbricht verloren hat.