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BSW will Coronazeit aufarbeitenWagenknechts Wahlkampf mit Corona

Das BSW will in Sachsen und Thüringen Untersuchungsausschüsse einsetzen. Berührungsängste zur AfD: keine.

Protestieren like it's 2020: „Querdenken-Camp“ gegen die Corona-Politik im Berliner Tiergarten am 5. August Foto: Bernd von Jutrczenka /dpa

In einem Protestcamp der Hofjägerallee im Berliner Tiergarten sitzen am Montagmorgen etwa 40 Menschen vor ihren Wohnwägen. Sie trinken Bier und grillen Würstchen. Viele tragen Federkopfschmuck, Pullis und Shirts mit Aufschriften wie „Querdenken 7-11 Stuttgart“ oder „Natürlich immun gegen GEZ finanzierte Propaganda“. Es wimmelt nur so von Plakaten mit Friedenstauben.

Sie sind die Überbleibsel einer Demonstration von etwa 12.000 Corona­leugner:innen am Samstag an diesem Ort. Die von „Querdenken“ organisierte und von deren Gründer Michael Ballweg angemeldete Versammlung erinnerte wie jedes Jahr an eine Großdemonstration des Spektrums vom 3. August 2020. Als Mobilisierungsschub diente diesmal die Veröffentlichung ungeschwärzter Protokolle des Coronakrisenstabs beim Robert-Koch-Institut (RKI) in der vorvergangenen Woche. Als Aufreger gilt dabei, dass in der politischen Kommunikation noch von einer „Pandemie der Ungeimpften“ gesprochen wurde, als bereits feststand, dass sich auch Geimpfte infizieren können.

Vor diesem Hintergrund ist dann auch eine Wortmeldung aus dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) vom Wochenende zu verstehen. Wie ihr Europaabgeordneter Friedrich Pürner dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte, will das BSW nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen im Herbst und nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr Untersuchungsausschüsse zur Aufarbeitung der Coronamaßnahmenpolitik einrichten. Nur so sei es möglich, Zeu­g:in­nen zu laden und Akteneinsicht zu erhalten. Pürner selbst war als Maßnahmenkritiker 2020 als Leiter eines bayerischen Gesundheitsamts abgelöst worden. Im BSW ist er nun für die Erarbeitung des Corona-Abschnitts für das Parteiprogramm verantwortlich und hat sich dafür weitere Kritiker der damaligen Schutzmaßnahmen ins Boot geholt.

Wo es nötig ist, will die Partei dabei auch mit der AfD, die ebenso um das politische Erbe der Coronaprotestbewegung kämpft, zusammenarbeiten. „Wir hoffen, dass möglichst viele aus anderen Fraktionen, und dazu gehört auch die AfD, diesem Anliegen zustimmen“, so Pürner. Schließlich handele es sich um „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“. Von einer Abgrenzung von der AfD hält der BSW-Politiker nichts: „Für Brandmauern und Kontaktschuld ist kein Platz. Beides ist absolut kontraproduktiv für eine Aufarbeitung und wird auch dem Wunsch der Bevölkerung nicht gerecht.“

Gegen die Impfpflicht

Sahra Wagenknecht selbst hatte in einem Vorwort für das Landtagswahlprogramm in Brandenburg geschrieben, eine Stimme für das BSW sei „eine Stimme für die konsequente Aufarbeitung der Fehler der Corona-Zeit durch einen Corona-Untersuchungsausschuss im Bundestag“. Darin sprach sie sich für eine Vorladung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach und dem Virologen Christian Drosten und gegen die „Ausgrenzung Andersdenkender“ aus. In der Vergangenheit war Wagenknecht Überlegungen für eine allgemeine Impfpflicht entgegengetreten.

In Brandenburg selbst hat es auf Ini­tiative der AfD seit 2020 zwei Corona-Untersuchungsauschüsse gegeben. Dabei waren vor allem verfestigte Meinungen aufeinandergeprallt. Während die meisten Fraktionen keinen Anlass zu schwerwiegender Kritik am Handeln der Landesregierung erkennen konnten, sah das die AfD anders. Auch in Hessen war im Juni ein Ausschuss eingesetzt worden, allerdings mit einem geringeren Untersuchungsauftrag als von der AfD beantragt.

Mitarbeit: Lilly Schröder

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21 Kommentare

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  • Die Brisanz der entschwärzten RKI-Protokolle besteht darin, dass aus den Protokollen klar hervorgeht, dass die Politik anders als vielfach behauptet nicht der Wissenschaft (hier: dem RKI) gefolgt ist, sondern dass Vorgaben zu wesentlichen, eigentlich nur wissenschaftlich zu treffenden Beurteilungen direkt aus dem Ministerium kamen und dem RKI dann nur noch die Aufgabe zukam, diese (pseudo)wissenschaftlich zu bemänteln.

    Dabei ging es keineswegs nur um Details, sondern wie z.B. bei der Einstufung der Gefährdungslage der Bevölkerung ebenso wie bei der Festlegung von Inzidenz-Grenzwerten um Entscheidungen, die weitreichende Folgen für das Ausmaß grundrechtseinschränkender Maßnahmen hatten. Gerichte haben sich bei ihrer Urteilsfindung in zahlreichen Verfahren darauf verlassen, dass die Corona-Maßnahmen, gegen die geklagt wurde, eine wissenschaftliche Grundlage hatten, und nun zeigt sich, dass das oftmals nicht der Fall war: Das RKI, das von den Gerichten in der Regel als wissenschaftlich und unabhängig arbeitender Gutachter betrachtet wurde, folgte selber politischen Vorgaben.

    Dieses und vieles mehr, was hier der Begrenzung der Kommentare zum Opfer fällt, muss aufgearbeitet werden.

  • Eine Aufarbeitung halte ich ebenfalls für absolut notwendig: Das Thema ist zu wichtig und zu kontrovers und es gibt zu viele Ungereimtheiten, um es einfach auszusitzen und es damit weiter am Köcheln zu halten.

    Ich bezweifle aber, dass es jemals gelingen wird: Bei den sog. Querdenkern hat sich eine Haltung verfestigt, die es nicht mehr nur auf Kritik und Aufarbeitung angelegt hat. Dort wird man einfach keine Ruhe geben, bevor nicht Merkel wegen Einführung einer Diktatur und Lauterbach wegen Durchführung eines Genozids schuldig gesprochen worden sind usw.

    Die sind so felsenfest davon überzeugt, dass nur sie immer recht hatten und es gar kein anders Ergebnis geben kann.

  • Abgesehen davon, dass die AfD kein Partner für eine Aufarbeitung des Themas sein kann, frage ich mich, was konkret soll denn in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden?

    Es gibt Evaluationsberichte diverser Gremien, einschließlich des Bundesrechnungshofs, es gibt ca. 9.000 Gerichtsentscheide zu Corona, es gibt jede Menge wissenschaftlicher Studien zu Wirkungen und Nebenwirkungen von Infektionsschutzmaßnahmen.

    Was genau soll also "aufgearbeitet" werden? Oder geht es doch nur um parteipolitische Profilierung und Abrechnung? Siehe auch scienceblogs.de/ge...eiten-mit-der-afd/

  • "Als Aufreger gilt dabei, dass in der politischen Kommunikation noch von einer „Pandemie der Ungeimpften“ gesprochen wurde, als bereits feststand, dass sich auch Geimpfte infizieren können."

    Mein Hausarzt hat mir damals im Aufklärungsgespräch gesagt, daß mich die Impfung nicht vor einer Infektion, aber vor einem schweren Verlauf schützen könne. "Pandemie der Ungeimpfen" bezog sich darauf, das unter den Kranken, die auf den Intensivstationen um ihr Leben kämpften, der Löwenanteil eben ungeimpft war.

    Daß Personen, die heute noch nicht in der Lage sind einen derart einfachen Sachverhalt auch nur ansatzweise zu verstehen, sich nun in die erste Reihe spielen wollen ist zumindest besorgniserregend.

    Ich weiß momentan nicht, wo ich es gelesen habe, möchte diesen "Aufklärern" aber trotzdem zurufen: "Ich würde mich gerne mit Ihnen geistig duellieren, sehe aber, das Sie unbewaffnet sind."

  • BSW betreibt eine sehr nüchtern kalkulierte Politik. Muss nicht der schlechteste Weg sein, zumindest ist es eine Gradwanderun, um politisch nicht nur ein festgefahrenes Klientel zu erreichen.



    Die Verbindung von linker Sozialpolitik mit dem Versuch Wähler*innen, die ans rechte Lager verloren gingen wieder umzuspuren und an die Ziele einer linken Politik zu binden scheint bisher erfolgreich. Ob es auch die Partei vrändern wird und aus den Gleisen hebt, ist die Zukunftsfrage. Um dem entgegenzuwirken, beteibt das BSW eine restriktive Aufnahmepolitik bei Mitgliedern. Immerhin ist das BSW die einzige Partei, die in der Lage ist, nennenswerte Prozente der AfD abzuwerben. Das ist ein Erfolg, den keine andere Partei in den letzten 10 Jahren fertig gebracht hat. alle anderen Parteien stehe hilflos vor der Entwicklung einer stärker werdenen Rechten und haben außer moralischer Empörung für diese Wählerschicht nichts zu bieten. Ich finde man sollte mit BSW sachlicher und nüchterner Umgehen und icht auch och hier mit nebulösen Ängsten arbeiten. Auf der Webseite der Rosa-Luxemburg-Stiftung gibt es eine interessante Wahlanalyse zum Niedergang der Linken.

  • Das ist sie: die Sammlungsbewegung Stimmenfang.

    • @Land of plenty:

      Das ist doch aber der Sinn von Opposition in einer parlamentarischen Demokratie.

  • zusammenarbeit bsw + afd wundert mich nicht. seit längerem warne ich auf dieser plattform vor s.w.:



    s. dazu band 2 der reihe "gestalten der faschisierung" des argument-verlags (2022), mit dem bezeichnenden titel: gestalt 2, sahra wagenknecht.



    " Wolfgang Veiglhuber & Klaus Weber (Hg.): Wagenknecht – nationale Sitten & Schicksalsgemeinschaft Wie erkennen wir, was einem neuen Faschismus Vorschub leistet?"



    argument.de/produk...der-faschisierung/

  • Man erinnere sich an Horst Mahler, der sich vom linken Anwalt zum Neonazi und Holocaustleugner entwickelt hat. SW scheint auf ähnlichem Weg zu sein.

    • @Ore:

      Weil sie sich als Sprecherin det Corona-Leugner geriert?

      Um Neonazi zu werden, gehört aber etwas mehr dazu, finden Sie nicht?

  • Im Prinzip ist es ja richtig die Coronazeit aufzuarbeiten. Die nächste Pandemie wird irgendwann mit Sicherheit kommen und aus Fehlern lernt man. Aber darum geht es BSW und AFD nicht. Lauterbach und Drosten sollen für ihre Wähler ans Kreuz genagelt werden und bei der nächsten Pandemie geht der selbe Scheiß wieder von vorne los. Es geht ihnen nur um Skandalisierung.

  • Was ist falsch an einer Aufarbeitung?



    Es lief ja wohl so einiges schief.



    Wobei ein Untersuchungsausschuss noch nie etwas bewirkt hat.

    • @D. MEIN:

      "Was ist falsch an einer Aufarbeitung?



      Es lief ja wohl so einiges schief."



      Letzteres ist unstrittig; das war zu erwarten bei der Kombination von erstmals weltweiter Pandemie und daraus resultierender Panik.



      Falsch ist jedoch die Intention, die Falsch-Handelnden an den Pranger stellen zu wollen - denn das ist die recht deutliche Intention der beiden Parteien. Die Zentrierung auf diesen Punkt wiederum behindert Lerneffekte für eine nächste Pandemie.

  • Ja, richtig. Impfgegnerin ist sie ja auch noch. Das darf man nicht vergessen zu erwähnen, sobald ihr Intellektualität bescheinigt wird.

  • Find ich gut. Es sollte endlich geklärt werden, ob die 90'% der Bevölkerung, die angeblich durch die Impfungen getötet werden sollten (correctiv.org/fakt...aucht-wieder-auf/), schon tot sind.



    UND natürlich muss endlich geklärt werden, wie viele Mikrochips verimpft wurden, um Bill Gates die totale Kontrolle zu geben.



    www.brisant.de/ges...stheorien-106.html



    Bei der Gelegenheit kann man gleich die segensreiche Wirkung von Aluhüten klären.

  • Eine Zusammenarbeit des BSW mit der AfD um die Pandemie aufzuarbeiten. Wer hätte das gedacht.

    Ich frage mich immer wieder, was es denn aufzuarbeiten gibt? Was ist denn die Erwartung der AfD und des BSW?

    Es ist offensichtlich, dass rückblickend manche Maßnahmen anders hätten umgesetzt werden sollen. Aber hinterher ist man immer schlauer. Im Moment der akuten globalen Pandemie musste man Entscheidungen treffen, ob diese richtig waren, weiß man eben erst hinterher.

    Wären 50% der Infizierten innerhalb von 3 Tagen erstickt, dann wäre der Aufschrei groß gewesen, warum niemand was macht.

    There is no glory in prevention. Dieser Satz sagt alles. Das gilt uneingeschränkt immer und für alles.

    Es gibt bestimmt viele Menschen, die nie einen Haftpflichtschaden haben, trotzdem zahlen sie die Versicherung. Klar kann man dann, wenn diese Menschen verstorben sind darüber ätzen, dass sie das ganze Geld umsonst ausgeben haben…

    • @Gnutellabrot Merz:

      Wenn was aufzuarbeiten ist, dann vornehmlich die Bereicherung einzelner Maskendealer und Zestzentrenbetrüger. Das Schließen von Spielplätzen und Parkbänken war eine überzogene Überreaktion, die ich den Entscheidern in der Ausnahmesituation aber nachsehen kann. Das rechtfertigt keinen Untersuchungsausschuss, der nur ein politisches Krawallwerkzeug einer extremistischen Minderheit ist. Dem vorigen Foristen schließe ich mich vollumfänglich an.

  • Es ist überaus wichtig für unsere Gesellschaft, dass über alles was damals schief gelaufen ist, auch diskutiert wird. Zum einen der Gerechtigkeit halber, zum anderen damit sowas nicht wieder passiert und sich die Regierung in so einer Situation willkürlich verhält.

    "Sie sind die Überbleibsel einer Demonstration von etwa 12.000 Corona­leugner:innen"

    Bestimmt waren unter den 12.000 Demostranten auch die ewigen Komiker mit dabei. Ob da aber wirklich eine Mehrheit zu den Coronaleugnern gezählt werden kann? Ich bezweifle das stark. Nicht jeder, der das Vorgehen der Regierung berechtigterweise kritisiert, ist ein Leugner von Corona.

    • @Micha.Khn:

      Waren Sie auf der Demo?



      Offensichtlich nicht.



      Warum nicht?



      Weil Ihnen die Motivation fehlt.



      In meiner Kleinstadt sind die noch 2023 um die Häuser gezogen - und alle davon, ja alle, waren Coronaleugner.



      Der Rest hat so was wie eine Schamschwelle und will nicht mit Trägern von Aluhüten gesehen werden.



      Ich gehörte zu den Menschen, die sich wirklich mit manchem schwer getan haben und ja, ich habe mich auch nicht immer regelkonform verhalten, das widerspricht schon meiner Natur.



      Aber im Traum nicht wäre ich irgendwo aufgeschlagen, wo auch nur einer von denen gesichtet worden wäre.

    • @Micha.Khn:

      Es kann doch jeder darüber diskutieren, der das möchte. Ich finde aber es ist auch ok, wenn jemand nicht darüber diskutieren möchte. Diese Freiheit sollte jeder Mensch haben. Oder soll jemand gezwungen werden, zu diskutieren? Das fände ich dann doch sehr übergriffig.