Debatte über Energiekosten: Warnung vor lokalen Strompreisen
Zwölf Ökonom:innen fordern lokale Strompreise. Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände warnen jedoch vor der Teilung des deutschen Strommarkts.
BERLIN taz | Ein ungewöhnliches Bündnis warnt vor der Aufteilung des einheitlichen deutschen Strommarktes in mehrere Zonen. 15 Organisationen fordern die Beibehaltung der sogenannten Stromgebotszone. Dazu gehören der Deutsche Gewerkschaftsbund, die IG Metall, der Bundesverband Erneuerbarer Energien, der Verband der Automobilindustrie und der Bundesverband der Deutschen Industrie. Sie wenden sich gegen einen Aufruf von zwölf Ökonom:innen, die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lokale Strompreise gefordert hatten.
Der Hintergrund: In Deutschland gibt es nur eine Stromgebotszone, in der ein einheitlicher Großhandelsstrompreis gilt. Kosten wie für den Ausbau des Stromnetzes für die Windkraft werden dann regional auf den Strompreis aufgeschlagen. Deshalb ist Strom dort teurer, wo neue Windräder entstehen. Immer wieder werden Forderungen erhoben, die einheitliche Preiszone zu teilen und die Kosten grundsätzlich anders zu verteilen. Der Weg solle frei gemacht werden für Strompreise, die Angebot und Nachfrage regional ausgleichen und dadurch den lokalen Stromwert widerspiegeln, fordern etwa die zwölf Ökonom:innen. „Lokale Strompreise bedeuten auch, dass neue Industrieinvestitionen vom lokalen Grünstromüberschuss profitieren können.“
Das sehen Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände anders. Sie warnen davor, die einheitliche Zone aufzugeben. „Die negativen Folgen für die Realwirtschaft sind nicht abzusehen und überlagern die Vorteile“, heißt es in dem Appell.
Die unterzeichnenden Organisationen heben hervor, dass eine Umstellung mehrere Jahre dauern würde. In dieser Zeit wäre die Unsicherheit für Energieerzeuger und Industrie groß: „Dringend erforderliche Investitionen fallen geringer aus, der Ausbau der Erneuerbaren wird gehemmt“, fürchtet das Bündnis. Eine Aufteilung der einheitlichen Zone würde dazu führen, dass Strom gerade im industriestarken Süd- und Westdeutschland teurer würde. Schon jetzt seien die hohen Strompreise ein Standortnachteil. Die Verbände erwarten, dass größere Neuinvestitionen der Industrie vor allem außerhalb Deutschlands oder Europas erfolgen würden.
Leser*innenkommentare
Holger_0311
Mehrere Preiszonen würden eine Lenkingswirkung für den bedarfsgerechten Zubau von Erzeugungsanlagen und Speichern führen und gleichzeitig die Netze entlasten. Das reduziert die Redispatchkosten drastisch.
Volkswirtschaftlich wäre das sinnvoll. Die Kosten, sie jetzt auf die Allgemeinheit umgewälzt werden, müssten dann die Bundesländer zählen, die sich mit Händen und Füßen gegen den Ausbau von Windenergieanlagen wehren.
Axel Schäfer
Erstmal sollte man die Netze rekommunalisieren, dann kann man die Ausbaukosten auch gerecht verteilen, denn egal wie das jetzt gehandhabt wird, auf alle Kosten müssen auch die Renditen der Netzbetreiber gezahlt werden, man kann grundsätzlich nur sparen.
Francesco
Bei allen andern Waren schlagen die Kosten für den Transport zu Buche. Nur nicht beim Strom. Das ist völlig unsinnig.
Axel Berger
Warum "würden" Investitionen außerhalb von Deutschland erfolgen? Das tun sie heute. Bei günstigem Energiepreis könnte es sie auch in den industrie- und arbeitsplatzarmen Osten ziehen.
vieldenker
Erstaunlich finde ich die Mitunterzeichnung des „Bundesverbandes Erneuerbare Energie“ Der Rest verwundert nicht.
hsqmyp
BW und besonders Bayern haben einerseits den höchsten Strombedarf, andererseits haben sie den lokalen Ausbau der Windkraft UND die Übertragungsnetze aus dem Norden bisher „erfolgreich“ behindert.
Zur Belohnung bekommen die VerbraucherInnen dort auch noch einen niedrigen Strompreis, weil die Netzentgelte dort ja mit keinen Ausbauprojekten belastet werden.
Die Bewohner von SH, wo mit Windkraft der Strom für den undankbaren Süden hergestellt wird, müssen dagegen über Netzentgelte teuer für WKAs bezahlen, die sie selbst nicht benötigen würden.
Das ist hier im Norden niemandem zu vermitteln und sorgt für Wut.
Egal ob hier bei den Netzentgelten oder dem Strompreis reguliert wird: der Status Quo ist nicht akzeptabel.
Janix
Ich schreibe nicht von der Waterkant, aber solange Strom nicht von A nach B geleitet werden kann, ist das kein gemeinsamer Marktraum, und wir müssen stromintensive Firmen näher an die Stromerzeugung bekommen. Das wird eher die norddeutsche Windkraft sein als das Retro-Kohlekraftwerk in Oberfranken.
Verschiedene Preise würden das abbilden und das Ergebnis verbessern.
Sonst müssen wenigstens die Netzentgelte da nachkorrigiert werden.
warum_denkt_keiner_nach?
"Kosten wie für den Ausbau des Stromnetzes für die Windkraft werden dann regional auf den Strompreis aufgeschlagen."
Warum verteilt man diese Kosten nicht auch national? Dann wäre doch alles in Butter.
Rudi Hamm
Wehret den Anfängen
Erst lokale Strompreise pro Bundesland, dann pro Landkreis, dann pro Gemeinde? Wer will das denn kontrollieren und gerecht festlegen?
Wenn im Norden viel Strom erzeugt wird, dann hat man im Norden auch viel Geld damit verdient. Ein Teil dieses Geldes gehört für den Netzausbau einkassiert. Es kann doch nicht sein, dass Windparks Milliardengewinne einfahren, andere aber den Weg zum Abnehmer bezahlen sollen.
Und nochmals: Der Süden ist gut für Photovoltaik, bei der Windkraft ist die Ausbeute im Durchschnitt 35-50% schlechter als im Norden. Windkraft macht hier also nur bedingt Sinn.
Strolch
Ich bin im Süden und würde demzufolge von einem höheren Strompreis belastet. Und ich bin absolut dafür.
Leider stellt der Artikel nicht das Hauptargument dar: Der aktuelle Strompreis führt dazu, dass es keinen Anreiz gibt, die Netze zu entlasten. Wenn der Strom billig ist, da im Norden der Wind bläst, lade ich im Süden mein E-Auto. Das Problem ist, dass aber im Süden möglicherweise eine Strommangellage ist, da der Strom vom Norden gar nicht ankommt, da die Leitungen fehlen. Ich lade als billig mein E-Auto und in Wahrheit muss ein Gaskraftwerk angeworfen werden. Lokale Stromzonen sind mit das Sinnvollste, was ich die letzten Jahre zur Energiewende gelesen habe. Wir müssen den gründen Strom dann nutzen, wenn er da ist. Zudem führt dies eventuell dazu, dass sich energieintensive Unternehmen dort ansiedeln, wo auch viel Strom da ist. Dafür gibt es bislang wenig Anreiz.
Der Cleo Patra
@Strolch Wenn im Norden Flaute ist, was ist dann? Kommt ja immer mal wieder vor. Dann fließt der Strom von anderen Kraftwerken von West, Ost und Süd dorthin. Da es auch bei Flaute nicht irgendwo kracht* scheint das mit den fehlenden Leitungen nicht so schlimm zu sein.
* Es muss immer ein Gleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch herrschen (50Hz-Problem) sonst fließen enorme Ausgleichsströme die Leitungen ggf. zu stark belasten.
Herma Huhn
Die Preise würden dort hochgehen, wo NIMBY-Politik die Energiewende ausgebremst hat. Das wäre durchaus eine Überlegung wert.
Aber ich hoffe, das wird besser durchgerechnet, als "das müsste so laufen".