Schuldenbremse: Schulden? Kein Problem!

Klimaschutz, Infrastruktur, Digitalisierung, Ukraine: Deutschland muss investieren statt sparen, wenn es überleben will. Wer sagt das Lindner?

Boris Pistorius (SPD), Bundesverteidigungsminister, schaut grimmig.

Die Schuldenbremse trifft auch die Bundeswehr: Boris Pistorius ist sauer Foto: Florian Gaertner, imago

Die FDP fühlt sich derzeit als Siegerin – weil sie es bei den Haushaltsberatungen der Ampel geschafft hat, die Schuldenbremse zu verteidigen. Dieser Triumph hat seine eigene Logik: Die Liberalen kommen in Umfragen zwar nur auf 5 bis 6 Prozent der Stimmen, aber bei der Schuldenbremse haben sie die Mehrheit der BundesbürgerInnen hinter sich. 55 Prozent der Deutschen halten die Schuldenbremse für eine gute Idee.

So kann man sich irren. Die Schuldenbremse ist ein ganz dummer Einfall, wie sich auch beim Haushalt für 2025 zeigt. Um die Kreditregeln einzuhalten, muss die Ampel nämlich behaupten, dass sie im Jahr 2025 weniger Geld benötigen wird als in diesem Jahr. 2024 will der Bund 489 Milliarden Euro ausgeben, im nächsten Jahr sollen es aber nur noch 481 Milliarden Euro sein. Man fragt sich, ob Finanzminister Lindner schon vom Phänomen der Inflation gehört hat. Selbst geringe Preissteigerungen sorgen automatisch dafür, dass auch die staatlichen Ausgaben zulegen.

Lindner, Habeck und Scholz haben an 23 Tagen insgesamt 80 Stunden getagt, wie der Finanzminister akribisch ausgerechnet hat – aber herausgekommen ist eine Mogelpackung. Wie die Zahlen genau geschönt werden, ist noch etwas nebulös, weil bisher die Eckpunkte und die Etats für die einzelnen Ministerien fehlen. Sie sollen an diesem Mittwoch nachgeliefert werden, wenn das gesamte Kabinett den Haushalt beschließt.

Nicht nur Pistorius ist sauer

Allerdings haben einige Minister schon verlauten lassen, wie unzufrieden sie mit den Haushaltsvorgaben sind. Besonders SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius macht aus seiner Wut keinen Hehl. Es sei „ärgerlich“, dass er „deutlich weniger bekommen“ habe als angemeldet. Konkret: Pistorius wollte 58 Milliarden Euro haben, herausgekommen sind rund 53 Milliarden.

Wenn Deutschland an der Schuldenbremse festhält, ist dies ein klares Signal für Putin, dass er gewinnen kann

Diese Beträge reichen nicht, um die Bundeswehr aufzurüsten und die Ukraine sinnvoll zu unterstützen. Da sind sich alle Experten einig. Indirekt geben auch die Ampelchefs zu, dass bei der Verteidigung riesige Lücken klaffen. In ihrem Pressetext ist nämlich eine Passage zu finden, die so dämlich ist, dass es sich um Vorsatz handeln muss. Dort hofft man auf „private Investitionen“ seitens der Rüstungsindustrie – und will daher den „Finanzmarktzugang für die Unternehmen“ sichern und ganz besonders „Start-Ups“ unterstützen. Es wird also suggeriert, dass die Rüstungskonzerne in ihre Waffentechnologie nur deswegen nicht investieren würden, weil ihnen die nötigen Kredite fehlen könnten.

Diese Beschreibung ist absurd. Die Rüstungskonzerne haben keine Geldsorgen, seitdem Russland die Ukraine überfallen hat. Im Gegenteil. Sie werden mit Kapital überschüttet. Ein Indiz dafür ist, wie sich der Aktienkurs von Rheinmetall entwickelt hat: Vor dem Ukrainekrieg war das Papier unter 100 Euro wert, jetzt liegt es bei etwa 500 Euro. Aber Geld allein wird die Rüstungskonzerne nicht motivieren, in ihre Produktion zu investieren. Wichtig ist der Absatz. Neue Fabriken lohnen sich nur, wenn es Käufer für die zusätzlichen Waffen gibt. Als potenziellen Kunden gibt es aber nur den Staat. Wird der Verteidigungshaushalt nicht deutlich aufgestockt, folgert die Rüstungsindustrie messerscharf: Erhöhte Investitio­nen rentieren sich nicht.

Also werden zu wenig Waffen hergestellt, um die Ukraine wirkungsvoll zu unterstützen. Diesen Fehler wird man irgendwann bemerken, aber dann ist es zu spät. Fabriken lassen sich nicht in wenigen Tagen hochziehen. Wenn Deutschland jetzt an der Schuldenbremse festhält, ist dies ein klares Signal für Putin, dass er seinen Eroberungskrieg in der Ukraine gewinnen kann.

Für die Ukraine wäre es schrecklich, wenn Putin siegt. Aber auch für die Deutschen wären die Kosten dann höher: Man müsste noch stärker aufrüsten, um dieses aggressive Russland von weiteren Waffengängen abzuhalten.

Überall fehlt Geld

Nicht nur bei der Verteidigung wird Zeit verschlafen. Auch im Klimaschutz, in der Infrastruktur und bei der Digitalisierung fehlt das Geld, sodass sich bemerkenswerte Allianzen zwischen konservativen und linken Ökonomen bilden. Michael Hüther (arbeitgebernah) und Sebastian Dullien (gewerkschaftsnah) haben kürzlich gemeinsam vorgerechnet, dass Deutschland in den nächsten zehn Jahren 600 Milliarden Euro zusätzlich investieren muss. Das geht nur mit Schulden.

Vielen Deutschen wird schummrig bei diesen Summen. Bei ihnen verfängt das Lieblingsargument der FDP: Kredite kosten Zinsen – und diese Zinsen würden dann den Haushalt auffressen. Am Ende steht angeblich der Staatsbankrott.

Doch Zinsen sind kein Problem, weil sie sich von selbst finanzieren, solange sie niedriger als die Inflationsrate plus Wachstum liegen. Für Deutschland trifft dies zu: Zehnjährige Staatsanleihen rentieren momentan mit 2,53 Prozent. Das ist sehr wenig und völlig gefahrlos.

Gelegentlich gibt auch die FDP zu, dass Schulden kein Problem sind. Der liberale Verkehrsminister Volker Wissing preschte schon im Frühjahr mit dem Vorschlag vor, einen „Infrastrukturfonds“ zu gründen, denn ohne Kredite wird es nicht gelingen, die maroden Straßen zu sanieren. Unter anderem sind 4.000 Brücken baufällig.

Seine Partei war offiziell wenig begeistert, aber nun taucht der Vorschlag leicht verändert doch wieder auf. Es gibt nämlich schon eine „Autobahn GmbH des Bundes“, und jetzt wird geprüft, ob diese GmbH die nötigen Kredite nicht einfach selbst aufnehmen könnte. Die Schuldenbremse wäre damit umgangen.

Es ist sehr bedauerlich, dass sich die Bundeswehr nicht in eine „GmbH für Landesverteidigung“ umwandeln lässt. Dann hätte die FDP wahrscheinlich nichts dagegen, dass diese GmbH Kredite aufnimmt. Aber solange die Bundeswehr zum Bundeshaushalt gehört, gilt die Schuldenbremse. Das ist die verquere Logik der Liberalen, egal, was in der Ukraine passiert.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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