Scholz und die Ost-Ministerpräsident:innen: Willkommenheißen und Abschieben

Nach dem guten Abschneiden der AfD in den ostdeutschen Bundesländern debattieren Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen und Kanzler, welche Lehren sie daraus ziehen.

Scholz und die Ost-Ministerpräsident:innen

Welche Richtung jetzt? Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen auf der Suche Foto: Sebastian Willnow/dpa

COTTBUS/BERLIN taz | Laura Rudolph ist da geblieben. Nach dem Schulabschluss hat die 25jährige eine Ausbildung bei der Lausitz Energie AG im kaufmännischen Bereich gemacht, heute ist sie Jugendausbildungsvertreterin der LEAG. Sie wohnt immer noch bei Cottbus, anders als viele ihrer Klassenkameradinnen, die nach der Schule in die Großstädte Leipzig, Dresden oder Berlin gezogen seien. Es fühle sich gut an hier zu leben, sagt sie, die Familie, der Fußballverein, hier sei sie verwurzelt. Und sie glaubt an die Lausitz: „Wir sollten den Strukturwandel als Chance begreifen. Hier kann in den nächsten Jahren was ganz Tolles entstehen.“

Die LEAG betreibt vier Braunkohlekraftwerke im Lausitzer Revier. Bis 2038 soll der Ausstieg aus der Kohle vollzogen sein, die Standorte und die Arbeitsplätze sollen aber erhalten bleiben. Das größte Zentrum grüner Energie soll dort entstehen, wo jetzt noch die Bagger schürfen. Damit das klappt, erhält allein Brandenburg in den nächsten vier Jahren über 10 Milliarden Euro.

Doch Rudolphs Optimismus teilen nicht alle. Bei den Kommunalwahlen Anfang Juni schwappte eine braune Welle über die Brandenburg und die ostdeutschen Bundesländer, in Cottbus wählten knapp 30 Prozent die AfD. Sie stimmten damit für eine Partei, die den menschengemachten Klimawandel bestreitet, die folglich auch nicht die Notwendigkeit einer Energiewende sieht und Menschen, die aus dem Ausland zuziehen, am liebsten wieder zur Ausreise zwingen würde.

Auch bei den zeitgleich stattfindenden Europawahlen wurde die AfD überall im Osten stärkste Kraft. Einer aktuellen Umfrage für Thüringen käme die AfD mit dem BSW zusammen auf eine absolute Mehrheit. Kein gutes Omen für die drei ostdeutschen Landtagswahlen im September.

Generalaussprache über Rechtsruck

Was läuft falsch? Das fragten sich auch der Bundeskanzler und die ostdeutschen MinisterpräsidentInnen bei ihrem Treffen am Dienstag im sachsen-anhaltischen Wittenberg. In einer Generalaussprache ging es unter anderem um die Wahlergebnisse. „Wir haben als demokratische Mitte zu viele Federn gelassen in die falsche Richtung“, konstatierte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU). Deshalb müsse es jetzt deutliche Zeichen geben, dass man verstanden habe.

Drei Punkte habe man an den Bundeskanzler herangetragen: eine bessere gesundheitliche Versorgung in den ostdeutschen Flächenländern, mehr Ausbildungsplätze und mehr ÄrztInnen und Ärzte. Der geplanten Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach stehe man positiv gegenüber.

Scholz gab im Gegenzug die Zusage, dass im Osten kein Krankenhaus mehr geschlossen werden. Die große Schließungswelle haben die ostdeutschen Länder in der Tat schon hinter sich. Als in den 90er und Anfang der 2000er Jahr mehr als eine Million Menschen von Ost nach West zogen hatte das auch Folgen für die Strukturen vor Ort – Krankenhäuser, Schulen, Kitas wurden geschlossen. Orte der Begegnung, die es so nicht mehr gibt.

Als zweiten Punkt nannte Haseloff eine stärker auf den Osten fokussierte mediale Berichterstattung mit lokalen Fenstern, „um an die Menschen ranzukommen“.

Konsequenter Abschieben

Um dann zu seinem dritten und wichtigsten Punkt zu kommen: Schnelleren Abschiebungen die nötig seien. Die innere Sicherheit sei das wichtigste Thema bei der Europawahl gewesen, so Haseloff, viele Menschen hätten ein „destabiles“ Sicherheitsgefühl. „Eine Demokratie kann und muss liefern“, so der Ministerpräsident. „Sonst machen wir uns unglaubwürdig und sind alle weg.“

Beim Management der irregulären Migration sehe er sehr viel Einigkeit, sagte Scholz und bekräftige, dass man nach wie vor plane Menschen auch in „komplizierte“ Länder, wie etwa Afghanistan abzuschieben. Daran werde konkret gearbeitet. Was wohl auch Gespräche und Abkommen mit den Taliban einschließt, doch dies erwähnte Scholz nicht.

Dafür äußerte sich Scholz auch zum Krieg in der Ukraine. Kein Thema, wo Lösungen bei einer ostdeutschen Ministerpräsidentenkonferenz erarbeitet werden, wohl aber eines der wahlentscheidenden für die Bür­ge­r:in­nen bei der Europawahl. Scholz versprach seinen Kurs der Besonnenheit fortzusetzen, sich von Prinzipien und nicht von Talkshowauftritten leiten zu lassen. Unter seiner Regierung seien „keine Abenteuer der deutschen Politik zu befürchten.“

Und ja, ein Teil der Bürgerinnen und Bürger finde, dass man die Ukraine nicht unterstützen solle. „Das kann man nicht mit einer Presseerklärung beiseite wischen.“ Das kann man durchaus als Selbstkritik verstehen. In der SPD war Scholz nach der Wahl viel dafür gescholten worden, dass er sein Go für die Ukraine, mit westlichen Waffen auch Ziele in Russland anzugreifen, nicht selbst erklärt hatte, sondern nur eine Pressemitteilung verschicken ließ.

Zuzug als zentrale Herausforderung

Nach dem Motto, es ist nicht alles schlecht, lobte Scholz aber auch die guten Perspektiven für den Osten. Die ostdeutschen Länder hätte zuletzt am meisten von Investition profitiert, als Beispiel nannte er die Ansiedlungsmilliarden für die Halbleiterindustrie, etwa in Magdeburg und Dresden. „Arbeitslosigkeit wird für die nächsten Jahrzehnte nicht das Thema sein, sondern das Thema der Arbeiterlosigkeit“, war sich Scholz sicher.

„Die Besetzung von Arbeitsplätzen und der notwendige Zuzug sind die zentralen Herausforderung“, verstärkte der Ostbeauftragte der Bundesregierung Carsten Schneider (SPD). Dafür brauche es eine Politik der offenen Arme und sichere Perspektiven. Deshalb stehe man auch zu den zugesagten Mitteln für den Strukturwandel und die LEAG.

Man ahnt, es wird ein kommunikativer Spagat harte Abschiebungen einerseits und eine Willkommenskultur andererseits in einem Atemzug zu proklamieren.

Ausbildungsvertreterin Rudolph erzählt, dass einige ihrer Freunde und Bekannten nach Studium und Ausbildung wieder in die Region zurückkehrten. Zur AfD möchte sie sich nicht öffentlich äußern. Nur soviel: „Vielleicht sollten wir uns alle fragen, was wir falsch gemacht haben. Statt über die Menschen hier, sollte viel mehr mit den Menschen gesprochen werden.“ Die, da ist sie sich sicher, die Zukunft gestalten möchten. „Wir wollen wirklich.“

Der Bundeskanzler will Ende Juni wieder nach Cottbus kommen.

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