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Antagonistische KonflikteEine Kartografie des Hasses

Streiten hält demokratische Gesellschaften zusammen. Allerdings nur, wenn dieses agonal geschieht und Gegner sich mit Anerkennung begegnen.

Eine Kundgebung gegen sich häufende Gewalt und Angriffe auf Politiker in München, 9. Mai 2024 Foto: Wolfgang Maria Weber/imago

W as hält eine demokratische Gesellschaft zusammen? Seit den 1970er Jahren lautet die Antwort: Der produktive Streit sei das zentrale demokratische Medium. Man streitet sich sozusagen zusammen. Man glaubt an die Demokratie als eine Ordnung des Streitens: eine Ordnung zur Hegung und Austragung von Konflikten.

In demokratischen Gesellschaften wird der Konflikt also nicht stillgestellt. Denn es ist gerade der Konflikt, der uns verbindet. Nicht soziale Harmonie, sondern die Form unseres Streitens soll uns zusammenhalten. Dissens ist gewissermaßen der demokratische Kitt. Fruchtbar sind Konflikte aber nur dann, wenn sie begrenzt werden. Wenn sie – wie Chantal Mouffe immer wieder betont – agonal und nicht antagonistisch ausgetragen werden.

Agonal bedeutet: Gegner treffen aufeinander, wobei beide Seiten aber eine grundlegende Ordnung und ein Prozedere akzeptieren. Damit bestätigen sich auch Gegner als Mitglieder derselben Gesellschaft. In antagonistischen Konflikten hingegen gibt es keinerlei Anerkennung. Da stehen sich Feinde unversöhnlich gegenüber.

Die gesellschaftliche Tendenz geht heute eindeutig in letztere Richtung.

Vielfältige Frontverläufe

Nicht nur sehen wir überall Antagonismen aufbrechen – die Frontverläufe sind zudem so vielfältig, dass man leicht den Überblick über die Feindschaften verliert. Es braucht schon eine Kartografie der Hasslinien.

Da gibt es den Antagonismus „Rechte gegen Moslems“. Hier kann man noch mal unterscheiden zwischen Upperclass-Rechten – wie jene Schnöselpartien, die von Sylt bis Kärnten grölend, aber mit sicherem Klasseninstinkt das vollziehen, was man Klassenkampf von oben nennt: „Deutschland, den Deutschen. Ausländer raus“ tönt es durch die Nobelbars. Der Unterschied zu den Straßen-Nazis liegt nicht in der Gesinnung, sondern in der Ausführung. Letztere singen nicht nur.

Wie ein Echo dazu gibt es den Antagonismus „Islamisten gegen Rechte“ – der zuletzt in Mannheim auf schreckliche Weise aufgebrochen ist. Zur Erinnerung: Ein afghanischer Flüchtling, mutmaßlicher Islamist, hat dort einen politischen Aktivisten mit einem Messer attackiert, wobei der Polizist Rouven L. tragischerweise ums Leben kam. Noch komplexer ist die Situation, da der Attackierte bekanntlich vom Verfassungsschutz als islamfeindlich eingestuft ist.

Die islamistische Demonstration in Hamburg zur Einführung eines Kalifats nimmt sich da wie eine Ausweitung der Feinderklärung aus: Hier galt diese der gesamten Gesellschaft.

Sich spiegelnde Antagonismen

Wirklich unübersichtlich aber wird es jenseits dieser sich spiegelnden Antagonismen. Denn da gibt es dann noch den Antisemitismus, den wiederum beide Kontrahenten teilen.

Wenn etwa Nazis sich ihres guten alten Judenhasses besinnen (dieser geriet ja über die Freude an der rechten israelischen Regierung etwas in Vergessenheit) – wie in Sachsen-Anhalt, wo sie Ausgaben des „Tagebuchs der Anne Frank“ in alter Tradition verbrannt haben.

Solch einheimischer Antisemitismus wird durch den muslimischen gewissermaßen ergänzt. Auch das eine Entladung von Feindschaft, die infolge des Nahostkriegs noch einen zusätzlichen Schauplatz an den Universitäten eröffnet hat: Hier stehen sich propalästinensische und proisraelische Gruppen unversöhnlich gegenüber.

Aber auch damit sind wir noch nicht am Ende der Auflistung angekommen.

Angriffe auf Politiker

Denn ein weiterer Bereich kippt vom Agonismus in Antagonismus – und zwar der ureigenste Bereich gehegter Konflikt­austragung: die Politik.

Seit Wochen häufen sich in Deutschland tätliche Angriffe auf Politiker. Galten die Attacken zunächst Grünen und SPD-Vertretern, so hat sich auch dieser Antagonismus ausgeweitet: Kürzlich wurde, wieder in Mannheim, ein AfDler attackiert.

Diese Überschreitung der genuinen Form demokratischer Auseinandersetzung ist gerade im Bereich des Politischen besonders heikel. Ist doch der politische Wettbewerb das Medium, um Konflikte ins Verhandelbare zu übersetzen – sie also der Feindschaft zu entziehen.

Wenn Demokratie die institutionalisierte Form des Streitens ist, dann steht es um diese gerade nicht sehr gut.

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4 Kommentare

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  • Keine Ahnung, ob der Glaube, dass Demokratie „eine Ordnung zur Hegung und Austragung von Konflikten“ ist, wirklich mal verbreitet war in der Bundesrepublik. Ich bin schließlich noch nicht lange dabei. Wenn ja, war aber (auch) besagter Glaube wohl eine Illusion.

    Dass Konflikte in demokratischen Gesellschaften „nicht stillgestellt“ werden, ist nämlich nicht wahr. Hierarchische (Macht-)Systeme tun das zwangsläufig. Das „Prozedere“, auf das man sich nach Kriegsende geeinigt hatte, wurden nur früher mehr respektiert. Weil Streiten gefühlt was gebracht hat.

    Hat es natürlich immer nur äußerst bedingt. Zum einen, weil sich nur eine privilegierte, entsprechend qualifizierte Minderheit überhaupt gestritten hat, und zum anderen, weil es noch deutlich mehr zu verteilen gab als heute.

    Inzwischen ist der Kuchen gegessen. Wachstum bringt nur noch Privatprofit, keinen Volkswohlstand mehr. Zum Streit aufgefordert fühlen sich nun aber auch Unorthodoxe, die nicht mehr so leicht befriedigt werden können.

    Jetzt geht es quasi ans Eingemachte. Die Gegner von einst empfinden einander nicht mehr als Mitglieder derselben Gesellschaft, sondern als externe Feinde. Und was tut man mit denen? Ganz genau!

  • Vielen Dank für diese kluge Einordnung der schwierigen Lage !

  • Ich gebe Frau Charim in jedem Punkt recht.

    Ich möchte den Gedanken nur um eine Facette erweitern.

    Hassende sind ja immer die anderen.

    Auch Konflikte tragen nur die anderen antagonistisch aus.

    Fallen wir Demokraten möglicherweise inzwischen auch zu häufig ins Antagonistische?

    Ein Problem entsteht durch die aktuell beliebte Aufladung mit Werten.

    In einem Streit um Meinungen fällt es relativ leicht, im Agonalen zu bleiben.

    Werte sind jedoch identitätsstiftend.

    Wer meine Werte angreift, greift mich an.

    Ein Konflikt, wo es um Werte geht, landet deshalb meist im Antagonismus.

    Bei Werten sind keine Kompromisse möglich.

    Geht es vielleicht zu schnell um Werte, um Konflikte agonal zu führen?

    Inwieweit trägt eigentlich Maximalismus zu Antagonismen bei?

    Trägt es zu einer sachlichen Diskussion bei, wenn Kulturalismus inzwischen zu Rassismus erklärt wird? Alle Ku-Klux-Klan?

    Entspricht es dem demokratischen Menschenbild, diejenigen zu Nazis zu erklären, die sich nur mehr deutlich Kontrolle in der Migration wünschen?

    Es gibt Nazis, Rassismus und Schwurbler.

    Mehr als uns lieb ist.

    Deswegen ist es so wunderbar einfach, Leute mit diesen Prädikat von Diskursen auszuschließen.

    • @rero:

      Wenn man sich die Diskurse, Diskussionen oder auch nur Infotainment wie Talkshows mit Antidemokraten ansieht oder hört, bemerkt man schnell, dass diese sich selbst ausschließen in dem sie einfach nur ihr schwachsinniges Geschwurbel abspulen, die brauchen den Antagonismus, da sie kaum sachliche Argumente und überhaupt keinen realisierbaren Plan haben. Mit einem Parteiprogramm wie dem der AgD, dass eigentlich nichts weiter ist als eine Neuauflage des Morgenthau-Plans kann man sich halt in keine inhaltliche Diskussion begeben.