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Gemeinnützigkeit in DeutschlandEine Reform lässt auf sich warten

Die Koalition will eigentlich die Regeln der Gemeinnützigkeit zugunsten von Initiativen ändern. Wann das der Fall sein wird, ist jedoch unklar.

Eher nicht gemeinnützig: attac-Protestaktion gegen die Schuldenbremse und für das Klimageld im Mai 2024 Foto: M. Popow/imago

Berlin taz | Die 108 Organisationen, die eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts anmahnen, sollten bei der Ampelkoalition eigentlich offene Türen einrennen. Denn in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 hat sich die Ampelkoalition genau hierzu bekannt: „Wir modernisieren das Gemeinnützigkeitsrecht“, heißt es dort, „um der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken“. Gemeint ist das Attac-Urteil von 2019.

Wenn eine Organisation als gemeinnützig gilt, hilft ihr dies gleich doppelt: Zum einen muss sie weniger Steuern zahlen. Vor allem aber können Bür­ge­r:in­nen ihre Spenden an die Organisation steuermindernd absetzen. Wird die Gemeinnützigkeit aberkannt, entfallen diese Steuervorteile für Vereine und Bürger:innen. In der Regel erteilt das Finanzamt alle drei Jahre einen neuen Bescheid. Wenn es stichhaltige Anzeigen gibt, müssen die Be­am­t:in­nen aber auch außer der Reihe prüfen.

Welche Zwecke gemeinnützig sind, hat der Gesetzgeber beispielhaft in der Abgabenordnung aufgelistet, unter anderem Kultur, Sport, Wissenschaft, Brauchtumspflege, Umweltschutz, Hilfe für Flüchtlinge und die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Die Organisation Attac bekam jedoch ab 2014 Ärger mit dem zuständigen Finanzamt Frankfurt, weil sie vor allem politische Kampagnen betreibt: gegen Sparpolitik, für die Umverteilung von Reichtum und vieles mehr. 2016 wurde Attac die Gemeinnützigkeit aberkannt. Dagegen klagte der Verband und bekam Ende 2016 beim Finanzgericht Kassel zunächst recht. Attac sei gemeinnützig, weil seine Arbeit die Volksbildung und das demokratische Staatswesen fördere. Auch diese Zwecke sind in der Abgabenordnung erwähnt. Sie wurden oft angeführt, wenn nichts anderes passte.

Doch der Bundesfinanzhof (BFH), das höchste deutsche Finanzgericht, nutzte den Attac-Streit im Januar 2019 für ein Grundsatz­urteil. Danach ist der Begriff der politische Bildung eng auszulegen. Wer versucht, auf die Politik einzuwirken, um seine eigene Position durchzusetzen, betreibe keine politische Bildung. Und wer sich für „Einzelinteressen“ einsetze, fördere nicht das „demokratische Staatswesen“.

Unsicherheit ist groß

Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ prognostizierte nach dem Attac-Urteil, dass nun Hunderte Organisationen ihre Gemeinnützigkeit verlieren werden. Das ist nicht passiert, aber die Unsicherheit ist groß, wie auch der Brief der 108 Organisationen zeigt.

Das Bundesfinanzministerium verweist allerdings auf einen Erlass, der schon einen Teil der Forderungen vorwegnimmt. Dort heißt es: „In Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist es nicht zu beanstanden, wenn eine steuerbegünstigte Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt (z. B. ein Aufruf eines Sportvereins für Klimaschutz oder gegen Rassismus).“ Das Ministerium räumt aber ein, dass eine gesetzliche Regelung in der Abgabenordnung gegenüber einem Erlass „sichtbarer und verbindlicher“ ist.

Wann es zu der beabsichtigen Regelung kommt, kann das Ministerium nicht sagen. Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ befürchtet, dass es wegen der nahenden Bundestagswahl bald zu spät sein könnte. Deshalb schreiben derzeit viele Verbände und Stiftungen an die Bundesregierung. An diesem Montag warben auch mehr als 50 Organisationen der Allianz per Brief an den Kanzler für eine Reform, mit dabei auch große Organisationen wie der BUND, Medico International und Transparency International.

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16 Kommentare

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  • Ich bin ausdrücklich gegen eine Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts, den damit geht die Gefahr einher, dass jede Form von Aktivismus gemeinnützig wird. Spenden an die Letzte Generation bis hin zu Lebensschützern könnten damit begünstigt werden. Insbesondere auch Vorfeldorganisationen politischer Parteien wären dann steuerlich begünstigt.

  • Politische Parteien, die angesichts der Klimakatastrophe, ausgelöst durch Unternehmen, die 'frei' im Sinne ihrer Eigentümer und Aktionäre handeln dürfen (laut Grundgesetz), handeln eben NICHT gemeinnützig, wenn sie dabei die Existenz der Menschheit aufs Spiel setzen. Da stimmt etwas nicht entweder mit der Verfassung oder der Interpretation ihrer Anwender, wenn wissenschaftliche und inzwischen kaum revidierbare Fakten das ganze System sinnlos werden lassen. Man kann nur EINMAL überleben und das wars dann.

    • @Dietmar Rauter:

      Ob dass das BVerfG genau so sieht?

  • Wer politische Arbeit leisten will, kann jederzeit einer Partei beitreten.

    • @insLot:

      Theoretisch ja, praktisch eher nein. Wo fängt Politik an und wo endet sie? Selbst eine Tafel ist politisches Handeln. Parteien labern viel und machen wenig. Deshalb gibt es ja die Vereine. Sie entstehen dort wo die Politik versagt hat oder Handlungsbedarfe gar ignoriert weil es nicht in die eigene Agenda passt.

  • Man sollte bedenken: Wenn man politischen Aktivismus steuerrechtlich begünstigt, so muß das nach rechtsstaatlichen Prinzipien natürlich für jeden politischen Aktivismus gelten - und nicht für den linken.

    • @yohak yohak:

      Das müsste dann aber genauso für das Kapital und ihren Einfluss auf die Politik gelten. Parteispenden oder lukrative Posten in der Wirtschaft nach der politischen Karriere, als Belohnung oder auch um ihre Beziehungen und Einfluss zu nutzen, müssten auch verboten werden. Das ist politischer Aktivismus seitens des Kapitals mit denen Vereine finanziell nicht mal ansatzweise mithalten können.

    • @yohak yohak:

      Falsch. Politische Beeinflussung und Forderungen, solange sie im Rahmen der Ziele des Grundgesetzes, der Menschenrechte und der menschlichen Gleichberechtigung stehen, sind quasi "wertebasiert" und dürfen nicht nur den Parteien überlassen werden, aus Gründen, die jeder kennen sollte.

      Politische Aktivitäten von solchen Gruppen, die gegen die Menschenrechte, gegen Umweltschutz und/oder gegen menschliche Gleichberechtigung stehen, sind illegitim und müssen streng unterschieden werden von ersteren.

      • @Uns Uwe:

        Das impliziert, dass es objektiv "richtige" und "falsche" Meinungen gibt. Das ist aber - gemessen an der Verfassung - falsch. Die Meinungsfreiheit kennt keine Moral. Sie schützt alle Meinungen und den freien Meinungsaustausch.

        Deswegen ist die Verbreitung illegitimer Meinungen genauso geschützt, wie die Verbreitung legitimer Meinungen. Die Voraussetzung des Gesetzes ist nämlich gerade nicht die moralische Legitimität, sondern die gesetzliche Legalität.

        Wenn die Verbreitung einer legalen Meinung, die moralisch legitim ist, steuerlich begünstigt wird, muss auch die Verbreitung einer anderen legalen Meinung, die moralisch illegitim ist, auch steuerlich begünstigt werden. Das gebietet der Gleichbehandlungsgrundsatz.

        Und wie gesagt: Ein Gesetz kann (und darf) nicht nach Moralität entscheiden, sondern muss nach der Legalität richten.

        Von daher ist die Aussage oben vollkommen richtig: Wenn man politischen Aktivismus steuerlich begünstigt, muss das (gesetzlich zwingend) für jeden politischen Aktivismus, der legal ist, gelten.

        • @Kriebs:

          Das ist leider nicht ricbtig. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist nur im Rahmen der Menschenrechte geschützt, ist also abhängig vom Inhalt, mehr noch von der Intention der geäußerten Meinung.

          Die Meinungsfreiheit findet daher ihre Grenze, wenn sie die Ehre, die körperliche Integrität, die Gleichberechtigung anderer Menschen verletzt oder dazu aufruft, etwa in Form von Diskriminierungen oder Gewaltaufrufen.

          Siehe dazu:

          "Artikel 30

          Keine Bestimmung dieser Erklärung darf dahin ausgelegt werden, daß sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, welche die Beseitigung der in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten zum Ziel hat."

          (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte)

          Gesetze, welche die Menschenrechte achten, können also nicht alle Meinungen und Aktivitäten gleich bewerten, es sei denn, sie verzichten auf diesen moralischen Maßstab.

          Aber dann wären die Gesetze selber von Amoral geprägt und wir könnten uns jede Rede einer wertebasierten Gesellschaft sparen.

          • @Uns Uwe:

            Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gilt aber nicht als Gesetzesquelle in Deutschland, solange es eine Verfassung mit Grundrechten gibt. Deshalb schrieb ich auch:

            "Das ist aber - gemessen an der VERFASSUNG - falsch." (Sorry for the Caps)

            Das deutsche Steuerrecht richtet sich nun mal nach der deutschen Verfassung. Und da gilt die Meinungsfreiheit soweit, dass man (legal) auch die Abschaffung der Verfassung und aller Grundrechte fordern darf. Auch das ist eine grundrechtlich geschützte Meinung. Art. 30 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gilt einfach in DE nicht.

            Wenn man politische Äußerungen legalisiert gilt das eben für alle legalen Meinungen, nicht nur für die moralisch legitimen.

            • @Kriebs:

              "Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gilt aber nicht als Gesetzesquelle in Deutschland, solange es eine Verfassung mit Grundrechten gibt."

              Ich weise noch einmal darauf hin, dass die Menschenrechte laut Atikel 1 GG Teil der Verfassung und der Grundrechte sind.

              "Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ ist der Sinngehalt des unbestimmten Rechtsbegriffes "Förderung der Allgemeinheit" in § 52 Abs. 1 Satz 1 AO allerdings wesentlich geprägt durch die objektive Wertordnung, wie sie insbesondere im Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 des Grundgesetzes (GG) zum Ausdruck kommt."

              www.bundesfinanzho...ail/STRE201210149/

              Ich weise auch noch mal darauf hin, dass es hier nicht nur um Meinungsfreiheit geht, sondern um alle Aktivitäten eines Vereins. Dessen politische Äußerungen brauchen sich nur im Rahmen jener "objektiven Werteordnung" zu bewegen, dann sind sie gemeinnützig. Falls nicht, sind dessen politische Äußerungen nicht gemeinnützig. Die Bekämpfung der AfD als Feind der Menschenrechte ist somit eindeutig gemeinnützig und muss gefördert werden.

              Und in diese Richtung sollte ja die besagte Reform eigentlich gehen.

      • @Uns Uwe:

        Wesentliches Problem steuerlich derart privilegierter Vereine kann auch sein, dass am Ende eine verdeckte Parteienfinanzierung stattfindet und die Transparenz erheblich leidet.

        Merke, gut gemeint ist nicht gut gemacht.

        • @insLot:

          Die 108 Vereine, die in einem offenen Brief eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts fordern, sind nicht "privilegiert", sondern bei einigen wäre schlicht die Fortsetzung ihrer Arbeit oder gar ihre Existenz in Gefahr.

          Akut gefährdet sehen die Unterzeichner ihre Arbeit gegen Rechtsextremismus und dass die AfD durch Klagen versucht, den Vereinen ihre finanzielle Grundlage zu entziehen, zeigt, worum es geht, nämlich um die Sicherung zivilgesellschaftlichen und organisierten Engagements gegen den Abbau von Menschenrechten.

          Die Parteien füllen diesen Zweck nicht aus, so dass die unterzeichnenden und weitere Vereine und Organisationen braucht, um diese Lücke zu schließen; es sind gerade keine Parteien oder Vorfeldorganisationen derselben. Viele der unterzeichnenden Organisationen sind im ländlichen Raum und in Ostdeutschland tätig und parteilich unabhängig.

          • @Uns Uwe:

            Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber man kann diese Situation nicht allein aus dem Blickwinkel der Verfasser des offenen Briefs und deren Notlage sehen, sondern man muss auch bedenken, wie sich solche Anpassungen im Fortgang auswirken. Denn der rechtliche Rahmen, der hier geschaffen wird, steht dann auch allen anderen zu.

            Im Übrigen sollte die Vereine ihre steuerrechtliche Stellung doch ziemlich klar sein, der Fall Attac ist nicht so lange her und es ist nicht zu viel verlangt sich entsprechend einzurichten.

            • @insLot:

              "Im Übrigen sollte die Vereine ihre steuerrechtliche Stellung doch ziemlich klar sein, der Fall Attac ist nicht so lange her und es ist nicht zu viel verlangt sich entsprechend einzurichten."

              Die Reform der Gemeinnützigkeit sollte nicht in Richtung eines erzwungenen politischen Konformismus oder Obrigstaatsstaatsdenkens gehen.

              Denn von so etwas haben wir schon genug und das konterkariert jedes progressive zivile Engagement, welches doch doch vorgeblich soooo sehr von der Bevölkerung gefordert wird.

              attac kämpft um die Wiedererlangung seiner Gemeinnützigkeit und hat dazu auf seiner website sehr gut Stellung bezogen:

              www.attac.de/kampa...gemeinnuetzigkeit/