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Botschaften auf WahlplakatenNicht mehr als ein bisschen Frieden

Das Thema Frieden bewegt die Deutschen vor der Europawahl. Kaum eine Partei kommt in ihrer Wahlwerbung ohne den Begriff aus – eine Stilkritik.

Frieden wollen alle, aber welchen? Foto: Arno Burgi/picture alliance

Laut ARD-DeutschlandTrend steht der Frieden ganz oben auf der Prioritätenliste der Wäh­ler:in­nen. Bei den An­hän­ge­r:in­nen der Union wie auch bei den Fans des Bündnisses Sahra Wagenknecht. Für den Frieden sind sie irgendwie alle.

„KRIEG oder FRIEDEN? Sie haben JETZT die Wahl!“, plakatiert Wagenknechts BSW. Wenn es doch nur so einfach wäre! Bis auf die CDU sind alle relevanten Parteien auf ihren Wahlplakaten für den Frieden. Da fällt die Wahl schwer. Zumal sie auf Hinweise verzichten, was sie damit genau meinen. Es geht mehr ums Gefühl. So wie einst Nicole mit ihrem Grand-Prix-Hit „Ein bisschen Frieden“.

Die SPD will „FRIEDEN SICHERN“, die CSU verkündet: „FÜR EIN EUROPA, DAS FRIEDEN SICHERT“. Da kann man schon durcheinander kommen. Bei der AfD steht „FRIEDEN SCHÜTZEN!“, bei den Grünen heißt es: „WERTE VERTEIDIGEN. FRIEDEN SCHÜTZEN“. Der Unterschied besteht also aus zwei vorweg gestellten Wörtern – die ebenfalls nur Allgemeinplätze sind, solange nicht erklärt wird, welche Werte denn verteidigt werden sollen. Da soll es ja unterschiedliche Vorstellungen geben.

Vor der „Zeitenwende“ war die Welt übersichtlicher. Früher plakatierten die Grünen noch: „FRIEDEN ERNSTNEHMEN – JETZT ABRÜSTEN“. Heute sind sie in einer ganz großen Koalition von der SPD über die Union bis hin zur AfD vereint in der Überzeugung, dass Deutschland massiv aufrüsten müsse. „JETZT AUFRÜSTEN“ wäre eine klare Ansage. Ob die Werbeagentur abgeraten hat?

Die FDP hebt sich davon ab. Was immer man ihr vorwerfen kann: fehlende Ehrlichkeit ist es nicht. Gleich eine ganze Raketenbatterie an Mobilmachungsplakaten schießt sie in diesem Wahlkampf ab. Die FDP präsentiert ihre Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus der Rheinmetall-Stadt Düsseldorf als „Eurofighterin“ – und als „Oma Courage“. Letzteres hätte Bertolt Brecht mit Blick auf seine „Mutter Courage“ sicherlich ganz passend gefunden. Der zentrale freidemokratische Slogan: „Frieden braucht Verteidigung“.

Der Verzicht auf GROSSSCHRIFT ist das Einzige, was die FDP mit einer anderen ums politische Überleben kämpfenden Truppe verbindet: der Linkspartei. Die zeigt sich in ihrem Wahlkampf unverdrossen klassisch friedensbewegt. Der Slogan auf den Plakaten: „In Frieden investieren, nicht in Waffen!“ Tatsächlich: eine konkrete Forderung! Damit hat die Linkspartei in diesem Wahlkampf ein Alleinstellungsmerkmal.

Das Alleinstellungsmerkmal der CDU ist, dass sie kein eigenes Friedensplakat hat. Dabei hätte sie eigentlich nur ihren Slogan aus dem EU-Wahlkampf von 2019 recyclen müssen: „Frieden ist nicht selbstverständlich“, stand darauf. Würde heute noch besser passen.

SPD

Foto: Peter Henrich/imago

Der Slogan „Frieden sichern“ ist ziemlich catchy Es adressiert Willy-Brandt-Fans (Frieden) und Helmut Schmidt-Fans (Sicherheit), bzw. Mützenich und Pistorius.

B-Note: weniger catchy. Vor dem roten Hintergrund strahlen Olaf Scholz und Katarina Barley auf den Großplakaten die gezwungene Heiterkeit eines Paares aus, das vom Scheidungsanwalt kommt.

BSW

Foto: Joeran Steinsiek/imago

Der Slogan „Krieg oder Frieden?“ ist Komplexitätsreduktion mit dem Vorschlaghammer. Auf die Frage schön oder hässlich, klug oder dumm, reich oder arm, ist man ja aus Trotz geneigt, zu antworten: Ich wäre gern hässlich, dumm und arm. Außerdem hat diese Suggestion ein Hauch von Orwell. Krieg ist Frieden. Liebe ist Hass. Putin ist das Opfer des Westens.

B-Note: Wagenknecht lächelt auf allen Plakaten gleich, und wirkt unnahbar. Sie ist der einzige deutsche Politpopstar. Popstars wirken immer nah und unnahbar zugleich.

Grüne

Foto: Nieweler/imago

Soll der Slogan „Werte verteidigen. Frieden schützen“ heißen: Unsere westliche Werte werden in der Ukraine verteidigt? Ist da nicht gerade Krieg? Alles etwas rätselhaft.

B-Note: Zwei Frauen. Jung, eventuell queer. Eine PoC. Da fehlt nur noch das Lastenfahrrad. Könnte ohne EU-Fahne auch Werbung für Urlaub im Taunus sein.

AfD

Foto: Müller-Stauffenberg/imago

„Frieden schützen!“- Vor wem? Vor welchem Feind? Putin? Sicher nicht. Vielleicht Toni Hofreiter? Oder Taubenjäger? Das Ausrufezeichen wirkt wie: Wir wissen nicht, was wir sagen wollen, das aber sehr.

B-Note: Eine Friedenstaube, originell. Könnte ein Grünen-Plakat aus den 80ern sein. Der Slogan ist ja auch halbgrün.

FDP

Foto: Manngold/imago

Der Slogan „Frieden braucht Verteidigung“ folgt einem klassischen Vorbild: Si vis pacem para bellum. Der markige Punkt will sagen: Wir meinen es ernst.

B-Note: Schwarz-weiß, dezent ergänzt um etwas Magenta. Wirkt hart, entschlossen. Strack-Zimmermann lässt den Blick in die Ferne schweifen. Rollen schon russische Panzer heran?

Linkspartei

Nieweler/imago

Der Slogan ist der längste, sechs Worte. Adressiert also Akademiker:innen. Wobei die Parole in ihrer zeitlosen Schönheit schon einen gewissen Linkspopulismusappeal hat.

B-Note: Statt der üblichen Friedenstauben oder Peacezeichen eine am Lauf verknotete Pistole vor rot-lila Hintergrund zu präsentieren, ist mal was Neues. Das Zitat der Bronzeskulptur Carl Fredrik Reuterswärds vor dem UN-Hauptsitz in New York wirkt emblematisch klar, wenn auch etwas kühl.

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14 Kommentare

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  • Interessante, auch amüsant-unterhaltsame Analyse der Wahlplakate :-) Allerdings den Orwell-Satz "Krieg ist Frieden." hier ausgerechnet mit dem BSW in Verbindung zu bringen ist unfair und an der Sache vorbei, da ja nun gerade das BSW ausdrücklich gegen die "Krieg ist Frieden"-Politik aller anderen Parteien Stellung bezieht.

  • Danke für diesen Beitrag. Noch verrückter Plakate der 'Grünen' nur mit einem Wort 'Wirtschaft'. Ja, es fehlen inzwischen Kneipen, insbesondere in den Dörfern, wo man(n) sich nicht mehr austauschen kann bei Schnaps oder Bier, aber dass nur eine Partei etwas von der aktuellen Ökonomie etwas versteht, das möchte ich bezweifeln, vielleicht war ja auch nur gemeint, dass sie sich stärker mit der sozialen Lage der Menschen und der prekären Situation vieler Unternehmen (zuviel ist zuviel!) auseinandersetzen wollen, was ich vestehen könnte.

  • Die Linke hat leider ihre Partei-Optik ungut geändert, sonst in der Tat immer Pluspunkte für Sätze, die länger sind.

    FDP-StrZi hatte wohl einen sehr teuren Fotografen, doch Gesamtmetall zahlt's ja letztlich. Schade, dass die künstlerisch interessantesten Plakate eins der ärgsten Produkte überhaupt bewerben müssen.

    A propos: die ADis hatten wohl keine Grafikerin - alles in TikTok geflossen?



    Sowieso egal, die Inhalte zählen, und die sind erwartbar unterirdisch dort.

  • Auf meiner Liste steht ganz oben wirtschaftliche Prosperität. Ironischerweise sollte man meinen, dass dies auch eines der Kernanliegen einer Wirtschaftsunion sein sollte.

    Hilft gegen Armut im ganz allgemeinen, hilft gegen Rechtsextremismus und hilft die Wehrhaftigkeit herzustellen.

    Wer bietet das im EU-Wahlkampf an? Ach richtig Niemand!

    Eine Partei jedenfalls, die sich nach ihrer Vorsitzenden benennt, kommt bei mir persönlich noch nicht mal in die annähernde Reichweite einer Erwägung. Personenkult ist mir seit jeher sowohl suspekt als auch zuwider.

    Aber inzwischen zählen nur noch weiche Faktoren. Sieht man auch schön in den Themenfeldern des Wahl-o-mat, 80 % nebensächlicher Bullshit, häufig noch nicht mal EU-Themen.

    • @insLot:

      Ist Ihnen die kurzfristige oder die langfristige Prosperität wichtig? Woran messen Sie sie? Ist Verteilung von Wohlstand, Chancen, Stand der Infrastruktur und Umwelt in Ihrem Bewertungsset enthalten oder nicht?



      "Niemand" halte ich ansonsten auch hier für zu kategorisch. Die unterschiedlichen Ansätze sind deutlich zu erkennen.



      Schreibt jemand, der auch weder Personen, Ressentiments noch Kulturkämpfe wählen möchte.

  • Alle Wahlwerbungsspots im TV habe ich empfunden wie die Paradiesvorstellungen auf den Prospekten der Zeugen Jehovas. Wunderschön kitschig und völlig unkonkret. Es werden nie reale Maßnahmen genannt, mit welchen man Frieden sichern, Umwelt schützen oder heilen will, wodurch Wohlstand gesichert werden soll usw. Die Wahlwerbungen sind so unfassbar lächerlich und erschüttern mein Vertrauen in jegloche Partei. Wer soll solchem Kitsch Glauben schenken.

    • @Isa400:

      Sehen Sie es positiv. Bei dieser Werbung kann anschließend niemand kritisieren, dass Wahlversprechen nicht eingehalten wurden ;)

      • @Hitchhiker:

        Ja schon, aber ein schwacher Trost...

  • "Bis auf die CDU sind alle relevanten Parteien auf ihren Wahlplakaten für den Frieden. Da fällt die Wahl schwer. Zumal sie auf Hinweise verzichten, was sie damit genau meinen."



    Pax optima rerum 🤷‍♂️ - Frieden ist ein Schlagwort mit dem man von rechts bis links durchweg in der Bevölkerung Punkten kann - nur die Erwartungshorizonte sind halt völlig unterschiedlich...



    Während dem progressiven Wähler beim Wort Frieden wahrscheinlich eine möglichst weltweite Waffenruhe gepaart mit offenen Grenzen und Umverteilung vorschwebt, sieht der Konservative beim Wort Frieden eher sichere Grenzen, eine niedrige Kriminalitätsrate und keinerlei Mangel in egal welcher Form für sich und seine Liebsten vor dem geistigen Auge...



    Frieden ist halt nicht gleich Frieden 🤷‍♂️



    Aber Frieden ist das höchste der Güter - für alle🕊



    ...nur deshalb gibt es ja Kriege, weil sich Menschen über Frieden seit jeher uneins sind 😵‍💫

  • Das Thema Frieden scheint viele Menschen zu bewegen. Traurig finde ich jedoch, dass trotzdem die meisten Parteien keine oder nur bedingt friedensfördernde Politik betreiben. Vor allen Dingen schauen die meisten Parteien was bei Ihrem Klientel gut angekommen wird.

  • "Krieg ist Frieden" heißt es im Wahrheitsministerium in Orwells Roman 1984, wo die Begriffe umdefiniert und in ihr Gegenteil verkehrt werden, so dass es eigentlich "Lügenministerium" heissen müsste - gemäß dessen eigener Logik. Das ist eben die versteckte und kluge Ironie von George Orwell.

    Ebenso verhält es sich mit dem verkehrten Begriff "Verteidigung", wo eigentlich militärische Expansion und Angriffskriegs gemeint ist - siehe das Beispiel Kosovokrieg. Dort hat man hilfsweise auf die "Verteidigung der Menschenrechte" zurückgegriffen, um den Verteidigungs-Begriff mit drin zu haben.

    Ähnlich erkenntnisreich wie "1984" ist ein aktueller Song der Gruppe "K.I.Z" mit dem Titel "Frieden". Dort wird treffend beschrieben, was es mit dem Friedensbegriff der etablierten Parteien (inklusive der AfD) auf sich hat. Einfach Reinhören und die Aha-Erlebnisse genießen:

    www.youtube.com/watch?v=lnsf4b69JbI

  • Ausgerechnet die Parteien, die Putin abwartend oder unterstützend gegenüberstehen, plakatieren "Frieden". Blanker Zynismus.

  • Frieden ist ein oberstes Gebot der Menschheit, um so mehr sollten die Friedensbrecher, wie Putin, Hamas und Gefährder wie China und Nordkorea permanent genannt werden.

    • @Tino Winkler:

      Die Amis nicht nur im Irak doch glatt vergessen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt