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Angriffe gegen politisch EngagierteGewaltwelle löst Debatte aus

Immer mehr Fälle: Die Innenministerkonferenz plädiert dafür, Angriffe auf politisch Aktive härter zu ahnden. In der Ampelkoalition gibt es daran Kritik.

Symbolbild: Angriff auf die Demokratie, München 11.4. 2024 Foto: Franz Feiner/picture alliance

Berlin taz/epd/dpa | Noch während sich die Innenministerkonferenz (IMK) mit den jüngsten Angriffen auf Po­li­ti­ke­r*in­nen und politisch Aktive befasste, kam ein weiterer Fall dazu: Am Dienstagabend wurde die Dresdner Stadtratskandidatin Yvonne Mosler von zwei Personen attackiert, als sie mit ihrem Parteikollegen Cornelius Sternkopf, einem Wahlkampfteam und zwei Medienteams unterwegs war, um Plakate aufzuhängen.

Ein Angreifer habe die 47-jährige Politikerin laut Polizei beiseitegestoßen, sie beleidigt und bedroht. Außerdem soll er zwei Wahlplakate heruntergerissen haben. Eine zweite Angreiferin soll die Politikerin den Angaben zufolge bespuckt haben. Zuvor sollen die beiden in einer Gruppe gestanden haben, aus der heraus der Hitlergruß gezeigt wurde.

Gegen den 34-Jährigen werde wegen Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung und Sachbeschädigung ermittelt, gegen die 24-Jährige wegen Körperverletzung. In beiden Fällen werde auch wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt.

Am Freitagabend war ebenfalls in Dresden der SPD-Europapolitiker Matthias Ecke von mutmaßlich vier Angreifern krankenhausreif geschlagen worden. Zudem wurde ein Wahlkampfteam der Grünen attackiert. In der Nacht zu Mittwoch wurde außerdem bekannt, dass die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) am Dienstagnachmittag bei dem Besuch einer Bibliothek im Neuköllner Ortsteil Rudow von einem Mann angegriffen und leicht verletzt worden ist.

Schon am Donnerstag waren in Essen der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring und der dritte Bürgermeister Rolf Fliß (beide Grüne) angegriffen und beleidigt worden. Fliß wurde ins Gesicht geschlagen und leicht verletzt, der Staatsschutz ermittelt.

Während das Landeskriminalamt Sachsen beim Angriff auf Ecke derzeit von einem rechtsextremen Hintergrund ausgeht, waren die Hintergründe des Übergriffs auf Giffey zunächst unklar. Dem Nachrichtenmagazin Spiegel zufolge prüfen die Er­mitt­le­r*in­nen derzeit, ob bei dem 74 Jahre alten Tatverdächtigen eine psychische Erkrankung vorliegt.

Lüge, Gewalt und Bedrohung

Am Dienstagabend hatte sich die Innenministerkonferenz (IMK) in einer Sondersitzung mit den jüngsten Angriffen befasst und diese verurteilt. Lüge, Gewalt und Bedrohung drohten „immer stärker Teil einer Unkultur unseres politischen Diskurses zu werden“, warnte der IMK-Vorsitzende, Brandenburgs Ressortchef Michael Stübgen (CDU). Dies gefährde die Demokratie und den freiheitlichen Rechtsstaat insgesamt.

Die IMK forderte eine Überprüfung der Strafgesetze, um Angriffe auf politisch Aktive schärfer ahnden zu können. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte an, über mögliche Strafrechtsänderungen mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zu beraten.

Aus den Reihen der Ampelkoalition gibt es an diesen Vorschlägen aber bereits Kritik: „Härtere Strafen sind schnell gefordert – vor allem kurz nachdem öffentlichkeitswirksame Straftaten erfolgt sind“, sagte etwa der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle. Polizeibeamte vor Ort und eine gut ausgestattete, zügig arbeitende Justiz seien aber viel wirkungsvoller.

Auch die Grünen-Abgeordnete Misbah Khan erklärte: „Statt härterer Strafen muss das Vollstreckungsdefizit bei Haftbefehlen endlich angegangen werden.“ Sie forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, Gewalt gegen Politiker und Ehrenamtliche bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen.

Campact sammelt für attackierte Po­li­ti­ke­r:in­nen

Die Kampagnen-Organisation Campact startete derweil einen Fonds zur Unterstützung attackierter Po­li­ti­ke­r*in­nen und gegen rechtsextreme Gewalt in demokratischen Wahlkämpfen. Schon am Wochenende hatte Campact zu Spenden an die betroffenen Ortsverbände in Dresden und Essen aufgerufen und auch selbst 30.000 Euro dazugegeben. Diese Spenden sollen nach Angaben der Organisation nun bundesweit verstetigt werden.

Der Fonds mit insgesamt 250.000 Euro solle dabei wirken wie ein Bumerang: „Unsere Demokratie lebt von einer engagierten Zivilgesellschaft und einer vielfältigen Parteienlandschaft“, erklärte Felix Kolb, Geschäftsführender Vorstand von Campact. „Mit tätlichen Angriffen auf De­mo­kra­t*in­nen sollen wir mundtot gemacht werden. Mit dem Bumerang-Fonds drehen wir diese Logik um und spenden dort, wo die Attacke stattfindet.“ Das Geld sorge so am Ende für mehr statt weniger Sichtbarkeit vor Ort, so Kolb.

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14 Kommentare

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  • Für die Straftat "Gefährliche Körperverletzung" beträgt das Strafmaß derzeit 6 Monate bis 10 Jahre (in minder schweren Fällen 3 Monate bis 5 Jahre). Das ist völlig ausreichend. Problematisch ist, dass die Gerichte immer wieder zu viel Rücksicht auf die Täter nehmen. Gerade Gewalt gegen Menschen (nicht beschränkt auf Politiker), sollte viel schneller Freiheitsstrafen zur Folge haben, die dann (zumindest zum Teil) wirklich abgesessen werden müssen (von Jugendlichen evtl. im Arrest). Eine Bewährungsstrafe nach der anderen - das hat sicher kaum eine anschreckende Wirkung.

  • Was sprach eigentlich dagegen, dass die Debatte nicht schon lange durch Angriffe gegen Rettungssanitäter, Ärzte, Krankenhauspersonal. Zugbegleiter, Feuerwehr, Obdachlose, anders Aussehende, Jüngere, Ältere oder offensichtlich Wehrlose ausgelöst wurde?



    Liebe Politiker: Willkommen im wahren Leben!!



    Für die, denen meine Meinung oft zu unbequem ist: Damit sollen keinesfalls Angriffe gegen Politiker gerechtfertigt werden.

    • @Erfahrungssammler:

      Sie haben vollkommen recht 👍👍



      Da ja laut unserem Grundgesetz alle Menschen gleich sind kann es jetzt nicht sein das man das eine ignoriert und nun bei Angriffen auf Politikern plötzlich schärfere Strafen fordert. Hätte man über Jahrzehnte das Strafmaß konsequent ( 10 Jahre Haft ) angewandt würden es sich heute sehr viele überlegen ob sie jemanden Angreifen.

  • habe heute abend mit einem cdu-politiker die problematik der angriffe besprochen (den kenne ich seit 30 jahren + er ist ein guter, wir haben (ich als linke, er nicht rechts) schon einiges gemeinsam gewuppt auf bezirklicher ebene)

    meine idee:



    wahlkämpferInnen mit gruppen von ca. 7-10 peoples begleiten.



    als demo:



    wir bürgerInnen schützen unsere politikerInnen, egal welche demokratische partei.

    er: es gibt das problem: dass wir wahlkämpferInnen spontan + einzeln losziehen. wie soll das koordiniert werden?



    na ja, sagte ich, das ginge, es muß ja jetzt nicht jede/r bgleitet werden, es wäre eine plakative aktion, unter dem motto: wir schützen gegen rechts oder so.



    mal sehen, ob es uns in eimstown gelingt, sowas zu wuppen.



    evtl. die OMAS GEGEN RECHTS dafür zu gewinnen, ihren abendspaziergang mit uns zu machen.



    hauptsache, es gibt ein mediales echo ...



    mal schauen.

  • Es ist natürlich begrüßenswert, dass die Gefahr von Rechts endlich ernst genommen wird. Ich verurteile die Angriffe auf die Politiker*innen aufs Schärfste. Ich habe allerdings den Eindruck, dass nicht nur die Politik sondern auch viele nicht sehen wollen, dass rechte Gewalt gegen Andersdenkende seit Jahrzehnten stattfindet. Es ist kein neues Phänomen, die Opfer waren und sind oft keine Politiker*innen sondern Menschen die sich gegen Rechts engagieren, sowie sogenannte „Außenseiter“ wie Punks und Obdachlose und vor allem auch Menschen, die als „migrantisch“ gelesen wurden. „Neue Dimension? Das ist brutale Normalität im Osten! „ siehe das aktuelle Interview mit Jakob Springfeld www.n-tv.de/politi...ticle24922004.html. Das kann man auch an den vielen Morden der Rechtsradikalen sehen. Die Aufarbeitung von Staatswegen war teilweise katastrophal und verharmlosend. Als krasses Beispiel seien hier die Morde des NSU angeführt, wo im Prozess nur drei Haupttäter gesehen wurden und die wenigen angeklagten Unterstützer mit lächerlichen Strafen davonkamen. Das umfangreiche rechtsradikale Netzwerk hinter dem NSU wurde von den Ermittlungsbehörden ignoriert.

  • Wie gut kennen wir die reflexhaften Rufe nach harten und schnellen Strafen schon? Spontan fallen mir die Kölner Silvesternacht und die Solidaritätskundgebungen für die Hamas seit den 07.10.23. Es gibt natürlich noch viele weitere Beispiele. Was ist seitdem passiert in puncto Forderungen und Ankündigungen? Antwort: Janüscht. Warum sollte man die vollmundigen Ankündigung dieses mal ernst nehmen?

    • @Klaus Kuckuck:

      Vielleicht ist es auch ganz gut, wenn das nicht so ernst gemeint ist.

      AfDler werden seit mehreren Jahren bereits angegriffen.

      Wenn Sie oder ich die Straße entlang gehen und angegriffen werden, soll der Täter bzw. die Täterin lascher bestraft werden, als wenn sie eine AfDlerin beim Plakatekleben attackiert?

      Warum?

      Ist die AfDlerin was Besseres?

      • @rero:

        Das Strafrecht sollte nicht so viele Unterschiede machen. Wenn Sie oder ich angegriffen werden, entscheidet leider oft nicht die Tatausführung, sondern der persönliche Lebenskontext des Täters darüber, wie Staatsanwaltschaften entscheiden. In den meisten Fällen werden die Verfahren eingestellt. Und genau hier liegt schon eine Ursache für eine Zunahme von Gewalt (auch gegen PolitikerInnen). Staatsanwaltschaften und Gerichte verfügen nämlich bereits über exzellente rechtsstaatliche Möglichkeiten zur Eindämmung von Gewalt gegen jedermann. Diese müssten nur auch mal öfter zur Anwendung kommen. Die derzeitigen Forderungen von PolitikerInnen sind insofern wieder nichts als heiße Luft.

  • Wohin sollen die Pläne denn führen? In eine Zweiklassenjustiz? Übergriff ist Übergriff, Körperverletzung ist Körperverletzung. Ob beim Plakatekleben oder im privaten Umfeld. Das Strafrecht gibt genügend her, es muss nur die Justiz so ausgelegt sein, dass Ermittlungen und Urteile auch zeitnah erfolgen können.

  • Diese Aktionismus ist mal wieder typisch.

    Statt schärferer Gesetzt sollten die bestehenden mal durchgesetzt werden: Z.B. die 915 offenen Haftbefehle oder die Wartezeit auf Strafprozesse von durchschnittlich 8 Monaten!

    Aber nein, lieber neue Gesetze beschließen, das ist billiger!

    • @Semon:

      Schwierig, da die Straftäter ja meistens nicht kooperativ sind und die, welche die gesetzlichen Regelungen durchsetzen, nicht unbedingt in die rechte Ecke gerückt werden wollen.

      Es nützt alles nichts - den Anfängen wurde nicht gewehrt, jetzt wird es umso komplizierter.

  • Härtere Strafen? Für was jetzt?

    Sind Politiker was Bessres?

    Es ist völlig egal, ob ich Politiker bin, der Plakate aufhängt oder ein Metzger, der sich die Schuhe zubindet: werde ich angegriffen, gehört der Angreifer im Rahmen des Strafmaßes abgeurteilt und bestraft. Der eine so wie der andere auch.

    Was wird da hier jetzt eigentlich diskutiert? Gibt gar keinen Grund!

  • Euer Symbolbild ist denkbar schlecht gewählt. Ich würd zwar die Grünen keinenfalls mit Nazi Parteien vergleichen wollen, aber auch deren Wahlwerbung ist erstmal prinzipiell demokratisch legitimiert. Beschädigte Wahlplakate muss man aushalten, das gabs übrigens schon immer. Angriffe auf Menschen nicht. Das ist eine ganz, ganz andere Baustelle. Keine Ahnung wieviel hundert, vielleicht tausend NPD Plakate ich in meine Jugend abgerissen hab, aber ich hätte niemals Gewalt gegen Menschen angewendet.

    • @Deep South:

      Am einfachsten wäre es, das Plakatieren zu verbieten, dann verursacht es auch keine Straftaten.



      Man muss einfach die Ursachen, die Menschen zum Begehen von Straftaten animieren, beseitigen. Es gibt mittlerweile genug Beispiele in dieser Richtung.