Berufung gegen den Verfassungsschutz: Die Antragsschlacht der AfD
Darf der Verfassungsschutz die AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwachen? Ein Blick auf die juristischen Tricks der Anwälte.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat am Dienstag das Berufungsverfahren der AfD gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eröffnet. Darin geht die Partei gegen ihre Einstufung als rechtsextremistischer „Verdachtsfall“ durch den Verfassungsschutz vor. Als das Gericht am Morgen pünktlich um 9 Uhr zu dem Verfahren unter dem Titel „AfD gegen die Bundesrepublik Deutschland“ aufruft, wird schon binnen kürzester Zeit klar, welche Taktik die AfD sich für die Berufung ausgesucht hat: die größtmögliche Verzögerung.
Wegen des großen öffentlichen Interesses hat das Gericht den Prozess in die große Halle mit den „Zwei Menschen“ verlegt. Bei dem Mammutverfahren geht es mittlerweile um rund 20 Aktenmetern auf Zehntausenden Seiten, zahlreiche Schriftsätze und eine umfassende Materialsammlung des Verfassungsschutzes, die zahlreiche rassistische und antidemokratische Äußerungen von ranghohen AfD-Politiker*innen enthält. 95 Pressevertreter*innen sind akkreditiert – die restlichen rund einhundert Plätze nehmen interessierte Zuschauer*innen ein.
Vor zwei Jahren hatte das Verwaltungsgericht Köln als Vorinstanz dem BfV recht gegeben. Damals stellten die Richter fest, dass es hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bei der AfD gebe. Das Verfahren gilt als richtungsweisend für den weiteren Umgang mit der AfD – auch mit Blick auf ein mögliches Verfahren zum Parteiverbot sowie eine mögliche Hochstufung der Partei als „gesichert rechtsextremistisch“.
Nach 20 Minuten die erste Unterbrechung
Am Dienstag kommt es schon nach rund 20 Minuten zur ersten Unterbrechung. Bereits vor der Eröffnung der eigentlichen mündlichen Verhandlung beantragt AfD-Anwalt Christian Conrad die Vertagung. Er beklagt die mangelnde „prozessuale Waffengleichheit“, spricht von einer „rechtsstaatswidrigen Informationsasymmetrie“ und bringt auch die auch schon im Vorweg eingebrachten drei Befangenheitsanträge gegen den vorsitzenden Richter Gerald Buck ein. Es sei nicht möglich gewesen, in der Kürze der Zeit auf die vom Verfassungsschutz Anfang des Jahres neu eingebrachten Dokumente einzugehen – der Geheimdienst habe noch einmal 4.200 Seiten und 116 Stunden Videomaterial eingebracht.
Tatsächlich hat die Partei sich in den letzten zwei Jahren radikalisiert und dem VS dabei eine Fülle an weiterem Material geliefert: Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, beklagte, dass das Land „bunt wie eine Müllhalde“ werde und „Millionen kulturfremde, aggressive Analphabeten aus dem Nahen Osten und Afrika“ importiere.
Zudem predigte er Verschwörungsideologien vom „großen Austausch“, andere AfD-Politiker redeten vom „schleichenden Genozid am Deutschen Volk“ und Björn Höcke forderte schon 2018 in seinem Buch ein groß angelegtes „Remigrationsprojekt“ mit „wohltemperierter Grausamkeit“ und sagte kürzlich, Deutschland werde „auch ohne Probleme mit 20, 30 Prozent weniger Menschen leben können“. Angesichts dessen erscheint vielen Beobachter*innen ein Erfolg der AfD in Münster zumindest unwahrscheinlich zu sein.
Ein Urteil? Fällt womöglich erst Mittwoch
Entsprechend arbeiten sich die AfD-Anträge auch nicht am Verhandlungsgegenstand ab – nämlich wie rechtsextrem die Partei ist –, sondern an den Richter*innen: Man wolle wissen, ob ein Richter schon mal an einer Demonstration gegen die AfD teilgenommen habe, trägt Conrad am Dienstag vor. Genauer wollte die AfD sogar wissen, ob einer der Richter unter den 30.000 Teilnehmer*innen war, die anlässlich des Neujahrsempfangs der AfD in Münster demonstrierten.
Der vorsitzende Richter Buck legt unbeeindruckt sämtliche Anträge der AfD zu den Akten und sagt zur möglichen Teilnahme an einer Demo gegen Rechtsextremismus: „Wir haben uns kritisch hinterfragt: Keiner der hier oben Sitzenden sieht Anlass, irgendwas zu erklären.“ Nach der ersten längeren Beratungspause weist er die Anträge ab, was AfD-Anwalt Conrad freilich nicht davon abhält, nach Wiederaufnahme der Sitzung gleich den nächsten Befangenheitsantrag zu stellen. Diesmal gegen alle Richter*innen des 5. Senats, woraufhin die nächste Unterbrechung folgt.
Fundiert sind die Befangenheitsanträge aus Sicht des Gerichts aber nicht: Den Befangenheitsantrag gegen den gesamten Senat lehnt das Gericht gar „als rechtsmissbräuchlich“ ab. Die AfD setzt bei der Antragsschlacht wohl auch darauf, mögliche Verfahrensfehler seitens des Oberverwaltungsgerichts zu produzieren. Diese könnten der Partei in der nächsten Instanz, bei der Revision beim Bundesverwaltungsgericht, helfen.
Es folgen weitere Verzögerungen: So fordert die AfD, die Öffentlichkeit auszuschließen – für die Beratung über den Antrag müssen daraufhin sämtliche Zuschauer*innen das Foyer verlassen und eine gute halbe Stunde im Regen von Münster ausharren, ehe das Gericht auch diesen Antrag zurückweist und die Zuschauer*innen wieder in den Saal lässt.
Am späten Nachmittag schließlich kommt die Verhandlung besser voran, was auch an der Hartnäckigkeit des Gerichts liegt: Als die AfD gegen 18 Uhr beantragt, für den Tag Schluss zu machen, schlägt der Vorsitzende Buck eine kurze Kaffeepause vor und sagte aber, dass der Senat danach weiterverhandeln wolle: „Eine Mondscheinsitzung wollte ich nicht, aber wir können noch etwas weitermachen.“
AfD will „presserechtliche Maßstäbe“ für Verfassungsschutz
Fragen, die nachmittags verhandelt werden, sind etwa das Argument der AfD, viele der Äußerungen aus der Materialsammlungen seien nicht strafrechtlich relevant. Das pariert des BfV-Anwalt damit, dass man nicht im Bereich des Strafrechts sei.
An anderer Stelle behauptet der AfD-Anwalt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz presserechtliche Maßstäbe an seine Berichterstattung anlegen müsste und bei einer „Verdachtsberichterstattung“ die AfD befragen und zitieren müsse. Roth hält auch hier dagegen: Der Verfassungsschutz betreibe keine Verdachtsberichterstattung, nur weil er das Wort Verdacht verwende.
Eine spannende Frage ist, wo legitime Staatskritik endet. Weiterer AfD-Einwand: Der Verfassungsschutz habe nicht genügend abgewogen, ob die kompromittierten Äußerungen nicht auch anders gemeint hätten sein können. Man müsse jede in der Materialsammlung auftauchende Person eigentlich als Zeugen hören, forderte AfD-Anwalt Conrad. Roth sagt: Natürlich müssten Aussagen im Kontext betrachtet werden, aber: „Viele der Aussagen sind so eindeutig, die muss man nicht weiter auslegen“, so Roth. Wenn AfD-Mandatsträger hundertfach und bewusst von „Corona-Diktatur“ sprächen, gehe es nicht darum, Kritik an einzelnen Maßnahmen zu äußern. Sondern eben darum, mit einem Diktaturvorwurf die Regierung als totalitär darzustellen. Wenn man vom „Ermächtigungsgesetz 2.0“ spreche, ginge es darum, die Parlamente zu delegitimieren.
Die Verzögerungstaktik will die AfD jedoch weiter durchziehen: Gegen 19 Uhr schließlich drohen die AfD-Anwälte mit 210 Beweisanträgen für den nächsten Verhandlungstag. Man rechne mit 25 Stunden – allein um diese einzubringen. „Das klingt mir nach einer missbräuchlichen Beantragung von Beweisanträgen, wenn man das schon so ankündigt“, antwortet BfV-Anwalt Roth, offenkundig genervt. In den Anträgen soll es auch darum gehen, inwiefern das vom Verfassungsschutz vorgelegte Material selbst unter der Mitwirkung von V-Personen und Quellen entstanden sei, was die AfD auch im Vorfeld des Prozesses suggeriert hat. Hier zog das Bundesamt nach der Ankündigung durch die AfD überraschend blank: Es gab an, dass lediglich 2 der mehreren Tausend Belege menschliche Quellen des Verfassungsschutzes beinhalteten, beide seien nicht auf Bundes- oder Landesebene und vor dem Jahre 2020 angefallen. Das Bundesamt habe zu keinem Zeitpunkt steuernden Einfluss gehabt, die AfD auch nicht hinsichtlich ihrer Prozesstaktik ausgespäht.
Ein Ende der Antragsschlacht ist bei Verhandlungsschluss am Dienstagabend kurz vor acht jedenfalls nicht in Sicht. Das Verfahren ist für zwei Tage angesetzt, möglicherweise fällt am Mittwoch ein Urteil. Die „zwei Menschen“ dürfte auch das kaum stören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“