piwik no script img

„Abhörskandal“ bei der BundeswehrDer Kreml liefert nichts Neues

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Russische Medien haben den Mitschnitt eines Bundeswehr-Gesprächs über den Taurus veröffentlicht. Auf deren Kalkül sollte man jetzt nicht hereinfallen.

Kurz davor, seine Wirkung in der Ukraine zu entfalten? Der Taurus-Marschflugkörper Foto: South Korea Defense Ministry/ap

M it der Veröffentlichung des Mitschnitts eines Gesprächs deutscher Luftwaffenoffiziere hat das Kremlmedium Russia Today ohne Zweifel einen Coup gelandet. Das Bemerkenswerteste an der Abhöraktion ist nicht der Vorgang an sich, sondern der demonstrative Akt der Veröffentlichung.

Das Timing jedenfalls dürfte kein Zufall sein. Schon beeindruckend, wie es der Propagandakompanie Wladimir Putins gelungen ist, in Windeseile den Mut der Menschen, die an der Beerdigung Alexei Nawalnys teilgenommen haben, oder den Spionage-Thriller über den Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek aus den Schlagzeilen zu verdrängen.

Bei aller Aufregung: In Bezug auf den Inhalt taugt der Abhörfall nicht zu einem Skandal. Bei ihrer 38-minütigen Beratung darüber, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius in 30 Minuten in Sachen Taurus-Marschflugkörper gebrieft werden kann, haben die beteiligten Offiziere nichts ausgeplaudert, was nicht ohnehin allen, die sich mit der Problematik beschäftigen, bekannt sein sollte.

Und dass sie im Rahmen der politischen Vorgabe, dass es keine direkte Beteiligung der Bundeswehr bei einem eventuellen Taurus-Einsatz geben darf, mögliche Szenarien und Schwierigkeiten abwägen, ist schlicht ihr Job. Wobei es schon gewagt ist, wenn Po­li­ti­ke­r:in­nen der Union, der FDP und der Grünen nun so tun, als sei ihnen bestätigt worden, dass die Lieferung des Taurus kein Problem wäre.

Wirklich grober Unfug ist es jedoch, wenn der Linkenpolitiker Dietmar Bartsch behauptet, da seien irgendwelche Planspiele angestellt worden, die „eindeutig strafbewehrt“ seien. Noch unsäglicher ist es, wenn aus den Reihen der AfD oder der neuen Wagenknecht-Partei behauptet wird, bei dem Gespräch habe es sich um die „Vorbereitung eines Angriffskrieges“ durch deutsche Bundeswehroffiziere gehandelt. Mit der Realität hat das nichts zu tun, sondern nur mit Kremlpropaganda.

Viel spricht dafür, dass es sich hierbei nur um einen Zufallstreffer handelt

Dass sich Russland bemüht, deutsche Stellen zu bespitzeln, ist keine Neuigkeit. Viel spricht dafür, dass es sich im konkreten Fall jedoch nur um einen Zufallstreffer handelt. Geheimdienste sind keine Journalist:innen, ihr genuines Interesse ist die Gewinnung von Informationen, nicht deren Publikation. Wäre das Gespräch im Rahmen einer systematischen Abschöpfung aufgefangen worden, wäre es sicherlich nicht veröffentlicht worden, um die Quelle nicht versiegen zu lassen.

Das ändert nichts daran, dass das Ganze einen Image­schaden für die Bundeswehr bedeutet. Denn es stellt sich schon die Frage, wie sorgfältig die interne Kommunikation vor den Begehrlichkeiten der russischen Spionage abgeschirmt wird, wenn es wirklich um militärische Geheimnisse geht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Die Diskussion um die Taurus erinnert mich an die Wunderwaffe vergangener Zeiten. Damit wird kein Krieg entschieden. Vielleicht eine Brücke demoliert. Wurde so ein Taurus abgeschossen, dann wäre die Häme groß. Der Kanzler tut gut daran die Häme des Nicht-Entsendens der Taurus auf sich zu ziehen. Kritiker gibt es ja immer.

    Wesentlich ist die Grundversorgung der Ukrainischen Armee mit u.a. Munition, Granaten, Hilfsgütern usw.

  • Ein hervorragend (leider wörtlich gemeint) nüchterner und sachlicher Kommentar, vielen Dank!

    Man kann freilich sagen über die Schlussfolgerung streiten, ob es nur ein Zufallstreffer war. Eindeutig nutzten die beteiligten Offiziere die VC-Software in schmählicher Verachtung der einschlägigen Sicherheitsprotokolle. Insofern ist die Tatsache, dass Russland das abfangen konnte, keine Offenbarung ungeahnter Überwachungsmöglichkeiten sondern eher ungeahnter Sorglosigkeit auf deutscher Seite.

    Im 20 Jh. klebte an derart "verseuchten" Kommunikationsmitteln ein Zettel mit der Aufschrift "Feind hört mit.", damit solche Eigentore vermieden werden konnten. Vielleicht sollte man das wieder einführen. Einstweilen bleibt natürlich die schmerzliche Frage, was bei der BW und anderswo NOCH so alles über ungesicherte VC-Software läuft...

  • Danke für den Kommentar.

    Lassen wir doch Putin und die Putinfreunde das Rumpelstilzchen machen. Am besten gar nicht beachten, sondern einfach weiter die Ukraine unterstützen mit allem was da ist. Und am Ende mit Taurus.

    Putin scheint ja mächtig Angst zu haben vor den Marschflugkörpern. Da sollte man gleich mal ein paar mehr produzieren und an die Ukraine liefern.

  • Das ist er also, der Gegenschlag zur Würdigung des Herrn Nawalny durch den Bundeskanzler.

    Ist irgend etwas passiert?

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Schon beeindruckend, wie es der Propagandakompanie Wladimir Putins gelungen ist, in Windeseile den Mut der Menschen, die an der Beerdigung Alexei Nawalnys teilgenommen haben, oder den Spionage-Thriller über den Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek aus den Schlagzeilen zu verdrängen."



    Schon beeindruckend, dass diese Interpretation in vielen deutschen Leidmedien zu lesen ist...



    Der Versuch, Putin-Propaganda lächerlich zu machen, wird dem Problem nicht gerecht. Der „Abhörskandal“ ist ein Abhörskandal.



    btw.: Was macht eigentlich Edward Snowden?

  • Wieso die Aufregung? Putin will vor allem zeigen, dass er es kann. Es ist eine Fingerübung, die keine Aussage über den tatsächlichen Zugang zu geheimen Informationen zulässt. Man kann sogar davon ausgehen, dass es sich eher um ein Muster ohne Wert handelt. Aber ganz Deutschland spielt mit und gibt den Hühnerhaufen. Dabei sollte allein schon ein bisschen Stolz ausreichen, um sich nicht von Putin am Nasenring vorführen zu lassen. Natürlich ist es ein bisschen unprofessionell, sich so einfach abhören zu lassen, nur resultiert der Geheimhaltungsbedarf in diesem Fall nur aus der Unklarheit, die Scholz geschaffen hat und auch aufrechterhalten will. Richtig peinlich ist doch, dass die Militärs sich ziemlich verrenken müssen um sich in die gewünschte Sprachregelung einordnen zu können. In Wirklichkeit kann es ja wohl nicht ernsthaft einen Interpretationsspielraum geben, ob deutsche Soldaten tatsächlich notwendig sind um das Taurus - System zu bedienen.

  • Und wenn man schon die Aussagen von Linken, AfD und BSW als unsagbar bezeichnet, sollte man noch das staatsschädigende Verhalten der Union mit erwähnen, die das ganze einfach zu einer riesigen Staatsaffäre aufbauschen, weil es der Regierung schadet. Dass es damit auch Deutschland schadet, ist ihnen egal. Hauptsache, die Leute gegen die Regierung aufwiegeln, um bessere Wahlergebnisse einzufahren. Was hoffentlich nicht der Fall sein wird. Weil die WählerInnen sind ja nicht blöd, oder?

  • Nein, das ist wirklich nicht in Ordnung, dass die Russen bei einem vertraulichen Gespräch mithören.



    Das ist einfach unfair und unanständig....Damit kann doch keiner rechnen.



    Da schlagen bei uns die Wellen der Empörung zurecht hoch.

    WIR in den westlichen Staaten würden so etwas nie machen.



    Wir wissen garnicht wie das geht...



    Vor allen Dingen achten wir die Grenzen der anderen Seite, schließlich hat jeder Staat ein Recht darauf , seine "kleinen Geheimnisse" zu bewahren.

    Aber die Russen machen das auch nur, weil sie, im Gegensatz zum freien Westen, über IT-Spezialisten und hacker verfügen, die auch nicht davor zurückschrecken bei uns Wahlen zu manipulieren und mit tausenden von "Trollen" unsere freien sozialen Medien zu fluten.

    Man stelle sich mal vor, die USA oder Großbritannien würden das gleiche machen. Das gäbe doch weltweit einen großen Aufschrei der Empörung.



    Deutschland kann zum Glück weder spionieren, noch abhören, geschweige denn über online-Medien Einfluss nehmen - schließlich haben wir ja Fachkräftemangel in allen Bereichen.... außerdem sind wir einfach zu gutmütig.

    • @Bürger L.:

      Das Schlimme ist, dass bei Ihrem Text manches nicht mal mehr Ironie ist. Zumindest was die Unfähigkeit angeht, stimmt es fürchte ich mehr als einem lieb sein kann.



      Aber klar macht der West das auch, er ist aber wenigstens so klug, es nicht in der Presse zu veröffentlichen. Obwohl es vielleicht sogar klug wäre, auch mal kundzutun, dass unsere Geheimdienstler nicht nur in der Nase popeln oder was sie sonst so treiben.

  • Anscheinend ist der Vorgang also doch kein so großes Problem. Spionage hat schon so manchen Krieg verhindert und wir können wohl davon ausgehen, dass alle Seiten mehr voneinander wissen, als vermutet wird. So kam bereits im Jahr 2013 heraus, dass ein amerikanischer Gehemindienst die Bundeskanzlerin abhörte. Daran wird sich nicht viel geändert haben.

  • Dieses Gespräch, das nun bekannt gemacht wurde, mag vielleicht nicht so brisant sein. Aber vielleicht sind es ja Gespräche, die nicht bekannt gemacht wurden. Es zeigt halt: Es hört jemand mit. Die USA schon seit Ewigkeiten ...

  • Ein sehr guter Kommentar. Danke, Herr Beucker, dass Sie - in Zeiten von Desinformation und allgemeiner Desorierung - die Tatsachen zurechtgerückt haben.



    Es tut gut zu wissen, dass sich die taz - zumindest in Teilen 😉 - an diesem auf allen möglichen politischen Seiten praktizierten Trend nicht beteiligt.



    In der Sache bleibt lediglich die Frage, wie es kommen konnte, dass das Gespräch geleakt wurde - aber auch das ist möglicherweise nichts skandalbehaftetes.

  • Sehe ich auch so. Wenn es nicht dazu diente, innerdeutsch die Opposition über´s Stöckchen springen zu lassen, ist die Bedeutung dieses russischen Coups nicht besonders groß.



    Mit ihrer Reaktion stellt sich die Opposition selber ein geistiges Armutszeugnis aus: Die C-Parteien kommen einfach nicht mir ihrer Rolle als Oposition zurecht und biegen daher die Wahrheit bis ins Absurde, und die Rechten und Linken beweisen wieder mal, dass sie Putin aus der Hand fressen.



    Alle zusammen schaden sie damit Deutschland und sind für mich unwählbar ...

    • @Christian Lange:

      Dem schließe ich mich an. Kiesewetter müsste es eigentlich besser wissen. Dieses politische Schauspiel ist wieder mal nur ein weiterer Beleg dafür, wie kaputt und absolut nicht an der Sache orientiert unsere Parteienpolitik tatsächlich ist. Nun dreht also der Polit-Zirkus sogar so frei, dass man willfährig Putins Spiel spielt, nur um dem politischen Gegner zu schaden.

  • Aus meiner Sicht ein fast perfekter Kommentar.

    Ich störe mich lediglich an dieser Formulierung:

    "Wobei es schon gewagt ist, wenn Po­li­ti­ke­r:in­nen der Union, der FDP und der Grünen nun so tun, als sei ihnen bestätigt worden, dass die Lieferung des Taurus kein Problem wäre."

    Es ist nicht davon auszugehen, dass die Ukraine damit zivile Ziele ins Visier nehmen würde. Und völkerrechtlich ist es völlig legitim, damit zwecks Verteidigung alle militärischen oder militärisch relevanten Ziele (auch in Russland) anzugreifen.

    • @Al Dente:

      Das stimmt zwar, aber strategisch gehört die Zurückhaltung bei weitreichenden Waffen, die auch im russischen Hinterland einschlagen könnten, zu den festen Größen der zwischen Deutschland und den USA abgestimmten Unterstützungspolitik. Taurus würde bei aktuellem Frontverlauf bis kurz vor Moskau reichen, falls die Reichweite des Waffensystems real maximal 500 km beträgt. Militär-Hardware wird allerdings gerne mit großzügigen Reserven konstruiert, also ist das "kurz vor" von außen kaum gesetzt zu betrachten. WENN ein deutscher Marschflugkörper im Kreml einschlüge, wäre aus russischer Sicht im wahrsten Sinne des Wortes "Polen offen", schätze ich mal. Ob das Putin über die Klippe zu einem offenen Angriff auf Nato-Territorium stupsen würde, wäre dann allein SEINER Vorsicht überlassen, mit der es bekanntlich nicht mehr weit her ist. Seinen "Sender Gleiwitz" hätte er dann jedenfalls - ohne jegliche Maskirowka.

      Bei Taurus kommt noch dazu, dass es - wohl auch dem abgehörten Gespräch zufolge - allenfalls langfristig möglich wäre, ukrainische Soldaten so weit auszubilden, dass sie die Zielauswahl auch ohne aktives Zutun deutschen Personals beherrschten, das es so in Deutshcland nur bei der Bundeswehr gibt. Es müssten also bei Lieferung und Einsatz JETZT ganz klar deutsche Soldaten beteiligt werden. Auch hier: Putin wird das sehen, wie ER will.

      "Kein Problem" wäre demnach schon deutlich untertrieben. Man kann UNproblematisch vielleicht präventiv Ukrainer in die Ausbildung nehmen. Aber darüber wird man im Zweifel weder der Presse gegenüber noch - hoffentlich - in abhörbaren VC-Calls offen reden. DA sollte, bevor Alles bereit ist, der Kurs sturer Verweigerung gegen alles Toben der Lieferungsbefürworter (die ihre Rolle auch weiter spielen sollten) so lange wie möglich durchgehalten werden.

      Vielleicht ist DAS ja auch, was wir gerade vorgeführt bekommen... ;-)

  • ..."Dass sich Russland bemüht, deutsche Stellen zu bespitzeln, ist keine Neuigkeit"...haben nicht Amis das Handy von Merkel angezapft und wie steht es mit all`diesen Nato-Geheimdiensten... und denen der Chinesen, Japaner, Israelis etc...etc...? So zu tun, als wäre diese Abhörspionage etwas ganz Neues und Unerwartetes ist ganz typisch für diese heuchlerische Art von Geschrei nach einem Untersuchungsausschuss der ach so christlichen Unionisten und anderen Falschspielern...Die immer sich weiter verbessernde digitale Technik wird auch nachrichtendienstlich zu einem Monster.