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EU zum GazakriegBrüssels lautes Schweigen

Teile der belgischen Regierung liebäugeln damit, sich Südafrikas Klage gegen Israel anzuschließen. Das offenbart den tiefen Graben innerhalb der EU.

Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verfolgen, am 11.1.2024, De­mons­tran­t:in­nen die Anhörung per Livestream Foto: Patrick Post/AP/dpa

Brüssel taz | Offiziell will die EU mit dem Völkermord-Prozess gegen Israel nichts zu tun haben. „Wir kommentieren keine laufenden Verfahren“, sagte der Sprecher von EU-Chefdiplomat Josep Borrell in Brüssel. Doch hinter den Kulissen sorgt das Verfahren für erheblichen Wirbel. Denn die 27 EU-Staaten sind sich wieder einmal nicht einig – dabei wollen sie doch eigentlich das Völkerrecht hochhalten.

In der Ukraine ist dies gelungen: Die EU unterstützt das Land bei seiner Klage gegen Russland vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Die EU-Justizbehörde Eurojust sammelt sogar Beweise zur Verfolgung der russischer Aggression. Völlig anders ist die Lage im Streit zwischen Südafrika und Israel: Die EU ist tief gespalten und vermeidet es, sich auf eine Seite zu schlagen.

Besonders deutlich ist der Kontrast zwischen Belgien und Deutschland. Das kleine Königreich, das seit Jahresbeginn die EU-Ratspräsidentschaft innehat, und das größte EU-Land liegen bei der Beurteilung des Krieges in Gaza komplett über Kreuz. Israel habe das Recht zur Selbstverteidigung; von einer Vernichtungsabsicht könne keine Rede sein, heißt es in Berlin. Doch aus Brüssel kommen ganz andere Töne.

„Es ist Zeit für Sanktionen gegen Israel, die Bombardierung von Gaza ist unmenschlich“, erklärte Vizepremierministerin Petra De Sutter schon im November. Kurz vor dem Prozess in Den Haag äußerte sich die Grünen-Politikerin noch deutlicher. „Wir müssen gegen die Drohung eines Völkermords vorgehen“, erklärte sie auf der Plattform X. Belgien solle sich Südafrikas Klage vor dem IGH anschließen.

Auf der falschen Seite der Geschichte?

Mit dieser Forderung steht De Sutter in der belgischen Regierung zwar ziemlich allein, wie sie selbst einräumt. Doch ihre Kritik an der israelischen Kriegsführung wird sogar von Premierminister Alexander De Croo geteilt. Bei einem Besuch in Israel, den er im Dezember gemeinsam mit dem damaligen EU-Ratsvorsitzenden, dem Spanier Pedro Sánchez, absolvierte, forderte De Croo mehr Zurückhaltung.

„Keine Tötung von Zivilisten mehr“, mahnte der liberale belgische Politiker bei einem Treffen mit dem israelischen Präsidenten Jitzchak Herzog. Israel müsse das humanitäre Völkerrecht achten und zivile Opfer vermeiden. Das israelische Außenministerium bestellte daraufhin den belgischen Botschafter ein. Dennoch gingen die Proteste gegen Israel in Belgien weiter – sogar auf Regierungsebene.

Neuerdings teilen belgische Politiker sogar gegen Deutschland aus. „Es ist schwer zu begreifen, dass sich Deutschland von dieser israelischen Regierung, die eine schamlose Kolonisierungspolitik betreibt, so vor den Karren spannen lässt“, sagte Entwicklungsministerin Caroline Gennez, die der sozialdemokratischen Partei Vooruit angehört.

Es stelle sich die Frage, ob Deutschland wirklich zwei Mal auf der falschen Seite der Geschichte stehen werde – und ob man in Berlin weiter zusehe, ob es zu einer ethnischen Säuberung komme, so Gennez weiter. Daraufhin sah sich auch der deutsche Botschafter in Belgien genötigt, zu reagieren: „Vergleiche mit der Shoah und dem, was gerade geschieht, passen nicht.“

Damit ist der Streit allerdings nicht beendet. Er dürfte sich sogar noch ausweiten. Denn Deutschland erwägt, sich im Hauptverfahren vor dem IGH einzuschalten – und für Israel Partei zu ergreifen. Damit dürfte der Graben zu Belgien noch größer werden – und das Schweigen des belgischen EU-Vorsitzes noch lauter.

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21 Kommentare

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  • Es ist durchaus kein "Streit zwischen Südafrika und Israel", das verharmlost die tatsächlichen Geschehnisse bis zur Unkenntlichkeit. Es ist nichts weniger als ein Fingerhakeln zwischen den autokratischen Staaten und den demokratischen. Er wird sowohl in der UN - dort ist die Dominanz der Autokraten nahezu vollständig - , wie auch militärisch(Ukraine, Rotes Meer, Israel...) ausgetragen. Wenn also die EU nun auch noch das aggressive Autokratenkartell unterstützen würde, wäre das ein Selbstmord auf Raten.

  • Was ich verstehe ist, dass der Gaza-Krieg sehr schwierige Fragen aufwirft, die einen sehr umtreiben können und wohl auch sollten. Das trifft vielleicht auf viele (oder alle) Kriege und Konflikte zu, aber ich verstehe auch, dass dieser uns besonders beschäftigt - wegen der NS-Vergangenheit, weil kein kleiner Teil unserer Bevölkerung und Mitbürger als Menschen aus diesem Raum (oder mit engen Bezügen) direkt betroffen sind und weil es für viele Menschen in der Welt um wichtige Fragen geht.

    Die Art wie wir damit umgehen, die Absolutheit der Positionen empfinde ich aber als eine tiefe und strukturelle Niederlage unserer Gesellschaften und der liberalen Demokratie. Es gibt eine große Überforderung und Hilflosigkeit und für mehr als Allgemeinplätze oder die Verteufelung einer Seite scheint es keine Ansätze oder Denkmöglichkeiten zu geben. Das mag so korrekt sein, aber dieser Konflikt zeigt dann eben auch die Grenzen unserer Gesellschaftsordnung und ihrer Ideen dahinter auf. (nobody is perfect :-(

    • @Markus Michaelis:

      Völlig richtig. Danke für den Kommentar. Er verhindert dass ich mich noch weiter aufrege.

    • @Markus Michaelis:

      “Die Art wie wir damit umgehen, die Absolutheiten der Positionen emofinde ich aber als tiefe und strukturelle Niederlage unserer Gesellschaften und der liberalen Demokratie.”



      Wieso denn das? Lebt die liberale Demokratie nicht gerade durch diesen politischen Diskurs, den Meinungsstreit?



      Problematisch wird es nur, wenn der demokratische Konsens aufgekündigt wird. Das sehe ich natürlich auch in letzter Zeit immer öfter. Hier in der taz-Kommune sehe ich das aber nicht. Man kann durchaus leidenschaftlich und heftig miteinander streiten, ohne den Respekt voreinander zu verlieren.

  • " Denn die 27 EU-Staaten sind sich wieder einmal nicht einig – dabei wollen sie doch eigentlich das Völkerrecht hochhalten.

    In der Ukraine ist dies gelungen: Die EU unterstützt das Land bei seiner Klage gegen Russland vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Die EU-Justizbehörde Eurojust sammelt sogar Beweise zur Verfolgung der russischer Aggression. Völlig anders ist die Lage im Streit zwischen Südafrika und Israel: Die EU ist tief gespalten und vermeidet es, sich auf eine Seite zu schlagen."

    --> Natürlich ist die Lage im Streit zwischen Südafrika und Israel völlig anders. Die Ausgangssituation ist ja auch vollkommen anders:

    Im Russland-Ukraine-Krieg sind die Rollen Invasor und Opfer klar verteilt. Russland hat die Ukraine angegriffen und ohne formale Kriegserklärung überfallen (bis heute spricht Russland offiziell von einer "militärischen Spezialoperation"). Da war, ist und bleibt es relativ leicht Stellung zugunsten des Überfallenen zu beziehen.

    Ganz anders die Lage in Israel und Gaza: Hier ging die erste Aggression und der Überfall von 07.10.23 vom (vermeintlichen) Opfer, der palästinensischen Autonomieregion Gaza, in Form der Hamas-Schlächter aus. Gleichzeitig mit dem Überfall begannen Raketen-Angriffe aus Gaza nach Israel. Erst dieses Attentat führte zum Angriff Israels auf Gaza.

    Die (vermeintlichen) Täter-Opfer-Rollen sind - jedenfalls auf Staatenebene - nicht so klar verteilt. Klar ist nur, dass jedenfalls die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten Opfer des Kriegs sind. Bei der Täterzuschreibung kann man dagegen deutlich geteilter Auffassung sein.

    Ich persönlich tendiere dazu, Israel als Opfer des Hamas Terrors zu sehen. Man kann hier aber auch durchaus anderer Auffassung sein (wie Belgien scheinbar). Den 07.10.23 aber so auszublenden, wie die südafrikanische Klage dies tut, ist dagegen niederträchtig.

    • @Kriebs:

      Mittlerweile hat sich der belgische Regierungschef jedenfalls von seiner eigenen Ministerin distanziert: www.juedische-allg...igener-ministerin/

      • @Henriette Bimmelbahn:

        Aha, danke für den Hinweis. Ich habe allerdings auch nichts anderes vom belgischen Regierungschef erwartet.



        Wieder ein gescheiterter Versuch, eine antiisraelische (und in diesem Fall zugleich antideutsche) Front in der EU zu konstruieren.

        • @Abdurchdiemitte:

          Ja, wobei ich mir nicht sicher bin, ob sich Alexander De Croo wirklich daran stört, wie Frau Gennez über Israel vom Leder zieht, sonst hätte er auch die Vizepremierministerin Petra De Sutter zurückgepfiffen. Eher war er der Meinung, einen EU-Partner und Nachbarn sollte seine Regierung nicht gar so plump angehen.

  • Völkermord liegt schon dann nicht vor, soweit zivile Opfer in einer militärischen Auseinandersetzung unvetmeidbar sind. Die Bedndigung der militärischen Operation kann nicht verlangt werden. Kriegsverbrechen liegen aber vor, wenn eine kriegführendeParteisich hinter Zivilisten verstecken, wie zB in Tunnelb unter Wohngebieten, mit Raketenrampen in Kindergärten und Stützpunkten in Krankenhäusern. Belgien wäre gut beraten, Klage gegen die Hamas zu erheben mit dem Antrag, diese zu verbieten.

  • Kommentar entfernt. Bitte bleiben Sie beim Thema, danke die Moderation

    • @Kai Zacharias:

      In 1948, the United Nations Genocide Convention defined genocide as any of five "acts committed with intent to destroy, in whole or in part, a national, ethnical, racial or religious group". These five acts were: killing members of the group, causing them serious bodily or mental harm, imposing living conditions intended to destroy the group, preventing births, and forcibly transferring children out of the group. Victims are targeted because of their real or perceived membership of a group, not randomly.[1][2]



      Wikipedia. Auf Englisch da Deutsch normalerweise mangelhaft.

  • Eine Anklage ist noch lange keine Verurteilung. Gerichte sind dazu da, faktenorientiert eine Entscheidung zu treffen.

    Bei einem derart schwerwiegendem Vorwurf kann es nur gut sein, wenn ein Gericht die Faktenlage sichtet und danach urteilt.

    Bei einem Freispruch ist nichts verloren, bei einem Schuldspruch muss sich Israel eben verantworten. Schließlich bleibt beispielsweise eine Vergewaltigung ein Verbrechen, auch wenn Täter mal vergewaltigt wurden. Der Hinweis auf früher erlittenes Unrecht entbindet nicht von Verantwortung für heutiges Handeln. Wir werden sehen, was dabei herrauskommmt.

  • Ich stimme nicht " mit Belgien" überein.



    Belgien kenn ich genug, um festzustellen, daß, wenn überhaupt, solche Bestrebungen aus reinem Kalkül entstehen könnten.



    Kalkül der Parteien eine anwachsen muslimische Wählerschaft 'einzufangen'.



    Mehrheit ist das noch nicht.

  • Solange Deutschland gegen seine eigenen Moral verstößt kann man Deutschland nicht ernst nehmen bei Thema Völkerrecht.

    • @pablo:

      Macht auch niemand mehr.



      Unsere Regierung hat sich in Fragen des Völker- und Menschenrechts so verkommen präsentiert, dass niemand auf der Welt uns hier auf viele Jahre mehr ernst nehmen wird.



      Vor allem das Außenministerium hat immer wieder eine solch beachtliche Doppelmoral an den Tag gelegt, dass Deutschland sein diplomatisches Kapital auf absehbare Zeit komplett verspielt hat.

  • Ich stimme mit Belgien überein: Deutschland ist mit der Unterstützung der rechtslastigen Regierung in Israel definitiv auf der falschen Seite der Geschichte.

    • @Georg Weidekind:

      Moment! Es bleibt Ihnen persönlich ja unbenommen, in dieser Frage die belgische Haltung zu unterstützen … obwohl diese selbst - in Regierungskreisen - keineswegs einheitlich ist. Welche Positionen teilen Sie da also genau?



      Meine Meinung dazu ist, die juristische Beurteilung der Stichhaltigkeit der südafrikanischen Klage erst einmal abzuwarten. Es muss der Beweis erbracht werden, dass eindeutig genozidale Äußerungen einzelner israelischer Regierungsmitglieder - das schätze ich nicht anders ein - und das militärische Vorgehen der israelischen Armee in Gaza derart einem Zusammenhang stehen, dass daraus tatsächlich der Vorwurf eines versuchten Völkermordes an der palästinensischen Bevölkerung abgeleitet werden kann. Diese Beweise sehe ich derzeit nicht.



      Soweit ich das beurteilen kann, stützt sich die Klage Südafrikas aber weitgehend auf solche einzelnen Verlautbarungen israelischer Politiker. So empörend das erscheinen mag, es rechtfertigt m.E. keine Genozid-Anklage gegen Israel vor dem IGH. Aber das können Juristen besser einschätzen.



      Und wenn dem so ist, kann die Position der Bundesregierung nicht kritisiert werden. Sie sollte sich derzeit - angesichts von inzwischen 23.000 Toten in Gaza - allerdings auch nicht in die andere Richtung aus dem Fenster lehnen, um die südafrikanische Initiative zu torpedieren.



      Eine solche Haltung kann natürlich weder notorische Israel-Kritiker und Terror-Relativierer noch diejenigen zufrieden stellen, die Israel jetzt einen „Freifahrtschein“ für tatsächliche Kriegsverbrechen in Gaza (oder die Besatzungspolitik in den Westbanks) erteilen möchten. Dennoch sehe ich aus deutscher Perspektive keine andere Möglichkeit als das zu vertreten, was beispielsweise unsere Außenministerin bisher dazu öffentlich geäußert hat.

    • @Georg Weidekind:

      Uneingeschränkte Solidarität mit Israel. Das ist Staatsräson, und das passiert zurzeit. Bedenkenträger, die ständig „Ja, aber…“ sagen und/oder relativieren, sind in dieser Situation nicht hilfreich. Man sollte Israel einfach mal aufräumen lassen. Die wissen schon, was richtig ist.

  • Vielleicht sollten die verwirrten Geister in der belgischen Regierung seitens der Bundesregierung einfach mal mit Fakten konfrontiert werden.



    Es wird ja schon seit Jahrzehnten von einem angeblichen Völkermord in Gaza erzählt, wobei sich allerdings, die Anzahl der Araber dort, die ja angeblich ausgerottet werden sollen auch nach Abzug von Auswanderung vervielfacht hat. Die angeblichen Mörder zahlen der sogenannten Selbstverwaltung dann oft auch noch die Stromrechnung, während die örtlich herrschende Terrororganisation die Hilfsgelder ja lieber zum Tunnel- und Raketenbau verwendet.



    Wenn Südafrika noch einen alten Deckel mit Israel offen hat aus der Apartheidszeit, muss man auf den Zug ja nicht aufspringen und man muss sich sicher nicht von Belgien beeinflussen und von der Seite anlabern lassen, die finden Faschismus auch in der Form von Islamofaschismus scheinbar gut und haben daraus als Opfer des deutschen Faschismus scheinbar keine Lehre gezogen.

  • Was soll das Ganze? Weder wird sich Israel von einem Schuldspruch beeindrucken lassen, noch wird dies den Palästinensern nützen.

    Ich bestreite gar nicht das Recht der Palästinenser um das Land zu kämpfen. Ohne Terror. In Uniform.

    Aber es ist sinnlos. Sie haben keine Chance. Sie haben keine wirklichen Verbündeten. Es gibt keine Solidarität unter den Arabern.

    Ihre einzige Chance ist, die Realität zu akzeptieren, eine funktionierende Verwaltung aufzubauen, auf Terror und Krieg zu verzichten. Und sich dann in Israel Verbündete zu suchen. Da gibt es nämlich Leute, die durchaus in Frieden mit den Arabern leben wollen.