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Asylverschärfungen und BauernprotesteAuf den Schwachen herumtrampeln

Arme und Asylsuchende zu entrechten, sind nicht allein AfD-Fantasien. Auch andere beteiligen sich längst an diesem Volkssport. Doch es gibt Hoffnung.

Fast täglich protestieren Menschen: hier am 15. Januar in Essen Foto: Kersitn Kokska/Funke Foto Services/imago

A m Mittwoch vor einer Woche schickt mir eine Freundin eine Nachricht mit einem Link: „Was für ein Horror! Hat das auch Auswirkungen auf mich?“ Ohne groß nachzudenken, schreibe ich zurück, die seien doch jetzt entdeckt worden und könnten nichts mehr tun. Der Link führte zu einem Artikel über ein Geheimtreffen von Rechten, die über Massenabschiebungen fantasierten – auch von Menschen mit deutschem Pass, wenn den Rechtsextremen Haut- oder Haarfarbe oder Religion nicht passen.

Nach meiner spontanen Antwort kommen mir Zweifel und ich wundere mich über mich selbst: Bin ich so abgestumpft von allem, was ich über die Jahre an Machtfantasien von Rechten gelesen habe, dass es mich nicht mehr berührt? Oder habe ich einfach ein so großes Vertrauen in die sogenannte wehrhafte Demokratie?

Tatsächlich regt sich in den Tagen darauf der Demos: Fast täglich protestieren Menschen – nicht nur in Berlin, Hamburg oder München, sondern auch in Castrop-Rauxel, Pirna, Stralsund und Rosenheim. Das Motto: „Nie wieder ist jetzt.“ Aber begreifen wir wirklich, was gerade passiert? Und werden wir es verhindern? Ja, Demonstrationen sind wichtig. Sie erzeugen Gemeinschaft und prägen die öffentliche Meinung. Doch werden sie verhindern, dass die AfD bei den Landtageswahlen in diesem Jahr überall stärkste Kraft wird?

Selbst wenn nicht: Ein Teil dessen, was sie will, hat sie schon erreicht. Der Diskurs ist längst nach rechts verschoben. Über Jahrzehnte mühsam errungene Fortschritte werden wieder zurückgebaut. Das sieht man vor allem beim Thema Asyl. Die CDU, die gerade beste Aussichten darauf hat, den nächsten Bundeskanzler zu stellen, will das Recht auf Asyl laut ihrem Grundsatzprogramm praktisch abschaffen.

Man braucht nicht in andere Länder zu schauen

In Großbritannien sind die Planspiele der CDU fast schon Realität. Dort hat am Donnerstag das Unterhaus den Plänen zugestimmt, Asylsuchende, die irregulär eingereist sind, nach Ruanda abzuschieben – egal, welche Nationalität sie besitzen. Das soll vor allem der Abschreckung dienen, überhaupt in Boote Richtung Europa zu steigen. Diese Wirkung ist allerdings mehr Wunsch als erwiesener Fakt. Zudem verstößt das Vorhaben gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und die Anti-Folter-Konvention.

Man muss aber gar nicht in andere Länder oder auf AfD und CDU schauen – auch die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP entrechtet Schutzsuchende zusehends. Am Donnerstag verabschiedete der Bundestag ein Vorhaben mit dem beschönigenden Titel „Rückführungsverbesserungsgesetz“. Verbessert wird allerdings fast nichts, verschärft umso mehr: Unter anderem wird die Abschiebehaft von 10 auf 28 Tage verlängert.

Am Freitag hat der Bundestag dann das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert: Künftig müssen Neu­bür­ge­r*in­nen ihren bisherigen Pass nicht mehr abgeben. Das ist gut. Aber die AfD weiß auch das für sich zu nutzen. Laut Correctiv-Recherche habe sie gar nichts mehr dagegen, denn die neue Regel erleichtert es, Doppelstaatlern den deutschen Pass wegzunehmen. Bei zwei Pässen geht das, bei einem nicht, da es in Deutschland verboten ist, jemanden staatenlos zu machen.

Auch die Rhetorik einiger Mi­nis­te­r*in­nen klingt längst nach AfD. Einen Tiefpunkt bot die Rede von Finanzminister Christian Linder (FDP) am Montag vor protestierenden Bauern: „Es ärgert mich, dass ich vor Ihnen als dem fleißigen Mittelstand über Kürzungen sprechen muss, während auf der anderen Seite in unserem Land Menschen Geld bekommen fürs Nichtstun. Deshalb kürzen wir die Leistungen für Asylbewerber, deshalb sparen wir eine Milliarde Euro beim Bürgergeld.“

Lindner trampelt beim Bauernprotest herum

Lindner lenkte damit vom Thema ab, trampelte auf den Schwachen herum – und versuchte, Menschen gegeneinander auszuspielen. Nebenbei: Die Einsparung von einer Milliarde Euro ist gar nicht sicher: Zum einen müssten erst einmal so viele Bür­ger­geld­berechtigte gefunden werden, die „zumutbare“ Jobs überhaupt ablehnen. Zum anderen kann das Bundesverfassungsgericht noch alles kippen.

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Johanna Treblin
Redakteurin taz.eins und Themenchefin
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20 Kommentare

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  • @AXEL SCHÄFER

    Stimmt, der hat mal einen Startup (Moomax) mitversenkt, in dessen Bauch 1.2M von der KfW drin waren...

  • "Nach meiner spontanen Antwort kommen mir Zweifel und ich wundere mich über mich selbst: Bin ich so abgestumpft von allem, was ich über die Jahre an Machtfantasien von Rechten gelesen habe, dass es mich nicht mehr berührt? Oder habe ich einfach ein so großes Vertrauen in die sogenannte wehrhafte Demokratie?"

    Danke! Ich habe lange drauf gewartet, solche reflektierten Sätze zu lesen!

  • C. Lindner:



    „Es ärgert mich, dass ich vor Ihnen als dem fleißigen Mittelstand über Kürzungen sprechen muss, während auf der anderen Seite in unserem Land Menschen Geld bekommen fürs Nichtstun. Deshalb kürzen wir die Leistungen für Asylbewerber, deshalb sparen wir eine Milliarde Euro beim Bürgergeld.“

    Zum Teufel nochmal.

    Was Lindner da zur Einsparung beim Bürgergeld äußert, ist meinem Wissen nach FALSCH. Ich beziehe mich auf den Artikel:

    Stefan Sell,



    *Zahlen bitte! Sanktionen im Hartz IV- bzw. im Bürgergeld-System. Und potemkinsche „Einsparungen“ mit den geplanten Verschärfungen der Sanktionen im SGB II / 3. Januar 2024*







    Link: aktuelle-sozialpol...-und-einsparungen/

    „Die Milliarde“ (und weitere in ff. Jahren) wird nach meinem Verständnis des Artikels nämlich nicht beim Bürgergeld eingespart. Das nämlich speist sich aus Steuergeldern, die populär wirksam der „hart arbeitenden Mitte“ irgendwie zurückgegeben werden sollen. Die kommt aus den Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit, die sie aus den BEITRÄGEN DER ARBEITSLOSENVERSICHERUNG bildet. DAS sind. Das sind keine Steuern, das sind die Sozialbeiträge, welche von den Arbeitnehmern u. den Arbeitgebern gebildet werden. Und die werden fehlen.



    Entsprechend war der Unmut bei den Gewerkschaften groß. Wieso werden Sozialversicherungsbeiträge zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet?

    Und die Verschärfung der Sanktionen? Stefan Sell im genannten Artikel kommt nach ausführlicher, sorgfältiger Analyse zu dem Fazit:

    „Nun könnte man zynisch argumentieren, dass von den Produzenten dieses Regelwerks gar nicht an eine reale Umsetzung gedacht ist, sondern dass die theoretische Möglichkeit als Antwort auf die aufgeheizte Debatte der vergangenen Monaten zu verstehen ist, gleichsam eine primär polit-psychologisch motivierte symbolische Gesetzgebung.“

    Lesen sie selbst…und bleiben sie stark!

  • Danke für diesen Artikel. Nur das mit der Hoffnung hab ich dann irgendwie nicht gefunden, hätte mich auch gewundert. Wenn einer weg ist, ist er weg. Ob ausser Landes oder irgendwo auf der Strasse.

  • So einfach ist das alles nicht.



    Der Afd den Nährboden entziehen geht nur, wenn a) nicht mehr hunderttausende auf die Tafeln angewiesen sind b) genügend bezahlbarer Wohnraum für finanzschwache vorhanden ist und c) die explodierenden Flüchtlingszahlen nicht deutlich zurückgehen. Denn das ist es, was der Afd die hohen Zahlen beschert: Armut, drohende Armut, Zukunftsangst, Verteilungsängste.

    • @Krumbeere:

      Also c) können Sie Knicken.

      Die Boomergeneration der reichsten Länder hat die Welt in Brand gesetzt, und jetzt verlangen die Klimaverbrecher, dass die Klimaopfer stillschweigend sterben?

      Won't happen.

      • @Ajuga:

        Was hat die Flüchtlingswelle mit dem Klima zu tun? Nichts! Krieg in der Ukraine, Krieg in Syrien, Taliban in Afghanistan usw. usw..



        Das könnte viell. in 20 Jahren ein Thema werden. Und warum wird immer auf der Boomergeneration rumgehackt? Unser Wohlstand ist das Ergebnis der Arbeit, die diese Generation geleistet hat -auch ihr Wohlstand! Diese Generatiom hat brav geschuftet -Für globale Fehlentscheidungen können sie nichts.

  • 4G
    42798 (Profil gelöscht)

    Dieser Kommentar trifft den Kern, alle die jetzt aufstehen sind wichtig, aber eines muss auch klar sein, solange die wachsende wirtschaftliche und soziale Ungleichheit, die das Gleichheitsversprechen der Demokratie aushöhlt und damit das soziale Fundament zerstört, kein Ende findet, werden den Faschisten auch weiterhin Tür u. Tor offen stehen. Das Prinzip "Spalte" und Herrsche muss als Teil der neoliberalen Agenda endlich ein Ende finden...

    „Die jüngste Zunahme der Ungleichheit war kein unsozialer Kollateralschaden der Globalisierung und auch kein politischer Betriebsunfall, sondern wurde bewusst herbeigeführt." Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge

    Empfehlung: „Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“

    • @42798 (Profil gelöscht):

      Ich stimme ganz und gar zu!

    • @42798 (Profil gelöscht):

      Der Neoliberalismus ist schon dabei, seinen letzten Raubzug im Faschismus zu beenden.

      • @Prayn:

        Das ist in der Tat eine große Gefahr.

        Und dann würde sich wirklich die Geschichte wiederholen.

        Und all die grimmigen Postmarxisten hätten Recht gehabt mit ihrer Analyse.

        Alfred Andersch hat geschrieben: Der Marxismus ist großartig in der Analyse, nicht in der Aktion.

        Es ist endlich Zeit für Action. Schluss damit, wie das Kaninchen vor der faschistischen Schlange zu sitzen.

  • Ganz und gar nicht spaßig, was da die Regierung beschlossen und Ian da in seiner Rede verteidigt hat. Aber als Partei der Reichen hat die Spaßpartei natürlich kein Interesse daran, von denen Geld zu nehmen, die davon mehr als genug besitzen. Auf die Art wird weiter Axt an den bereits wackelnden gesellschaftlichen Grundsätzen gelegt und das Gegeneinander weitet befördert. Danke für nichts!

  • Ein guter Kommentar.



    AFD bekämpfen geht nur über Existenzängste nehmen und soziale Gerechtigkeit herstellen.



    zB: klimageld jetzt!

  • Genau. Die Tatsache, dass die SPD Führung und ihr Kanzler (gedultet von Grünen aus Koalitionsräson) immer und immer wieder vor den rechten Vorderungen der fdpcduafd einknickt, ist der Grund für solche Frustration und Lethargie bei vielen guten Menschen.

    • @So,so:

      Das ist -leider- absolut zutreffend. Eine erschreckende Erkenntnis. Dieses Verhalten zeigt einmal mehr um was es geht: um Macht. Sonst nix. Maßlos enttäuscht bin ich von SPD und Grünen - die sich nahezu alles bieten lassen, angeblich aus Koalitionsräson, staatstragend. Welch ein Hohn...

    • @So,so:

      Aber wieviele von denen wählen AfD?

  • In Bremen demonstrierten 45 000, sehr gut angesichts des Erfolges der AFD. ich denke auch, die Mehrheit demonstrierte gegen den virulenten Rassismus. Dass aber führende Politiker der sog. demokratischen Parteien die Proteste begrüßten, zeigt durchweg ihre Bigotterie. Denn ihre neuerliche Asylrechtsverschärfung, die auch von den Grünen mitgetragen wird, wodurch anders als durch Rassismus ist sie denn geprägt. Dass die AFD die anderen Parteien derart vor sich hertreibt, ist in der Tat eine Schande für unser Land.

  • So ist es. Der sogenannte [1] Sozialdarwinismus ist der Knotenpunkt zwischen faschistoid und neoliberal.

    Das Schema immer dasselbe: man suche sich eine schwache Gruppe aus (von Vorteil, wenn sie -- echte oder vermeintliche -- erkennbare äussere Merkmale trägt), sagt: "die sind Schuld!" und wendet "wohltemperierte Grausamkeit" an. Wenn keine Verbesserung eintritt (weil die Ursachen der Malesche eben andere sind), dann ist halt die nächste vulnerable Gruppe dran.

    Darin unterscheiden sich ein Lindner und ein Höcke nicht sehr.

    [1] Sogenannt, weil das mit Darwins Lehren nicht viel zu tun hat. Die Bezeichnung hat sich nun mal durchgesetzt.

    • @tomás zerolo:

      Hat Lindner die im Rahmen seiner "unternehmerischen" Tätigkeit verpulverten Staatsgelder eigentlich schon zurückgezahlt?