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Opposition gegen Putin„Morgendämmerung“ für Russland

Jekaterina Dunzowa wollte als Kandidatin gegen Präsident Putin antreten und wurde nicht einmal registriert. Jetzt hat sie eine Partei gegründet.

27. Dezember: Jekaterina Dunzowa spricht mit der Presse, nachdem ihre Kandidatur von der Wahlkommission abgelehnt wurde Foto: Dmitry Serebryakov/ap/dpa

Moskau taz | „Warum?“ Warum nur tue sie sich das an, wenn doch eh allen klar sei, wer der nächste Präsident in Russland sein werde. Es ist die erste Frage, die Jekaterina Dunzowa gestellt wird, seit sie im November ihre Kandidatur als neue Präsidentin Russlands angekündigt hatte. Seit sie, die völlig Unbekannte, hervorgetreten ist, um die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen, mit einem Charme, den sie selbst offenbar noch finden muss.

Ihre Antwort: Es müsse sich etwas ändern in Russland. Sie wolle „positive Botschaften“ verbreiten, wie sie sagt. Trete für „Frieden, Liebe, Freundschaft“ an. Das System brauche eine echte Alternative, davon ist sie überzeugt. Ein System, das einiges dafür tut, dass sie diese Alternative erst gar nicht sein darf.

Am Wochenende hatte Dunzowa ihre eigene Partei gegründet. „Morgendämmerung“ soll sie heißen, ihr Ziel: „Menschen an die Macht zu bringen, die in der Zukunft leben, nicht in der Vergangenheit, in einem sicheren Land, in dem das Wohlergehen aller und nicht die Bereicherung Auserwählter im Vordergrund steht“, heißt es im Dokument. Am Abend nach dem Treffen führte die Polizei sie ab: Drogenkontrolle. „Ich hoffe, das war nur ein Missverständnis“, schrieb sie nach ihrer Freilassung.

Sie kennt die Nadelstiche des Systems: Kaum hatte sie von ihren Plänen zur Wahl gesprochen, lud die Staatsan­waltschaft sie zu „Gesprächen“ ein, wollte offenbar ihre Meinung zu „Aktivitäten der russischen Armee in der Ukraine“ hören.

Jedes ihrer Interviews macht ihre Vorsicht deutlich

Beim ersten Treffen mit Dunzowas Un­ter­stüt­ze­r*in­nen in Moskau ging das Licht in der Halle aus. Eine Diskreditierungskampagne rollte an. Die 40-Jährige sei eine Marionette des früheren Ölmagnaten Michail Chodorkowski, hieß es in einigen Telegram-Kanälen. Die Zentrale Wahlkommission registrierte sie erst gar nicht als Kandidatin – wegen angeblicher „schwerer Fehler“ in den Unterlagen. Es ist ein übliches Vorgehen, um Oppositionelle von Wahlen auszuschließen. „So funktioniert es in unserem Land“, sagte Dunzowa und wischte die Einschüchterungsversuche als „Normalität“ beiseite.

Sie weiß, auf welchem politischen Feld sie sich bewegt. Jedes ihrer Interviews, das sie vor allem unabhängigen Jour­na­lis­t*in­nen im In- und Ausland gibt, macht ihre Vorsicht deutlich. Dunzowa wirkt nervös, sie eiert herum, umgeht Themen mit einem schüchternen Lächeln und nimmt schon gar nicht das Wort „Krieg“ in den Mund. Sie spricht – gesetzeskonform – von „militärischer Spezialoperation“ und tritt, wie sie sagt, für eine „Agenda des Friedens“ an.

Die 40-Jährige ist Anwältin, sie weiß – wie jede und jeder im Russland von heute –, wohin ihr Weg führen dürfte, wenn sie allzu deutlich und allzu laut das bestehende Regime kritisieren würde, gegen das sie anzutreten bereit ist. Die Gesetze machen es leicht, wegen sogenannter Diskreditierung der russischen Armee belangt zu werden. Sie habe Angst, natürlich, wer bitte habe sie nicht in Russland? Den Mut hat sie nach den Entmutigungsversuchen des Regimes nicht verloren. Sie scheinen sie erst recht in die Politik zu ziehen.

Sie wolle mit dem Frauenthema punkten. „Frauen stehen für Sanftheit, Güte, Friedfertigkeit.“ Damit bedient auch sie patriarchale Ansichten im Land. Müde seien die Menschen von dem, was vor sich gehe. Der „Konflikt“ in der Ukraine müsse mit Verhandlungen gelöst werden. Was sie verhandeln würde, wie und wo, sagt sie nicht. „Alles ist traurig. Jemand muss die Verantwortung übernehmen und losziehen.“

Gegen die Angst – und gegen die Wahrscheinlichkeit

Jekaterina Dunzowa zieht los. Sie gründete eine Initiativgruppe, wollte Unterschriften sammeln für ihre Kandidatur, von der die Behörden sie abhielten. Nun will sie mit ihrer Partei „Morgendämmerung“ etwas bewirken, spricht sich für die Freilassung politischer Gefangener aus, will sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen. Sie sieht sich als „Hoffnungsträgerin“ und war sich von Anfang an bewusst, dass „diese Nummer“ alles übertreffe, was sie bisher gemacht habe.

Dunzowa ist 1983 in Sibirien geboren, war als Jugendliche nach Rschew gezogen, eine Kleinstadt knapp 200 Kilometer nordwestlich von Moskau. Nach ihrem Jurastudium und ihrer Ausbildung zur Fernsehjournalistin war sie Stadtparlamentsabgeordnete von Rschew. Dass direkte Bürgermeisterwahlen abgeschafft worden waren, hatte die Mutter von zwei Töchtern (heute 19 und 16 Jahre) und einem Sohn (10) gewurmt, deshalb sei sie in die Politik gegangen. Sie habe sich in ihrer Stadt als Aktivistin für verschwundene Kinder und Erwachsene betätigt, habe sich stets für die Allgemeinheit engagiert, erzählt sie in den Interviews. Jetzt wolle sie weitergehen.

„Du kannst es, Katja!“, hätten ihr die Verwandten und Freunde in Rschew gesagt. Und „Katja“ – es ist die Kurzform von Jekaterina – versucht es. Gegen das Regime. Gegen ihre eigene Angst. Gegen jede Wahrscheinlichkeit.

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10 Kommentare

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  • Demokratie a la Putin.

  • Auch wenn viele Deutsche gerne es anders hätten, der Putinismus wird nicht von Aktivisten in Russland zu Fall gebracht werden sondern nur wenn er auf dem Schlachtfeld scheitert. Putin ist ein Gewaltmensch, scheitert er mit Gewalt untergräbt das seine Macht dauerhaft.

    • @Machiavelli:

      Auch wenn viele glauben möchten, dass man Putin auf dem Schlachtfeld schlagen könnte, so ist die Annahme naiv.



      Die USA hatten 2002 ihre Sicherheitsdoktrin überarbeitet und fahren seitdem einen Kurs der Stärke gegenüber Russland. Können Sie mit bitte Beispiele aus den letzten 20 Jahren nennen inwieweit Putin sich dadurch einschüchtern lassen hat? Wenn man eines gelernt haben sollte ist, dass wenn man Putin versucht in die Ecke zu drängen das Gegenteil passiert. Erinnern Sie sich noch daran was aus prigoschin passiert ist? Der dachte auch ersthaft, dass er Putin mit Stärke einschüchtern konnte.



      Die bittere Wahrheit ist, dass gegenüber Putin nur eine Mischung aus Diplomatie und Stärke hilft, auch wenn das vielen Menschen zu kompliziert erscheinen mag.



      Wahrscheinlich muss der Krieg leider noch länger dauern, damit diese Erkenntnis reifen kann.

      • @Alexander Schulz:

        "Die USA hatten 2002 ihre Sicherheitsdoktrin überarbeitet und fahren seitdem einen Kurs der Stärke gegenüber Russland."



        Das stimmt überhaupt nicht, die USA haben Russland in Tschetschenien machen lassen, ansonsten haben sich die USA gar nicht groß für Russland interesiert. Man wollte Georgien und Ukraine in die NATO holen weil man mehr Manpower im Krieg gegen den Terror brauchte, das hatte null mit Russland zu tun. Man hat einen winzigen Raketenschirm in Europa aufgebaut gegen Nordkorea und Iran, der noch nichtmal 1% aller russischen Atomraketen abfangen könnte.



        Man hat massiv konventionelle Streitkräfte abgebaut, die man aber bräuchte würde man Russland mit Stärke begegnen wollen.

        Man hat Russland mit ein paar Sanktiönchen bestraft nachdem es die Krim und Ostukraine besetzt hat und man hat Russland zusammen mit Assad Syrien schlachten lassen.



        Wo war da die Stärke?

        "Erinnern Sie sich noch daran was aus prigoschin passiert ist? Der dachte auch ersthaft, dass er Putin mit Stärke einschüchtern konnte." An Prigozhin sehen sie was Verträge mit Putin wert sind.

        Es gab nie eine Politik der Stärke stattdessen ist die Politik der Schwäche gescheitert. Man war seit dem zweiten Tschetschenienkrieg, den ganze Morden an Oppositionsfiguren viel zu weich gegenüber Russland, Nordstream 2 zu bauen nachdem Russland in der Ukraine 2x einmarschiert war war eine Einladung an Putin es auch ein drittes Mal zu tun.

        • @Machiavelli:

          Auch wenn ich dem nicht zustimmen kann, finde ich das Argument, dass Sie für eine NATO - Osterweiterung inkl Ukraine und Georgien haben zumindestens abwechslungsreich - das ist wirklich kreativ.



          Der Westen hat sich bzgl Tschetschenien zurückhaltend verhalten, da es trotz aller Verbrechen um eine innere Angelegenheit handelt.



          Wenn Sie die These vertreten, dass man gegenüber Russland eine Politik der Schwäche betrieben hat haben Sie dann Beispiele bei welchen russischen (teilweise absurden) Forderungen nachgegeben würde?



          Bei den großen Themen der letzten 20 Jahre wie zb Irak-Krieg, Lybienkrieg, Syrien-Krieg, Abrüstungsverträgen und NATO wurden doch jegliche Forderung abgelehnt. Da hatte man sich zb unter Reagan gegenüber der Sowjetunion, trotz dem Afghanistan-Krieg, zb viel kooperativer verhalten. Trotzdem würde ich nicht behaupten, dass unter Reagan eine Politik der Schwäche betrieben wurde.

  • Ob Feigenblatt oder Ölbaumzweig- Putin wird anders scheitern.

    • @So,so:

      "Putin wird anders scheitern."



      Das Absägen einer Provinzjournalistin schon im Vorfeld der Wahl sehe ich durchaus als eine Dimension des Scheiterns.



      Nach ihrer Registrierung hätte Frau Duntsowa als unabhängige (parteilose) Kandidatin eine defacto unlösbare Aufgabe erfüllen müssen, nämlich binnen kurzer Frist 300.000 notariell beglaubigte Unterstützerunterschriften zu sammeln, und das landesweit, nach einem stark bürokratisierten Quorensystem.



      Das Ergebnis dieses Vorgangs kann die Wahlkommission sehr einfach manipulieren: man erklärt eine ausreichend große Anzahl von Unterschriften als gefälscht oder "zweifelhaft" und kann die Kandidatin "leider" nicht zulassen.



      Jedoch hatte Putin wohl bereits vor dem Vorgang des öffentlichen Unterschriftensammelns Angst, vor den Mobilisierungs- und Vernetzungseffekten, die das auslösen könnte. Putin hat aus dem belarusischen Präsidentschaftswahlkampf 2020 gelernt.



      www.youtube.com/watch?v=YkD0uYM8kvk

  • Alles Gute für diese Mission Katja!

  • Eine mutige Frau. Meine Hochachtung!

  • Viel Glück für diese Kandidatur ! 😁