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OvertourismProblem beginnt vor dem Eimersaufen

Overtourism wird auf Tourismusmessen und im EU-Parlament diskutiert. Dabei geht es um mehr als die Begrenzung der Zahl von Ur­lau­be­r:in­nen.

Teile der Inkastadt Machu Picchu wurden wegen des Massenandrangs vorübergehend für den Tourismus gesperrt Foto: Enrique Castro-Mendivil/reuters

Ende September traf es auch Machu Picchu: Teile der historischen Inkastadt wurden vorübergehend für den Tourismus gesperrt. Der Massenandrang habe zu irreparablen Schäden und Erosion an einigen Steinstrukturen geführt. Machu Picchu gilt als Bilderbuchbeispiel für Overtourism: Fanden sich in den 1980ern dort noch rund 100.000 Menschen im Jahr ein, ist ihre Zahl mittlerweile auf etwa 1,5 Millionen angewachsen. Die Besuchsobergrenzen, die maßgeblich erst auf Druck der Unesco zustande kamen, gelten als zu lasch, derzeit wird gar ein neuer Flughafen nahe der Stätte gebaut. Die finanzielle Abhängigkeit bleibt enorm, 90 Prozent der peruanischen Tourismuseinnahmen kommen von hier.

Machu Picchu ist ein Extrembeispiel für Missmanagement, aber in seinem Dilemma nicht allein. Das Thema Overtourism hat es auf die Agenda geschafft, von Tourismusmessen bis zum EU-Parlament. Ging es lange darum, immer mehr Menschen anzuziehen, ergreifen nun weltweit Destinationen Maßnahmen, um Tourismus zu steuern. Was verändern sie?

Laut World Tourism Organization (UNWTO) hat sich der internationale Tourismus von rund 25 Millionen Ankünften im Jahr 1950 auf rund 1,461 Milliarden im Jahr 2019 vervielfacht. Und nach kurzer Coronadelle war man 2022 schon zurück bei fast 1 Milliarde. In einer vom EU-Parlament beauftragten Fallstudie von 2018 werden 105 Destinationen weltweit als von Overtourism betroffen bezeichnet, die meisten in Europa und Südostasien, keine in Afrika. Als Risikofaktoren stehen dort unter anderem hohe Übernachtungszahlen, hohe Tourismusdichte, Nähe zu Kreuzfahrthäfen und unreguliertes Airbnb. Doch eine allgemeingültige Definition zu Overtourism gibt es bisher nicht. Für viele beginnt er dann, wenn Einheimische oder Tou­ris­t:in­nen massiv gestört oder Kapazitätsgrenzen erreicht sind.

Der Medienhype um Overtourism entstand aus den tourismuskritischen Protesten in Venedig, Barcelona oder Amsterdam seit Mitte der 2010er Jahre, mithin der europäischen Debatte über Billigflüge, Partytourismus, den explodierenden Mietenmarkt und Gentrifizierung. Entgegen dem öffentlichen Eindruck aber liegen die Top 5 der überlaufenen Ziele alle außerhalb Europas. In der thailändischen Stadt Phuket kommen absurde 118,5 Tou­ris­t:in­nen auf eineN EinheimischeN.

Es geht auch um das Wie

Eine Studie der Tou­ris­mus­for­sche­r:in­nen Andreas Kagermeier und Eva Erdmenger von 2019 kommt derweil zu dem Schluss, dass Overtourism nicht unbedingt mit der Zahl der Be­su­che­r:in­nen zu tun habe. So habe München eine vergleichbare Tourismusintensität wie Barcelona, aber die Be­woh­ne­r:in­nen nähmen Tourismus viel positiver wahr. Die For­sche­r:in­nen mutmaßen: Weil der Tourismus moderat statt sprunghaft gewachsen sei, weil es viele Rückzugsorte für Einheimische gebe, weil Partytourismus kaum existiere, weil viele Münch­ne­r:in­nen profitierten und die Klientel – bürgerliche Gut­ver­die­ne­r:in­nen – der einheimischen Bevölkerung ähnlich sei. Es kommt also auch auf das Wie an.

Bei den neuen Maßnahmen gegen Overtourism geht es daher nicht unbedingt darum, Tourismus zu reduzieren. Die UNWTO rät in einem Report von 2018 vor allem zu klügerer Verteilung: mehr Attraktionen am Stadtrand, Promotion der Nebensaison, bessere Infrastruktur, mehr Regulation von Hotels und privaten Vermietungen. Die Niederlande etwa bewerben jetzt gezielt Destinationen jenseits von Amsterdam, haben die Übernachtungszahlen in der Hauptstadt gedeckelt, die Regeln für Airbnb drastisch verschärft und möchten Be­su­che­r:in­nen stärker über das Jahr verteilen.

Viele Sehenswürdigkeiten arbeiten nun mit Zeitplänen, um Gäste effizienter zu verteilen; am Tadsch Mahal etwa darf man sich seit 2019 nur noch drei Stunden aufhalten. Und Partyziele wie Mallorca bemühen sich um weniger nervende Kundschaft, mithilfe von hohen Geldstrafen gegen öffentliches Saufen, einer neuen App, die vor überfüllten Orten warnt, oder einer Übernachtungssteuer für Tourist:innen, die unter anderem in Umweltprojekte fließen soll – und Bür­ge­r:in­nen zugutekommen soll.

Orte, die wirklich Degrowth praktizieren möchten, gibt es dagegen wenige. Die thailändische Maya Bay, berühmt aus dem Film „The Beach“, war von August bis Ende September 2023 gesperrt. Schon ab 2018 blieb der Strand dreieinhalb Jahre geschlossen, weil die täglich 5.000 Tou­ris­t:in­nen das Ökosystem stark geschädigt und die Korallenriffe fast völlig zerstört hatten. Die Schließung der Maya Bay war eine Erfolgsgeschichte, Tiere und Korallen kehrten zurück. Nun sollen sie besser geschützt werden: Boote, Schwimmen und Schnorcheln sind verboten, es gibt Besuchsobergrenzen, Zeitfenster und Geldstrafen für Fehlverhalten. Jährlich sind Sperrungen zur Regeneration geplant.

Kapitalistische Wirtschaft entlohnt für Wachstum statt Nachhaltigkeit und Lebens­qualität

Dilemma der Maßnahmen

Die Widerstände gegen solche Schutzzonen aber sind oft groß; im Fall der indonesischen Insel Komodo scheiterten ähnliche Pläne an Streiks der Tourismusbranche. Auch viele Kreuzfahrthäfen haben Obergrenzen eingeführt, sanfter Tourismus aber ist das nicht: In Dubrovnik ergießen sich weiter bis zu 5.000 Kreuzfahrtpassagiere pro Tag in eine Stadt mit 40.000 Einwohner:innen.

Die Overtourism-Maßnahmen haben ein Dilemma: Sie entzerren zwar, aber meist sollen die Besuchszahlen so hoch bleiben wie irgendwie verkraftbar, weil die kapitalistische Wirtschaft für Wachstum statt für Nachhaltigkeit und Lebensqualität entlohnt. Es fehlen neue Belohnungssysteme.

Außerdem umfasst die Berichterstattung über Overtourism meist nur die immer gleiche Spitze des Eisbergs. Denn die Mehrheit touristischer Orte leidet unter stilleren Folgen als Eimersaufen und verstopften Straßen: Umweltzerstörung, Preisinflation, prekäre Arbeitsverhältnisse, extreme finanzielle Abhängigkeit gerade im Globalen Süden, fehlende demokratische Beteiligung der Lokalbevölkerung, Prostitution, Drogenhandel. Negative Effekte beginnen, bevor überhaupt von Massentourismus die Rede ist. Wer durch ein beliebiges Mittelmeerstädtchen spaziert, fühlt sich oft wie im Open-Air-Museum: Souvenirläden, überteuerte Restaurants, pittoreske Gassen mit Ferienwohnungen – und im Winter gähnende Leere. Für viele Einheimische unbewohnbar, ganz ohne „Overtourism“.

Was die aktuellen Maßnahmen bewirken, ist oft noch unklar, weil viele erst in den letzten Jahren eingeführt wurden und es an Daten fehlt. Die vom EU-Parlament in Auftrag gegebene Fallstudie zu 41 Beispielen weltweit stellt fest: „Obwohl an den Destinationen eine Reihe von Maßnahmen eingeführt worden sind, wird keine davon überwacht oder ausgewertet, was es unmöglich macht, die Effekte und Kosten solcher Maßnahmen zu beziffern.“

Staunen nur für Reiche

Allerdings führt die Untersuchung etwa Stockholm, Riga, Vilnius und Kopenhagen als Best Practice auf. Kopenhagen beispielsweise verteilt Tou­ris­t:in­nen klüger durch die Stadt, hat in einigen Vierteln die Eröffnung neuer Restaurants verboten, hat Ruhezonen für Einheimische eingerichtet und fördert viel Nachhaltigkeit im Tourismus. Reicht das?

Der kroatische Ökonom Nebojša Stojčić hat Maßnahmen in Dubrovnik analysiert, wo unter anderem Kreuzfahrtschiffe und Reisebusse limitiert wurden. Es gebe jetzt eine gleichmäßigere Belastung der Altstadt, sagte er der Zeitung Die Welt. Das sei aber keine langfristige Lösung. „Am Ende werden wir nicht um Degrowth herumkommen.“

Auch in der aktuellen Ökonomie ist ein wahrhaft sanfter Tourismus möglich – doch nur mit extremen Maßnahmen. Der Himalayastaat Bhutan, der aufs Bruttonationalglück statt aufs BIP setzt, hat einen Weg gefunden: Wer nach Bhutan reist, muss für die Hälfte der Nächte eine Nachhaltigkeitssteuer von 200 US-Dollar pro Nacht zahlen. Erlaubt sind nur organisierte Reisen mit registrierten Unternehmen, und Bergsteigen ist seit 2003 gänzlich verboten. „High value, low impact“ heißt das Konzept, bei dem sehr wenige Tou­ris­t:in­nen enorm viel Geld in nachhaltige Projekte spülen. Der Preis: Staunen über Bhutan ist nur Reichen möglich.

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16 Kommentare

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  • Vor fast 20 Jahren war ich in Europa als Tramper unterwegs. Gute Erfahrungen und die Entdeckung schöner und "authentischer" Orte.Diese Orte würde ich heute nicht mehr wiedererkennen. Letztes Jahr war ich in Zenrtalandalusien in einem Naturpark. Nur mit einer gebuchten Tour kommt ins Innere. Der Tourguides - ein sehr kompetenter Mensch - brachte uns "zum Selfie Hotspot" da wollen alle hin. So ist das eben heute. In der Nähe ist eine Kleinstadt, die ich vor 40 Jahren besuchte, da war sie bettelarm und ziemlich runtergekommen, Heute ist sie das Zentrum der Tourismusindustrie, schön restauriert und mit guter Infrastruktur.Der Schutz der Natur wird auch äußerst ernst genommen. Es gibt gute Möglichkeiten den Planeten "reisenswert" zu halten ohne ihn kaputt zu machen. Im Gegenteil man kann damit das Leben der Menschen vor Ort wesentlich verbessern.

  • Bhutan nur noch für Reiche!



    Jeglicher Auslandsurlaub ist bei globaler Betrachtung allein etwas für Reiche. Zeigt, wie verschoben unsere Wahrnehmung ist in diesem Land; 'Reich, das sind immer nur die Anderen'. Schon klar.

  • Soso, kein Partytourismus in München. Oder er wird einfach nicht als solcher wahrgenommen. Oktoberfest gibt es halt schon lange und das Saufen aus 1l-Eimern mit Henkel praktizieren ja auch die Einheimischen.



    Alles eine Frage der Perspektive.

  • Selbst wenn der Macchu Pichu einstürzt wegen Erosion wegen den ganzen Besucherströmen: Nach 5 Jahren werden die Ruinen niedergetrampelt. Und die Leichen der Verschütteten, sofern sie noch dort liegen. Zu teuren Preisen.

    Die zerstörte Buddha-Statue in Afghanistan ist auch ein Hotspot. Reguliert von den Taliban. Ein Stolz des Terrorregimes.

  • "Staunen über Bhutan ist nur noch Reichen möglich"

    Das war doch immer schon so. Es wurde nur die Grenze des benötigten Reichtums verschoben. Aber arme Menschen machen keinen Urlaub außerhalb des eigenen Landes.



    Und nur weil ein paar Jahrzehnte versucht wurde, Fliegen zu einem billigen Alltagsvergnügen zu machen, ist es noch lange kein Menschenrecht.



    Ja, ich würde mir Machu Pichu auch gerne mal ansehen. Aber nicht zu dem Preis, den dieses Kulturerbe dafür zu zahlen hat.

    • @Herma Huhn:

      So lange ein Flug nach Malle billiger ist als ein Kilo verantwortbares Fleisch, ist die Welt zum großen Teil gesellschaftsunverträglich.

      • @Erfahrungssammler:

        Das ist nicht mehr so. Die Preise verändern sich langsam aber sicher. Das ist auch gut so.



        Konsequenz: Die, die s sich leisten können, fliegen trotzdem. Es trifft mal wieder die, die sowieso unzufrieden mit allem sind.

  • Die Tourismus Steuer auf Mallorca ist ein Witz. Je mehr Sterne das Hotel, desto höher die Steuer. Der Party- und Sauftourismus findet in den billigen Hotels statt. Hier müsste die Steuer viel höher sein.

  • Degrowth ist mal wieder ein Konzept, das nur dem Wunschdenken akademischer Denkstuben entspricht, aber an der Realität vorbei geht. Es wird isoliert nicht funktionieren. Die Betonung liegt auf "isoliert". Erst wenn touristisches Abrüsten mit Gratifikationen aufgeladen werden, die Gewinn und nicht Verlust versprechen, wird ein Umdenken stattfinden. In der Psychologie nennt man das positives Ausblenden.

    Besonders Bürgermeister müssen überzeugt werden, Der Teufelskreis von immer mehr kann nur durchbrochen werden, wenn man ihnen klarmacht, dass einzelne Touristen mehr Geld im Ort lassen als viele Bus- und andere Massentouristen, für die Busparkplätze und anderweitige Infrastruktur geschaffen werden muss. Dass diese einzelnen Touristen länger bleiben und ihr Geld nicht in der großen Kreisstadt lassen und allenfalls dort für einen Tag Bustourist sind, der nur 2,50 Euro Umsatz bringt. Also klassisches Weniger ist mehr.

    • @rakader:

      Florenz: Dort kosten Einfahrtgenehmiungen für Reisebusse grob zwischen 300 und 700€. Lass das mal ein bis zwei Jahre durchlaufen und die Infrastruktur ist bereits mehr als finanziert. Alleine zwei bis drei Busse reichen aus, um den Tageslohn dortiger Parkplatzarbeiter zu sichern.

      Werden einzelne Touristen diese Geldmenge aufbringen? Oder gar mehr? Leider nein, selbst wenn diese mit 200€ pro Tag mehr belastet werden und es denen nichts ausmacht.

  • Der weltweite Wohlstand wächst rasant und dort wo früher Armut und Not herrschten kann man sich auf einmal Reisen leisten. Reduzierung muss sein, über den Preis. Weniger Betten, und Steuern hoch, dann wird es so teuer dass es sich nicht mehr jeder leisten will.

    • @Wombat:

      Befürworte ich. Nur ist Deutschland aussen vor, weil ein Urlaub hier generell ziemlich kostspielig ist. Für andere Länder wäre das allerdings ein Segen, wenn ich da an vollkommen überlaufene Städte wie Florenz oder Venedig denke...

      • @SeppW:

        Die sind auch sehr kostspielig aber das Geld ist gerade in Asien mittlerweile einfach da.

  • Und wie will di EU jetzt den Tourismus in Machu Picchu, Peru, einschränken?

  • Davon war schon die Rede, als wir 2006 in Machu Picchu waren. Allerdings im November, früh morgens um 7 begann unsere Führung, da war außer unserer Gruppe kaum jemand da, Machu Picchu stieg mit steigender Sonne aus dem Nebel auf: ein tolles Erlebnis, veredelt von einer tollen Führerin, die uns auch auf die Folgen des Tourismus aufmerksam machte. Sie war Indianerin.

    Doch wie im Artikel angesprochen, gibt es das auch in Europa mit Folgen für die Bevölkerung. In Portugal (Oktober) erzählte uns einer der Angestellten unserer Appartementanlage, ihm und seinen Kollegen gehe es gut, doch viele der Leute vor Ort könnten von ihrem Lohn nicht mehr in Lagos leben und wären gezwungen, in die karge Umgebung zu ziehen.

    Ich glaube, die Menschen merken zum großen Teil, dass sich mit Klimawandel, Overtourism, Überbevölkerung etc. einiges ändern wird; wenn nicht freiwillig, dann mit Druck. Daher wollen sie, so lange es noch geht, alles mitnehmen was geht.

    • @Trolliver:

      Touristen sind wohl immer nur die anderen.