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Enkeltaugliche FinanzpolitikSchuldenbremse, aber richtig!

Generationengerechtigkeit in Finanzfragen gut und schön. Aber ist es wichtiger, schwarze Zahlen zu vererben als eine lebenswerte Welt, Herr Lindner?

Christian Lindner bei einem Statement zu dem Schuldenbremse Urteil des Bundesverfassungsgericht Foto: Frank Ossenbrink/imago

A ls in dieser magischen Donnerstagnacht vor 34 Jahren Geschichte geschrieben wurde, habe ich das verpasst: Die Menschen jubelten sich durch die Berliner Mauer. Für mich als Westberliner Mauerkind endet ein System, das sich von einer guten Idee zu einer menschenfeindlichen Realität gewandelt hatte. Wo sture Ideologen sich gegen die wirkliche Welt stemmten und Menschenrechte mit Füßen traten. Ich war an diesem Abend aufgewühlt und glücklich – aber ich tanzte erst am nächsten Abend auf der Mauer am Brandenburger Tor.

Einen historischen Moment verpassen, das sollte mir nicht noch mal passieren. Deshalb war ich elektrisiert, als letzte Woche das Bundesverfassungsgericht den Haushalt der Ampelkoalition als verfassungswidrig verwarf. Historisch? Ja: Das Gericht erklärte ganz en passant: Die Klimakrise sei keine „Notlage“ im Sinne des Haushaltsrechts. Also nichts, was unerwartet über die Regierung hereinbricht wie Corona oder der Angriff Russlands auf die Ukrai­ne. Von der Klimakrise weiß auch die Bundesregierung seit Jahrzehnten und müsse sie deshalb in ihrem normalen Haushalt berücksichtigen. Der Begriff „CO2-Budget“ klingt da plötzlich ganz anders: Auch der ganz normale Bundeshaushalt muss also klimafest sein, Herr Finanzminister!

Was historisch ist, wird erst mal hysterisch kommentiert: Klimaschutz können wir uns aber jetzt nicht mehr leisten, heißt es. Geld für die Bahn, für gedämmte Häuser oder klima­neutrale Heizungen? Vergiss es! Irgendwas ist immer, und immer ist was wichtiger als die Rettung der Welt.

Gute Idee fürs Naturkapital

Am besten sieht man das bei der Schuldenbremse. Gute Idee eigentlich: dass wir nicht heute die Ressourcen von morgen nutzen, dass wir den kommenden Generationen nicht eine riesige Hypothek vererben, dass wir sie nicht finanziell und ökonomisch so überlasten, dass sie keine Spielräume mehr haben. Ganz genau. Bin ich total dafür. Denken wir diese fiskalische Nachhaltigkeit doch mal fürs Naturkapital: Dann müsste es nicht eine, sondern viele Schuldenbremsen geben: für den CO2-Ausstoß; für den Artenschutz; für die Sicherung des Bodens; für alles, was die kommenden Genera­tio­nen betrifft – und zwar deutlich brutaler als hohe Zinsen.

So eine Schuldenbremse wäre sinnvoll. Statt eines Systems, das sich von einer guten Idee zu einer menschenfeindlichen Realität gewandelt hat. In dem sture Ideologen sich gegen die wirkliche Welt stemmen und dabei Menschenrechte mit Füßen treten. Vor 34 Jahren war Wendezeit. Heute sagen wir Zeitenwende. Historisch wäre so eine Schuldenbremse auf jeden Fall.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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14 Kommentare

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  • Da erklang sie nach Wende 1989-1991 Implosion UdSSR wieder, die magische Stunde 2009 in Großer Koalition nach Weltfinanzkrise als systemrelevante Banken, Versicherungen nach Lehman Brother Pleite 15,9,2008 an Eigenkapital Bilanz Kipppunkten angelangt waren, sich untereinander keine Kredite mehr gaben, Kreditklemme eintrat, nach hunderte Milliarden € staatlichem Rettungsschirm riefen, auch bekamen, gierig nach mehr Staatsschirm riefen. Groko letzte Chance Schuldenbremse sah, Riegel vor kommende Forderungen zu schieben, sich in Medien der Zustimmung für bewilligte Rettungsschirme darunter Europäischen Stabilisierungs-Mechanismus ESM zu versichern mit Folge, dass von schwarzgelber Bundesregierung 2010 in Auftrag gegebenes RKI Gutachten zur SARS Pandemie Prävention nach Vorlage 2012, mit Verweis auf Schuldenbremse Kreditermächtigung scheitert, Umsetzung RKI Empfehlungen ausblieben mit unabsehbaren Folgen für 2020 ausgebrochene Corona Pandemie.



    Anders als bei staatlichen Schuldenbremse geht es bei Klimaschuldenbremse nicht darum, zukünftige Schulden zu verhindern, wenn es anders geht, nämlich durch Steuererhöhungen verschiedener Steuerarten inflationsabbauend Geld aus dem System zu nehmen, sondern Tilgungsdienst an bereits seit Beginn industriellen Revolution vor 250 Jahren weltweit aufgelaufene Klimaschulden zu leisten, Weltwirtschaftsumbau weg von fossilen Energieträgern hin zu CO2 Emissionen abbauendend klimaneutral nachwachsenden Energieträgern als globale Herausforderung anzunehmen, wie es im Pariser Klimaabkommen 2015 festgelegt ist. Dass dabei staatliche Schuldenaufnahme und Subventionsabbau fossiler Energieträger zielführend in Verhältnis zweier kommunizierender Röhren stehen ist wie die Erfahrung zeigt, keine Selbstverständlichkeit sondern will gegen Bestandsansprüche widerstreitender Interessen politisch durchgefochten sein. Wobei erschwerend der politische Ausnahmezustand zur Begründung von Schuldenaufnahme vom Ausnahme-zum Normalfall der Politik geworden ist

  • Ja, wir verschulden uns gerade finanziell und ökologisch. Allerdings sind die Mittel, die finanzielle Verschuldung effektiv und mit positivem Effekt für Deutschland zu begrenzen, in unserer eigenen Hand. Die ökologische Verschuldung geht zu großen Teilen von fremden Ländern aus und unser Einfluss, darauf effektiv einzuwirken, ist gering.

  • "Gute Idee eigentlich: dass wir nicht heute die Ressourcen von morgen nutzen, dass wir den kommenden Generationen nicht eine riesige Hypothek vererben, dass wir sie nicht finanziell und ökonomisch so überlasten, dass sie keine Spielräume mehr haben. Ganz genau."

    Das ist nur eine Seite der Medaille. Tatsächlich entwertet das Schöpfen neuen Geldes auch das bestehende. Das ist somit eine indirekte Steuer auf alle Sparguthaben und auf Gehälter, für die alle ein bis zwei Jahre ein (unzureichender) "Inflationsausgleich" ausgehandelt werden muss, damit sie nicht noch rapider an Kaufkraft verlieren.

    • @Trollator:

      Daher ist es ja gerade sinnvoller zu investieren, als die Finanzen auf dem Konto liegen zu haben.

  • Ja, im Kern geht es um multiple „Schuldenbremsen“.



    In dieser Logik braucht es ein Verständnis, wie man bei erwarteten Einnahmen die Ausgaben am besten priorisiert.

  • Immer an den großen Volker Pispers denken: was ist Geld und damit Schulden? Eine Phantasie! Eine Schulden bremse behindert also die Kreativität des Menschen. Real sind Dürren, Überschwemmungen, Temperaturanstieg. Also die selbstgemachte Klimakatastrophe, weil wir den Hals nicht voll genug kriegen können: Das Märchen vom Fischer und sin Fruu ist die globale Realität und bald sitzen die paar überlebenden menschlichen Wesen wieder im Pisspott.



    Offenbar heizt sich nicht nur die Umwelt, sondern auch die Stimmung der Menschen auf. Auch dank sozial Media, die quasi als doppelt wirksamer Brandbeschleuniger wirken. Die Stimmung wird immer aggressiver. Die Zahl der bewaffneten Konflikte steigt. Es muss ja nicht immer ein offizieller Krieg zwischen (Schurken)Staaten sein.

  • Wie sehr wir uns in Wahrheit verschulden, läßt sich doch gut beziffern: unser Resourcenverbrauch ist so hoch, daß wir 3 Erden bräuchten um nachhaltig zu Haushalten.

    Würde man das aufs Finanzielle übertragen, wäre das so als müsste der Staat sich Jahr für Jahr um das doppelte seines gesamten Haushalts zusätzlich verschulden..also ungefähr 3 Billionen an neuen Schulden aufnehmen.

    Das möge verdeutlichen über welche Größenordnung wir beim langfristigen Umgang mit dem Planeten hier sprechen.

    ..und welche Schuld unser heutiger Lebenswandel an den zukünftigen Generationen verursacht.

  • "Aber ist es wichtiger, schwarze Zahlen zu vererben als eine lebenswerte Welt, Herr Lindner?"



    Beides ist wichtig, Herr Pötter. Der Gegensatz ist konstruiert.

    • @sollndas:

      Aber welchen Wert haben schwarze Zahlen, wenn die Welt nicht mehr lebenswert ist? Es ist kein Gegensatz. Es sind Abhängigkeiten. Wer sich nicht um eine lebenswerte Welt kümmert, braucht sich keine Gedanken um schwarze Zahlen machen.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    [....]



    Die Null zu erfinden



    war kein Zuckerschlecken.



    ---



    Als dann auch noch



    irgendein Inder



    auf die Idee kam, etwas



    könnte weniger sein als nichts,



    streikten die Griechen.



    ---



    Auch den Gottesgelehrten



    war nicht wohl dabei.



    Blendwerk, hieß es,



    eine Versuchung des Teufels.



    ---



    Das sollen natürliche Zahlen sein,



    riefen die Zweifler,



    minus eins, minus eine Milliarde?



    ---



    [....]



    (Hans Magnus Enzensberger – Creditur)

  • Guter Denkansatz. Eine wirksame Schuldenbremse wäre zum Beispiel auch die Schaffung von "Positiv Money".

    Die Schöpfung von neuem Geld muß nicht zwingend negativ über Schuldanerkennung/steigende Staatsschulden gehen. Das ist keineswegs gottgegeben, wie so mancher gläubige Christ irrtümlicherweise denken mag.

    Der Glaube an Schuld ist ein pseudoreligiöser Irrglaube, den wir zur Basis unserer Finanzpolitik gemacht haben. Mit sich immer deutlicher zeigenden, fatalen Folgen.

    Doch das müßte gar nicht sein.

    Es kann auch positiv und enkeltauglich Geld geschöpft werden. Durch zum Beispiel eine Monetative. Klar dazu müssen noch einige Gesetze, auch auf EU-Ebene geändert werden.

    Unsere Verfassung jedenfalls läßt positive, gemeinnützige Geldschöpfung zu. Nichts zwingt uns in unserer Verfassung "Geld als Schuld" schöpfen zu müssen.

    Die Schöpfung/Schaffung von (auch zinsfreiem Geld) könnte zum Beispiel demokratisch kontolliert über eine sogenannte "Monetative" geschehen. Diese könnte als vierte Säule im Staate verankert werden. Zusätzlich zu Exekutive, Legislative und Judikative.

    Wer sich einlesen möchte, der kann die Stichworte Vollgeld, Monetative oder auch Postive Money in die Suchmaschine eingeben und schon kann die enkeltaugliche Horizonterweiterung starten.

    Müssen nur wollen... . ;-)

    • @Goldi:

      "Es kann auch positiv und enkeltauglich Geld geschöpft werden. Durch zum Beispiel eine Monetative."



      Was soll der Quatsch.



      Eine Monetative haben wir, nennt sich EZB, allgemein Zentralbank.



      Wie eine solche allerdings "positiv und enkeltauglich" neu geschöpftem Geld auch neuen Wert verleihen will, wird wohl nicht nur mir auf ewig ein Rätsel bleiben.

  • Danke, jetzt verstehe ich es richtig: die Ausgaben für Klimaschutz gehören absolut in den normalen Bundeshaushalt, es gibt keinen Konflikt von Klimachutz, Transformation und Haushalt. Wenns nicht reicht, müssen Klimaschädliche Investionen weg, ggf mehr Einnahmen ( Soli der Vermögenden, Erbschaftsteuer). Stattdessen fordert Merz ohne Herz mit miesen Täuschungen Verzicht bei Armen, Ukrainerinnen u Geflüchteten !

  • Nach jetzt 15 Jahren Krise an Krise ( ab der Bankenkrise ) sollte nicht nur die Schuldenbremse auf den Prüfstand sondern auch alles andere. Unser Staat gehört verschlankt, weniger Abgeordnete (200 - 300 reichen ), Abbau des Bürokratismus, gleichzeitig müssen Beamte auch in die Rentenkasse einzahlen ( auch Selbständige ) und die Pensionen in den nächsten 5- ? Jahren auf Rentenniveau herunterfahren. Wenn Ausländische Firmen ( Tesla, Intel, usw. ) mit Milliarden Subventioniert werden müssen sie auch ihren Gewinn in Deutschland versteuern ( weil "wir" werden ja keine Firmen subventionieren die Verlust machen ), genauso wie die großen Ausländischen Firmen wie Google, Facebook oder Amazon eine Abgabe nach dem Umsatz in Deutschland zu leisten haben.