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Putin droht LettlandBerechtigte Sorge in Riga

Kommentar von Barbara Oertel

Russlands Präsident Putin droht Lettland. Das muss ernst genommen werden: Angebliche Sorge um die russische Minderheit wurde schonmal zum Kriegsgrund.

Auf Lettisch, auf Russisch, auf Englisch: Grenzpfosten zwischen Russland und Lettland Foto: Kalnins/reuters

W ladimir Putin verdanken wir wertvolle Einsichten. Jetzt hat der Kremlchef Lettland vorgeworfen, einen Teil der dort lebenden russischsprachigen Bevölkerung zu unterdrücken. Von einer „schweinischen“ Behandlung spricht er gar. Moskau werde, so die Drohung, seine Beziehungen zum Nachbarn entsprechend gestalten.

Ausgerechnet der Mann, der zigtausende seiner Landsleute in einem Vernichtungskrieg gegen die Ukraine verheizt, muss sich derart gebärden, einer, der vermeintliche Kri­ti­ke­r*in­nen seines Regimes unter abstrusen Vorwänden in russische Knäste zwingt. Man kann über Rigas Umgang mit seiner russischen Minderheit, die ein Erbe der Sowjetunion ist, geteilter Meinung sein. Laut Gesetz müssen Staats­bür­ge­r*in­nen der Russischen Föderation Lettischkenntnisse auf Alltagsniveau nachweisen. Andernfalls droht ein Entzug der Aufenthaltserlaubnis.

Diese Anforderung dürften vor allem Angehörige der älteren Generation als Zumutung empfinden. Die Medaille hat indes zwei Seiten. Viele Betroffene sind vor der Unabhängigkeit Lettlands 1991 in die damalige Sowjetrepublik gekommen. Möglichkeiten, zumindest rudimentäre Sprachkenntnisse zu erwerben, hätte es gegeben. Dass das vielfach nicht geschehen ist, muss einer gewissen Arroganz und Ignoranz gegenüber der Mehrheitsgesellschaft zugeschrieben werden.

Früher ging es doch auch mit Russisch, warum also Lettisch lernen? Dennoch: Putins Drohungen sollten ernst genommen werden. Die angebliche Diskriminierung von Rus­s*in­nen in der Ukraine musste als ein Grund für Moskaus Angriffskrieg herhalten. Bekanntermaßen will sich die Mehrheit der Ukrai­ne­r*in­nen nicht von Russland befreien lassen. Auch das Schutzbedürfnis vieler Russischsprachiger im EU-Staat Lettland dürfte sich in Grenzen halten.

Die verschärfte Gangart gegenüber der russischen Minderheit ist ein Resultat des Ukraine-Krieges. „Wir könnten die nächsten sein“, ist auch in Lettland zu hören. Wer im Westen noch immer für Friedensverhandlungen um jeden Preis eintritt, muss diesen Satz endlich ernst nehmen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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27 Kommentare

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  • Vor einiger Zeit stand zum Nachbarstaat Estland in der taz:



    "In Estland leben heute 300.000 Personen, deren Muttersprache Russisch ist. Formal sind sie wirklich „Besatzer“ und „Kinder von Besatzern“ oder etwas milder ausgedrückt „sowjetische Kolonialisten“. Vor der Besetzung Estlands durch die Sowjetunion 1940 machten die Russen dort 8 Prozent der Bevölkerung aus, heute sind es rund 23 Prozent. Die sowjetischen Behörden holten Arbeiter und Militärs ins Land – die einheimische Bevölkerung wurde nicht nach ihrer Meinung gefragt –, um die ethnische Geschlossenheit aufzuweichen."



    In Lettland ist die Quote regional in Riga noch höher, aber es gibt auch zahlreiche Mischehen. Manchmal gehen Risse somit durch Familien, betreffend Sprache und Kultur, aber auch den Krieg in der Ukraine. Auch dazu seht etwas bei:



    taz.de/Russische-M...Baltikum/!5889720/

    • @Martin Rees:

      Tatsächlich machten die Russen nach der Vorab-Annexion eines Teiles Estlands (der auch heute noch Teil Russlands ist) noch viel weniger Prozent der Bevölkerung aus. Zum Zeitpunkt der Besetzung lebten fast ausschließlich Esten in Estland.

  • Nur damit das klar ist: In Putins Russland gibt es keinen funktionierenden Rechtsstaat; soweit so gut.

    Nur wie heißt es in dem Wikipedia Artikel zu Nichtbürgern in Lettland: "Die lettischen Nichtbürger sind zahlreichen Einschränkungen bezüglich ihrer Menschen- und Bürgerrechte und teils auch persönlichen Rechte unterworfen."

    Da geht es bei weitem nicht nur um "Sprachkenntnisse".

    Dieser Zustand wird auch nicht dadurch besser, dass Putin ein skrupelloser Diktator ist.

    Genaugenommen hat das eine mit dem anderen exakt gar nichts zu tun...

    • @lundril:

      Seit 1998 (!) hatten die allermeisten „Nichtbürger“ die Möglichkeit, sich in Lettland einbürgern zu lassen. Voraussetzung war eine Sprachprüfung, die 2011 für Ältere noch einmal erleichtert wurde, sowie eine Prüfung zu Grundkenntnissen der lettischen Geschichte und Verfassung. Haupthinderungsgrund war die erschwerte Einreise nach Russland.



      Kurzum: Die „Nichtbürger“ sind in der überwältigenden Mehrheit Leute, denen die Teilnahme an der lettischen Demokratie nicht wert ist, für jeden Kurztrip in das diktatorische Russland ein Visum zu beantragen, die aber umgekehrt auch nicht ihr Leben in der EU aufgeben wollen, um in den Schoß von „Mütterchen Russland“ zurückzukehren.



      Man kann diesen Umgang Lettlands mit (v.a.) ethnischen Russen sicherlich kritisieren, aber ein Grund für Putin und seine Scherg:innen, Lettland (oder irgendwen) mit Krieg zu überziehen, ist das natürlich nicht. In diesem Zusammenhang ist Ihr Hinweis m.E. Trollerei.

    • @lundril:

      Unter den in Wiki genannten "Einschränkungen" sind u.a. das aktive und passive Wahlrecht.



      Hierzulande dürfen in D lebende Menschen ohne deutschen Pass - abgesehen von EU-Mitgliedern bei Kommunalwahlen - auch nicht wählen. Müssen wir uns jetzt darauf einstellen, dass uns GB in absehbarer Zeit angreift, oder hat dieses Recht nur Russland? Oder handelt es sich - wie üblich - nur wieder um an den Haaren herbeigezogene Argumente, um eine weitere russische Aggression zu rechtfertigen?

    • @lundril:

      Die Sprachkenntnisse sind vor allem die Hürde für die BEENDIGUNG dieses unseligen Nichtbürgerstatus und den Erwerb voller Bürgerrechte. Denn es steht jedem Nichtbürger frei, einen Einbürgerungstest zu machen. Die meisten russischstämmigen Bewohner Lettlands sind da längst drüber.

      ps Auch nach intensivem Lesen des Wiki-Artikels ist mir schleierhaft, welche MENSCHENrechte von dem Nichtbürgerstatus betroffen sein sollen. Dass er keine vollen BÜRGERrechte (und -pflichten) vermittelt, sei unbestritten.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Die Nato hat sich militärisch für die Verteidigung der Ukraine leider so verausgabt, das für die eigentlichen Aufgaben der Nato (=Schutz ihrer Mitglieder) kaum noch genügend Ressourcen vorhanden sein werden.



    Das ist eine sehr gefährliche Situation.

    Vielleicht wäre es klüger, das Lettland seine offenkundig rassistische Politik überdenkt und der russischen Minderheit Integrationsangebote macht statt mit Ausweisung zu drohen.

    Das würde sich dann auch mit dem EU-Wertekanon vertragen, zu dessen Einhaltung sich Lettland verpflichtet hat.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Rassistisch war die von Moskau geplante Ansiedlung tausender Russen in Lettland um die Letten im eigenen Land zur Minderheit zu machen. Was die Letten machen ist gängige Praxis in Europa. Außerdem haben die Letten aufgrund ihrer Geschichte gute Gründe der russischen Minderheit zu mißtrauen.



      Wäre ich z.B. Pole würde ich auch nicht wollen, daß Deutsche im ehemaligen Schlesien Grund und Boden erwerben.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Die Frage ist welche Integrationsangebote der russischen Seite recht wären...Integration Lettlands in den russischen Staat?

      Wenn sich die betreffenden Menschen statt als russischsprachige Letten, sich lieber als zum russischen Staat zugehörig fühlen, wären in Anbetracht der feindseligen russischen Politik Ausweisungen doch absolut nachvollziehbar.

      Ich gebe zu bedenken, dass Moskau so eine Position auch gegenüber Deutschland einnehmen könnte. Wir haben einige Millionen Russischsprachige im Land.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Die Integrationsbemühungen gibt es ja. Laut Wikipedia sind bereits die deutliche Mehrheit der russischstämmigen Bewohner lettische Staatsbüger mit vollen Rechten. Das verbleibende Drittel scheint nicht genug interessiert oder in der Lage, bzw. weigert sich, die Naturalisierungsvoraussetzungen zu erfüllen - augenscheinlich zumindest teilweise auch, weil man ganz nach Putins Geschmack meint, Lettland gehöre eigentlich zu Russland (als verdiente Beute aus dem "Großen Vaterländischen Krieg") und Russisch sei weiter die rechtmäßige "Herrensprache" wie zu Sowjetzeiten. Ich würde also die erhöhten Anforderderungen eher als dann nicht mehr soo sanften Druck verstehen, diesen Nichtbürgerstatus aufzugeben (und sich eben auch mal zu entscheiden, ob man nun Lette sein will oder nicht).

      Ich wüsste nicht, wo da der eklatante Mangel an Integrationsbemühungen ist - von "Rassismus" ganz zu schweigen.

  • Die NATO sollte präventiv eine militärische Spezialoperation in Russland starten.

    Putin droht ganz offen, das sollte man nicht unbeantwortet lassen.

    Eine von der NATO besetzte Pufferzone von ca. 100km auf russischem Territorium wäre ein probates Mittel.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Danke für den Sarkasmus, mit dem Sie das putinsche System gespiegelt und vorgeführt haben. Leider sind die Schnarchzapfen Ihrer Kritiker offenbar nur durch ein paar Schlagworte aufgeschreckt, ohne die entlarvende Satire zu bemerken.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Na, Sie haben sicher eine super Lösung parat - vermutlich soll die lettische Regierung mit Putin verhandeln, gelle?

    • @Gnutellabrot Merz:

      Sie sehnen sich also den 3. Weltkrieg herbei.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Herzlich willkommen im dritten Weltkrieg.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Können wir irgendwie im Bereich Realität bleiben?

      Oder halten Sie die NATO wirklich für allmächtig und Atomwaffen für einen Witz?

    • @Gnutellabrot Merz:

      Wenn man vor lauter Kraft kaum gehen kann, ist man wohl auch behäbig. Keine gute Ausgangslage, sich auf eine Auseinandersetzung einzulassen. Gespräche und Diplomatie sind sinnvoller, billiger und zielführender als Kraftmeierei.

      • @paul meder:

        Wir müssen uns vielleicht mal mit dem Gedanken anfreunden, dass "Kraftmeierei" und "Diplomatie" im Umgang mit Typen wie Putin kein Gegensatz sein müssen. Diplomatie heißt, den RICHTIGEN Ton zu treffen, um die andere Seite auf nichtkriegerischem Weg zum Einlenken zu bringen - nicht notwendigerweise den sanftest denkbaren. Bei Einem, der friedfischiges Mimimi als Zeichen von Schwäche sieht, die es auszunutzen gilt, kommt man mit der klischeemäßiger "diplomatischer" Wattebauschrhetorik möglicherweise schneller in den nächsten Krieg als mit einer robusten, unverblümten Drohkulisse.

  • Man könnte auch sagen: Wasser predigen und Wein trinken.



    Das Schlimme ist: die Kritik ist berechtigt. Aber der Kritiker ist unlauter. AfD-Style quasi.

    • @Ringsle:

      Die meisten der ethnischen Russen in Lettland haben längst die lettische Staatsbürgerschaft. Alle anderen könnten problemlos die russische bekommen. Wollen sie aber auch nicht. Warum auch? Selbst als lettischer Nichtbürger hat man mehr Rechte als als russischer Staatsbürger.

    • @Ringsle:

      Es steht doch sogar im Artikel, dass es durchaus Argumente auf Putins Seite gibt, aufgrund der Sprachvorgaben.



      Aber rudimentäre Sprachkenntnisse nachzuweisen, nachdem man mehr als 30 Jahre in einem Land lebt, ist ja wohl alles andere als eine einen Krieg berechtigende Unterdrückung.



      Es ist ja nicht so, als würde die russische Sprache verboten sein. (So wie zu sowjetzeiten teilweise die lettische)

      • 9G
        94799 (Profil gelöscht)
        @Herma Huhn:

        Wie ist das mit den Rechten der dänischen Minderheit in Schleswig Holstein - nur mal so im Vergleich? WK II ist mittlerweile ueber 70 Jahre vorbei. Und wie steht es in zB. Polen, gibt es da deutsche Minderheiten Rechte?

        • @94799 (Profil gelöscht):

          Es handelt sich aber nicht um eine angestammte, schon immer in Lettland lebende ethnische Minderheit, sondern um von der früheren Besatzungsmacht in Lettland illegal angesiedelte Zivilisten. Die im übrigen auch dort angesiedelt wurden, um die Letten zur Minderheit im eigenen Land zu machen.



          Riga hatte übrigens schon zwei russischstämmige Bürgermeister. Ganz so schweinisch kann’s also nicht sein in Lettland.

      • @Herma Huhn:

        Das meinte ich nicht, ich meinte den Zustand der "Nicht-Staatsbürgerschaft"

  • 6G
    680073 (Profil gelöscht)

    Wollen wir das zu Ende denken? Dann muss mit einer „Spezialoperation“ vor Ort gerechnet werden, welche dann aber auf Nato-Gebiet stattfinden wird.

    • @680073 (Profil gelöscht):

      jup. Und Europa ist null darauf vorbereitet.

      • @Usch Bert:

        Europa ist nicht Deutschland allein und wer auf einen Krieg vorbereitet ist, steckt schon mittendrin.