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Freilassung der GeiselnPerfides Machtspiel

Ariane Lemme
Kommentar von Ariane Lemme

Die Freilassung erster Geiseln ist ein Glück. Doch strategisch nutzen wird der Deal vor allem der menschenverachtenden Hamas.

Bilder, auf die alle gewartet haben: Vater Joni umarmt seine beiden Töchter Raz (l.) und Aviv Foto: dpa

D ie ersten beiden Tage der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas waren – natürlich – eine Erleichterung. Die Bilder der Kinder und Frauen, die nach 50 Tagen Gefangenschaft in Gaza wieder ihre Familien umarmen konnten, konnten niemanden kaltlassen. Für die israelische Gesellschaft sind sie ein erster, winziger Schritt zurück ins Leben, das mit dem Trauma des 7. Oktober brutal gestoppt wurde. Ein erstes Luftholen.

Aber, und hier geht der perfide Plan der Islamfaschisten auf, natürlich nutzt die Waffenruhe und vor allem die Freilassung erster Geiseln vor allem: der Hamas. Seht, werden jetzt viele sagen, man kann mit ihr eben doch verhandeln. Als ob ein Deal ohne die Militäroperation und eine Schwächung der Infrastruktur der Hamas überhaupt möglich gewesen wäre. Nebenbei hat die Hamas durch den von ihr selbst provozierten Krieg und die daraus folgenden – schrecklichen – Bilder palästinensischen Leids weltweit auch noch Sympathien abgestaubt.

Jetzt profitiert sie von den Bildern der Geiselübergabe. Da wird eifrig gewunken, als würde man sich von Freunden verabschieden, ein Hamas-Kämpfer in voller Uniform legt dem 9-jährigen Ohad Monder den Arm um die Schulter, als er ihn zum Wagen des Roten Kreuzes eskortiert. Und in vielen Medien wird denn auch von einem „Geiseltausch“ geschrieben – als seien die im Gegenzug gegen die israelischen Geiseln freigelassenen palästinensischen Inhaftierten ebenfalls ausschließlich unschuldige Kinder und Frauen.

Und während sie sich bei den Übergaben als fürsorgliche Geiselnehmer produziert, übt sie zugleich weiter Terror aus: Schon am Samstag kam es zu stundenlanger Verzögerung bei der Freilassung der Geiseln, für Sonntag drohte zunächst dasselbe Psychospiel. Die Hamas wird so versuchen, die Waffenruhe durch Verzögerungen weiter auszudehnen, um sich militärisch neu aufzustellen und womöglich auch, um zu verschleiern, wie wenig Kontrolle sie über die Situation hat.

Sie weiß, gemäß ihrem Motto „ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod“, dass ganz Israel an den Bildschirmen um jedes Foto jeder Geisel bangt – während ihr selbst weder deren Leben noch das der Menschen, die bei einem Bruch des Waffenstillstands in Gaza sterben, auch nur irgendetwas bedeutet.

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Ariane Lemme
Redakteurin
schreibt vor allem zu den Themen Nahost, Antisemitismus, Gesellschaft und Soziales
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18 Kommentare

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  • Zum Thema der getauschten palästinensischen Gefangenen muss man wissen, dass es in Israel die "Administrativhaft" gibt, eine rechtstaatlich sehr fragwürdige Konstruktion, die es erlaubt, Personen ohne Gerichtsverfahren und ohne dass Anklage erhoben wird, einzusperren. Dieses "Rechts"-Mittel wird fast ausschließlich gegen Palästinenser eingesetzt. Das hätte im Artikel auch erwähnt werden können.

  • Ja, es stimmt. Diktaturen können jede Situation für sich inszenieren und gewinnen daher fast immer den Moment. Aber die Geschichte zeigt, dass sie auf Dauer verlieren. Nur schade, dass eine rechtsstaatliche Demokratie für Palästinenser bisher keine Option zu sein scheint.

  • Der jetzige Waffenstillstand und Geiselaustausch nutzt in erster Linien den Geiseln, ihren Familien und den palästinensischen Zivilist:innen von denen bereits über 10 Tausende bei den breit angelegten Luftangriffen wurden. Ob und welches politisches Kapital die Hamas oder die israelische Regierung aus dem jetzigen Waffenstillstand und Geisel-Deal ziehen ist zweitrangig. Die Angehörigen der von der Hamas brutal ermordeten und entführten Menschen wendeten sich mehrheitlich von Anfang an gegen die Militäroperion im Gazastreifen und sahen darin eine weitere Gefährdung ihrer Angehörigen. Sie wehrten sich auch von Anfang an dagegen, dass ihre Angehörigen für teilweise unmissverständliche Rufe nach Rache an, Vertreibung oder gar Auslöschung palästinensischen Lebens im Gazastreifen missbraucht wurde.



    www.972mag.com/oct...ms-hostages-peace/

    • @Nina Janovich:

      Keiner, aber auch wirklich keiner hat jemals die Auslöschung palästinensischen Lebens im Gazastreifen gefordert, auch nicht Israel.



      In heutiger Zeit ist es wichtig dies noch einmal auszusprechen.



      Die Geiselnahme nützt der Hamas, um sich einen Deckmantel zu geben, den sie nicht hat. Hamas ist auf Vernichtung aus und nicht auf ein friedliches Zusammenleben. Das sollten sich solche Sympathisanten, wie Sie einer zu sein scheinen, klar machen.



      Bis zum Waffenstillstand hat Hamas täglich Raketen auf Isrealisches Staatsgebiet abgefeuert.



      Zeigen Sie mir nur einen Staat, der das widerspruchslos dulden würde. Sie verlangen das Unmögliche von Israel.

    • @Nina Janovich:

      Aus Sicht der Angehörigen der Geiseln ist das verständlich. Alles andere wäre nicht normal.

      Die Sorge bei der Gesamtansicht ist halt, dass sich das Drama irgendwann wiederholt, weil Hamas (oder vergleichbare Verbrecherbanden) sich durch derartige Erfolge bestätigt fühlt und sogar ermutigt wird, auch in Zukunft Geiselterror in ihrem "Terrorportfolio" zu führen.

      Der Austausch für den israelischen Soldaten Gilad Shalit von 2011 wirkt in dieser Hinsicht bis heute nach und hat so auch mit den Geiselnahmen vom 7. Oktober zu tun.

    • @Nina Janovich:

      "Geiselaustausch"? Die von Israel Ausgelieferten sind Gefängnisinsassen, die wegen unterschiedlicher Vergehen, zumeist Gewaltakten, inhaftiert wurden!

      • @dites-mois:

        "die wegen unterschiedlicher Vergehen, zumeist Gewaltakten, inhaftiert wurden!"

        Zum großen Teill Minderjährige, die sich gegen den verbrecherischen Landraub klerikalfaschistischer Siedlerterroristen gewehrt haben, und rechtswidrig in Internierungslagern festgehalten wurden.

    • @Nina Janovich:

      Vielen Dank, Frau Janovich, für Ihre Reaktion, welche zu Recht auch die Palästinenserinnen und Palästinenser erwähnt, die jetzt nach über einem Monat mal nicht vor den massiven Bombardements flüchten müssen.

      • @Jörg Levin:

        "... Ob wir mit ihr übereinstimmen oder nicht, sie ist Teil der Gesellschaft in Gaza und auch im Westjordanland", sagte der katarische Ministerpräsident ..." (Aus DIE ZEIT)

        Das ist, nicht zuletzt durch die Jubelfeiern und dem schändlichen Verhalten gegenüber den Geiseln bei deren erzwungener Parade, ebenso durch die Angriffe auf die Transporter mit freigelassenen Geiseln u.v.m., auch meine Meinung.



        Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass palästinensische Bürger und Bürgerinnen, so sehr und fast ausnahmslos als Opfer verstanden und dargestellt werden.

        • @*Sabine*:

          Der russisch-israelischen Geisel war die Flucht gelungen.



          "Er sei dann mehrere Tage im Gazastreifen herumgeirrt und habe versucht, zur Grenze zu kommen. Aber palästinensische Zivilisten hätten ihn gefasst und wieder an die Terroristen übergeben, sagte die Tante."



          www.tagesspiegel.d...urde-10843573.html

          Dazu die von Ihnen erwähnten Jubelfeiern, das Angreifen der Geiseltransporter und das Plündern der überfallenen Kibbuze.

          Klingt alles nicht sonderlich passiv. Ich fürchte auch, dass die Ideologie bei vielen tief verwurzelt ist, was die Situation nicht eben leichter macht.

        • @*Sabine*:

          "Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass palästinensische Bürger und Bürgerinnen, so sehr und fast ausnahmslos als Opfer verstanden und dargestellt werden." - Merken Sie, dass sie hier in unzulässiger Weise und völlig empathielos pauschalieren. Trifft ja die "Richtigen", oder wie soll mensch Sie verstehen @Sabine?

          • @Jörg Levin:

            Ich wollte ausführlicher antworten, habe es dann aber nach ca. zwei Stunden Bemühungen doch gelassen; ich finde die richtigen Worte einfach nicht.

            Ihre Rückmeldung kann ich gut akzeptieren und werde weiter darüber nachdenken.

            "Empathie: Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen":

            Ich glaube, ich würde durchdrehen, wenn ich mich in die Täter des 07.10. und der Bewunderer, Anhänger und Unterstützer dieser Personengruppe einfühlen würde. Schon alleine, wenn ich an den jungen Mann und Shani Louk denke, die wehrlos und fast nackt, über sich die Stiefel der Männer, von ihm bespuckt wurde. Nein, in soviel Hass und Verachtung der Männer und Frauen dieser Szene kann ich mich nicht einfühlen. Ob das eine Stärke oder ein Defizit ist, werde ich noch entscheiden.

        • @*Sabine*:

          Die Hamas hat Unterstützer*innen in Gaza, es gibt eine Menge Opportunist*innen, die einfach so gut wie die Verhältnisse es erlauben, klar kommen wollen. Bei einer Frage muss man genau hinschauen: kann man Bewohner*innen von Gaza den Status als Zivilist*in absprechen, weil Sie mit der Hamas ideologisch übereinstimmen? Lebenslage in Gaza, Verteibungserfahrungen und Propaganda der Hamas sorgen sicher dafür, dass eine Menge Menschen in Gaza Israel hassen. Das allein macht sie noch nicht zu Kombattant*innen - so sehr man sich das der gewünschten Eindeutigkeit und Kongruenz militärischer und moralischer Kategorien wegen auch wünschen mag. Ich finde zum Kotzen, dass es so ist, aber man muss es aushalten und an der "Heimatfront" wachsam bleiben, dass nicht unter dem Deckmantel der Solidarität (die Schauergestalten der Afd sind "solidarisch"), die antimuslimischen Brunnenvergifter vollends die Diskurshoheit übernehmen.

          • @My Sharona:

            "kann man Bewohner*innen von Gaza den Status als Zivilist*in absprechen, weil Sie mit der Hamas ideologisch übereinstimmen?" Selbst, wenn es so wäre, es gibt jedoch keine aktuellen Umfragen zu Zustimmungswerten der Hamas oder gar des Terroraktes der Hamas im Gazastreifen, kennt das Völkerrecht darauf eine klare Antwort. Nein. Zivilist:innen sind unabhängig ihrer Zustimmung oder Ablehnung der Ideologie einer kriegsführenden Partei Zivilist:innen, (= alle, die nicht am bewaffneten Kampf teilnehmen), die im Kriegsfall von allen Kriegsparteien geschützt werden müssen. Nach humanitärem Völkerrecht war der gezielte Angriff der Hamas auf Zivilist:innen (wenn man sie als quasi staatliche Organisation im Gazastreifen sieht) ein klares Kriegsverbrechen, ebenso die Geiselnahme von Zivilist:innen. Auch dass die Hamas ihre Militärbasen, Tunnel und Abschussrampen in bzw. unter zivilen Wohngebieten und Einrichtungen unterhält bzw. im aktuellen Krieg als solche nutzt, ist ein klarer Verstoß des humanitären Völkerrechts. Die militärische Bekämpfung der Hamas unterliegt jedoch ebenso den Regeln im humanitären Völkerrecht. Demnach kann das Massenbombardement ganzer Städte, Orte und Flüchtlingslager in Gaza auch dann nicht als verhältnismäßig legitimiert werden, wenn sich darunter Tunnel der Hamas befinden. Ein weiterer klar völkerrechtlicher Verstoß wäre die Verhinderung von Hilfsgüter-, Lebensmittel- und Trinkwasserlieferungen in den Gazastreifen seit Kriegsbeginn. UN-Organisationen forderten unabhängig vom aktuellen Deal längst eine Feuerpause um Überlebenswichtige Güter (Medikamente, Nahrungsmittel, Trinkwasser) zu den über einer Million Binnenvertriebenen sowie in die zerstörten Orte zu liefern und nutzen die aktuelle Feuerpause auch genau dazu, UN-Mitarbeitende vor Ort beschreiben die durch den Krieg verursachte humanitäre Katastrophe im Gazastreifen als beispiellos.

  • Danke für die klaren Worte. Von "fürsorglichen Geiselnehmern" lasse ich mich nicht blenden - speziell auch nach den Berichten über die 84-jährige Dame, die sofort nach ihrer Freilassung auf die Intensivstation musste und in Lebensgefahr schwebt. Barbaren sind das.

  • "als seien die im Gegenzug gegen die israelischen Geiseln freigelassenen palästinensischen Inhaftierten ebenfalls ausschließlich unschuldige Kinder und Frauen."

    hm, beim Rest gehe ich ja mit, aber Frauen und Kinder mit der Hamas gleichzusetzen... ist doch etwas übereifrig. Sicher sind das auch Beteiligte und auch Frauen können Täter sein, so wie jeder erwachsene Mensch, aber vermutlich wird Israel auch keine Mörder oder Attentäter austauschen.

    • @nutzer:

      Was auch immer sie sind, sie sind ganz sicher nicht die "Geiseln" Israels, als die der Narrativ der Hamas-Freunde sie darstellen will. Und ja - auch Frauen und Minderjährige können Gewalttäter sein - OHNE "aber...".

      • @Normalo:

        Es sind ganz sicher keine Geiseln, es sind Inhaftierte eines Besatzungsregimes, dass seit Jahrzehnten die Grundrechte der Palästinenser verletzt. Empfehlenswerte Lektüre zur sog. "Administrativhaft", bei der Palästinenser über Jahre ohne Anklage und ohne Gerichtsverfahren gefangen gehalten werden, wie so oft zu finden bei der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem: www.btselem.org/ad...strative_detention

        www.btselem.org/ad...strative_detention