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Freispruch für Klimaaktivist in SchwedenBegründete Klebeaktion

Ein schwedisches Gericht spricht einen Klimaaktivisten frei, der eine Straße blockiert hatte. Begründung: Er habe aus „akuter Klimanotlage“ gehandelt.

Ak­ti­vis­t:in­nen blockieren Straßen, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen: Hier in Berlin Foto: dpa

Stockholm taz | Rechtsanwältin Pia Björstrand nennt das Urteil „historisch“ und „extrem erfreulich“: Ihr Mandant Noa Tucker hatte zusammen mit rund 70 anderen AktivistInnen von Extinction Rebellion im August 2022 in der Rushhour den Verkehr auf der Kungsgatan in Stockholms Innenstadt blockiert. Sie klebten sich auf dem Asphalt fest, ketteten sich aneinander und weigerten sich, den Anordnungen der Polizei zu folgen.

Nun urteilte das Amtsgericht Stockholm, Tucker habe damit „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ begangen, müsse aber trotzdem straffrei bleiben, denn er habe aus einer Notlage heraus gehandelt.

Der 41-Jährige sei aus der Absicht heraus aktiv geworden, eine Gefahr von der Gesellschaft abzuwenden: die Bedrohung durch die bereits sichtbaren Folgen der Klimaveränderungen, heißt es in der Urteilsbegründung: „Noa Tucker hat gehandelt, weil ein wichtiges, durch die Rechtsordnung geschütztes Interesse einer Gefahr ausgesetzt ist und er seine Tat mit dem Ziel begangen hat, diese Gefahr zu beseitigen.“ Die Wissenschaft sei sich „über die Ursachen der Klimakrise weitgehend einig“. Trotzdem hätten „weder die Vorgängerregierung noch die jetzige ausreichende Maßnahmen dagegen ergriffen“.

Das Urteil widerspricht der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung in Schweden. Sollte die Staatsanwaltschaft Berufung einlegen – was sie noch nicht entschieden hat –, könnte es deshalb wieder aufgehoben werden. Damit müsse man rechnen, meint Anwältin Björstrand. Trotzdem sei der Richterspruch wichtig, „weil wir zum ersten Mal in der Geschichte Schwedens ein Urteil haben, in dem tatsächlich festgestellt wird, dass wir uns in einer akuten Klimanotlage befinden“.

Tucker hatte in der mündlichen Verhandlung argumentiert, dass sich alle Vorhersagen zu den Auswirkungen der Erderhitzung bestätigen, Daraus ergebe sich die Pflicht, alles Mögliche zu tun. Ziviler Ungehorsam sei das letzte Mittel, um in der öffentlichen Meinung gehört zu werden und die Politik zum Handeln zu bewegen. Das Urteil bezeichnet er als „ein Licht in der Dunkelheit“. Er verstehe es als Zeichen dafür, dass bei den Gerichten ein Umdenken begonnen hat, „ein Umdenken, das ja auch unvermeidlich ist“.

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25 Kommentare

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  • @DERZWERG

    Stimmt. Ich war nur zu früh dran, so scheint es.

  • Na bitte - geht doch: Sonntag 22:32 🙀🥳



    “Danke! Den Bericht kann ich gut brauchen.“



    RA - zum weitergeleiteten taz-Artikel 💐

  • Bravo, weil konsequent.

  • Mal wieder bezeichnend, wie viele hier im Forum mit gezückten Schwert für die Freiheit der blindwütigen Autobrutalität ins Feld ziehen.

    • @tomás zerolo:

      Bisher sehe ich nur wenige, eigentlich nur einen echten Wutbürger. Dazu einen, vielleicht zwei Kommentare à la "könnte ja jeder kommen".

  • Solche Amtsgerichtsentscheidungen haben wir vereinzelt in Deutschland auch schon gesehen. Sie sind dann in der höheren Instanz kassiert worden.

  • Normale Demonstrationen werden ja nicht wahrgenommen.

    • @Mitch Miller:

      Mit dem verfassungsrechtlich garantierten Demonstrationsrecht ist halt nicht die Verpflichtung der Wahrnehmung durch den Gesetzgeber verbunden.

      • @DiMa:

        irrelevant, da der gesetzgeber eh schon illegitim NICHT handelt, wozu er verpflichtet ist.



        nur die frage, ob das nichthandeln ein tatbestand ist

        • @the real günni:

          "nur die frage, ob das nichthandeln ein tatbestand ist"



          Es wäre wohl zumindest ein Dienstvergehen, wenn die Ordnungskräfte bei offensichtlichen Gesetzesbrüchen nicht eingreifen.



          In der Wirtschaft sicher ein Grund zur fristlosen Kündigung. Im Beamtenrecht kenn ich mich nicht aus.

  • Kleine Anmerkung:



    In Absatz 3 des Artikels erfolgt ein wörtliches Zitat aus der Urteilsbegründung. Das ist strafbar als verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen gem. § 353d Nr. 3 StGB. Ohne das Schema jetzt vollständig durch zu exerzieren an dieser Stelle ein kurzer Problemaufriss:



    Deutsches Strafrecht ist - auch wenn es kontraintuitiv erscheint - anwendbar gem. §§ 7 II Nr. 1, 9 I StGB.



    Auf Tatbestandsseite kommt es dabei nicht darauf an, dass das Urteil im Ausland erging.



    Das Verfahren ist auch noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, denn die Staatsanwaltschaft hat Rechtsmittel eingelegt.



    Der Kommentar ist eher als vorbeugender Hinweis und nicht als Kritik zu verstehen. Der Autor setzt sich hier dem Risiko der Strafverfolgung aus, so rechtspolitisch wie verfassungsrechtlich fragwürdig die Norm auch sein mag.

    • @Frodo:

      Sorry - are you shure?

      Bin ja strafrechtlich post 2. Examen dilletierender Laie. But



      “Nach § 353d Nr. 3 StGB1 macht sich strafbar, wer die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Strafverfahrens ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlich mitteilt, be- vor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.“



      Denke - daß hier aus der mündlichen Urteilsbegründung zitiert ist. Die damit öffentlich ist! Und mE dem o.a. § ff damit gerade nicht unterfällt - odr?



      Frag ja nur mal.

  • "Die Wissenschaft sei sich „über die Ursachen der Klimakrise weitgehend einig"

    Na also. Manche Richter*innen haben noch Anstand im Leib. Mal schauen, wie lange das geht, bis die in PiS-Manier abgeräumt werden. Rechtsstaat -- schön und gut, aber wenn die heiligen Blechbüchsen inkommodiert werden kennen unsere Gesellschaften für gewöhnlich keinen Spass.

  • Er wurde nicht freigesprochen. Das Gericht hat ihn schuldig gesprochen, aber von einer Geldstrafe verschont. Get your facts right!

  • Markus Söder und andere Ignoranten : hört, hört !

  • Bestimmt hat die Aktion und das Urteil Folgen! Die Klimaerwärmung wird jetzt verlangsamt! Und alle, die sich über die Aktionisten ärgern und deshalb Dinge wir unbedacht oder gar absichtlich Kohlenstoffenergieträger verbrennen, werden einsichtig und verhalten sich in Zukunft vorbildlich.

  • So sehr ich jegliche Anstrengung gegen den Klimawandel unterstütze, so fragwürdig halte ich die Begründung in diesem Urteil.



    "Noa Tucker hat gehandelt, weil ein wichtiges, durch die Rechtsordnung geschütztes Interesse einer Gefahr ausgesetzt ist und er seine Tat mit dem Ziel begangen hat, diese Gefahr zu beseitigen."

    Ja, es gibt klimatische Veränderungen. Aber ist dies gleichzeitig eine akute(!) Gefahr? Und nein, die Gefahr wird durch solche Sitzblockaden keineswegs beseitigt. Die globale Temperatur sinkt durch Sitzstreiks nicht einmal im Promillebereich. Es bleibt eine schlichte Demonstration.



    Das Urteil könnte gar als Freibrief verstanden werden.

    • @Mopsfidel:

      Die akute Gefahr besteht vielleicht nicht für sie persönlich aber z.B. die Hitzewellen in Spanien oder die immer häufiger vorkommen Überschwemmungen durch extremen Regen auf dem afrikanischen Kontinent gefährden viele Menschen. Durch ignorieren steigt die globale Temperatur.

      • @Andreas J:

        Nun ja, spätestens wenn sich 100 Millionen verdurstende Afrikaner auf den Weg nach Europa machen, weil ihre Süßwasserquellen durch den Klimawandel versiegt sind, werden auch viele 'gesetzestreue deutsche Untertanen' erkennen, dass es hier um mehr geht, als nur darum, ein paar harmlose Klimaschutzaktivisten - mit an den Haaren herbeigezogenen Gesetzen - zu "erziehen".

    • @Mopsfidel:

      Kurzantwort auf die Frage: Ja es ist eine Akute Gefahr. Für einen signifikanten Teil der Erdbevölkerung geht es um Leben und Tod, und für uns geht es um den erhalt unserer Stasten und Verfassungen die unsere Freiheit garantieren. Europa wird in einer kollabierenden Welt nicht so tun können als wäre es eine Insel und subsidenzwirtschaftlich und unabhängig, das absolute Gegenteil ist der Fall.

  • taz: "Ein schwedisches Gericht spricht einen Klimaaktivisten frei, der eine Straße blockiert hatte. Begründung: Er habe aus „akuter Klimanotlage“ gehandelt."

    Schau mal einer an, es gibt also auch Juristen, die in ihrem Studium ihr Hirn nicht gegen ein Gesetzbuch ausgetauscht haben.

  • Wo will man da denn dann die Grenze ziehen? Eine Notlage definiert doch jeder für sich ganz persönlich. Darf ich dann stehlen, weil ich mich in einer Notlage befinde? Darf ich schwarz fahren, weil icj dringend mein Ziel erreichen muss? Die Liste kann man ja beliebig fortsetzen

    • @Christian29:

      "Darf ich schwarz fahren, weil icj dringend mein Ziel erreichen muss?"

      Wenn das rechtzeitige Eintreffen am Ziel über Leben und Tod von 500 Millionen Menschen entscheidet, dürfen Sie eine ganze Menge.

    • @Christian29:

      Die Grenze zieht das Gericht. Ist doch einfach. Wir leben in Rechtsstaaten. Und für solche 'Notlagen' in denen man Gesetze auch mal brechen kann und entweder frei gesprochen, oder verurteilt aber straffrei bleibt gibt es Kriterien der ein Richter festzustellen befähigt und befugt ist.



      Als Aktivist bleibt da nur ausprobieren und ggfs in höhere Instanzen gehen und hoffen das dort der eigenen Rechtsauffassung entsprochen wird.

  • Wenn wir "zum ersten Mal in der Geschichte Schwedens ein Urteil haben, in dem tatsächlich festgestellt wird, dass wir uns in einer akuten Klimanotlage befinden", könnte man das doch auch in Deutschland benutzen, um endlich die Aufhebung der Schuldenbremse zu rechtfertigen. Die Notlage ist ja global und nicht auf einzelne Länder begrenzt.