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Bewegung ist wichtig: Seenotretterin und Klimaaktivistin Carola Rackete steht auf Listenplatz 2 Foto: Chris Emil Janßen/imago

Parteitag der LinksparteiZur Reha in Augsburg

Auf ihrem Europaparteitag scheint sich die Linke vom schmerzhaften Rosenkrieg mit Sahra Wagenknecht zu erholen. Große Konflikte bleiben aus.

Pascal Beucker
Daniel Bax
Von Pascal Beucker und Daniel Bax aus Augsburg

E s ist ein ungewöhnlicher Einstieg in eine Bewerbungsrede. Sie wolle am Anfang „direkt etwas klarstellen“, startet Carola Rackete. „Da habe ich Mist gemacht.“ Sie wisse, „dass ich damit viele Menschen verletzt habe und dass ich der Geschichte und der Gegenwart der Linken nicht gerecht geworden bin“. Das tue ihr leid.

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Das sind Worte, die gut in einer Rücktrittserklärung hätten stehen können. Doch im Fall von Rackete stehen sie für das Gegenteil. Es ist das Signal, für die rund 430 Delegierten auf dem Europaparteitag der Linken in Augsburg, dass die 35-järige parteilose Klimaaktivistin und Seenotretterin die Richtige ist, um mit ihnen den Kampf für eine bessere Zukunft der Welt im Allgemeinen und ihrer zerzausten Partei im Besonderen zu wagen. „Eine Linke für alle, davon möchte ich Teil sein“, ruft Rackete in die Halle und erntet frenetischen Beifall.

Anlass für Racketes Entschuldigung war ein unmittelbar vor dem Parteitag veröffentlichtes Interview in der Zeit, in dem sie bekundet hatte, dass es aus ihrer Sicht der Linken helfen würde, „sich noch mal konsequent von ihrer SED-Vergangenheit zu distanzieren und das wirklich aufzuarbeiten“. Außerdem könne der Erneuerungsprozess, den die Partei jetzt gerade beginne, „auch mit einer Umbenennung enden“. Gerade bei den älteren ostdeutschen Genoss:innen, von denen ohnehin nicht wenige mit der jungen westdeutschen Aktivistin fremdeln, hatte das für Verstörung gesorgt.

Doch Rackete schafft es, die Bedenken auszuräumen – auch dank der Unterstützung von Stefan Hartmann, dem Landesvorsitzenden der Linken in Sachsen, die sie nominiert haben. Nach Racketes Vorstellungsrede ergreift er das Wort. „Manchmal muss man sehr viel, sehr schnell, sehr hart lernen“, sagt er. Aber schließlich heiße es doch auf Seite 73 des Erfurter Programms, der Parteibibel, die Linke verstehe sich als „lernende Partei“. Das müsse dann auch für Kandidatinnen wie Rackete gelten dürfen.

Der drohende Faschismus

Und er freue sich, dass sie nicht herumgeeiert, sondern klar gesagt habe: „Ja, ist ein Fehler, und ich lerne.“ Das überzeugt offenkundig die große Mehrheit der Delegierten: Mit 77,8 Prozent wird Rackete hinter dem Parteivorsitzenden Martin Schirdewan (86,9 Prozent) auf Platz 2 der Liste für die Europawahl im Juni 2024 gewählt.

Nach ihrer Wahl steht Rackete erleichtert am Hallenrand. „Ich hoffe nicht, dass mir diese unbedachte Äußerung noch lange nachgetragen wird“, sagt sie der taz. Manche hätten sie deswegen angerufen und angeschrieben, andere in den sozialen Medien reagiert. „Ich habe deswegen viele Gespräche geführt.“

Dabei will sie eigentlich lieber über anderes sprechen: dass linke Klimapolitik gebraucht werde wie nie zuvor. Und dass es auch im sozialen Leben Kipppunkte gebe: die Rückkehr des Faschismus drohe. Die Linke sei die einzige Partei, die ökologische und soziale Fragen verbinde.

Als Kapitänin eines Rettungsschiffs, das Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zog, wurde Rackete weithin bekannt. Weniger bekannt ist ihr Engagement für die Klima- und Agrarpolitik. „Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Meine Eltern sind die Ersten, die in ihren Familien studiert haben“, sagt sie. „In Niedersachsen ist die Landwirtschaft sehr wichtig, die Agrarindustrie und die großen Hühnerhöfe.“ Deshalb beschäftigt sie die Frage: Wie kann man den ökologischen Wandel sozial gerecht gestalten? „Leute verschulden sich, weil sie in Ställe investiert haben.“

Junge Leute für Europa

Ökologische Fragen müsse man aber auch europäisch betrachten: „Die Wasserknappheit in der Lausitz ist auch in Polen und Tschechien ein Problem.“ Darum will sie ins EU-Parlament. Es sei gut, dass jetzt viele junge Leute in die Linkspartei eintreten würden, sagt Rackete. „Ich glaube, dass das Klarheit schafft.“

Zu diesen neuen Mitgliedern gehört Cansin Köktürk. Die 30-Jährige ist zum ersten Mal auf einem Parteitag bei der Linken. Die Sozialarbeiterin und Buchautorin aus Bochum hat die Grünen verlassen, nun gibt sie der angestrebten Erneuerung der Linkspartei ein Gesicht. „Ich fühle mich da zu Hause, wo soziale Gerechtigkeit ernst genommen wird und nicht nur ein Wahlkampf­slogan ist“, sagt sie der taz. Bei den Grünen habe sie damit zu wenig Gehör gefunden.

Aber warum ist sie dann nicht schon vor drei Jahren in die Linkspartei eingetreten? „Damals herrschte bei den Grünen eine Aufbruchstimmung“, sagt Köktürk. „Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit standen stark im Vordergrund, und damit konnte ich mich identifizieren.“ Mit den Positionen von Sahra Wagenknecht habe sie immer ein Problem gehabt, dennoch habe sie die Entwicklungen bei den Linken interessiert verfolgt.

Die Linke ist bunter und aktiver geworden

Cansin Köktürk trat vor Kurzem bei den Grünen aus und in die Linkspartei ein

„Die Linke ist bunter und aktiver geworden“, findet sie. Dass sie weniger politischen Einfluss hat als die Grünen, stört sie nicht. „Wenn man ehrlich und authentisch Politik macht, kann man Mehrheiten gewinnen“, sagt sie. Aber sie weiß auch: „Das ist Überzeugungsarbeit.“

Verletzungen sitzen tief

Tja, die Überzeugungsarbeit. Um die war es allzu lange bei der Linken nicht gerade gut bestellt. Stattdessen zerfleischte sich die Partei in einem jahrelangen innerparteilichen Machtkampf. In der vermeintlichen Partei der Solidarität herrschten Umgangsformen aus der Hölle. Statt Mehrheiten zu gewinnen, bugsierte der selbstzerstörerische Streit mit und um Sahra Wagenknecht sie hart an den Abgrund. Auf ihrem Höhepunkt 2009 hatte die Linke noch mehr als 78.000 Mitglieder, inzwischen sind es wohl deutlich weniger als 50.000.

Mit dem Austritt Wagenknechts und ihrer An­hän­ge­r:in­nen­schaft Ende Oktober ist dieses destruktive Kapitel zwar beendet. Die große Erleichterung darüber ist an allen Ecken und Enden des Augsburger Parteitags zu spüren. Aber trotz aller demonstrativen Aufbruchstimmung ist es eine mehr als offene Frage, ob sich die Linke noch einmal erholen kann. Die erlittenen Verletzungen sind tief.

Den Namen Wagenknecht nimmt die Parteivorsitzende Janine Wissler in ihrer halbstündigen Rede am Samstagvormittag nicht einmal in den Mund. „Ein kleiner Teil unserer Partei hat sich entschieden, den gemeinsamen Weg, auf den wir uns 2007 mit der Gründung der Linken gemacht haben, zu verlassen“, sagt sie stattdessen nüchtern.

Aber auch sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie den Abtrünnigen keine Träne nachweint. Die Konflikte mit ihnen hätten die Partei „zunehmend gelähmt und waren nicht mehr aufzulösen“. Das Profil der Linken sei immer weniger erkennbar gewesen, „obwohl wir Entscheidungen mit deutlichen Mehrheiten getroffen haben“.

Über Defizite „schonungslos“ reden

Aber Wissler warnt auch: „Unsere Probleme sind nicht einfach alle gelöst, weil ein zentraler Streit nun ein Ende gefunden hat.“ Jetzt bestünde jedoch „eine echte Chance, Probleme selbstkritisch anzugehen, die Lähmung hinter uns zu lassen und gemeinsam anzupacken“. Und sie appelliert: „Lasst uns offen, schonungslos und vor allem solidarisch über unsere Defizite reden, nicht mit dem Ziel innerparteilicher Geländegewinne, sondern mit dem gemeinsamen Ziel, die Linke wieder stark zu machen.“

Neu? Na logo! Das Neue der Linkspartei in weiß auf rot, schräg, und der Keil zeigt nun nach rechts Foto: Chris Emil Janßen/imago

Genau das ist das Signal, das von dem Event ausgehen soll: die Linke ist noch da – will aber nicht einfach so weitermachen wie bisher, sondern tatsächlich zu der lernenden Partei werden, die sie laut Grundsatzprogramm immer schon sein wollte. Erneuerung bedeute auch, „dass wir unsere innerparteiliche Kultur verändern müssen“, fordert Wissler. In der Partei müsse „sorgsamer miteinander“ umgegangen werden: „Lasst uns auch untereinander wieder Vertrauen fassen.“

Zumindest auf dem Parteitag scheinen das viele beherzigen zu wollen. Die Beratungen über das Europawahlprogramm dauern zwar wie üblich mehrere Stunden, unzählige Änderungsanträge zur Vorstandsvorlage werden verhandelt – und bis auf ganz wenige Ausnahmen allesamt abgelehnt. Aber die Diskussion verläuft in einer für Linken-Verhältnisse äußerst zivilisierten Form. Kein Gebrüll, keine Beschimpfungen, keine bösartigen Unterstellungen, die zu früheren Zeiten bei inhaltlichen Differenzen allzu oft allzu schnell bei der Hand waren.

Schließlich wird das Programm ohne größeren Streit von einer großen Mehrheit beschlossen. „Unser Europa ist das Europa der Streikenden in Frankreich, der Frauen in Polen, die für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch kämpfen, der europäischen Klimabewegung, der Menschen, die für Selbstbestimmung und gleiche Rechte kämpfen“, fasst Wissler plakativ dessen Botschaft zusammen. „Wir wollen nicht zuschauen, wie die viel beschworenen europäischen Werte täglich im Mittelmeer ertrinken.“

Sicherheitsdienst beendete Störmanöver

Auch die Listenaufstellung verläuft ohne größere Verwerfungen. Das vom Parteivorstand bereits im Juli vorgeschlagene Spitzenquartett passiert problemlos den Parteitag. Nur bei der Kandidatur von Wisslers Co-Parteivorsitzendem Martin Schirdewan kommt es zu einem kurzen Störmanöver.

Der Hamburger Bijan Tavassoli, der in der Vergangenheit bereits öfter durch eigentümliche Provoaktionen aufgefallen war, nutzte die Möglichkeit einer Spontankandidatur, um in einer fünfminütigen „Bewerbungsrede“ die Linke aufs Übelste zu beschimpfen, eine Lobrede auf Sahra Wagenknecht zu halten und dann seinen Austritt aus der Partei zu erklären. Am Ende wurde er von Sicherheitsleuten aus der Halle geführt.

Der schließlich mit 86,9 Prozent der Stimmen gewählte Schirdewan, der mit stoischer Ruhe das Schauspiel neben ihm auf der Bühne ertragen hatte, spricht anschließend von einem „unschönen Zwischenfall“. Zu den rockigen Beats von „Schüsse in die Luft“ von Kraftklub lässt er sich gemeinsam mit Rackete auf der Bühne mit Blumensträußen feiern.

Einer ernsthafteren Gegenkandidatin muss sich die Kölner Europaabgeordnete Özlem Demirel auf Platz 3 erwehren, gegen die Didem Aydurmuş, eine Berliner Klimapolitikwissenschaftlerin, antritt. Doch Parteivorstandsmitglied Aydurmuş bleibt mit 28,6 Prozent chancenlos gegen die Gewerkschafterin Demirel, die mit 62 Prozent klar gewählt wird.

Einigung zum Gazakonflikt

Das mit Abstand beste Ergebnis erzielt allerdings der Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert. Mit 97 Prozent erzielt der parteilose Trabert, der bereits im vergangenen Jahr für die Linke als Bundespräsidentenkandidat angetreten war, ein Traumergebnis. Er trete an „für ein Europa der Menschlichkeit und der Menschenrechte“, sagte er.

Dass es tatsächlich ein Parteitag ohne dramatischere Zwischenfälle werden würde, war von vornherein nicht absehbar. Doch selbst die Diskussion über den Gazakrieg verlief weniger explosiv als erwartet. Am späten Freitagabend stand er auf der Tagesordnung. Die Linke fordere einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza, die Freilassung aller Geiseln und die Ächtung von Antisemitismus und Rassismus – so steht es in dem Antrag, der kurz vor Mitternacht mit breiter Mehrheit angenommen wird. Und unmissverständlich heißt es in dem Beschluss: „Wir verurteilen die Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober.“

Das klingt konsensfähig und ist es letztlich auch. Doch zuvor traten in einem kurzen, aber hoch emotionalen Schlagabtausch noch einmal die Fronten offen zu Tage. Klaus Lederer, ehemaliger Kultursenator in Berlin, sprach von einer „eliminatorischen Enthemmung“ und „genozidalen Gewaltorgie“ der Hamas und nannte den 7.Oktober eine „Zäsur“, die man als solche klar benennen müsse.

Ich trete für ein Europa der Menschlichkeit und der Menschenrechte an

Sozialmediziner Gerhard Trabert wurde mit 97 Prozent auf Listenplatz 4 gewählt

Auf der anderen Seite sprach der Offenbacher Linken-Politiker Nick Papak Amoozegar von der „Hamas und anderen Gruppen des palästinensischen Widerstands“, deren Angriff „keinen Völkermord“ rechtfertigen würde, den Israels Regierung im Gazastreifen begehe. „Das ist ein Genozid“, sagt er – und erntet empörte Pfui-Rufe.

Zuhören statt Parolen grölen

Der Konflikt lasse niemanden kalt, bemühte sich der Tagungsleiter, der Berliner Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser, die Wogen zu glätten. Er bitte alle, die „Tonalität“ herunterzufahren und auf die eigene Wortwahl zu achten. „Sind wir in der Lage, diese Debatte sensibel zu führen?“, fragt er – und antwortet selbst: „Wir können das, aber wir müssen es auch wollen.“

Eine breite Mehrheit wollte das tatsächlich. Nach der Mahnung Meisers trat Özlem Demirel ans Redepult. „Es gibt keinen Menschen in unserer Partei, der die Toten in Israel nicht bedauert, und es gibt keinen Menschen in unserer Partei, der die Toten in Gaza nicht bedauert“, sagte sie unter starkem Beifall. Das sei der linke „Grundsatz, auf den wir uns bitte einigen“.

Zum Nahost-Konflikt kennt die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger beide Perspektiven. „Ich habe in Israel gelebt und gearbeitet und auf den griechischen Inseln, wo palästinensische Geflüchtete ankommen“, sagt die Juristin der taz. „Deswegen bin ich immer bedacht.“ Am 7. Oktober habe sie zuallererst versucht, ihre Freun­d:in­nen in Israel zu erreichen. „Die Frau eines guten Freundes ist Palästinenserin. Ein anderer hat eine Cousine verloren, die bei dem Terrorangriff der Hamas getötet wurde.“

Zuhören und verstehen sei in solchen Situationen wichtiger als politische Parolen. Ihre Partei müsse eigene Antworten finden und unterschiedliche Perspektiven mitdenken. „Das ist nicht einfach – und in einer pluralistischen Partei erst recht nicht“, sagt Bünger. „Aber am Ende des Tages muss jeder von uns hier rausgehen und das vertreten, was wir hier beschlossen haben.“

Noch mehr Wa­ckel­kan­di­da­t:in­nen

Mit dem Verlauf des Parteitags ist Bünger zufrieden. Die Stimmung auf dem Parteitag sei gut und ein „wichtiges Signal für einen Aufbruch“. Gerade hat sich ihre Fraktion aufgelöst, aber sie ist trotzdem zuversichtlich. „Dass wir in der Asylfrage stabil geblieben sind, während andere einknicken, ist ein zentraler Grund dafür, warum Leute jetzt zu uns kommen“, ist die 37-Jährige überzeugt. Das sei eine große Chance.

Am 6. Dezember löst sich die Linksfraktion offiziell auf. Dass sie jetzt schon de facto nicht mehr existiert, zeigte sich am Donnerstag bei der Abstimmung über die Einstufung von Georgien und Moldau als „sichere Herkunftsstaaten“. Bünger hielt eine engagierte Rede dagegen. Wagenknecht & Co. stimmten mit der großen Mehrheit des Parlaments dafür. „Lieber einig mit 28 MdB als zerstritten mit 38, das ist dann die bessere Alternative“, sagt Dietmar Bartsch in seiner Parteitagsrede am Samstagmorgen.

Allerdings ist derzeit noch offen, ob es wirklich 28 bleiben werden, die nun versuchen, als Gruppe im Bundestag anerkannt zu werden. Denn hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass bis zu drei Abgeordneten noch als Wa­ckel­kan­di­da­t:in­nen gelten, die möglicherweise auch noch die Linkspartei im Januar, wenn Wagenknecht ihre neue Partei gründet, verlassen könnten.

Zu denen, die jetzt für sich die Linke neu entdeckt haben, gehört die Campaignerin Liza Pflaum. Die Mitbegründerin der „Seebrücke“ stellt die Erneuerungskampagne auf der Bühne vor. Sie selbst sei in der vergangenen Woche in die Partei eingetreten, und ihr würden über 100 Menschen aus ihrem Bekanntenkreis folgen.

Trommeln für Neumitglieder

Zu den Neumitgliedern gehört auch die Pflegerin Stella Merendino, die sich in der Krankenhausinitiative „Notaufnahme retten“ engagiert. Die Linke sei „die einzige Partei, die für junge Menschen wie mich eine Perspektive bedeutet“, sagt sie. Und: „Wir müssen links und stolz sein.“

Der Berliner Ferat Koçak ist ein weiteres Gesicht der Erneuerung – obwohl er schon länger dabei ist. Der kurdische Aktivist mit dem markanten, rot gefärbten Bart stammt aus dem Berliner Bezirk Neukölln, ist seit sieben Jahren Mitglied der Linkspartei und vertritt sie seit zwei Jahren im Abgeordnetenhaus der Stadt.

Co-Parteichefin mit EU-Spitzenkandidat: Janine Wissler umarmt Martin Schirdewan nach dessen Rede Foto: Chris Emil Janßen/imago

Nun tritt der 34-Jährige im Imagevideo zur Kampagne „Eine Linke für alle“ auf, mit dem seine Partei um neue Mitglieder werben will. „Wir gehen an die Basis und zu den sozialen Bewegungen“, sagt Kocak. Viele Menschen mit Rassismuserfahrung würden sich nicht in Parteien engagieren, weil sie sich dort nicht repräsentiert fühlen. Das gelte auch für die Linke. Aber, sagt er: schon ab Montag würden zahlreiche weitere Aktivisten in die Partei eintreten. Dafür habe er getrommelt.

Es ist der Versuch eines Neuanfangs. Ob er gelingen wird? „Wir wollen die sozialistische Tradition, die Tradition von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, weitertragen“, ruft Wissler am Samstag unter heftigem Applaus in die große Kongresshalle. Aber die dürfe nicht konserviert, sondern müsse weiterentwickelt werden, um eine Zukunft zu haben. „Nicht die Asche bewahren, sondern die Flamme weitergeben, liebe Genossinnen und Genossen!“

Gratis-Wasser und ein Pfeil nach rechts

Schon jetzt ist bei der Linkspartei für jede und jeden etwas dabei. Als Catering gibt es regionale Spezialitäten wie Leberkäse und „Käsespatzen“, aber auch ein veganes und subventioniertes Gericht und Gratis-Wasser für alle.

Zum Neuanfang hat sich die Partei aber auch ein neues Logo verpasst. Rot bleibt weiter prägend, aber andere Farben kommen dazu: sie sollen die Anschlussfähigkeit der Partei an neue Themen symbolisieren. Das Dreieck auf dem i-Punkt im Wort „Linke“ weist nun nach rechts oben, dorthin, wo der Gegner sitzt.

Das neue Logo ist auf dem Parteitag allgegenwärtig, es hat sich aber noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Die Ord­ne­r:in­nen im Saal tragen Jacken mit dem alten Logo, es prangt auch auf Jutetaschen und Plakaten, die an den Ständen in der Nebenhalle ausliegen. Auf dem alten Logo zeigt das Dreieck nach links, auf dem neuen Logo nach rechts. Es geht kreuz und quer. Das wird bis auf Weiteres auch bei der Linkspartei so bleiben.

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22 Kommentare

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  • Immerhin hat die Linke zur rechten Zeit einepolitische Steilvorlage bekommen, die ihr wahrscheinlichin die Arme spielen wird. Der geplatzte Bundeshaushalt und die darauf vermutlich resultierende Sparpolitik, wird den Linken die Themen auf dem Silbertablett liefern.

    • @Stefan Muck:

      Sozialpolitik und Austerität sind aktuell kein Thema. Und die konservative Kampfpresse wird das sicher auch in näherer Zukunft nicht thematisieren. Wir sind mal wieder bei "die Ausländer sind an allem Schuld", und ich sehe nicht, wie sich das in nächster Zeit ändern könnte.

  • Zwei "bekennende" Nichtmitglieder an der Spitze der Europawahl-Liste?



    Frau Rackete gegen Frau Mohammed Ali? Was soll das sein, ein vorweg genommenes Eingeständnis?

    Das schwache Votum der Delegierten für Rackete zeigt wohl, dass dieser Schachzug der Parteiführung nicht unumstritten ist, an der Basis liegt die Zustimmung unter 50%.

  • Fr. Rackete hat leider nicht das Charisma einer Fr. Wagenknecht und kann diese nicht ersetzen. Na ja. Lasst uns sehen, ob sie der deutschen Linken helfen kann. Viel Hoffnung habe ich nicht, zumal sie thematisch nicht gerade dort stark wirkt, wo die klassische Wählerschaft der Linken verortet ist.

    • @Nikolai Nikitin:

      Vielleicht hat Rakete nicht das Charisma von Wagenknecht. Vielleicht braucht sie das aber auch nicht, weil sie durch ihre engagierte Praxis zeigt, dass ihr linke Themen eben nicht nur auf verbaler Ebene am Herzen liegen. Was heißt, sie kann Wagenknecht nicht ersetzen? Wageknecht glänzte entweder durch Abwesenheit im Parlament oder hat sich über Mehrheitsbeschlüsse ihrer eigenen Partei hinweggesetzt. Ich glaube, dies anders zu machen, dürfte Rakete nicht besonders schwer fallen.



      Wenn du glaubst, dass Wagennkecht und ihre Mitstreiter:innen bessere Politik für das linke Klientel machen, dann kannst du sie mit BSW ja wählen. Dass Wagenknecht aber bereits gesagt hat, dass sie nicht mal Vorsitzende ihres neuen Vereins sein will, sollte für dich dann aber doch auch Hinweis genug sein, dass sie wohl selbst nicht so recht an dessen Erfolg glaubt und/oder lieber andere die Arbeit machen lässt, während sie es sich in Talkshows bequem macht.

    • @Nikolai Nikitin:

      Der Parteitag in Augsburg war ein echtes Lebenszeichen der Linken. Phantastereien und persönliche Eitelkeiten treten in den Hintergrund. Und Gründe für "Linke Politik" gibt es zweifelsohne genug.



      Nur so wird die Partei es schaffen zu bestehen.

    • @Nikolai Nikitin:

      Die "klassische Wählerschaft der Linken" steht mit anderthalb Füßen im Grab.

      Keine andere signifikante Partei in der BRD hat in den letzten 10 Jahren einen so hohen Anteil Mitglieder durch den Tod verloren.

      Die Post-Wagenknecht-Linkspartrei macht hingegen das, was die Grünen - bzw speziell die Kretschmann.Özdemir-Altherrenriege - gerade mächtig vor die Wand fahren: für Leute attraktiv sein, die ihr Wahlrecht erst in den nächsten Jahren erhalten.

      • @Ajuga:

        Schauen wir mal. Bei den letzten Landtagswahlen ist sie vor sich hingedümpelt. In Hessen hat sie etwa 3.0 in Bayern gerade mal 1.5 % erreicht. Der Grund: Der absehbare Austritt von Sahra & Friends.

  • An dem beschriebenen Streit um den Krieg in Israel-Palästina kann man sehen, dass keineswegs Sahra Wagenknecht der Hauptgrund für Streit und inhaltliche Widersprüche gewesen ist. Vielmehr liegt der Grund dafür tiefer:

    Es gibt einen starken opportunistischen Flügel, der sich an SPD, CDU und Grüne anbiedert und es gibt einen eher orthodoxen Flügel, der auf traditionelle linke Inhalte setzt. Viele sehen dahinter die Differenzen zwischen West- und Ostdeutschen Linken, aber es ist eher die Spaltung zwischen "Realos" und "Fundis" und bei den Grünen haben sich erstere durchgesetzt.

    Irgendwann wird auch die Partei der LINKEN auf eine Seite kippen. Bis dahin ist sie weiterhin konzeptionell nicht geschlossen genug, um im Streit mit den Mitte-Rechts-Parteien vor den Wähler:innen bestehen zu können, das heißt, die Partei könnte verschwinden, bevor sich eine der beiden Richtungen durchsetzt.

    Die bürgerlichen Parteien CDU/CSU, FDP, SPD, Grüne und AfD haben diese Probleme nicht.

    Ein Ausweg könnte darin bestehen, sich als einzige größere Partei in Deutschland noch enger mit den progressiven sozialen Bewegungen zusammenzuschließen, ob Arbeitskämpfe, Mieterinitiativen, ökologische Bewegungen, Menschenrechtsinstitutionen, Friedensbewegungen und quasi als parlamentarischer Arm dieser Bewegungen zu wirken und darüber diese Bewegungen auch miteinander zu verbinden. Denn das ist etwas, wozu die oben genannten Parteien strukturell schon lange nicht mehr in der Lage sind oder nie waren.

    • @Uns Uwe:

      Nein. So wie Sie haben viele "Linke" es nicht verstanden, dass die reine sozio-ökononomische Stellung nicht automatisch mit einer bestimmten gesellschafts-politischen Orientierung einhergeht, und Kapitalismus daher keine Universalerklärung für sämtliche Probleme der Menschheit ist - letzteres ist starker Tobak für marxistische Dogmatiker, ich weiß.

      Beispiel:



      Die DDR-Gesellschaft war trotz des Realsozialismus ein Paradies für den heutigen AfD-Wähler: Ethnische Homogenität, "Zucht-und Ordnung"-Polizeistaat, stets angriffsbereites Militär, mächtige Geheimdienste, allseits wirkender Druck zur gesellschaftlichen Konformität, Uniformen, Orden, Fahnenappelle schon in der Schule und so weiter

      • @Chris McZott:

        Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen: Sämtliche Ausländer (mit Ausnahme von Russen) begriff die DDR als "Gäste", die sich zu benehmen (= assimilieren) hatten und dem Staat einen (ironischerweise) Gewinn zu bringen hatten. Traf eine dieser Bedingungen nicht zu, wurden die entsprechenden Ausländer umgehend wieder abgeschoben und durch andere (aus Sicht der DDR Führung wertvolleren) Ausländer ersetzt.

        So geschehen mit der Ersetzung der Vertragsarbeiter aus Angola und Mosambik durch solche aus Vietnam.

      • @Chris McZott:

        Die DDR war sicherlich kein Paradies für heutige AfD-Wähler. Oder meinen Sie Björn Höcke verspricht die Rückkehr zur DDR? Im Gegenteil. "Eine neue DDR wollen wir nicht erleben", sagt Höcke und das sagen auch die anderen Parteiführer der AfD.

        www.tagesschau.de/...ich-wende-101.html

        Auch die östlichen Wähler der AfD wollen keine Rückkehr zur DDR. Sie wollen einzig und allein einen größeren Stück vom Kuchen, haben ansonsten aber nichts gegen die "marktkonforme Demokratie", wie Merkel den deutschen Kapitalismus treffend bezeichnete.

        Im Westen ist die AfD zwar nicht so stark, aber dafür sind CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne noch mal kräftig nach rechts gerückt. Das ist also auch nicht viel besser.

        Für die Linke ist das ein brutal schwieriges Umfeld, ganz objektiv gesehen. Deshalb ist hier Selbstbesinnung, Selbstvergewisserung angesagt.

        • @Uns Uwe:

          Wer behauptet, AfDler wollten nur ein größeres Stück vom Kuchen, hat sie nicht verstanden.

          Nur wer verstanden hat, wie AfD-Wähler ticken, wird die AfD entmachten können.

          Höcke will keine Rückkehr zur DDR, genauso wie Putin keine Rückkehr zur stalinistischen Sowjetunion will.

          Beide Staaten müssen Schwächen gehabt haben, sonst würden sie nach noch heute existieren.

          Nichtsdestotrotz kommt die DDR Höckes Ideal sehr nahe, da hat CHRIS MCZOTT schon recht.

          Es ist ja auch kein Wunder, dass die Linke überproportional viele Wähler an die AfD verloren hat.

    • @Uns Uwe:

      "An dem beschriebenen Streit um den Krieg in Israel-Palästina kann man sehen, dass keineswegs Sahra Wagenknecht der Hauptgrund für Streit und inhaltliche Widersprüche gewesen ist."

      Der Streit war EIN Programmpunkt, und wurde schnell beigelegt.

      An der ansonsten herrschenden Einigkeit sieht man sehr gut, dass es tatsächlich EINTIG UNDF ALLEIN diese egomanische Multimillionärin mit dem Edelpelzjäckchen und besten Verbindungen zu den züricher Strippenziehern und Spendenwäschern hinter der AfD war, die die Partei in die Krise getrteten hat.

  • Eine Rede von 1989, in der man sich vom Stalinismus distanziert, ist zwar ein Anfang der Aufarbeitung der Vergangenheit gewesen, aber mit Sicherheit bei weitem nicht ausreichend. Wenn ich mir die Reaktion auf Rachetes Äußerungen im erwähnten Interview betrachte, beschleicht mich das Gefühl, dass sich viele Mitglieder noch lange nicht aus ihren altgewohnten Blasen gelöst haben. Da habe ich so meine Bedenken, was die Zukunftsfähigkeit der Linken betrifft. Eine wirkliche umfassende Aufarbeitung der Geschicht hat aus meiner Sicht bei weitem nicht ausreichend stattgefunden. ... Aber welche Partei hat dies nach der Wende wirklich ehrlich getan? Die CDU, als sie die Ost-CDU übernahm? Da ist mir nichts bekannt. Die FDP, als sie die NDPD und LDPD übernahmen? Da ist mir ebenfalls nichts bekannt. Die Ost-SPD war ja zumindest eine Neugründung und keine ehemalige DDR-Blockpartei. Auch Bündnis 90/ Die Grünen entstammen keiner DDR-Blockpartei.



    Und wir könnten ja mal 'ne Diskussion beginnen, was das C im Namen von CDU uns CSU bedeuten soll. Ja, ich weiß, es steht für 'Chrislich', aber wie christlich ist denn die CDU-/CSU-Politik überhaupt?

  • Die Linkspartei versucht heutzutage, Politik für alles und jeden zu machen. Für sozial abgehängte, Arbeitslose und Arbeiter aber dann wiederum auch für moderne junge Stadtmenschen denen es hauptsächlich um liberale Werte geht, für eingewanderte, und dann auch noch für diejenigen, die in der internationalen Politik immer auf der Seite der guten oder unterdrückten stehen wollen, und sich dann noch gegen Antisemitismus und Antiislamismus stellen wollen, und für junge Nachhaltige die Klimawandelpolitik machen wollen.

    Die Schnittmenge von Leuten, die bei ALL diesen Themen, zu denen sich diese Partei ja immer so laut und moralisch bewusst positioniert, um ja alles richtig zu machen, zustimmt, ist verschwindend klein, liegt bundesweit irgendwo bei 2-3% und besteht aus irgendwelchen intellektuellen, jungen Medienmenschen (z.B. Taz-Journalisten) oder wohnt in Berlin-Ost oder Connewitz. Alle anderen haben sich schon längst anderen Parteien wie der AFD, den Nichtwählern, den Grünen oder BSW zugewendet.

    Dass die Linke immernoch nicht versteht, dass sie ihren Kurs ändern muss und sich auf maximal EIN oder ZWEI Kernthemen (wie soziale Gerechtigkeit in Deutschland) fokussieren sollte, und sich um Dinge wie "linke Klimapolitik", nicht kümmern sollte, weil das schon andere Parteien machen und es alte und sozialschwache ehemalige Linkenwähler, die sich für diese Themen nicht interessieren, abschreckt, wenn sie jemals wieder eine relevante Partei werden will, zeigt nur, dass sie entgültig dem Untergang geweiht ist.

    Die Linksparteielite denkt, sie erreichen eine größere Wählergruppe, indem sie sich um alles gleichzeitig kümmern wollen, aber da sich die daran interessierten Milleus teiweise radikal unterscheiden, erreichen sie das Gegenteil und bewirken, dass sich fast all diese Gruppen von der Partei abwenden, und zu anderen Parteien wechseln, bei denen sie nicht so sehr das Gefühl haben, dass diese einfach immer nur auf der richtigen Seite stehen wollen.

    • @Fabian Schock:

      Klimapolitik ist in Ihren Augen also Klientelpolitik?



      Faszinierend...

  • das wird ein wirklich schwieriger Weg aus der Krise für die Linke - jetzt wo die vernünftigen Köpfe die Partei verlassen haben.

    • @Andere Meinung:

      Ich will keine bunte Linke - ich will eine tiefrote Linke. Bunte Parteien haben wir genug!

      • @Bernd Simon:

        Gibts doch schon - heißt MLPD.

  • Carola Rackete hat einen sehr spezieller Charakter.



    Da frage ich mich schon, ob sie mit ihrer sehr speziellen Art genug neue Wähler binden kann oder nicht viele abschreckt. Ich tue mich sehr schwer mit ihrer Art, aber das will ja nichts heißen.



    Ich habe noch nie die Linke gewählt, ich werde es eh nie tun, aber ich meine eine gute Demokratie braucht auch einen linken Flügel. Und nur aus diesem Blickwinkel wünsche ich der Linke so viel Erfolg, dass sie im Politbetrieb "sichtbar" bleibt.

    • @Rudi Hamm:

      Sehe ich ähnlich. Frau Rackete ist hier bei uns nur ganz schwer anschlussfähig aber meine frühere Partei hat ja schon vor längerer Zeit beschlossen die ehemaligen Hochburgen mit zweistelligen Wahlergebnissen schnellstens schleifen zu wollen. Ich wünsche mir jetzt zumindest noch eine echte linke Opposition. Ob es in der derzeitigen Verfassung dazu reicht, wage ich aber zu bezweifeln. Bei den Wahlen nächstes Jahr steht in unserem Wahlkreis aber sicher die nächste Halbierung des Stimmenanteils an. Genug junge Neuwähler die das irgendwie kompensieren könnten, gibt es in der zweitältesten Kommune dieses Landes ja leider nicht mehr.