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Regierungsbildung SpanienAmnestie für den Machterhalt

Pedro Sánchez einigt sich mit Parteien auf ein Gesetz, das katalanischen Politikern Amnestie gewährt. Darunter sind mehrere, die im Exil leben.

Pedro Sánchez sichert sich Stimmen, hier mit Andoni Ortuzar von der baskischen Partei PNV Foto: Eduardo Parra/dpa

Madrid taz | Es ist so weit. Am Montag reichte die sozialistische PSOE zusammen mit Regionalparteien aus Galicien, dem Baskenland und Katalonien beim spanischen Parlament ein Amnestiegesetz ein, das Straffreiheit für katalanische Unabhängigkeitspolitiker und -aktivisten gewährt. Das betrifft vor allem all jene, die gegen den Willen der Zentralregierung 2014 eine Bürgerbefragung und 2017 ein Unabhängigkeitsreferendum organisierten. Die Amnestie ist einer der wichtigsten Punkte der Vereinbarungen, die die PSOE von Ministerpräsident Pedro Sánchez mit anderen Parteien schloss, um nach einer Parlamentsdebatte am Mittwoch und Donnerstag für weitere vier Jahre ins Amt gewählt zu werden.

Mit dem Gesetz erreichte Sánchez die Unterstützung der in Katalonien regierenden Republikanischen Linken (ERC) und von der katalanisch separatistischen Partei Gemeinsam für Katalonien (JxCat). Diese wird vom im Brüsseler Exil lebenden ehemaligen katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont geführt.

Das „Gesetz der Amnestie zur institutionellen, politischen und sozialen Normalisierung in Katalonien“, so der offizielle Name, begünstigt all diejenigen, die von 2012 bis heute in Zusammenhang mit den beiden Volksbefragungsprozessen angeklagt oder verurteilt wurden. Das dürften rund 400 Personen sein, darunter auch Puig­demont und weitere im Exil lebende Politiker sowie 73 Polizeibeamte, die wegen Polizeigewalt am Tag des Referendums, dem 1. Oktober 2017, angeklagt sind.

Es handele sich um ein „einzigartiges Gesetz zur Regulierung der politischen Lage und zur Förderung von Lösungen“ für den Konflikt in Katalonien, heißt es im Vorwort. Die Amnestie sei ein „schwieriger Weg“, der aber „mutig und versöhnlich“ sei.

Sánchez macht aus der Not eine Tugend

Die Amnestie werde „der Politik zurückgeben, was die Politik nie hätte verlassen dürfen“, erklärte Sánchez bereits bevor das Gesetz eingereicht wurde. Der 2017 regierende konservative spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy brach alle Kontakte nach Katalonien ab und überließ das Problem der Polizei und den Gerichten. Eltern, Lehrer und Direktoren, die dafür sorgten, dass Schulen als Wahllokale dienen konnten, werden seither gerichtlich verfolgt.

Die gesamte katalanische Regierung wurde vor Gericht gestellt und zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt. Später wurden sie von der Regierung Sánchez begnadigt. Andere gingen, so wie der ehemalige katalanische Präsident Carles Puigdemont, ins Exil. Er und seine Partei Gemeinsam für Katalonien (JxCat) sowie die mittlerweile in Barcelona regierende Republikanische Linke Kataloniens (ERC) handelten das Amnestiegesetz mit Sánchez aus.

„Bei den Wahlen am 23. Juli haben die Bürger gesagt, dass Spanien nur regiert werden kann, wenn der politische Pluralismus und die territoriale Vielfalt des Landes anerkannt werden“, erklärte Sánchez am Wochenende auf dem Kongress der europäischen Sozialdemokratie im südspanischen Málaga. Sánchez macht damit aus der Not eine Tugend. Denn noch im Wahlkampf wollte er von einer Amnestie nichts wissen. Ein solches Gesetz habe in der spanischen Verfassung keinen Platz, behauptete er ohne juristische Grundlage. Und vor nunmehr vier Jahren versprach Sánchez gar, Puigdemont nach Spanien vor die Richter zu zerren.

Das Umdenken kam mit dem Ergebnis der Wahlen. Die PP wurde stärkste Partei. Jedoch gelang es PP-Chef Feijóo nicht, eine Parlamentsmehrheit hinter sich zu vereinen. Er schloss ein Bündnis mit der rechtsex­tremen VOX. Keine weitere Partei wollte dies unterstützen. Feijóo wurde damit selbst Opfer einer Brandmauer aller restlichen Fraktionen gegen rechts außen.

Es war die Stunde des Zweitplatzierten Sánchez. Er begann damit ein breites Bündnis zu schmieden, um selbst die Parlamentsmehrheit zu erreichen, was jetzt gelang. 179 der 350 Abgeordneten unterstützen ihn für weitere vier Jahre. Mit dabei sind all diejenigen, die von der Loslösung Kataloniens von Spanien träumen: linke Basken, die einst den bewaffneten Kampf verteidigten, Konservative, die im Baskenland regieren, galicische Linksnationalisten sowie Regionalisten von den Kanaren.

Sie alle bringen damit ihre Ablehnung gegenüber PP und VOX zum Ausdruck. Die beiden Rechtsparteien regieren seit den Kommunal- und Regionalwahlen vergangenen Mai gemeinsam in mehr als 100 Gemeinden und Städten sowie in fünf Regionen. Überall dort werden seither unter anderem die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten beschnitten. Dort wo sie gemeinsam regieren und es – wie auf den Balearen in Form des Katalanischen – eine eigene Sprache neben dem Kastilischen gibt, versuchen PP und VOX den Einfluss dieser Regionalsprache zurückzudrängen. All das macht Angst und stößt auf Ablehnung.

Neben dem Amnestiegesetz hat Sánchez in den Verhandlungen eine Reihe weiterer wichtiger Zugeständnisse gemacht. Verhandelt wurden unter anderem mehr Investitionen auf den Kanaren und in Galicien sowie ein Schuldenerlass für Katalonien. Auch soll es Gespräche unter internationaler Beobachtung zur Lösung des Katalonienkonflikts geben.

Bisher sind die Proteste erfolglos. Ministerpräsident Sánchez genießt in seiner Partei breite Unterstützung

All das ist für PP und VOX eine „Erniedrigung Spaniens“ und eine Gefahr für „die Einheit der Nation“. PP-Chef Alberto Nuñez Feijóo lädt deshalb alle Spanier ein, sich den Protesten gegen die Amnestie anzuschließen – bisher aber ohne sichtbaren Erfolg. Obwohl das Thema umstritten ist, hält sich die PSOE bei jüngsten Umfragen erstaunlich gut. 87 Prozent der Sozialisten stellten sich in einer Basisabstimmung hinter ihren Parteichef und dessen Verhandlungen.

In Katalonien loben selbst strikte Gegner der Loslösung von Spanien die Vereinbarung zwischen Sozialisten und Unabhängigkeitsbefürwortern. „Das Abkommen öffnet die Tür zu einem politischen Szenario, das so in der zeitgenössischen Geschichte Spaniens selten war: Alle sind dabei“, schreibt etwa der stellvertretende Chefredakteur und Leiter des Hauptstadtbüros der konservativen Zeitung La Vanguardia aus Barcelona, Enric Juliana.

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11 Kommentare

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  • @DIMA

    Offensichtlich sind wir da anderer Meinung.

  • @CHRISTOPH STREBEL

    Ihr erster Absatz ist mir zu esoterisch. Zur Frage im zweiten: sie kommen bestimmt nicht für 13 Jahren in den Knast.

    @DIMA

    Formaljuristisch, wie gesagt. Gesellschaftspolitisch eine Abrissbirne. Insofern ist Sánchez' Entscheidung trotzdem richtig (auch wenn ich JxC nicht ausstehen kann).

    • @tomás zerolo:

      Nochmals, auf die Hintergründe einer Amnestie käme es mir nicht darauf an, wenn diese nicht im Austausch zum Machterhalt gewährt werden würde.

      Genau wegen dieses Zusammenhanges hat sich auch die EU bereits eingeschaltet und in Spanien weitere Informationen aus Madrid angefordert.

      im Ergebnis ist die Amnestie damit höchst fragwürdig und möglicherweise auch anfechtbar. Dann hätte das Ganze ganz andere gesellschaftspolitische Dimensionen.

      Herr Sanchez hätte unter diesen Umständen euf eine Regierungsbildung verzichten sollen. In dieser Form ist das Ende noch lange nicht absehbar.

  • @DIMA

    Verzeihen Sie meine Deutlichkeit, aber: was Sie sagen ist ausgemachter Blödsinn.

    Die drakonischen Strafen wegen "Landesverrats" für eine gewaltfreie Aktion waren zwar formalrechtlich begündet, gesellschaftspolitisch eine Katastrophe -- eine Begnadigung also geboten.

    Dass die Rechten jetzt den Amok laufenden Nationalismus ausschlachten ist klar.

    Dass sie denen das Wort reden macht mich schon deshalb doppelt wütend, weil ich als Spanier die Franco-Zeit noch miterlebt habe.

    • @tomás zerolo:

      Der Staat hat das Gewaltmonopol: eine Landesregierung kann nicht gewaltfrei handeln, sie ist die Gewalt. Also ist auch die versuchte Abspaltung nicht gewaltfrei.



      Wie ergeht es den Mitgliedern einer deutschen Landesregierung, die Bundesgesetze und die Urteile des Bundesverfassungsgerichts missachtet?

    • @tomás zerolo:

      Es geht um einen Politiker, der die Amnestie eigentlich ablehnt und diese nur zwecks Machtverhalt gewährt. Das geht für nicht.

      Wenn Herr Sanchez in der letzten Legislaturperiode ein entsprechendes Gesetz eingebracht hätte, wäre eine politische Entscheidung und mir persönlich vollkommen egal.

      Nur Amnestie gegen Machterhalt schmeckt für mich nach Korruption.

  • Eine solche Amnestie zwecks Machterhalt hätte ich den Herren Trump oder Bolsonaro ohne weitere zugemutet und bin entäuscht, dass soetwas in der EU passiert. Der Mangel an politischer Integrität macht fassungslos. Es bleibt zu hoffen, dass nicht alle Abgeordneten diesen Weg mitgehen.

    • @DiMa:

      Das ist VOX von links.



      Aber schon seit der Zeit im Vorfeld des Spanischen Bürgerkrieges sind Rechte und Linke in Spanien sehr gegen einander aufgestellt. Eine Große Koalition ist weit außerhalb der Vorstellungen.

  • Die Amnestie geht schon in Ordnung. Der kläglich gescheiterte Versuch Katalonien zu einem selbstständigen Staat zu zu machen ist immerhin schon 6 Jahre her.

    Der Schuldenschnitt für Katalonien ist allerdings üble Erpressung, das müssen alle Spanier bezahlen.

    Katalanen, die mit Sklavenhandel und Ausbeutung die Basis für ihren Wohlstand gelegt haben und später geschickt einen Großteil der spanischen EU Gelder in die katalanische Region umleiteten, sind eben Spezialisten auf Kosten anderer zu leben.

    • @Diego:

      Das wirtschaftliche Powerhouse Spaniens bekommt einen Schuldenschnitt?

  • Tja, Versöhnung schmeckt den rechten Polarisierungsgewinnlern nicht.



    Gut so, weitermachen!