piwik no script img

Illustration: Doro Huber

Ein Quereinsteiger als Lehrer berichtetDas Pochen am Hals

Schulen in Deutschland haben ein massives Problem: Immer mehr Leh­re­r:in­nen geben auf. Können Quer­ein­stei­ge­r:in­nen die Lücken füllen?

Von Fabian Hain aus Berlin

A hmed versteht nicht, was er falsch gemacht hat. Er sagt, dass es ihm leidtut, aber ich glaube ihm nicht. Sein gesenkter Blick, die hochgezogenen Schultern: Alles Show, wie so oft. „Sorry, Herr Hain, wirklich.“ Ahmed wippt mit dem Fuß. Er will zurück zur Weihnachtsfeier, wo die Unterstufe zu Nina-Chuba-Songs herumsteht.

Doch so einfach lasse ich ihn nicht davonkommen, nachdem er einen Fünftklässler vom Stuhl getreten hat. „Da musste ich doch Respekt bekommen“, sagt Ahmed. „Was hat das mit Respekt zu tun?“, frage ich. „Weil ich der Ältere bin“, sagt Ahmed. Und dann darf ich mir von einem Sechstklässler anhören, was es heißt, ein Mann zu sein.

Seit dem vergangenen Schuljahr bin ich Vertretungslehrer an einer Gesamtschule in einer deutschen Großstadt. Die Schule liegt in einem Viertel mit Hochhäusern, am Elternsprechtag fragen manche Eltern, ob sie die 20 Euro für die Klassenkasse erst im nächsten Monat bezahlen können. Den Namen der Schule werde ich nicht nennen. Mein Name, Ahmeds und alle weiteren Namen sind erfunden.

Ich erzähle die Geschichte nicht, weil ich jemanden vorführen möchte – ich habe Respekt vor der Arbeit meiner Kol­le­g:in­nen und Sympathie für meine Schüler:innen. Ich erzähle die Geschichte, weil ich zeigen möchte, dass es so nicht weitergehen kann.

Ich wollte nie Lehrer werden. Ich fand das langweilig, schon meine Eltern waren Lehrer. Ich wollte Journalist werden, also studierte ich Medienwissenschaften und arbeitete danach als Freiberufler. 2014 verliebte ich mich in eine Amerikanerin und wanderte mit ihr in die Staaten aus. Dort arbeitete ich als Fußballtrainer, später kam ein Job als Vertretungslehrer hinzu.

In den Staaten braucht man dafür nur einen Bachelor, Fachrichtung irrelevant. Ich nahm an einer zweitägigen Schulung teil und konnte anschließend via Onlineportal Tagesjobs annehmen. Doch irgendwo zwischen Trump, Corona und Schicksalsschlägen litt meine Ehe und so stand ich nach fünf Jahren wieder bei Mama vor der Tür. Alles auf null mit Mitte dreißig. Ich entschied mich, das fortzuführen, was ich in den USA begonnen hatte, und bewarb mich auf Vertretungsstellen für Quereinsteiger.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

In Deutschland fehlen Lehrer:innen. 14.466 Stellen sollen unbesetzt sein, Tendenz steigend. Gründe gibt es viele. Da ist die Überalterung des Berufsstandes, 21 Prozent der Leh­re­r:in­nen sind 55 Jahre oder älter. Gleichzeitig wächst aufgrund von Zuwanderung und Geburtenzahlen die Schüler:innenschaft. Bis 2035 rechnet man bei der Agentur für Arbeit mit 900.000 mehr Schü­le­r:in­nen als derzeit.

Wer Leh­re­r:in werden will, für den gibt es gerade viele Möglichkeiten. 8,6 Prozent aller Leh­re­r:in­nen an deutschen Regelschulen waren 2022 Quer­ein­stei­ge­r:in­nen. 2011 hatten 40.000 Leh­re­r:in­nen an deutschen Schulen keine Lehramtsprüfung abgelegt, zehn Jahre später waren es schon 60.000. Dabei variiert die Quote stark: In Sachsen-Anhalt ist fast je­de:r zweite Leh­re­r:in ein:e Quereinsteiger:in, in Bayern geht die Quote gegen null.

Auch das Einstellungsprozedere, das je­de:r Be­wer­be­r:in durchläuft, unterscheidet sich. Grundsätzlich legt die Kultusministerkonferenz fest, welche Qualifikationen nötig sind, um als Ver­tre­tungs­leh­re­r:in zu arbeiten. Gleichzeitig erlaubt die Kultusministerkonferenz „landesspezifische Sondermaßnahmen für die Gewinnung von Lehrkräften“.

Illustration: Doro Huber

Diese sollen sich zwar an die bundesweiten Standards halten, aber nur, wenn das möglich ist. Sprich: Die Standards werden überall dort herabgesetzt, wo die Not besonders groß ist. So braucht man üblicherweise einen Masterabschluss, „aus dem sich mindestens zwei lehramtsbezogene Fächer ableiten lassen“, um als Quer­ein­stei­ge­r:in zu unterrichten. In Brandenburg kann man derzeit bereits mit einem Bachelor verbeamtet werden.

Auch mein Quereinstieg ist ein Beispiel dafür, wie stark die Standards variieren. Nach wenigen Bewerbungsschreiben – ohne einen Zwei-Fächer-Master – habe ich zwei Einladungen zum Interview. Beim zweiten bringt mich mein Geschlecht weiter. Bislang wurde die Klasse vornehmlich von Frauen unterrichtet. Weil sie zu zwei Dritteln aus Jungs besteht, denkt die Schulleitung, dass ihr ein Lehrer guttäte.

Meine Erfahrungen als Fußballtrainer und Vertretungslehrer in den USA stechen Bewerber mit klassischem Lehramtsstudium aus, meine journalistische Ausbildung befähigt mich, Deutsch zu unterrichten, die fünf Jahre Auslandsaufenthalt reichen für Englisch. Als Quereinsteiger werde ich nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt, etwa 2.100 Euro pro Monat netto – ungefähr ein Drittel weniger, als ein ausgebildeter Lehrer bekäme. Nur wenige Tage nach dem Bewerbungsgespräch trete ich meinen Job als Klassenlehrer der 6b an.

Herbst

Die Schule ist ein tristes Gebäude mit flachem Dach und harten Kanten. Der Pausenhof besteht vor allem aus Matsch und Geröll, weswegen ich die Pausen gerne auch mal als „Freigang“ bezeichne. Auch drinnen herrscht alles andere als eine Wohlfühlatmosphäre. An den Wänden finden sich lieblose Schmierereien über genopptem, abwischbaren Linoleumboden.

Im Lehrerzimmer stehen drei alte Computer, die an einen noch älteren Drucker angeschlossen sind, für den es keine Treiberaktualisierung mehr gibt. Einmal schickt uns die Schulleitung eine Mail mit der Bitte, in den Ferien nichts auf unseren Plätzen zu lassen. Wir haben Mäuse im Haus, die Kammerjäger seien bestellt.

Mein erster Tag als Klassenlehrer beginnt damit, einen Stuhlkreis zu bilden. Doch Vincent und Ibrahim vergleichen lieber ihre neuen Frisuren. Cassandra wurde heute früh von ihrem Freund verlassen und muss getröstet werden. Mirko sagt, er muss auf die Toilette. Ich sage ihm, dass die letzte Pause vor 5 Minuten war. Lewis träumt. Isa klagt über Bauchschmerzen, aber sie will es „weiter aushalten“, und Toni rennt zur Tür, weil es geklopft haben soll.

Schon in der zweiten Woche habe ich an Arbeitstagen Panikattacken

Als endlich fast alle sitzen, nennt Mehmet einen anderen Schüler ein „Hustenbonbon“, was ein Code ist für „Hurensohn“, wenn Lehrer mithören. Daraufhin gibt es einen Tumult, und als der sich beruhigt hat, hat Ahmed damit begonnen, etwas zu essen. Er möge das bitte lassen, sage ich. „Aber ich habe in der Pause nichts gegessen“, sagt er. „Das ist nicht mein Problem“, antworte ich. „Wallah, gottlos“, schnaubt er zurück und die Klasse bricht in Gelächter aus.

Alles am Lehrersein ist Beziehungsarbeit. Jede Klasse, jede Schülerin und jeder Schüler will wissen, mit wem sie es zu tun hat. Um das herauszufinden, werden wir Leh­re­r:in­nen getestet. Was wird von uns honoriert – und, besonders in der Klasse 6b: Was wird bestraft? Ich bin es gewohnt, anders Beziehungen aufzubauen: Wenn der Unterricht mal wieder nicht möglich ist, halte ich Vorträge zum respektvollen Umgang miteinander oder versuche dafür zu werben, dass auch die Schü­le­r:in­nen selbst von einer weniger aggressiven Arbeitsatmosphäre profitieren würden – vergebens. Bei meinen Fußballmannschaften war ich mit dieser Strategie erfolgreicher, da hatten wir aber auch ein gemeinsames Ziel.

Einer, der am stärksten seine Grenzen austestet, ist Vincent. Er ist intellektuell unterfordert und macht aus allem ein Spiel. Einmal kommt er erst nach 15 Minuten von der Toilette wieder, was mir nur auffällt, weil Jorge mich mehrfach fragt, ob er jetzt auch dürfe (Toilettenregel: immer nur eine Person gleichzeitig). Ich spreche Vincent darauf an, er erfindet Geschichten von kaputten Toiletten und Aufzügen.

Ein anderes Mal haben Mehmet und Elias während einer Gruppenarbeit Streit. Als ich dazukomme, drängt mich Mehmet, den Streit für sie zu lösen. „Teil einer Gruppenarbeit ist es, sich als Gruppe zu organisieren“, antworte ich. „Ihr müsst das unter euch klären.“ Die Antwort: „Sie sagen also, dass ich ihn boxen soll?“ Für viele der Jugendlichen ist Gewalt die alleinige und allgegenwärtige Strategie.

Das sind nur zwei Beispiele von vielen, aber es sind auch nicht so sehr die einzelnen Konfrontationen, sondern ihre Frequenz, die mich mürbe macht. „Überflutung“ nennt mein Vater dieses Gefühl. Und obwohl ich diese Beschreibungen schon von zu Hause kenne, komme ich mir jedes Mal wie eine Mimose vor, wenn ich von meiner Überforderung berichte.

Schon in der zweiten Woche habe ich an Arbeitstagen Panikattacken, meistens morgens. Aber ich schaffe es, mich nicht krank zu melden. Nur einmal, als mir die Bahn vor der Nase wegfährt, kann ich meine Fight-or-Flight-Impulse nicht mehr bändigen. Es treibt mich zurück nach Hause, wo ich mir die Augen ausheule, einen Wasserschaden erfinde und anschließend weiterheule.

Ich komme mir von Tag zu Tag mehr wie ein Taugenichts vor. Und ich frage mich: Geht das allen so? Oder nur mir? Haben die ausgebildeten Lehrkräfte den Laden besser im Griff oder sind sie an all das nur mehr gewöhnt?

Meine Co-Tutorin Antonia ist seit der fünften Klasse Lehrerin in der 6b, ich unterrichte gemeinsam mit ihr Englisch. Sie kommuniziert Lob mit mütterlicher Ergriffenheit und Kritik mit Enttäuschung. Offiziell sind wir Kollegen, aber es ist schnell klar, dass sie mich an die Hand nehmen soll. Bei ihr ist die Klasse verhältnismäßig still und arbeitswillig. Doch auch an ihr nagt die tagtägliche Überflutung. Sie war zuletzt häufig krank und fällt regelmäßig aus, auch daher die Doppelbesetzung.

Ihre Kollegin Beate fehlt vollständig und auf unbestimmte Zeit mit Burnout. Für Beate bin ich eingestellt worden. Mit Antonia läuft der Englischunterricht ganz gut, auch wenn ich ihn leite. Dann aber geht sie aus der Klasse, und wenn die Jugendlichen für den Deutschunterricht aus der Fünfminutenpause zurückkommen, versinkt alles im Chaos. „Sie kennen dich noch nicht“, sagt Antonia.

Von allen Seiten – Eltern, Kollegen, aber auch von mir selbst – höre ich immer wieder den gleichen Ratschlag: Nimm’s nicht persönlich. Es bleibt meist ein Versuch. Stattdessen schlafe ich schlecht bis gar nicht. Meinen Unterricht erlebe ich als Misserfolg. Selbst wenn es von Kol­le­g:in­nen­sei­te immer wieder heißt, dass Dinge Zeit brauchen, man auf das meiste eh keinen Einfluss hat und so weiter. Aber um dies anzunehmen, reiht sich diese Erfahrung zu sehr ein in die Kette beruflicher und privater Niederlagen.

Ich lese, dass es nicht nur mir so geht. 62 Prozent aller Leh­re­r:in­nen sagen laut Robert-Bosch-Umfrage, dass sie häufig oder sogar täglich körperlich erschöpft und müde sind. Ein Drittel klagt über Schlafstörungen. Wenn dies die Durchschnittswerte sind, müssen sie an unserer Schule höher liegen. Wir sind schließlich eine Problemschule, haben mehr Probleme zu lösen, bei gleichen Ressourcen. Unsere Klassen sind nicht kleiner, aber unsere Schü­le­r:in­nen benötigen mehr. Ausgestattet sind wir dafür nicht. Sonderpädagogen sind in circa jeder fünften meiner 25,5 Wochenstunden mit mir im Unterricht. Für über 1.000 Schü­le­r:in­nen haben wir zwei Sozialarbeiter:innen.

„Wir konnten feststellen, dass die Berufszufriedenheit von Quer- und Seiteneinsteigern im Mittel niedriger ist als die von regulär ausgebildeten Lehrkräften“, schreibt Tim Fütterer, der die Pisa-Studie ausgewertet hat. Dazu passt, dass in den Regionen, in denen der Anteil der Quer­ein­stei­ge­r:in­nen am größten ist, auch die Abbruchquote am höchsten ist. In Sachsen-Anhalt, wo fast jeder zweite Lehrer Quereinsteiger ist, schmeißt fast jeder zweite hin.

Mit der Zeit werden meine Panikattacken weniger, dafür setzt eine tiefe Müdigkeit ein. Kreative Unterrichtsvorbereitung habe ich aufgegeben und die Schulstunde als ewige Lotterie akzeptiert. Kurz vor Weihnachten stehe ich vor der Klasse und lasse Igor wiederholen, was die Aufgabe für den Rest der Stunde ist. Ich höre nicht zu, bin in Gedanken. Will die Klasse nur in die Arbeitsphase verabschieden und mich hinter meinem iPad verkriechen.

Als Igor zu erzählen beginnt, merke ich, wie es in meinem Nacken pulsiert. Ein Pochen. Stress. Ganz tief eingegraben in meine Haut. „Gibt es dazu noch Fragen?“, sage ich wie im Autopiloten. Es ist, als ob sich der erste Schock gelegt hat und mein Körper erst jetzt dazu kommt, mir zu zeigen, dass es ihm nicht gut geht. Mit diesem Pochen, das von da an bleibt.

Winter

Einmal gehe ich durch den Pausenbereich, als Toni zusammen mit Freunden von der anderen Seite der Halle meinen Namen ruft. „Was gibt’s?“, frage ich, als Toni bei mir angekommen ist. „Sie haben einen richtigen Bierbauch bekommen, Herr Hain“, sagt Toni und kann gerade so sein Lachen unterdrücken. Ich spüre, wie die Wut in mir aufsteigt. „Sag mal, hast du sie noch alle?“, spucke ich aus und drehe mich um, ohne eine Antwort abzuwarten. Diese Szene sticht heraus; es gibt viele dieser alltäglichen Interaktionen, denen fast immer eine Portion Respekt fehlt.

Woran liegt das? In den USA sitzen Schü­le­r:in­nen an Einzeltischen, wir in Deutschland fragen sie nach ihren Wünschen für die Sitzordnung. In den USA haben Leh­re­r:in­nen feste Klassenräume, die sie nach ihren Wünschen gestalten. Es sind die Schüler:innen, die nach dem Klingeln den Raum wechseln. Sie sind beim Lehrer zu Gast, nicht umgekehrt. Als ich einer amerikanischen Freundin von meiner Situation erzähle, fragt sie: „Wie, Schüler in Deutschland reden im Unterricht?“ Ich brauche einen Moment, um die Grundsätzlichkeit ihrer Frage zu verstehen.

Lebensraum – so heißt Schule an allen Ecken deutscher pädagogischer Diskussionen. Persönlichkeitsentwicklung hat Priorität. Auch in unserem Klassenzimmer hängen jene Klassenregeln, zu Beginn des Schuljahres lustlos und voller Rechtschreibfehler auf ein Plakat geschmiert.

Glauben Sie eigentlich an uns, Herr Hain?

Ich empfinde sie nicht als Ausdruck eines Miteinanders. Sie sind ein Wunsch, der aber so weit von der Realität der Jugendlichen entfernt ist, dass er jede Bedeutung verliert. „Wir gehen respektvoll miteinander um“, steht da. Ich kann so etwas zwischen hundert Hustenbonbons, Blowjobgesten und sexualisierter Sprache nicht ernst nehmen. Und meine Schü­le­r:in­nen genauso wenig.

Laut einer Unicef-Studie von 2022 mit 16- bis 19-Jährigen sind deutsche Jugendliche im europäischen Vergleich mit ihrer Lebenssituation allgemein sehr unzufrieden. Einzig die Teen­age­r:in­nen aus Bulgarien schätzen ihre Lage noch schlechter ein. Wobei die Tendenz bei den Bul­ga­r:in­nen positiv ist, in Deutschland hat sich die Stimmung seit 2013 stetig verschlechtert.

In dem englischen Klassenraum einer Freundin, die ich besuche, sehe ich keine Klassenregeln an der Wand, auch kein Klassenfoto und keine Pflanzen. Es ist ein funktionaler Raum wie in Amerika. Die Schüler haben weniger Freiheiten in diesen Schulen und sie fühlen sich – glaube ich – wohler damit. Ihnen werden Dinge abgenommen.

Ich habe viele meiner Freunde aus Frankreich, England und den USA gefragt, und es scheint mir, als wenn kaum ein Land seinen Nachwuchs mehr nach seinen Befindlichkeiten fragt als Deutschland. Wer sich gut fühlt, erbringt bessere Leistungen, sagt das deutsche Schulsystem. Ich halte das für ein Missverständnis. Denn: Wer leistet, fühlt sich gut.

In einer Arbeitsphase starrt Isa wieder mal ins Nichts. Ich bitte sie anzufan­gen, und sie sagt, wie fast immer, dass sie die Aufgabe nicht verstanden hat. „Hast du die Aufgabenstellung gelesen?“, frage ich. Sie verneint. „Dann lies sie nochmal und wenn dann noch Fragen sind … “ – „Lesen ist nicht so meins“, sagt sie. Die Aufgabenstellung ist keine 30 Wörter lang. Dahinter sitzt Lewis, der mir sein Blatt zeigt, nachdem ich ihm die Rückmeldung gegeben habe, dass er nach 20 Minuten Arbeitsphase noch nichts geschafft hat. „Doch!“, erwidert Lewis und tippt auf die Ecke rechts oben. Das Datum hat er notiert. Er meint das nicht sarkastisch.

Es tut weh, meinen Schü­le­r:in­nen immer wieder anzumerken, wie wenig sie von sich halten. Dass sie sich noch nicht mal zutrauen, 30 Wörter zu lesen, weswegen sie gar nicht erst anfangen. Mit etwas Nachdruck erklärt sich Isa die Aufgabe schließlich selbst, aber selbst die kleinste Hürde erscheint ihr erst mal wie ein unüberwindbares Hindernis. Unter all den Verweigerungen steckt eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Hauptsache, Kontrolle behalten, selbst wenn es Kontrolle über das eigene Scheitern ist. Wer eine Aufgabe nicht anfängt, kann auch nicht falsch liegen.

Frühling

Als die Tage länger werden, machen sich meine Vorsätze des neuen Jahres bemerkbar. Ich arbeite an meiner Körpersprache und der Satz „Das diskutier ich nicht mit dir“ wird fester Bestandteil meines Unterrichts. Zudem bekommt der Unterricht eine gewisse Routine, und die erlaubt es mir, mehr zu variieren und spontane Lösungen zu entwickeln. So verbringen wir eine Schulstunde damit zu lernen, wie man eine Uhr mit Zeigern liest.

Illustration: Doro Huber

Beim Thema „Sachlich berichten“ ging es eigentlich um W-Fragen, nur konnten viele Schü­le­r:in­nen in dem zu bearbeitenden Cartoon nicht erkennen, wann sich der Vorfall abgespielt hatte. Die Uhr in einem der Bilder war keine digitale. Ich spüre eine seltene Konzentration im Raum. Als ob die Klasse endlich mal etwas mitbekommt, sich selbst dabei spürt, wie sie etwas lernt. Sie leistet.

Ein anderes Mal lasse ich die ganze Klasse als Kollektivstrafe einen Text abschreiben. Nach kurzem Rumoren greifen alle zu Stift und Papier. Es ist still in der Klasse, je­de:r ist konzentriert, wird vor dem Klingeln fertig. Es ist sinnentleertes Arbeiten, aber es ist Arbeiten und somit ein Erfolgserlebnis. Das Blatt ist voll, Lewis zeigt es mir. Das Datum ist sogar unterstrichen.

In der 6b ist jede Form von Wissenserweiterung ein Erfolg. Auf der Klassenfahrt in London wird mich ein Schüler mit Blick auf die Themse fragen, ob dies der Fluss sei, der auch durch unsere Heimatstadt fließt, und ein anderes Mal werde ich gefragt, ob Adolf Hitler derjenige gewesen ist, der zuletzt gestorben ist. „Ach ne, das war die Queen!“, korrigierte sich die Schülerin schnell selbst.

Ob meine Schü­le­r:in­nen sämtliche Verben immer noch Tu-Wörter nennen, ist mir egal, solange sie diese im Text korrekt unterstreichen. Es geht an unserer Schule um andere Dinge als Lehrpläne. Dabei sind auch die kleinsten Erfolge eine schöne Erfahrung. Sie wären sogar genug, wenn sie nicht immer wieder von anderen Dingen überschattet werden würden.

Kurz vor den Osterferien machen wir einen Ausflug. Auf dem Rückweg sitzt die Klasse aufgekratzt in der Bahn. Eine obdachlose Frau steigt zu uns ins Abteil und bittet um Spenden. Sie erzählt von ihrer Situation und dass sie nachts friert. „Mir ist auch kalt“, ruft es aus dem Pulk unserer Schüler:innen. Die Gruppe johlt, so wie sie es schon oft in meine Richtung getan hat. Die obdachlose Frau ist von dieser Reaktion überrascht und versucht mit den Schülerinnen zu diskutieren, doch die schimpfen jetzt im Pulk auf sie ein. Die Frau drückt sich gegen die Schiebetür und ringt mit den Tränen. In diesem Moment schäme ich mich, für diese Jugendlichen verantwortlich zu sein.

Am nächsten Morgen scheitert mein Versuch, mit der Gruppe die Szene zu besprechen. „Wie habt ihr euch gefühlt, als ihr gesehen habt, dass die Frau weint?“, frage ich in die Runde. Die Antwort besteht aus Verweigerung. Vincent findet einen Grund, sauer zu sein, und stürmt aus der Klasse.

Toni hält einen Vortrag darüber, dass man Obdachlosen kein Geld geben dürfe, weil sie sich damit Drogen kaufen. Sein Vater habe ihm das erzählt. „Das war nicht die Frage“, sage ich, aber Toni redet weiter über Geld. Die letzten Tage vor den Ferien sind die schlimmsten des Jahres. Ich bin müde, zähle Tage, Stunden. Warum mache ich den Scheiß hier? Warum machen meine Kollegen das alles mit? Oder ist ihre Situation eine andere als meine?

Die älteren Kol­le­g:in­nen erzählen viel davon, dass es früher besser war – vor Covid und vor allem vor Smartphones. Die jüngeren Kol­le­g:in­nen scheinen den Beruf bereits mit weniger Erwartungen angetreten zu haben. Die Mit-Quereinsteiger, mit denen ich Kontakt habe, erlebe ich als ähnlich vorsichtig und verunsichert wie mich. Eine Gemeinschaft, ein Quereinsteiger-Kollektiv sind wir nicht, dafür fehlt uns das Standing.

Auf einer Lehrerkonferenz geht es um das Thema Unterbesetzung. Wir Quereinsteiger kriegen Applaus, wie die Kran­ken­pfle­ge­r:in­nen vom Balkon. Mir ist es unangenehm. Weder erlebe ich meine Arbeit als Leistung, dafür klappt zu wenig, noch erlebe ich diese Form der Würdigung als positiv.

Bezahlt mich halt besser, denke ich. Oder reduziert wenigstens die Klassengrößen, schafft Whiteboards und funktionierende Drucker an, repariert Heizungen und Vorhänge … Immer wenn ich meine Co Antonia zum Lachen bringen will, frage ich sie nach den Umzugsplänen der Schule. Die Pläne dafür lagen schon beim Architekten, bevor sie, Mitte 40, Lehrerin wurde. „Zur Rente vielleicht“, sagt sie dann.

Das meiste, was mich beschäftigt, betrifft meine voll studierten Kol­le­g:in­nen genauso. Manchmal rollt ei­ne:r mit den Augen aufgrund meiner fehlenden Ausbildung, einmal werde ich von einer Sonderpädagogin „Fachidiot“ genannt, nachdem eine von mir geplante Deutschstunde zu anspruchsvoll geriet. Meistens sind die Kollegen aber dankbar, dass es mich gibt. Eine Position weniger, die es zu ersetzen gilt.

Wir alle tun, was wir können. Leh­re­r:in zu sein heißt, Löcher zu stopfen. Manch ein Kollege streckt einer Schülerin das Geld für die Klassenfahrt vor und wartet darauf bis heute. Andere machen Hausbesuche, haben Termine am Freitagabend mit dem Jugendamt oder organisieren bis tief in die Nacht Visa für die Englandfahrt. Das System „Schule in Deutschland“ scheint immer gerade so vor dem Kollaps zu stehen. Aber nicht wegen der Lehrerschaft sind alle am Anschlag, sondern ihretwegen kommt es immer geradeso nicht zum Erliegen.

Von alldem bekommt die Schüler- und Elternschaft nur wenig mit. Unausgesprochen haben wir gegenüber unseren Schü­le­r:in­nen ein Ziel: Stabilität. Als Gegengewicht zu all den Brocken, all den unterschiedlichen Bedürfnissen, die die meisten in ihren jungen Jahren bereits mit sich herumschleppen. Allein in der 6b gibt es Jugendliche mit Lese-Rechtschreib-Schwäche, emotional-sozialer Schwäche, diagnostiziertem und nicht diagnostiziertem ADHS, Heimkinder, Kinder von Alkoholiker-Eltern, Kinder mit Geflüchtetenbiografien, Schü­le­r:in­nen mit Gymnasialempfehlung und einige, denen eine Förderschule besser tun würde. Dazu kommt: Covid war gerade. Und die Pubertät ist im vollen Gange.

Doch erst wenn es existenziell bedrohlich wird, schreiten wir ein. Wie bei Isa, die zu Hause verwahrlost. Sie kommt ohne Materialien, Essen und im Winter nur im T-Shirt zur Schule. Wenn sie frei hat, bleibt sie im Gebäude, und wenn sie erst zur zweiten Stunde da sein muss, steht sie um kurz vor acht vor der Tür und fragt, ob sie bei mir im Unterricht in der Parallelklasse sitzen dürfe. Ihre Freunde sind ihr Zuhause. Wir schalten das Jugendamt ein.

Sommer

Nach einem langen Montag schließe ich die Tür hinter mir ab und will gerade in den Feierabend gehen, als ich Cassandra, Isa und Miriam am Ende des Ganges sitzen sehe. „Ihr wollt noch nicht nach Hause?“, rufe ich ihnen über den Flur zu. „Nee“, sagt Cassandra, während sie die Kordel ihres Kapuzenpullovers zwischen ihren Fingern dreht. „Glauben Sie eigentlich an uns, Herr Hain?“, fragt sie.

Eine Frage so direkt, wie sie Erwachsene nie stellen würden. Ich überlege, was ich ihr antworten soll. „Ich glaube, ihr habt noch gar nicht verstanden, welche Möglichkeiten ihr eigentlich habt“, fange ich an. Erstaunte Augen, Schweigen. Sie scheinen mich nicht verstanden zu haben.

Ich versuche es anders: „Ich glaube, ihr seid alle ganz toll. Aber viele von euch wissen das gar nicht.“ „Wie sind wir toll?“, fragt Miriam. „Alle Lehrer verlassen uns immer. Erst Frau Meierhof, dann Herr Böllmann.“ – „Und du glaubst, das liegt an euch?“, frage ich. Schulterzucken. „Also“, nehme ich erneut Anlauf, „pass auf, ihr seid ganz tolle Freundinnen, und das ist viel wert. Meine Frage ist nur, warum es euch so schwer fällt, im Unterricht auch so zu sein?“

Ich blicke zurück und erinnere mich an das Feedback meiner Hospitationsstunde, wenige Wochen nach Dienstantritt. In dieser waren meine Schü­le­r:in­nen still gewesen und die Schulleitung legte mir dies als Haupterfolg aus. „Sie mögen dich, sie wollen, dass du Erfolg hast.“ Normalerweise ist die Beziehungsarbeit zwischen Lehrer- und Schülerschaft die Basis für Lernerfolg. Bei uns ist sie der Lernerfolg. Mehr lässt sich nicht erwarten.

Wie das Ganze besser werden könnte? Geld. So viel und an so vielen Stellen wie möglich. Wer A (Inklusion) sagt, muss auch B (Finanzierung) sagen. Sodass meine Rolle als Vertretung und Lückenfüller obsolet werden würde.

Kurz vor den Sommerferien sitzen Antonia und ich ein letztes Mal zusammen mit der 6b im Stuhlkreis und haben jenes Gespräch, das diese Klasse schon kennt. Antonia sagt: „Herr Hain und ich sind nächstes Jahr nicht mehr Tutorinnen dieser Klasse.“ Mit einem Mal ist es still im Raum. „Aber Sie sagten, Sie bleiben bei uns“, sagt Toni. „Die Schulleitung hat diese Entscheidung getroffen“, antwortet Antonia. „Aber es ist uns ganz wichtig, dass ihr wisst: Es liegt nicht an euch.“ Was man so sagt, um Schmerz zu lindern. In Momenten wie diesen wird deutlich: Alle Schü­le­r:in­nen der 6b sind noch Kinder, auch wenn ihr Verhalten häufig anders wirkt.

Zum Abschluss laden wir alle auf ein Eis ein. Als sie versorgt sind, stehen Antonia und ich etwas abseits und schauen dem Treiben zu. „Wie schnell die heute den Stuhlkreis aufgestellt haben“, sagt Antonia. „Ich glaube ja, dass das Einzige, was sich in diesem Jahr verändert hat, meine Ansprüche sind“, sage ich. „Ne, find ich nicht“, sagt Antonia: „Eigentlich kann diese Klasse alles außer Unterricht.“ Ich bin mir nicht sicher, ob ich zustimme, aber wenigstens hat das Pochen am Hals aufgehört.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

64 Kommentare

 / 
  • Das Hauptproblem ist, dass Deutschland seit Jahrzehnten zu wenig Geld für Bildung ausgibt.



    Dabei wäre es in Zeiten des Fachkräftemangels bitter nötig, die Bildung zu verbessern.



    Bei deutschen Klassengrößen von 25 bis > 30 ist es kaum möglich, dass Lehrkräfte die Kinder u. Jugendlichen individuell fördern.



    Man schaue z.B. mal zu den PISA-Siegern in Skandinavien: Dort gibt's kleine Klassen, gut ausgestattete Schulen u. gut bezahlte Lehrkräfte.

    In deutschen Stadtteilen mit vielen sozialen Problemen braucht es mehr Angestellte, die die Lehrkräfte entlasten, z.B. mehr Sozialarbeiter*innen, Integrationshilfen, Schul-Psycholog*innen etc.

    Was auch nicht mehr zeitgemäß ist:



    Dass jedes deutsche Bundesland ein eigenes Schulsystem hat, Lehrkräfte je nach Bundesland für gleiche Arbeit unterschiedlich bezahlt werden, u. dass sich das Niveau der Schulabschlüsse (z.B. des Abiturs) je nach Bundesland unterscheidet.



    Es wäre besser, wenn es in Deutschland einheitliche Bildungs-Standards gäbe u. eine gleiche Bezahlung der Lehrkräfte.

  • Wenn die Schüler so viel Wert auf Respekt legen (der Sechstklässler vom Fünftklässler), wäre es ja vielleicht mal ratsam als Lehrer selbst Respekt einzufordern. Das geht natürlich nicht mit Kuschelpädagogik, sondern in solchen Fällen wohl nur mit der Strenge und Konsequenz, die wir als Schüler erlebt haben. Da müssen natürlich die Eltern mitspielen, aber gerade in den Familien, die so viel wert auf Respekt legen, könnte man ja erwarten, dass sie ihrem Nachwuchs einbläuen, Respekt vor den Lehrern zu haben. Zu meiner Zeit war die schlimmste Drohung (noch vor dem Gang zum Direx), die Eltern über Fehlverhalten zu informieren.

  • Ich heiße Alina, bin 19 Jahre alt und habe vor einem halben Jahr Abitur gemacht. Um für meinen Auslandsaufenthalt Geld zu verdienen, habe ich mich entschlossen, mir bis zum Winter einen Job zu besorgen. Meine Eltern sind beide Lehrer, mein Vater am städtischen Gymnasium und meine Mutter an der Real-, Hauptschule, die eigentlich aber jeden aufnimmt, Gymnasialschüler*innen und auch Kinder, die dringend Förderbedarf hätten. Ich habe mich an der Schule als Vertretungslehrkraft für das erste Halbjahr beworben.

    Meine Stärken liegen in den Fächern Deutsch, Geschichte und Französisch, da ich einige Zeit in Frankreich gelebt habe. Ich hätte mir durchaus zugetraut diese Fächer in den unteren Klassenstufen zu unterrichten. Bekommen habe ich Deutsch, Englisch, Mathe und Erdkunde, alles in der fünften Klasse. Das sind drei Hauptfächer und ein Nebenfach, eine solche Kombination ist selbst bei ausgebildeten Lehrkräften eine Seltenheit. Wem es schon komisch vorkommen mag, dass Herr Hain mit einem Journalistikstudium Deutsch und mit jahrelanger Auslandserfahrung Englisch unterrichten darf, sollte sich vor Augen führen, dass ich gar keine Ausbildung habe! Natürlich gebe ich mir Mühe, aber das darf eigentlich nicht reichen. Lehrer*in ist schließlich nicht umsonst ein Beruf, der eines jahrelangen Studiums bedarf.

    Zudem muss ich Klassenarbeiten aufsetzen und korrigieren. Ich habe also die Verantwortung für die Noten, die die Kinder nachher auf ihren Zeugnissen haben. Meine Mutter sagt immer zu mir: "Gib´so freundliche Noten, wie irgend möglich, sonst machst du dir das Leben wegen der Eltern zur Hölle". Gemeint ist das wie folgt: Ohne Ausbildung steht nichts hinter dir und deinen Noten und das wissen auch die Eltern und werden schlechte Noten anfechten.

    Damit bin ich nicht allein. Am Gymnasium sind 12 Vertretungslehrer*innen wie ich (22 Wochenstunden + Vorbereitung, Korrektur etc.) und sowohl Gymi, als auch Realschule könnten ihren Schulbetrieb ohne uns so nicht aufrecht erhalten.

  • Es hilft alles Jammern und Wehklagen nichts. Und auch nicht Wünsch-dir-was. Schulen in Problembezirken müssen geführt werden wie ein Boot-Camp. Wenn man auch nur halbwegs wieder Grund sehen will...

    • @Claphi:

      Dann bräuchte man in solchen Schulen aber entsprechend augebildete Lehrkräfte, die einerseits in der Lage sind, eine strikte Disziplin durchzusetzen und dabei andererseits befähigt sind, das Vertrauen der Schüler zu gewinnen und sie fürs Leben fit zu machen. Im Prinzip bräuchte man eine Mischung aus Unteroffizier auf dem Kasernenhof, ausgebildetem Sozialpädagogen und "nebenbei" auch noch fachlich qualifiziertem Lehrer. Solche Ausbildungen dauern lange und sind teuer, zudem müssen die Menschen die sich darauf einlassen, als "Überzeugungstäter" mit Herz und Seele dabei sein. Und man dürfte solche Leute nicht länger als maximal 10 Jahre in solchen Schulen unterrichten lassen, weil es einen psychisch auffrisst.



      Und nun verraten Sie mal, woher Sie die benötigte Anzahl von derartig befähigten und motivierten Lehrkräften nehmen wollen und von welchem Geld das alles bezahlt werden soll.



      Es ist so absurd und auch traurig, dass wir uns als ein Land ohne nennenswerte Rohstoffe und zunehmend auch mit einer sich mit Abwanderungs- und Stellenabbauplänen tragenden Industrie der einzigen Ressource berauben, mit der wir als Gesellschaft wirtschaftlich überlebensfähig sind, nämlich einer möglichst hohen Zahl gut ausgebildeter junger Menschen.

    • @Claphi:

      Sehe ich auch so. Die da nach Respekt rufen, sollten selbst auch welchen lernen.

  • Wenn ich solche Berichte lese und mit dem vergleiche, was mir frühere Kommilitonen berichten, die tatsächlich ins Lehramt (heute wohl besser. Leer-Amt) gegangen sind und heute noch etwa acht bis zehn Jahre von ihrer Pensionierung entfernt sind, dann weiß ich ganz sicher, dass mein Entschluss, nach bestandenem 1. Staatsexamen (Fächer Deutsch und Englisch für die Sekundarstufen I und II) nicht ins Referendariat zu gehen und kein verbeamteter Lehrer zu werden, goldrichtig war. Es ist genau das eingetreten, was ich damals meinem Pädagogik-Professor entgegnete, der mich ganz entgeistert fragte, warum ich denn kein Lehrer werden wollte, ich würde ganz bestimmt ein guter Lehrer. Meine Antwort war: Gut vielleicht, aber nicht glücklich. Und dann zählte ich ihm alles auf, was ich für die zukünftige Entwicklung im deutschen Schulsystem erwartete. Allerdings hat die Realität meine schlimmsten Erwartungen mittlerweile noch um einiges übertroffen.

  • Großartiger Text. Danke!

    Ich interessiere mich auch gerade für einen Quereinstieg (in HH) obwohl ich nur Lehrende kenne, die die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Und das sind alles tolle, langmütige und gebildete Menschen. Wie der Autor auch, so tun sie das nicht wegen eines oder zweier Missstände, sondern wegen dem Aggregat aller (v.a. systematischer) Unzulänglichkeiten.

    Ich gehöre selber zu denen, die kein "einfaches" Kind waren. In den 70er und 80er Jahren verschiedene Beschulungsversuche über mich ergehen lassen, überwiegend aber desinteressiert daran geblieben, Wissen vermittelt zu bekommen. Bei mir ist der gordische Knoten erst später geplatzt und ich habe versucht, auf dem 2. Bildungsweg das nachzuholen, was ich als Kind versäumt habe. Und ich hatte alle elterliche Unterstützung, die man sich wünschen konnte. Und auch die schulsystematischen Umstände waren im Vergleich zu heute ... zumindest einfacher: Homogenere und kleinere Klassen, etc. Hat mir erstmal alles nichts gebracht.

    Mit meiner Verweigerungshaltung war ich einer von vergleichsweise eher nicht so vielen. Wenn ich mir die Situation heute anschaue (lese, diskutiere oder von einem unserer Kinder [Gymnasien, Stadtteilschulen] den Schulalltag geschildert bekomme), gewinne ich aber den Eindruck, dass es heute weniger um die Verweigerungshaltung einzelner Rolleninhaber (Schüler, Eltern) oder Institutionen (Behörden) geht, sondern eher um ein gesellschaftliches Problem mit vielen Herausforderungen aus unterschiedlichen Disziplinen.

    Und das muss an andere Stellen verwiesen werden und kann nicht von Schulen gelöst werden.

  • Vielen Dank für diesen Text.

    Als ich vor 10 Jahren eine Berliner Brennpunktschule verließ und nicht fassen konnte, welche Schulrealitäten in Deutschland existieren, wäre ein solcher Artikel nicht erschienen.

    Damals wurde auch auf Gesamtkonferenzen der desaströse LehrerInnenalltag dort konsequent nicht thematisiert. Jede(r) schlug sich alleine durch und die Verbeamteten waren viel krank, weil sie es sich leisten konnten.

    Wenigstens werden nun im Zuge des Lehrermangels auch Zustände an Schulen, die unter "Bildung" laufen, vermehrt in die Öffentlichkeit getragen.

    Wir reden von einem sehr kaputten System, das gerade die Schwächeren der Gesellschaft noch weiter in ihre Position hineindrückt.

    Und als Lehrkraft ist man Handlanger des Systems.

  • Warum versagen die Elternhäuser eigentlich so oft oder immer öfter? Der Anteil ist zu hoch!

  • Sorry, Herr Hain



    Mir scheint Sie bemühen sich einen guten Job zu machen, aber erwarten Sie ernsthaft, dass die Schüler dafür sorgen, dass der Unterricht "gut" läuft???



    Das ist Ihre Aufgabe! Und dafür müssen Sie sich wohl bei Ihren Schülern durchsetzen.

    Als ich Schüler war, hatten eine Lehrerin die regelmäßig weinend aus der Klasse raus gerannt ist.



    Kinder loten leider sowas aus - und fühlen sich dann sogar als Sieger. Ich vermute, Sie wird das auch als sehr stressig empfunden haben.



    Und wir hatten einen anderen Lehrer, der streng war und bei dem der Unterricht lief.



    Das war trotzdem einer der beliebtesten Lehrer bei uns!

  • Gerade in Klasse 5 und 6 ist es extrem wichtig so etwas wie eine Arbeitshaltung zu entwickeln.



    Ich denke das ist nichts für Quereinsteiger im ersten Jahr, und genausowenig für Referendare.

    Trotzdem ist hier einiges gut gelaufen und dieser Lehrer reflektiert und lernt.



    Auch sehr schön, es wird nicht all die Verantwortung auf andere abgeschoben, obwohl hier die Grundschule ja scheinbar nicht wirklich geliefert hat... und die Eltern auch nicht...

    Kleinere Klassen, mehr Sozialpädagogen, faire Bezahlung, das sind alles valide Punkte die hier zwischen den Zeilen nachgefragt werden.

    Die Verantwortung in dem Job ist riesig und Lehrer*innen die nicht klarkommen, angefangen von überfordert und heulend rausgerannt über ständig krank bis Tablettensüchtig gabs schon immer.

    Das wesentliche ist und bleibt der Respekt. Der kommt aber nicht von alleine sondern den haben sich Lehrer in den Augen ihrer Schüler verdient, oder eben auch nicht.

    Die Wege dazu sind so individuell, wie Lehrer und Situationen.



    Oft waren es kleine Dinge, die mir bis heute im Gedächtnis geblieben sind.

    In Chemie im Weitsprungsandkasten ne runde Thermitschweißen, nachdem in der Klasse gerade nichts gegangen ist.



    Einem Schüler der wegen Schlafmangel in den Seilen hängt nach der Pause nen Kaffee mitgebracht.



    Einen der zur Schularbeit nicht pünktlich da war im Lehrerzimmer zuende schreiben lassen.



    Eine Exkursion ins Senkenberg Museum anstatt die Evolution aus dem Buch zu büffeln...

    Ob eine Kommunikationsregel bei einem Streit in der Klasse durchgesetzt wurde, das trägt erst mal nichts bei.



    Aber ist der Respekt vorhanden dann geht das auch.

    Geben Sie nicht auf Herr Hain, Sie werden glaube ich einer von den guten Lehrern. Und halten Sie uns auf dem laufenden!!!

    Gruß vom Mondlicht

  • Als Lehrer ist man Führungskraft, dass heißt man muss in der Lage sein zu führen. Wer das nicht kann, der wird von den Kindern an der Nase herum geführt, damals wie heute.

    Unser bester Lehrer damals hatte die klarsten Regeln, man konnte immer mit ihm reden und es war alles sehr kumpelhaft aber die Regeln waren in Stein gemeißelt. So kam nie Unfrieden auf und selbst die Abschreiber und Störer haben es eingesehen. Sogar die haben den respektiert. Alles lief immer fair ab. Jeder konnte es verstehen.

    Mogeln bei Tests -> 6



    Hausaufgabe vergessen:



    unentschuldigt -> 6



    entschuldigt -> ok, aber Nächste musste dann abgegeben werden und wurde bewertet. Um ein paar Regeln zu nennen.

    Dagegen war eine Biologielehererin super nett und einfühlsam, aber hatte keinerlei Führungskompetenz, es endete darin dass wir Schüler einfach weiter Pause gemacht haben und sie weinend vorne am Lehrertisch saß, weil sie nicht wusste wie man uns dazu bringt den Unterricht zu beginnen. Das tat mir selbst als Kind schon leid.

  • Wow. Der Artikel hat mich berührt.



    Ich könnte mit der Respektlosigkeit nicht so sanft umgehen.



    Und als ich die Frage der Schülerinnen las: „Glauben Sie eigentlich an uns, Herr Hain?“ schossen mir die Tränen in die Augen.

  • Danke für den Bericht, mach zumindestens mich traurig, da dies ein Fenster in die Zukunft ist. An unserem Schulsystem wird nichts geändert, und dieser "standard" wird sich immer verbreiten. Was ich bei vielen politischen Themen nicht verstehe, wieso wollen wir einfach nicht vom Ausland, bzw. von anderen Staaten lernen, wo manches vielleicht besser klappt, oder manche Sachen auch katastrophal scheitern.

  • "Ein anderes Mal lasse ich die ganze Klasse als Kollektivstrafe einen Text abschreiben."

    Gegen geltendes Recht verstoßen aber selber Respekt im gegenzug erwarten?

    Alleine das ist einer der Gründe warum die Schüler keine lust mehr haben. Als Schlüler haftest du für die Inkompetenz deiner Eltern, Lehrer und Mitschüler.

    • @Tobiasp:

      War klar, dass irgendein Schlaumeier auf diese Geschichte mit der "Kollektivstrafe" anspringt...

      Die anderen Kommentatoren haben das dankenswerterweise schon entsprechend richtig kommentiert.

    • @Tobiasp:

      Geltendes Recht? Wenn man den Klassenraum als Gerichtssaal versteht, macht diese Antwort vielleicht Sinn. Was für ein geltendes Recht soll das denn sein?



      Ich bin auch Lehrerin, keine Quereinsteigerin, dafür Spätstudierende. Jeden der Sätze habe ich mit Spannung gelesen und nachgefühlt.



      Ich habe gute Erfahrungen mit einer Mischung aus sehr strenger Konsequenz und Zuwendung gemacht.



      Und: Dieses unselige Klassenregeln-Plakat habe ich abgeschafft. Nur Worthülsen.

    • @Tobiasp:

      Hallo,



      diese "Strafe" lese ich als Pause für den Autor im Umgang mit der KLasse - und: Abschreiebn ist schwierig und eine sehr gute Übung, last but not least: es haben lle etws geschafft! ein fantastisches Ergebnis, ich habe tiefen Respekt vor dieser ehrlichen Auseinandersetzung

  • Danke für diesen Bericht. Ich glaube, das läuft für die meisten unter dem persönlichen Radar. Tja, die Kinder der Leader und Beamten gehen meistens auf Gymnasium und bekommwn das nicht mit. Und: Kinder sind keine Wähler. Meine Meinung sind die 3 grössten Probleme:



    - mangelnde Ausstattung bzw. Geld



    - Smartphones



    - desinteressiertes Elternhaus



    - "kleine Paschas" bzw "Dramaqueens"



    - und ja, zu viele Freiheiten



    Sucht euch die Reihenfolge aus.

    • @Jelli:

      Hi @JELLI,

      genau das wird eines der gesellschaftlichen Folgeprobleme werden: Unternehmen, die sich die Selektion ihrer Bewerber aussuchen können, werden in der mittleren Frist nur noch Gymnasiasten einladen, um bestimmte Basisprobleme gar nicht erst mitdenken zu müssen.

      Das wird irgendwann klare gesellschaftliche Erkenntnis und die Eltern (bzw. auch die Kinder ab einem bestimmten Alter) bekommen mit, dass man nur mit gymnasialem Abschluss überhaupt eine Chance auf bezahlte Arbeit hat.

      Der in Deutschland Anfang der 2000er geschaffene Niedriglohnsektor (hauptsächlich im Dienstleistungsbereich) wird durch KI und Folgeentwicklungen (i.e. autonomes Fahren), dauerhaft Menschen mit mäßiger Bildung und Fähigkeit nicht mehr aufnehmen können (weil er selber wieder schrumpfen wird).

      Vor dem Hintergrund dieser beiden Tendenzen wird den meisten Teilnehmern im Schulsystem sehr schnell klarwerdeen, dass sie sich auch nicht weiter anstrengen müssen, wenn sie "nur" auf einer Real-, Gesamt- oder Stadtteilschule sind (und zwar Lehrenden und Lernenden gleichermaßen).

      Und wir alle müssen uns das dann leisten wollen.

      Zu Ihren 5 als möglicherweise größten Problemen identifizierten Punkten wären vielleicht noch die folgenden Aspekte hizuzufügen:

      - Kompetenzverteilung (Bund, Länder, Schulen)

      - Ungefragtes Übergebenbekommen für Verantwortungsbereiche, mit denen ein Wissensvermittler nichts zu tun haben kann

      - Mithin eine fehlende (sinnvolle) Abgrenzung zwischen dem, was Schule kann oder können soll und was nicht.

  • Ich überfliege diesen Artikel, anstelle für meine Quereinsteigerprüfung in Linguistik zu lernen. Bin einfach zu müde nach einem langen Arbeitstag mit anstrengenden Kindern. An alle die hier fleißig Romane schreiben. Tut was nützlicheres mit eurer Zeit und eurem Oberschlausein: werdet Lehrer. Das hilft der Schule und ihr setzt euren Meinungen mal einem Realitätscheck aus.

    • @tiefdurchatmen Tagliacozzo:

      Nee Lehrer würde ich persönlich nicht packen. Ich bin schon Elter... ;-)

      Meinen Respekt für alle die sich um Kinder und Jugendliche kümmern.

  • Ich zitiere aus dem Text: "Dabei variiert die Quote stark: In Sachsen-Anhalt ist fast je­de:r zweite Leh­re­r:in ein:e Quereinsteiger:in, in Bayern geht die Quote gegen null."

    Und hinterher fragt man sich woher die Schwierigkeiten der Schüler im Fach Deutsch kommen.

    • @The61YearOldHippy:

      Danke für den wohl sinnlosesten Kommentar zu diesem Artikel. Aber manche Menschen müssen eben maximal offensiv zeigen, dass ihre Gefühlswelt hauptsächlich aus Vorurteilen besteht...

      • @Gagman:

        Für Menschen mit Leseschwäche ist das nicht sinnlos. Versuchen Sie mal diesen Satz in Gedanken laut vorzulesen.

    • @The61YearOldHippy:

      Es gibt sicherlich mehrere Gründe, der letzte dieser dürfte der von Ihnen unterstellte sein.. Im Fall einer Freundin ist es sicher der Fakt, das ihre Schule, Kinder aus 3 Flüchtlingsunterkünften aufnimmt und der Deusch-Förderunterricht regelmäßig ausfällt, weil die Lehrkräfte, die diesen halten hätten sollen, für Vertretungsstunden der anderen Lehrkräfte eingesetzte werden müssen, deren Krankenstand aufgrund von Überlastung sich auf einem Dauerhoch befindet.

  • Das faschistisch angehauchte System der USA zu verklären hilft nicht weiter. Gleichschaltung durch Uniform und Fahnenappell hatten wir hier schon mal. Danke, einmal reicht. Man ist ja auch schon wieder kurz vor Bücherverbrennungen, wenn es um LGBTQI+ und Literatur zu sexueller Aufklärung und Verhütung geht. Den Religioten sei Dank. So desolat wie in den USA ist unser System zum Glück noch nicht, auch wenn die Privatisierung der Bildung nach Vorbild der USA vorranschreitet.



    Schüler BRAUCHEN Freiheiten. Wer auch nur auf die Idee kommt, diese einzuschränken, sollte dringend den Beruf wechseln. Warum Kinder den Lehrern so viele Probleme machen liegt eher an Verbesserungen. Früher wurden unruhige oder aufmüpfige Kinder mit Schlägen auf Linie gebracht. Es herrschte Ruhe und Ordnung, weil der Lehrer oder die Eltern sonst den Stock kreisen ließen. Man konnte auch einfach aus dem Unterricht entfernt werden oder schlechte Noten bekommen. Diese Willkür sorgte für ein Klima der Angst. Heute kann man solche Lehrer und Schulen verklagen. Zurück zu Repression und Unterdrückung ist der Weg des Feiglings. Aber es hilft natürlich, wenn die Eltern gut vorarbeiten und man genug Lehrkräfte zur Verfügung hat. Technische Hilfsmittel sind nur das: Hilfen. Bei meinen Kindern staubt das teure Smartboard ein. Um zu begeistern braucht es Persönlichkeit und Empathie, keinen Schnickschnack. Wer seine Schüler nur durch die Stimme begeistern kann ist der König.



    Die Tendenz immer weniger Geld in die Lehre zu stecken ist da. Wenn es Geld gibt, wird es oft für sündteure Elektronik verpulvert, die keinen Mehrwert hat und nur die wahren Probleme verschleiert. Mehr Personal, besserer Lohn, Unterstützung...das braucht es. Bevorzugt Lehrer und keine Quereunsteiger. Die können gut sein, sind aber oft pädagogisch unfähig und sehr spezialisiert.

    • @Hefra1957:

      Es gibt eine Menge Hinweise, dass "Schuluniformen" (auch wenn der Begriff fragwürdig ist) positive Auswirkungen grade für die finanziell schlechter gestellten und daher sowieso in vielerlei Hinsicht benachteiligten Schüler haben.

      • @Gagman:

        Nur, wenn die Uniformen von der Schule gestellt werden. Auch bei Schulunformen wird es erste und zweite Wahl geben. Neu und abgewetzt. Mit Flicken oder von Massschneider.

        Oder man macht es wie manche Schulen im UK, die die Qualitätsanforderungen an die Uniformen so hoch ansetzen, dass arme Schüler sie sich nicht leisten können.

        • @The61YearOldHippy:

          Oder am ersten Schultag sehen die Uniformen noch gleich aus. Nach sechs Wochen merkt man den Unterschied wieder.

    • @Hefra1957:

      Werde Lehrer, verwirkliche deine Ansprüche

    • @Hefra1957:

      dein im modus von verdacht und vorwurf an die lehrer_innen geschriebener kommentar macht nicht gerade lust aufs unterrichten an schulen. finde das wirklich völlig daneben

      • @videostar:

        Ich kann weder Verdacht noch Vorwurf im Beitrag von @Hefra1957 erkennen. Finde solche Unterstellungen wirklich völlig daneben.

  • Nicht jeder der Lehramt studiert ist als Lehrer geeignet. Für viele kommt das böse Erwachen viel zu spät im Referendariat. Quereinsteiger haben oft mehr Lebens- und Praxiserfahrung, sie sind also nicht per se die schlechteren Lehrer.

  • „Eigentlich kann diese Klasse alles außer Unterricht.“

    Welche Schlüsse zieht man nun daraus? Sind die Kids für die Qualität des Unterrichts verantwortlich?

    Alle Menschen möchten wirksam sein. Dies ist eine der Erkenntnisse, die in moderne Konzepte einfließen. Anstatt mit noch engerem Rahmen, geben zukunftsorientierte Schulen den Schüler*innen mehr Raum, selbst etwas zu erarbeiten.

    Warum im Englischunterricht nicht Songs zur Grundlage nehmen, die die Kinder hören? Warum nicht mit kleinen Theaterstücken Texte beim Spielen lernen? Warum nicht die Kinder sich nicht selbst etwas erarbeiten lassen?

    Unsere Schulen sind an die Industrialisierung 1.0 angepasst. Die Aufteilung in Fächer und die Einteilung in 45 minütigen Stunden haben nichts damit zu tun, wie Kinder lernen. Das weiß die moderne Forschung.

    Wir erlauben es uns, an einem Schulsystem festzuhalten, das nicht zukunftsfähig ist.

    Nicht nur Kinder und Lehrpersonal leiden darunter - als Gesamtgesellschaft tragen wir in Zukunft und bereits heute die Konsequenzen.

    • @BoLuz:

      Das ewig gestrige denken ist in Deutschland generell weit verbreitet "Haben wir immer schon so gemacht" Und gerade im ÖD und Ämtern ist das System so ausgelegt das es nicht zu fortschritt kommt.

  • Vielen Dank für das update "Schule",

    als alter weißer Mann, eingeschult in den 70èrn, fragt man sich wie es zu beschriebener Situation an unseren Schulen kommen konnte.



    Evtl. hat das mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu tun, in der die früher üblichen Normen als "geht ja gar nicht" völlig verworfen wurden. Heutzutage verstehen wir beinahe"Alles", es wird viel diskutiert - oftmals ohne Konsequenz und wundern uns dann, daß sich vieles ins Negative entwickelt.



    Bemerkenswert sind die Beobachtungen des Autors, daß in den vorgebrachten ausländischen Beispielen - wo es zugeht wie bei uns früher - nicht nur die Lernerfolge als auch die Zufriedenheit der Lernenden höher zu sein scheinen.



    Über ein höheres Maß an Respekt würden sich nicht nur Lehrer/innen, sondern auch Beschäftige im Rettungsdienst/Polizei sonstigen Dienstleistungsbereichen freuen. Es ist nur die Frage wie dies erreicht werden kann. Ich denke hier geht die Meinung in der Gesellschaft auseinander. Deshalb meine Fragen.



    Mit mehr Geld? Mit mehr Diskussion ? Mit häufigerer psychologischer/ psychiatrischer Betreuung? Mit mehr Medikamenten (Ritalin u.ä) ? Vieles davon wurde in den letzten 20 Jahren versucht.



    Oder so wie manche glauben mit der Rückbesinnung auf "alte" Werte die, wenn notwendig, auch mit maßvollen frühzeitig einsetzenden Sanktionen eingefordert werden.



    Ich persönlich weiß nicht, ob Lehrer/innen sich persönlich beleidigen lassen müssen, körperlich attackiert werden dürfen - mit oder ohne Waffen, ohne dass die Gesellschaft geschlossen hinter den Betroffenen steht.



    Aber vielleicht sollten wir noch ein bißchen darüber diskutieren wie wir die "nicht sozial adäquat Handelnden" besser betreuen können, um uns in ein paar Jahren darüber zu wundern, daß Bewerber für den Diensleistungsbereich nicht mehr vorhanden sind.

    • @Hobby-Bauer:

      Ach ja die gute alte Zeit...

      Eingeschult in den 70ern, das bedeutet es gab noch nen Raucherhof, auf dem ein Schüler, wenn er alt genug war seinen Lehrer nach Feuer fragen konnte.



      Die Aufsicht in der Pause war damit immerhin auf dem Raucherhof zu 100% gewährleistet.

      Sanktionen in Form von Gewalt haben damals wie heute nichts gebracht und auf jeden Fall mal keinen Respekt.

      Das ist nichts was eingebläut wird.



      Respekt wird verdient, oder eben auch nicht.

      Asoziales Handeln einschließlich verbale oder körperliche Gewalt wird genauso wie alles andere auch erlernt.



      Mit die wichtigste Aufgabe ist daraus kein Erfolgsmodell werden zu lassen.

      Das nicht durchgehen zu lassen wie oben im Artikel beschrieben, das ist eine der größten täglichen Herausforderungen.

    • @Hobby-Bauer:

      Niemand muss sich beleidigen und attackieren lassen.

      Wir müssen uns jedoch fragen, woher diese Zustände rühren? Kinder kommen so ja nicht auf die Welt, sondern reagieren auf die Umstände, mit denen sie nicht klarkommen.

  • "Und ich denke, in keinem anderen Bereich lässt es sich eigentlich so gut planen, wie im Bereich LehrerInnen: wir wissen, wieviele Kinder in diesem Jahr geboren wurden, wir haben das Alter der LehrerInnen, und wir könnten ziemlich genau berechnen, wieviele LehrerInnen wir in 6-7 Jahren bräuchten. Ich verstehe nicht, was daran so schwer ist, weil ich kann auch die Morbiditätsrate der Lehrerschaft mit hineinrechnen."

    --> Zum einen ist dieser Gedanke falsch. Wer hätte zum Beispiel vor 2015 und vor 2022 mit insgesamt 2 - 3 Millionen Bürgerinnen und Bürgern mit einer größtenteils jungen Bevölkerungsstruktur gerechnet oder auch nur ansatzweise geplant? Allein die beiden Zuwanderungswellen der letzten 7 Jahre zeigt, wie falsch diese weitverbreitete Auffassung "Wir müssen ja nur die Geburtenanzahl mal 6 nehmen, dann wissen wir genau wieviele Lehrer wir brauchen" eigentlich ist.

    Zum anderen wäre der Ansatz - selbst wenn die reinen Zahlen stimmen - falsch. Lehrerinnen und Lehrer leben nämlich in einem Quasi-Nachfrage-Monopol. (Fast) Nur das staatliche Schulwesen fragt nach diesem Beruf nach. Das heißt, wenn ich eine kurzfristige Geburtenspitze habe, muss ich als Staat entweder zur Entlastung dieser Geburtenspitze eingestellten Lehrer noch ein restliches Arbeitsleben bezahlen (mit den entsprechenden Auswirkungen auf den Haushalt) oder der Staat muss mit einer geringeren Lehrerschaft quasi Arsch auf Kante fahren.

    Letzteres war politische Staaträson. Seit 15 Jahren warnt die Demografie vor zu wenigen Jungen. Dementsprechend wurde der Lehrkörper reduziert (soweit, dass es eben Spitz auf Knopf war). Dieses System am Rande der Leistungsfähigkeit soll nun auch noch die Migrationswellen der letzten Jahre auffangen. Das musste schief gehen.

    • 6G
      675670 (Profil gelöscht)
      @Kriebs:

      Naja. Man hätte auch sagen können: Wir haben schon seit den 60ern Migration nach Deutschland. Wir haben Zuwanderer, die auch in der zweiten und dritten Generation schlecht Deutsch sprechen. Deshalb erklären wir Sprachbildung zur Aufgabe aller Fächer. Wir machen kleinere Klassen (max. 20) und stellen mehr Lehrer:innen ein. Dann hätte man die Zuwanderungswellen locker hinnehmen können und Sprachförderung betrieben.

      Überdies ist ja klar, dass mangelnde Geburtenzahlen durch Arbeitsmigration ausgeglichen werden müsste. Insofern hat man die Demografie-Prognose einfach nicht weiter gedacht, weils a) so billiger war und b) die Schulbehörden der Länder offenkundig nicht zur Lösung komplexerer Aufgaben im Stande sind.

      Ich würde aber sogar (mit Hattie) sagen, dass es nicht die Klassengröße ist, sondern die schlechte Ausstattung und eine falsche Pädagogik: Niederlande, GB etc. verbieten Smartphones. Wir handeln Nutzungsordnungen aus und machen „Prävention“, die nichts bringt und vor allem von der Kernaufgabe (Unterricht! Denken!) wegführt.

      • @675670 (Profil gelöscht):

        "Überdies ist ja klar, dass mangelnde Geburtenzahlen durch Arbeitsmigration ausgeglichen werden müsste. "

        --> Ja, aber das Idealbild des Arbeitsmigranten ist ja der fertig ausgebildete Facharbeiter und nicht der Schüler, der erst ausgebildet werden muss. Der von der Verwaltung und Politik gewünschte Arbeitsmigrant benötigt daher gerade keine Schule.

        Dass die Annahmen aller (reine Arbeitsmigration von Fachpersonal, Steuern zahlen und am Ende des Arbeitslebens wieder weg) Schwachsinn sind, wären wir uns ja einig. Allerdings werden diese Annahmen weder von den Schulbehörden, noch den Bildungsministerien gemacht.

        Die betrachten nur die - auf den demoskopischen Daten beruhenden - progonstizierten Schülerzahlen.

  • Toller Artikel.



    Allein - ich bin mir nicht ganz sicher, ob alleine "Leistung" zum gut fühlen reicht oder nötig ist,.



    Alle Isas und Mehmets kenne ich von Freunden, Kindern, Enkeln.



    Ebenso Lehrer, die mir fast heulend erzählen, dass sie wieder für zwei schuften - aber mich dann verständnislos anschauen wenn ich Ihnen sage, dass das System auch nur deshalb funktioniert.



    Schulen ohne funktionierende Klos und mit undichten Dächern.



    Inklusion ja, aber bitte nichts hinterfragen und schon gar nicht im Gymnasium.

    Am Ende steht die private / halbprivate Schule, die wir uns leisten konnten. Mit guter Ausstattung und motivierten Lehrern. Und wieder ein Bildungsbürgerkind weniger auf der Restschule.

  • @MIRIAM "Mein Fazit wäre besser in Lehrkräfte und Gebäudesanierungen investieren, Klassengrößen sind eher unwichtig."

    Klassengrößen sind ein ganz entscheidender Faktor und alles andere als unwichtig.

    Der Artikel macht dieses deutlich, wenn man auch den Subtext liest.

    • @Manzdi:

      Kleine Klassen sind das A und O.

      • @Jelli:

        Ich würde es verstehem, das ein motivierter Schüler sich diese Art vom Schule nicht antut. Er lernt mehr, wenn er statt dessen Krankheit vortäuscht und zuhause via Bunte Kuh oder Lehrer Schmidt oder Wikipedia sich den Stoff erarbeitet.

      • @Jelli:

        In den 1960ger Jahren hatte meine Mutter noch Klassen mit >40 Kindern unterrichtet. Lief damals.

  • Als ehemaliger Schüler leuchtet mir die Fixierung auf die Klassengröße nicht ein. Im Unterricht hatten wir Klassengrößen zwischen 22 und 39 Schülern. Klar sind kleine Klassen besser.

    Ich erinnere mich an inspirierenden Unterrricht mit 39 und planlosen mit 22. Wir hatten zielorientierten, disziplinierten Unterricht in großen Klassen ebenso wie in Kleinen und erfolglosen Unterricht unabhängig von der Klassengröße.

    Der Lernerfolg korreliert hoch mit der Lehrkraft und schwach mit der Klassengröße. Mein Fazit wäre besser in Lehrkräfte und Gebäudesanierungen investieren, Klassengrößen sind eher unwichtig.

    • 6G
      675670 (Profil gelöscht)
      @Miriam:

      Es ist schon auch so, dass ich ein Zeitproblem habe mit 35 Schüler:innen. Wenn ich Leistungskurs korrigiere mit 15 SuS, brauche ich etwa 15*45min=etwa 11 Zeitstunden. Mit 25 SuS bin ich bei 19 Zeitstunden. Wenn ich das durchrechne, sind das krasse Unterschiede beim Korrigieren - und weil ich jede Stunde auch nur einmal nutzen kann, fällt die dann für Unterrichtsvorbereitung oder Schlaf weg. Hattie sagt das ja auch mit der Klassengröße, und es stimmt vielleicht für Frontalunterricht (meinetwegen gern) und ohne den deutschen Klausur- und Klassenarbeitswahn.

    • @Miriam:

      Sorry für die Polemik, aber wer mit 39 Schülern inspirierenden Unterricht erlebt hat, hat keine Schule besucht wie sie hier im Artikel beschrieben ist.



      Je problematischer die Schülerschaft umso kleiner müssten die Klassen sein. Da es oft an Integrationshelfern mangelt reichen 2-3 Problemschüler aus um regulären Unterricht zum erliegen zu bringen. Hier fehlen entweder die Mittel oder die Fachkräfte um die Lehrer zu entlasten damit sie sich auf ihre eigentliche Aufgabe fokussieren können.



      In keinem Betrieb der Privatwirtschaft würden so teure „Ressourcen“ so ineffizient eingesetzt wie die Lehrer an deutschen Schulen

  • Was für ein bewegender Artikel, vielen Dank dafür. Einer der besten, den ich hier lesen durfte.

  • Für die Bundeswehr, das Wohl der Wirtschaft, die Wissenschaft ist Geld da, für immer mehr Kinder mit immer mehr Problemen in Elternhaus und Schule nicht.



    Wir haben es mit einer Katastrophe im Bildungswesen zu tun, aber die Parteien SPD, CDU und Grüne und FDP verwalten diesen Missstand seit Jahren nur, ignorieren diesen regelrecht.



    Füllen nur die Lücken, die durch Pensionierungen entstehen und verkaufen das als großen Erfolg! Das ist besonders für die SPD und die Grünen, Parteien mit sozialen Anspruch, eine riesige Schande.



    Ein Hoch auf den Lehrer, der für die taz die Probleme von Schule beschreibt und noch nicht vollkommen verzweifelt ist!

    • 6G
      675670 (Profil gelöscht)
      @Lindenberg:

      Bin ja Grünenfreund, aber als Gymnasiallehrer dürfte ich sie eigentlich nicht wählen. Verschließen die Augen vor allen Problemen, die mit heterogenen Lerngruppen einhergehen, führen die Gesamtschule durch die Hintertür ein, senken Ansprüche immer weiter (Einheitslehrer! Einheitslehrplan!) und haben eigentlich nur ein ideologisches Interesse an Schule.

      • @675670 (Profil gelöscht):

        Die Vorwürfe treffen zumindest in Berlin auf die SPD genauso zu. Und auch die CDU hier hat "nur ein iedologisches Interesse" an Schule.

    • @Lindenberg:

      Welche Parteien würden es Ihrer Meinung nach denn besser machen?

  • Viele berührende Erfahrungen und Bemerkungen, die einen sehr scharfen Beobachtungssinn des Verfassers zeigen. Das ist eine vielschichtige Geschichte.

    Junge Menschen, die sehr wenig von sich halten und gleichzeitig Kontrolle über die Situation brauchen, darum pflegen sie letztlich die Misere… das ist deprimierend.

    Das ewig nervige und gewalttätige Verhalten à la ‚Machos, nächste Generation‘ (die dann vielleicht auch noch Freundinnen/Partnerinnen finden, deren „Ich brauche ständig Drama“-Haltung durchaus zu Teufelskreisen beitragen kann, das ganze Programm, kein Fortschritt). Da möchte ich Herrn Merz und dem Spruch von den „kleinen Paschas“ durchaus einen Punkt geben.

    Erziehung: Sei es aus eigenem Burnout, zu viel Arbeit, Überforderung mit neuen Situationen oder warum auch immer: Eltern, die erziehungsmäßig eher noch weiter auf dem Rückzug sind, keine Werte, keine Mitmenschlichkeit, ihren Kindern eher auch wieder autoritär, willkürlich und ohne Konstanz begegnen.

    Dann schon eine gewisse Verrohung, wenn Jugendliche bei einer Obdachlosen meinen, nach „unten“ treten zu dürfen. Sie haben wohl schon zu lange die Maßstäbe der Gesellschaft und den „Sozialneid nach unten“ erlebt. Ich habe als Lehrer auch schon genau das Gegenteil erfahren - eine zweite Klasse sieht einen Bettler mit Behinderung und ist z.T. sehr empört über diesen Zustand; besonders zwei Jungs sind richtiggehend aufgebracht über die Gleichgültigkeit der Umwelt. Sie wollen ihm sofort in irgendeiner Form helfen (was natürlich nicht einfach ist). Ich gebe ihm immerhin etwas Geld. Als ich nachher einen der Jungen frage, wie viel Euro der Mann denn seiner Meinung nach als erste Unterstützung hätte bekommen sollen, sagt er ohne zu zögern: „Zwanzig“.

  • Ich habe großen Respekt an alle, die in den Lehrer-Beruf einsteigen oder dabei bleiben.

    Außer an Gymnasien würde ich das keine Minute aushalten, nach den Storys, die mir die 3 Lehrer aus meinem Bekanntenkreis erzählen. Eine hat einen Versetzungsantrag gestellt, die andere denkt darüber nach.

    • @gyakusou:

      Verständlich.

      Leider können die meisten Kinder nicht so einfach die Schule wechseln oder das System komplett verlassen.

  • Eigentlich wird hier eines sehr deutlich: Pädagoge ist eben auch ein Beruf, für den eine Ausbildung wichtig ist. Das Inhaltliche können bestimmt viele aus anderen Bereichen. Und darum ist es ja auch Ausbildungsberuf, bzw. eben ein Studium, wobei ich von LehramtsstudentInnen weiß, dass dort Psychologie/ Pädagogik leider eben auch nur am Rande vorkommen.

    Und wenn man sich die Anzahl der Studienplätze ansieht, ist der Mangel ja schon zu erwarten. Und ich denke, in keinem anderen Bereich lässt es sich eigentlich so gut planen, wie im Bereich LehrerInnen: wir wissen, wieviele Kinder in diesem Jahr geboren wurden, wir haben das Alter der LehrerInnen, und wir könnten ziemlich genau berechnen, wieviele LehrerInnen wir in 6-7 Jahren bräuchten. Ich verstehe nicht, was daran so schwer ist, weil ich kann auch die Morbiditätsrate der Lehrerschaft mit hineinrechnen.

    Eher erscheint es, dass alle anderen Dinge wichtig sind. Und langfristig könnte so viel Geld gespart werden an Folgekosten ungünstiger Kindheits- und Schulerfahrungen: Therapien, Gefängniskosten, Fördermaßnahmen im Erwachsenenbereich, Transferleistungen weil Menschen vielleicht nicht arbeitsfähig sind, Nachqualifizierungen usw.

    Aber das ist natürlich alles außerhalb der Wahlperiode .. schade.

    • @schoenerwohnen2:

      Am Ende Ihres 1. Abschnitts schreiben Sie ja auch selbst, dass die Wissenschaften Psych./Päd. im Studium eher nicht so großes Gewicht haben. Ich gehe da noch einige Schritte weiter und meine: Die vielen im Artikel erwähnten Missstände oder auch Baustellen kann keine noch so umfassende Ausbildung der Lehrkräfte ausbügeln; eher im Gegenteil - die sind dann u.U. recht verzweifelt über die Diskrepanz zwischen Studium und Unterricht.

      Ein Satz, den junge Lehrer öfter mal von den Alteingesessenen hören: „Fachlich werden Sie hier ja gar nicht gefordert.“ Etwas abgedroschen, aber nicht völlig verkehrt. Gefordert wird sehr stark: Fähigkeit zum Krisenmanagement, widersprüchlichste Erwartungen aushalten und irgendwie trotzdem durchzukommen, absoluter Mut zur Lücke, immer wieder Neujustierung von Prioritäten usw. ; soziale Schieflagen realistisch zu sehen und halt damit arbeiten, was die Schüler eben mitbringen an Bereitschaft, Fähigkeiten usw.; eigentlich hat er auch eine starke Komponente sozialer Arbeit, der Lehrberuf heute.

      Quereinsteiger sind natürlich nicht die ultimative Lösung, eher der Not geschuldet. Sie können aber durchaus zu einer Entschärfung des Mangels beitragen, möglicherweise gar zu einer (Achtung, Klischeevokabel!) Bereicherung; es müssen ja nicht alle durch die Medaktik- und Dithodikmühle gegangen sein und z.B. unter ‚freier Arbeit‘ vor allem sehr spezielles Schulmaterial verstehen, das die wilde bunte Welt da draußen sehr stark gefiltert und eigentlich auch ziemlich langweilig arbeitsblatt-kompatibel wiedergibt.

      Manchmal allerdings entwickeln sich aber gerade die Seiteneinsteiger viel klischeehafter zu Oberlehrern als die Studierten selbst…

      Die ausgebildeten Lehrer fragen sich angesichts des Booms der Q.einsteiger möglicherweise, warum sie das studiert haben, wenn es ja offenbar auch ohne eine entsprechende Ausbildung geht. Immerhin sind sie statusmäßig eher besser gestellt als die Quereinsteiger, was auch fair ist.

      • @Earl Offa:

        Moin @EARL OFFA,

        was meinen Sie genau mit "statusmäßig eher besser gestellt"? Die Reputation? Oder den pekuniären Aspekt, den der Autor nennt?

        Das interessiert mich, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Sie "Reputation" meinen und in anderen Diskursen bspw. eher "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" gefordert wird - und ich kann nicht erkennen, wodurch sich die Arbeitsleistung des Autors von der jedes anderen Lehrenden unterscheiden könnte.

  • Schlimm. :(

    Ich weiss gar nicht was größer ist, mein Mitleid mit dem Lehrer, mein Entsetzen über diese Nicht-Schüler oder die Verzweiflung, dass dieser lebensnahe Bericht die Gegenwart und die Zukunft ist.

    Es bleibt das Glück, dass bei uns auf dem Dorf das Leben noch in Ordnung ist und unsere Kinder selbst in der Grundschule schon weiter waren.

    • @Mangahn:

      Ich weiß zumindest, dass mein Mitleid mit den Schülern ein Quentchen größer ist, als das mit den Lehrern. Die Frage: "Glauben Sie an uns?" zeigt deutlich, in welch auswegloser Situation sie sich selbst wahrnehmen. Ein alleingelassener Sechstklässler hat dann eben nicht dieselben Möglichkeiten wie ein (nachvollziehbar) überforderter Lehrer.