piwik no script img

Brennpunkt Görlitzer ParkEs geschah am hellen Morgen

Eine „Gruppenvergewaltigung“ war der Auslöser für den „Sicherheitsgipfel“. Laut Anklage, die der taz vorliegt, sollen DNA-Spuren den Nachweis erbringen.

Der Görlizer Park in Kreuzberg Foto: Imago/ Emmanuele Contini

Berlin taz | Mit dem Begriff Gruppenvergewaltigung hatten die Medien das mutmaßliche Geschehen zu umschreiben versucht. Seit dem Sommer schlägt die Tat Wellen. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) nahm sie zum Anlass, einen Sicherheitsgipfel einzuberufen.

Es war der 21. Juni, Tag der Sommersonnenwende. Gegen 5 Uhr morgens soll es im Görlitzer Park zu schweren Sexualstraftaten zum Nachteil einer jungen Frau gekommen sein. Der Vorfall war erst Wochen später bekannt geworden, die Polizei hatte aus ermittlungstaktischen Gründen zunächst geschwiegen.

Nun hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Es mag ein Zufall sein, dass das 15 Seiten umfassende Schriftstück am 5. September, also drei Tage vor dem Sicherheitsgipfel, fertig war, der am 8. September stattfand. Verglichen mit anderen Taten ist die Geschwindigkeit auf jeden Fall ungewöhnlich.

Die taz konnte in die Anklageschrift Einblick nehmen. Angeklagt sind drei Männer im Alter von 21 und 22 Jahren. Vergewaltigung in besonders schwerem Fall lautet der zentrale Vorwurf. Zugrunde gelegt ist der Passus des Strafgesetzbuches, der sich auf eine von mehreren Personen gemeinschaftlich begangene Vergewaltigung bezieht, den Begriff Gruppenvergewaltigung gibt es im Gesetz nicht. Auch besonders erniedrigende sexuelle Handlungen sind angeklagt.

Geschlagen und beraubt

Die Anklageschrift lässt vermuten, dass sich das betroffene junge Ehepaar, nicht in Kreuzberg wohnhaft, im Görlitzer Park in der Morgendämmerung eine schöne Zeit machen wollte. Die Frau und der Mann waren in der Nacht sehr spät ausgegangen, es heißt, sie hätten im Park bei Drogenhändlern Kokain gekauft und dann auf einer Parkbank Zärtlichkeiten ausgetauscht. Weil sie sich beobachtet fühlten, hätten sie eine abgelegene Stelle im Park aufgesucht, seien dort intimer geworden.

In der Folge seien sie dort von den drei Angeschuldigten und mindestens zwei weiteren unbekannten Männern, möglicherweise noch mehr männlichen Personen, umstellt worden. Der Ehemann sei mit Stöcken geschlagen und seiner Bauchtasche beraubt worden, in der sich ein großer Geldbetrag befand.

Die Täter könnten das gewusst haben, weil der Mann beim Kokainkauf einen 50 Euroschein aus der Tasche gezogen habe. Seiner von anderen Tätern bedrängten Frau habe der Ehemann nicht helfen können. Er sei zu Boden gebracht, festgehalten und mit Fäusten und Stöcken traktiert worden.

Die Frau habe sich gegen die in der Anklageschrift beschriebenen, mit körperlicher Gewalt erzwungenen sexuellen Handlungen zur Wehr gesetzt. Irgendwann sei es ihr gelungen, sich zu befreien und zum Ausgang des Parks zu fliehen.

Täterbeschreibung revidiert

Die Identifizierung der drei Angeschuldigten sei durch DNA-Treffer erfolgt, heißt es in der Anklageschrift. Spermaspuren in der Vagina der Betroffenen seien einem der Angeschuldigten zuzuordnen, Spermaspuren im Slip der Betroffenen den beiden anderen. Wer genau welche sexuelle Tat begangenen habe, sei nicht aufzuklären. Die Handlungen könnten aber als „mittäterschaftliche Begehensweise“ angesehen werden.

Eine Identifizierung etwa durch Lichtbildvorlage sei den Zeugen nicht möglich gewesen. Der Ehemann habe nicht direkt sehen können, was geschah. Die Frau hatte nach Informationen der taz zunächst eine Täterbeschreibung gemacht, aber revidiert.

Die Festnahmen erfolgten Ende Juli/Anfang August. Die Angeschuldigten sind in West- und Ostafrika geboren, die Asylanträge wurden abgelehnt. Sie lebten in Berlin zum Teil auf der Straße und sind teilweise mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten – wegen Körperverletzungsdelikten und BTM-Handel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • "schweren Sexualstraftaten zum Nachteil einer jungen Frau"



    Igitt, ist das ne offizielle Formulierung?



    Gruseliger geht kaum, oder?

  • Ich habe bei dem Artikel Watch mit gemischten Gefühlen gelesen. Es ist natürlich gut die Umstände der Tat zu schildern, andererseits frage ich mich als Leserin , ob sie irgendetwas an der Schwere der Tat ändern. Macht es im Ergebnis einen Unterschied, ob eine Frau „züchtig“im Park ein Buch liest oder ob sie mit ihrem Begleiter Zärtlichkeiten unter kokaineinfluss austauscht und dann von drei Männern vergewaltigt wird ? Ich dachte soweit waren wir schon, dass auch leichtsinnige oder gar hilflose Personen, nicht Opfer sexueller Gewalt werden dürfen.Dies darf den Tätern nicht zu Gute kommen.und ja drei Personen sind eine Gruppe.

  • "Gegen 5 Uhr morgens soll es im Görlitzer Park zu schweren Sexualstraftaten zum Nachteil einer jungen Frau gekommen sein."

    "Zum Nachteil" finde ich eine seltsame Formulierung. Können schwere Sexualstraftaten auch zum Vorteil einer jungen Frau sein? Ich verstehe das nicht.

    "Die Angeschuldigten sind in West- und Ostafrika geboren, ..."

    Weshalb wird die Herkunft benannt, ich dachte, das ist mittlerweile nicht mehr üblich bzw. unerwünscht, um Vorurteilen keinen Vorschub zu leisten?

    • @*Sabine*:

      "zum Nachteil" ist einfach Juristendeutsch. Wird auch bei Morden verwendet oder Körperverletzungen, also bei vielen Taten, von denen das Opfer nie einen Vorteil hat.

  • „Zugrunde gelegt ist der Passus des Strafgesetzbuches, der sich auf eine von mehreren Personen gemeinschaftlich begangene Vergewaltigung bezieht, den Begriff Gruppenvergewaltigung gibt es im Gesetz nicht.“



    Solche Genauigkeit bei Strafsachen wünsche ich mir schon lange bei der TAZ. Wie oft wird hier von Schwarzfahren geschrieben, wenn doch eigentlich das erschleichen von Leistungen. Wenn ich mich richtig erinnere wollte ein Artikel auch einen Mord bestraft wissen, obwohl ein Totschlag gemeint war.

  • In anderen Ländern unterliegt der Besuch von öffentlichen Parks den entsprechenden Öffnungszeiten. Sehr unerfreulich und bedauerlich, aber wenn hierdurch ein Kriminalitätsschwerpunkt wenigstens in der Nacht verhindert werden kann, halte ich das durchaus für legitim.

    (Auch ich habe das Gefühl, dass hier ein irritierender Unterton bei dem Artikel mitschwingt. Ich kann diesen Ton aber noch nicht entschlüsseln. Gefällt mir aber nicht. Glaube ich.)

  • Es gibt Parks auf dieser Welt, in denen, mitten in der Großstadt, Frauen alleine nachts um 5 spazieren gehen können. Nur kann man da kein Kokain kaufen. Im Görlitzer Park kann man nur schwerlich eine linke Utopie entdecken.

    • @Kommen Tier:

      In welchen Großstädten sind denn diese Parks?

      • @Jim Hawkins:

        Warschau

      • @Jim Hawkins:

        Singapur zum Beispiel

      • @Jim Hawkins:

        @Jim Zum Beispiel wirklich jede beliebige japanische Stadt.

        • @TheBox:

          Na dann, auf nach Japan!

          • @Jim Hawkins:

            🏴‍☠️ Kölle reicht -

            • @Lowandorder:

              u. ganz in der Nähe - Potsdam



              (Parks der Schlösserstiftung).

  • Der Ton dieses Artikels ist spannend. Das Spannungsfeld von Feminismus und AntiRa scheint geprägt von kognitiver Dissonanz. In anderen Kontexten ist auch außergerichtlich den Aussagen einer in ihrem sexuellen Selbstbestimmungsrecht verletzten Person zu glauben. Hier "soll" es zu schweren Straftaten gekommen sein.

    • @Ijon Tichy:

      Absolut diesen Eindruck hatte ich auch; der ganze Artikel liest sich für mich sehr relativierend wenn man bedenkt, wie deutlich man sich sonst hier in der TAZ gegen noch jedwede Mikroaggression positioniert.

      • @Fran Zose:

        zB. Schilderung des Prozesses um einenHandy-Diebstahls



        In HH-Hafenstrasse TAZ 26.9.



        („Polizeistadt Hamburg“)

  • Dass die Tat schon angeklagt wurde, ist keineswegs "überraschend", sondern beruht darauf, dass in Haftsachen ein besonderes Beschleunigungsgebot gilt.

  • "Mit dem Begriff Gruppenvergewaltigung hatten die Medien das mutmaßliche Geschehen zu umschreiben versucht."

    Umschreiben? Wie wäre es mit beschreiben?

    Es gibt auch "Ladendiebstahl" oder "Schwarzfahren" nicht in diesen Begriffen als Straftatbestand, dennoch weiß jeder, was gemeint ist und verwendet diese Begriffe im Alltag genau so. Selbst das Boulevard-Blatt Jungle World verwendet den Begriff "Gruppenvergewaltigung".

    Korrekt müsste es heißen "Eine gemeinschaftliche[s] Begehung der Vergewaltigung".

    Dem Opfer ist das wohl schnuppe.

  • Es ist immer wieder faszinierend, welch starke Wirkung so ein paar Anführungszeichen in einem



    Presseartikel haben können…