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Kampfbegriffe der Rechten„Wokeness“ gibt es nicht

Es ist eine leere Worthülse und ein rechter Kampfbegriff, um Minderheiten kleinzuhalten: „Woke“. Aber es ist kein ernstzunehmender Beitrag zum Diskurs.

Protest, sich für Marginalisierte einsetzen wird diffamiert mit Begriffen wie „woke“ und „Gutmensch“ Foto: Stefan Boness

I mmer wieder schaffen es rechte Kampfbegriffe in die Alltagssprache, in den politischen Diskurs und schließlich auch in linke Medien und in soziale Bewegungen, wo sie dann viel zu lange ungehindert ihren Schaden anrichten, demotivieren und Spaltungen verstärken können.

Dass das so einfach möglich ist, wurmt mich, seit meine Deutschlehrerin auf dem Pausenhof verkündete, sie habe ein neues Wort gelernt: „Gutmensch“. Das würde Menschen mit einem erhobenen Zeigefinger beschreiben und da fühle sie sich als 68erin ja schon ein bisschen ertappt.

Wir Schü­le­r*in­nen kannten das Wort. Allerdings bis zu diesem Zeitpunkt nur aus Neonazi-Flugblättern und Hassschriften, mit denen wir konfrontiert waren. Ich erinnere mich an diesen Schock: Wie kam dieses Wort in das Lehrerzimmer einer progressiven Schule?

Seitdem habe ich den Siegeszug des Wortes besorgt beobachtet – das Wort quasi begleitet, bis es 2015 Unwort des Jahres wurde. „Gutmensch“ diffamiere „Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischen Imperialismus“, hieß es in der Jury-Begründung. Stimmt. Andere Wörter machten ähnliche Karrieren. Aus der politischen Rechten kommt der Begriff der „political correctness“ nach Deutschland – und einige Jahre lang wird alles als PC diskreditiert, das irgendwie mit Antidiskriminierung und Minderheitenschutz zu tun hat. Es hat viel zu lange gedauert, bis sich soziale Bewegungen von dieser Bezeichnung frei strampeln und drüber stehen konnten.

Den Schaden haben am Ende Marginalisierte

Die Beschimpfung war gut gewählt: Gerade diejenigen, die sich als widerständig begreifen und Nonkonformität feiern, wollen nicht mit irgendeiner übermäßigen Korrektheit in Verbindung gebracht werden. Das wäre ja spießig. Und so konnte man peinlich berührt dabei zusehen, wie sich Linke gegenseitig als politisch korrekt ­verhöhnten, wenn sie in Streitlaune waren. Den Schaden hatten Marginalisierte und ihre Forderungen.

„Woke“ kommt aus dem afroamerikanischen Englisch der 30er Jahre. Die US-amerikanische Begriffsgeschichte lässt sich leicht nachlesen. Für hiesige Diskurse gilt: Keine Bewegung hat sich selbst jemals als woke bezeichnet. Noch nie haben sich Afrodeutsche mit den Worten „stay woke“ von Demos verabschiedet. Rechte Trolle bringen „woke“ in deutsche Social-Media-Kommentare und alle springen wieder über das gleiche Stöckchen.

Wokeness gibt es nicht. Und das macht ein Wort gut einsetzbar als Kampfbegriff – zu einer leeren Worthülse, die sich je nach Bedarf befüllen lässt um diejenigen klein zu halten, die für die Interessen von Minderheiten einstehen, und um linke Politik abzuwerten. Wem gerade eine Forderung zu weit geht, wer sich gerade in einem Privileg beschnitten fühlt, benennt diese Forderung einfach als „zu woke“ und fertig. Das ist keine ernstzunehmende Diskursgrundlage. Steht also einfach weiter für das ein, was euch wichtig ist. Auch wenn der nächste Kampfbegriff daher kommt.

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Simone Dede Ayivi
Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.
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12 Kommentare

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  • Severin , Moderator*in

    Liebe Kommunard:innen, wir möchten darauf hinweisen, dass Überschriften und Unterzeilen von der Redaktion und nicht von unseren Kolumnist:innen geschrieben werden. Das kann zu leichten Abweichungen in der Wortwahl führen. 

  • Schon etwas ir­ri­tie­rend, dass die Autorin selbst noch am 30. 8. 2023, 13:12 über "Woke Männlichkeiten" schrieb.

  • "„Wokeness“ gibt es nicht"



    Ist das jetzt die zweite Verteidigungslinie nach 'Cancel Culture gibt es nicht'?

  • Danke! Das Aufgreifen rechter / rückständiger / konservativer Kampfbegriffe ist mir auch immer wieder ein Rätsel und ich verstehe nicht, weshalb Menschen und Medien diese Begriffe, ohne über den Kontext zu stolpern, übernehmen und verwenden.

  • Die Analogie das man selber wach ist, also die Augen geöffnet hat, und deswegen Dinge sieht die andere nicht sehen, ist ja nun nicht neu. Genauso wenig, wie der Vorwurf (an alle anderen) das sie »schlafen« und deswegen nicht sehen können, was »wirklich« passiert. Gerade in verschwörungstheoretischen und rechtsradikalen Kreisen ist das eine beliebte rhetorische Floskel, nicht nur in den USA. Unter Corona-Leugner*innen war es überaus beliebt alle anderen als »Schlafschaafe« zu bezeichnen, sie selbst sahen sich als »wach« oder »erwacht« an. Auch unter Neo-Nazis wird die Mehrheitsgesellschaft oft als »schlafend« dargestellt, weil sie die Verschwörungszenarien vom »großen Austausch« oder der »neuen Weltordnung« nicht erkennen wollen. Dabei beziehen sie sich auf ihre nazionalsozialistischen Vorgänger*innen: Auch die Nazis forderten »Deutschland erwache« und meinten damit, es solle endlich die Augen für die große jüdische Weltverschwörung öffnen und erkennen das diese die Republik ins Chaos gestürzt, und dem Land den Sieg im Krieg gekostet hätte.

    Ob nun »sheeple« oder »Schlafschaaf«, »woke« oder »(er)wach(t)« die Analogie ist nicht neu und hat auch hierzulande eine lange Begriffsgeschichte.

    Vielleicht wirklich neu -- und tatsächlich dem derzeitigen U.S-amerikanischen Diskurs geschuldet -- ist der seltsam ambivalente Umgang damit. Denn obwohl die MAGA-Kultist*innen ja eigentlich die klassische Rolle der Erweckten einnehmen, benutzen sie »wokeness« gleichzeitig als beleidigen Kampfbegriff für Andersdenkende. Das macht zwar überhaupt keinen Sinn, ist aber ein gerade auch von Trump persönlich immer wieder erfolgreich genutzter Spielzug: Was immer Gegner*innen ihm vorwerfen, als was immer sie ihn bezeichnen sind sie nachher selbst (siehe »fake news«). Klassische Reflexion. Super infantil, super nervig — und empörender Weise trotzdem super erfolgreich.

  • "Für hiesige Diskurse gilt: Keine Bewegung hat sich selbst jemals als woke bezeichnet. Noch nie haben sich Afrodeutsche mit den Worten „stay woke“ von Demos verabschiedet." --> Wer sagt, dass sich Afrodeutsche mit diesen Worten von einander verabschieden müssen, nur damit es sich um eine Selbstbezeichnung handelt.

    Tatsächlich gibt es einige Akteure progressiver Kreise die sich - oder wenn sie in der Öffentlichkeit stehen - ihre Anhänger als "woke" bezeichnen, z.B. die Gewinnerin des diesjährigen Computerspielpreises Pia Scholz.

    Es gibt nur einfach keine Begriffshoheit oder nur eine Bedeutungshoheit. Jeder Begriff kann durch andere nicht nur benutzt, sondern sogar bis zur Unkenntlichkeit pervertiert werden. Man denke nur, welche Assoziationen allein der Begriff "Endlösung" bis heute auslöst, die er vor der Wannsee-Konferenz nicht hatte. Jedes Wort hat das Potential als Schimpfwort verwendet zu werden, wie eben der gute Mensch als Gutmensch. Gerade dies führte ja zur Theorie der Euphemismus Tretmühle.

    • @Kriebs:

      Wer auch immer Pia Scholz ist - wo genau bezeichnet sie sich selbst als "woke"? Kann ich das mal sehen?

  • Ich finde es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass ausgerechnet diese Autorin der Gegenseite inhaltsleere Worthülsen vorwirft. Ich lese mit gewissem Interesse die Kolumnen immer wieder und finde sie voller Kampfbegriffe und Worthülsen die mir bis dato nicht bekannt waren und die außerhalb ihrer Blase sicher wenig geläufig sind. Einfach mal einen Gang runterschalten schrieb neulich hier eine andere Kolumnistin und sprach mir damit aus dem Herzen.

  • DANKE!

  • "Woke existiert nicht, weil sich niemand selbst so bezeichnet" ist, ehrlich gesagt, ein sehr schwaches Argument. Dieser Logik nach müsste die AfD nur eines tun, um keine faschistische Partei zu sein: Sie müsste sagen, dass sie keine sei.

    Das der Begriff "Wokeness" nicht sauber definiert ist, ist tatsächlich ein Problem. Das er manchmal für Dinge angebracht wird, die völlig normal sind, ist ebenfalls ein Problem. Aber wenn man mir ernsthaft erzählen will, der Begriff sei insgesamt völlig willkürlich und hätte KEINERLEI tatsächliche Bedeutung, dann bin ich doch sehr verwundert. Der Begriff wird in innerlinken Diskursen oft für überzogen identitätsbezogenen, hyperkorrekten Politik-, Sprach- und Verhaltensstil verwendet. Wenn beispielsweise eine Musikerin von einer Fridays for Future-Demo ausgeladen wird, weil sie Dreadlocks trägt, ist das ein Beispiel, bei dem dieser Begriff zumindest nicht fernliegend erscheint. Wenn Leute energisch und trotzig die Umbenennung der "Zigeunersoße" durch ein Unternehmen bejubeln und dabei völlig ignorieren, dass dasselbe Unternehmen gerade hunderte Mitarbeiter entlässt, dann ist das ebenso ein Beispiel, in dem der Begriff durchaus nicht zu Unrecht angebracht wird. Zu guter Letzt ist das Phänomen der "Corporate Wokeness", wenn Firmen ihre Banner im Pride Month zu Regenbogenbannern überall dort ändern, wo sie dafür Jubel erwarten, aber überall dort nicht ändern, wo sie dafür in Schwierigkeiten kommen könnten, ja durchaus bekannt.

    Den Begriff jedoch sauber zu definieren, würde ich unterstützen, bezweifle aber, dass das viel nützt, da ein Begriff, wenn er von Rechten instrumentalisiert wird, durchaus auch gerne jenseits seiner eigentlichen Bedeutung eingesetzt wird.

  • Diese Betrachtung war überfällig und sie trifft 100%tig zu. Und es wird auch erwähnt wie eifrig rechte Trolle damit beschäftigt sind die Kommunikation zu beherrschen indemm sie ständig herabsetzende Kampfbegriffe kreieren.

  • Danke für die klare Einordnung.

    "Wokeness gibt es nicht."

    Exakt.

    Es ist eine leere Worthülse für "Alles was ich nicht mag", mehr nicht.

    Perfekt zur Instrumentalisierung von Hass. Jeder kann sich darunter vorstellen, was er/ sie will und die Demagog*innen müssen es nicht einmal mehr konkretisieren.