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Generaldebatte im BundestagScholz streckt Merz die Hand aus

Kaum hat man sich an die Augenklappe gewöhnt, macht der Kanzler einen neuen Zug. Er bietet der Union einen „Deutschlandpakt“ an.

Lindner, Habeck und Scholz bei der Haushaltsdebatte Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Es passiert selten, dass Olaf Scholz die Unionsfraktion im Bundestag an die Wand redet. Aber in der Generaldebatte am Mittwoch gelang ihm das. Nicht mit gezielten Attacken auf die Union und deren Fraktionschef Friedrich Merz – ja auch die hatte der Kanzler in petto. Sondern indem er Merz und der Unionsfraktion die Hand ausstreckte.

Scholz lud die größte Oppositionsfraktion ein, einen „Deutschlandpakt“ zu schließen. „Lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln, damit Deutschland schneller, moderner und sicherer wird“, wandte sich Scholz im Bundestag an die Unionsbank. Es gehe um Arbeit im Maschinenraum, damit der Tanker Deutschland auf Touren komme.

Konkret nannte Scholz den Ausbau der erneuerbaren Energien, den Ausbau der Netze und den Abbau von Bürokratie, die sich wie Mehltau über das Land gelegt habe. Scholz will mehr Leute in den Planungsbehörden und schnellere, digitale Genehmigungsverfahren, er will Erleichterungen beim Wohnungsbau, für Schwertransporte und beim Schienenausbau. Um diese Pläne umzusetzen und die Verwaltung auf Touren zu bringen, braucht Scholz die Kommunen und die Länder. Und dort sitzen oft Unions-Ministerpräsident:innen und Bür­ger­meis­te­r:in­nen am Ruder.

Das ist die eine Seite. Andererseits ist es auch ein Pakt gegen die AfD. Die Völkischen legen in Umfragen gefährlich zu und führen sie sogar derzeit an in den drei Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg, wo im kommenden Jahr gewählt wird. Als Abbruchkommando für Deutschland bezeichnete der Kanzler die Fraktion ganz rechts außen im Bundestag, mit ihren Forderungen nach neuen Schlagbäumen in Europa und nach Sozialabbau betreibe sie mutwillige Wohlstandsvernichtung. Die Botschaft: Der eigentliche Gegner sitzt ganz rechts.

Friedrich Merz war von dieser demonstrativen Umarmung sichtlich überrascht und musste sich erst mal an der Wange kratzen. Die Zwischenrufe von der Unionsbank erstarben. Der Kanzler hatte sie aus dem Takt gebracht. Denn die Dramaturgie der Generaldebatte war zunächst dem üblichen Muster von Attacke und Konter gefolgt.

Merz aus dem Tritt

Merz nutzte seine Rede zum Generalangriff auf die Ampelkoalition, als wäre er noch im Bierzelt in Gillamoos und nicht im Plenarsaal des Bundestags. Scholz habe eine „Zeitenwende“ versprochen, so der CDU-Chef, aber das seien leere Worte geblieben. Der Haushalt der Ampel werde „der Herausforderung nicht gerecht“. Zwar sei man sich mit der Regierung in der Bewertung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs auf die Ukraine einig, und das Versprechen, den Verteidigungsetat über ein Sondervermögen auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, halte man für richtig. Aber dieses Versprechen habe die Ampelregierung gebrochen. Das ungeliebte Kind Bundeswehr bleibe „strukturell unterfinanziert“.

Mehrfach versuchte Merz so einen Keil in die Reihen der Regierung zu treiben. Innenministerin Faeser habe sich krankgemeldet und dpa-Interviews gegeben. Der große Verlierer sei Boris Pistorius, der Verteidigungsminister. Die Grünen würden bestreiten, dass „illegale Migration“ überhaupt ein Problem sei.

Dann wieder buhlte Merz um Lindner, indem er für eine einheitliche, niedrige Unternehmenssteuer und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags warb. SPD und Grüne wollten den „betreuenden, bevormundenden, alles finanzierenden Staat“, einen „paternalistischen Staat“. Sie würden „mit Klassenkampf-Rhetorik“ die Leis­tungs­trä­ge­r:in­nen besteuern wollen und setzten auf Verbote.

Erwartbar platzierte Merz in seiner Rede gezielte Seitenhiebe gegen das Gebäudeenergiegesetz, die Kindergrundsicherung und die Rentenpläne der Ampelregierung. Ältere Beschäftigte bräuchten einen „Anreiz“, um länger zu arbeiten. Scholz sei schuld an der schlechten Stimmung im Land, die CDU könne das besser: „Wir wollen den Menschen, den Unternehmen und vor allem den Ingenieurinnen und Ingenieuren etwas zutrauen.“ Es klang wie eine einstudierte Wahlkampfrede, nicht wie die Gegenrede zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung.

Noch mehr Geld für die Bundeswehr

Dass er das Nato-Ziel aus den Augen verloren habe, wollte Scholz so nicht auf sich sitzen lassen. Er bekräftigte es sogar – und stellte in Aussicht, dass die Bundeswehr künftig zusätzlich 25 bis 30 Milliarden Euro aus dem Haushalt brauchen werde. Der Beifall bei Grünen und SPD hielt sich in Grenzen. Es ist arithmetisch absehbar, dass ein deutliches Plus für den Verteidigungsminister alle anderen Res­sort­kol­le­g:in­nen zu weiteren Kürzungen zwingt. Denn eine Lockerung der Schuldenbremse oder Steuererhöhungen für Spit­zen­ver­die­ne­r:in­nen und Vermögende scheitern an der FDP.

Zuletzt hatte es zwischen den Ampelpartnern hörbar geknirscht. In den lauten Debatten um die Finanzierung der Kindergrundsicherung, das Heizungsgesetz oder um einen subventionierten Industriestrompreis war auch immer wieder Kritik an der von Linder verordneten und von Scholz unterstützten Haushaltsdisziplin aufgeblitzt. Und so erinnerte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Mittwoch denn auch daran, dass die Spitzen in der Koalition in den letzten Monaten kein gutes Bild abgegeben hätten.

Was Merz kaum erwähnte, war die schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland. Dabei hätte man das eigentlich von dem selbsternannten Wirtschaftsfachmann und einstigen Blackrock-Deutschland-Aufsichtsratsvorsitzenden erwartet. Auch Scholz erwähnte die derzeitige Stagnation nur beiläufig. „Klar, keiner kann zufrieden sein, wenn die Wirtschaft nicht wächst.“ Aber das beste Wachstumsprogramm sei es, wenn Betriebe nicht mehr drei Jahre, sondern drei Monate auf Genehmigungen warten müssten. Besser als eine Dauersubvention jedenfalls.

Das war ein Seitenhieb auf den sogenannten Brückenstrompreis, wie der subventionierte Industriestrompreis auch genannt wird, über den es ebenfalls Zwist gibt. Die FDP ist dagegen, SPD-Fraktion und der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck wollen ihn. Genauso wie die Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen der 16 Bundesländer, die ihre Ministerpräsidentenkonferenz an diesem Mittwoch extra nach Brüssel verlegt haben, um bei der Kommission für eine solche Subvention zu werben. Auch um sie muss sich Scholz noch bemühen, wenn sein Deutschlandpakt Wirklichkeit werden soll.

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20 Kommentare

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  • Scholz reicht Merz nur die Hand, damit dieser ihn vor dem Untergang im eigenen Morast rettet. Diese Regierung taumelt, von der fDP angetrieben, ihrem baldigen Ende entgegen. Neuwahlen wären die ehrlichere, demokratische Lösung.

  • Die Regierungsparteien packen es nicht, warum sonst soll jetzt plötzlich die Oppositionspartei CDU/CSU eingebunden werden. Ein Armutszeugnis.

  • Wenn Scholz um die Unterstützung der Länder werben will, muss er sich in den Bundesrat begeben. Im Bundestag ist es nicht die Aufgabe der Opposition, auf eine ausgestreckte Hand der Regierung zu warten, sondern diese zu kontrollieren, deren Schwächen aufzuzeigen und für die Wähler ein Gegenmodell zu skizzieren. Scholzs Versuch wirkte eher hilflos, einen Deutschlandpakt muss er erstmal innerhalb seiner eigenen Regierungskoalition auf die Beine stellen, da ist noch Luft nach oben.

  • Ein „Deutschlandpakt“. Soso.

    Bedeutet das jetzt, dass die Parteien endlich das Wohl des Staates und der Bevölkerung über als alleinige Wohl der Partei(en) stellen werden ?

    Da zitiere ich jetzt dochmal nicht den Götz :-) sondern den Goethe:

    Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube !

  • Die selbst ernannte Fortschrittskoalition bittet um Mithilfe bei den Verantwortlichen für 16 Jahre Stillstand - wenn das kein Eingeständnis des



    Regierungsversagen ist !

  • Vor Verwendung des Begriffs "Deutschlandpakt" hätte Scholz bzw. sein Redenschreiber mal bei Wikipedia nachschlagen sollen. "Deutschlandpakt" war die Bezeichnung des Wahlbündnisses zwischen NPD und DVU.

  • Und überall macht der Mann mit der Augenklappe Werbung.



    Bei Globus fürFleischkäse, bei einer Brauerei fürBier und sogar der mdr wirbt mit ihm.



    Läuft...für ihn.



    Leider nicht für uns.

  • "Klar, keiner kann zufrieden sein, wenn die Wirtschaft nicht wächst."

    Doch. Das Klima. SCNR.

    • @Ajuga:

      Das dachte ich auch als ich das las. Die Ökosysteme sind dabei zusammenzubrechen und es wird versucht, die gewohnten Regeln wie die, dass die Wirtschaft wachsen solle/müsse, weiter zu erzählen und nach ihnen zu handeln. Die Apokalyptiker*innen sind nicht die Klimaaktivist*innen sondern die "Profis" im Parlament/Regierung, die ihres dazu tun, die Lebensgrundlagen zu unterminieren.

  • Ein weiteres Beweis, dass JEDER Politiker, der was bewirken kann, aus den gleichen Taschen bezahlt wird.

  • 6G
    663803 (Profil gelöscht)

    Schwierig, wirklich schwierig finde ich es stolz darauf zu sein, dass Rente und Bürgergeld deutlicher erhöht wurden ….. das was es nun mehr gibt ist durch Inflation, diverse Nebenkosten und steigende Lebensmittelkosten weggefressen …. Bitte schön Danke schön

  • 6G
    663803 (Profil gelöscht)

    Jepp vor 3 Jahren hat ihn Merz noch jovial und süffisant nach dem Paktangebot gefragt, nun ist es wohl soweit darüber Eckpunkte zu formulieren; mal sehen ob die bereit wäre diese beizubehalten

  • Immer so tolle Namen. Deutschlandtakt, Deutschlandticket, Deutschlandpakt. Zeitenwende. Gähn.



    Abbau der Bürokratie. Klingt erst immer positiv und dann bedeutet es nur Mist. Leichteres Spiel für Investoren. Weniger Umweltschutz. Etc.

    • @blutorange:

      Viel Bürokratie und viele Regulierungen nützen Großkonzernen, weil kleine, mittelständische Unternehmen und startups schlicht die Mittel fehlen ein Heer von Anwälten zu bezahlen die sich im Regulierungsjungel zurecht finden.

      Komizierte Gesetze begünstigen Großkonzernen und verdrängen kleiner Player vom Markt

      • @Timo Heuer:

        Jein. Es kommt durchaus häufig vor, dass Projekte bzw. deren Start kaum bekannt werden und mensch im Verlauf des Projektes vor vollendete Tatsachen gestellt wird bzw. es trotz jetziger Bürokratie und angeblich umfangreichen Unweltschutzes es kaum Möglichkeiten der Verhinderung/Abänderung gibt. Beispiele: Autobahnbau, Tesla-Fabrik in Berlin-Brandenburg



        Inwieweit Projekte erfolgreich abgewendet werden können, hängt nicht unbedingt von Zeitgeist oder ökologischen Folgen ab, sondern vom Projektzweck, Wirtschaftsinteressen, Image, würde ich meinen. Gegenüber Autobahnbau ist es gefühlt schwerer, Bauvorhaben wie Solaranlagen und Windkraftanlagen durchzukriegen.

    • @blutorange:

      // Leichteres Spiel für Investoren

      Das ist ja erstmal nicht schlecht wenn Investitionen leichter durchgeführt werden können ohne immensen bürokratischen Aufwand.

      • @Der Cleo Patra:

        Kommt auf Projektinhalt an, würde ich meinen. Bürokratie hat erstmal nen negativen Anklang. Blutorange will, schätze ich, auf "Nebenwirkungen" und auf Absichten hinaus, die bspw. kapitalistisch motiviert sind. "Bürokratie" heißt durchaus auch Überprüfung und ggf. Einspruch.

        • @Uranus:

          Ganz genau. Hier zeigen sich wohl unterschiedliche Konnotationen. "Investoren" scheint bei manchen positiver konnotiert. Und Bürokratie nicht unbedingt als vielleicht wenigstens kleiner Schutz vor kapitalistischem Wildwuchs...

    • @blutorange:

      Bürokratieabbau und „Reformstau“, das sind doch die Schlagwörter mindestens seit Rot-Grün 1998 ff. Hieß in der Realität dann, staatliche Institutionen kaputtzusparen (oder gleich zu verscherbeln), bis es ohne teure Externe aus der freien Wirtschaft nicht mehr ging. Seitdem gehen McKinsey und Co. in den Ministerien ein und aus.



      Ich will gar nicht bestreiten, dass umständliche Verfahren und kleinstteilige Regelungen allerlei Innovationen und deren Umsetzung im Wege stehen. Aber wenn die Regierung der Bürokratie mit großer Geste den Kampf ansagt, ist Vorsicht geboten. Immerhin meint Scholz offenbar, dass er „mehr Leute in den Planungsbehörden“ will. Warten wir mal ab…

    • @blutorange:

      Eigentlich müsste das Wort Deutschlandpakt " Bäh " sein, da es früher von der NPD bereits benutzt wurde.