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Sommerbäder und GewaltKein Freibad kann das Meer ersetzen

Während die einen Jugendlichen in den Urlaub fahren, müssen die anderen Zeit totschlagen. Und Freibäder werden zum Politikum.

Im Nichtschwimmerbecken, Sommerbad Kreuzberg Foto: Fabian Sommer/dpa

E ndlich Sommerferien. Draußen zu heiß, drinnen Schatten, aber eng und Geschrei. Schöne, lange Sommertage, die Ferientage besonders lang. Fußballspielen? Zu heiß. Freunde treffen? Fast alle weg. Fußballgucken? Scheiß Sommerpause. Einkaufszentrum? Ist schön kühl, ok, lass gehen! Stille auf dem großen Platz, Ruhe am Busbahnhof, keiner auf dem Bolzplatz. Die ganze Stadt wie das verlassene Dorf im Western auf RTL 2. Nur die Heuballen fehlen, die pfeifend über den trockenen Boden rollen.

Endlich Sommerferien. Spät schlafen gehen, lange schlafen, spät aufstehen, oder gleich komplett durchmachen und Fifa zocken. So wie manchmal am Wochenende, aber dieses Wochenende ist sehr lang. Die Zeit vergessen. Die Tage verschwimmen. Zumindest erwartet niemand etwas. Die Lehrer erwarten nichts, weil sie im Urlaub sind. Die Eltern erwarten nichts, weil sie keinen Urlaub bezahlen können. Kein Stress, keine Hausaufgaben, keine Prüfung, kein Druck. Nur Leere. Alles gut?

Endlich Sommerferien. Rumlaufen. Rumstreunern. Rumhängen. Eine Cola kaufen und trinken. Ein Red Bull kaufen und trinken. Wenn das Geld reicht, noch einen Döner kaufen und essen. Teilen, wenn es wen zum Teilen gibt. Einfach irgendwo sitzen und schwitzen und sitzen. Warten und schauen und warten. Sechs Wochen wie ein einziger ewiger Sonntag. Vielleicht passiert noch etwas. Wenn nicht heute, dann vielleicht morgen. Wenn nicht morgen, dann vielleicht übermorgen. Im Western auf RTL 2 knallt es doch auch irgendwann.

Pommes, Schweiß, zu viele Körper

Endlich Sommerferien. Die Straßen leer, aber das Freibad voll. Sonnencreme. Pommes. Schweiß. Leben! Mädchen! Vielleicht diesen Sommer endlich verlieben? Liegende Körper auf der Wiese. Essende Körper auf Plastikstühlen. Stehende Körper im Wasserbecken. Drängende Körper im Duschraum. So viele Körper. Zu viele Körper? Beim Vorbeigehen jemanden streifen, weil einfach viel zu viele Menschen. Dummen Kommentar kassieren, kontern. Klatsche ins Gesicht bekommen, ihm in den Bauch kicken. Oder andersrum. Scheiße, Junge, musste das jetzt sein?!

Endlich Sommerferien. Geil, endlich Sommerferien! Manche fahren in den Urlaub, andere müssen sechs Wochen totschlagen. Komplett sich selbst überlassen. Langeweile, Tristesse, Gereiztheit. Innere Leere trifft auf volles Freibad. Voller und voller, bis es irgendwann knallt. Der Bürgermeister gibt eine PK. Journalisten freuen sich über ein Thema. Das eine Freibad bleibt geschlossen. Beim anderen kommt man ab 15 Uhr nicht mehr rein.

Die Freunde sind schon drin, sie rufen: Spring über den Zaun, komm doch endlich rein! Wenn man es darauf anlegt, kommt die Polizei. Wer sich abkühlen will, muss jetzt vorbei an der Staatsgewalt. Aber kein Freibad kann das Meer ersetzen.

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Volkan Agar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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11 Kommentare

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  • Kein Reviergehabe kann echten Respekt ersetzen.

  • ich würde mal vermuten, dass die benannte Personengruppe sich am Meer genauso arschlochmässig benehmen würde wie im hier im Freibad. also mindermuskulöse Jungs als Schwuchteln bezeichnen, den Girls sexistische Sprüche hinterherrufen, bei jeder Gelegenheit auf den Boden spucken.

  • Systemische Probleme als nicht vorhanden zu erklären ist auch eine Art von Desinformation.

  • Gibt es denn in Berlin keine Ferienprogramme für Kinder und Jugendliche? Ferienpässe? Sozialtickets? Private Vereine die sich engagieren? Museen, Zoos, Kinos, Büchereien mit Ferienangeboten? In und um München und in vielen Landkreisen und sogar vielen Gemeinden wird sowas angeboten. Oft kostenlos oder für kleines Geld, manchmal nur Anfahrt und Materialkosten, für die auch das Taschengeld reichen dürfte. Nada in Berlin?

  • Endlich Sommerferien. Die Stadtbibliothek schön kühl und voller cooler Bücher. Sechs Wochen Zeit zum Lesen, irgendwo im Park unterm Baum. Andere Welten entdecken, ganz ohne wegzufahren. Die Phantasie benutzen. Sich nicht wie ein Arschloch benehmen.

    • @Felis:

      Ihr letzter Satz sagt alles, Danke.



      Man kann sich auch benehmen und keinen Streit anfangen. Das hat nichts mit Herkunft oder sozialem Status zu tun, sondern mit Vernunft und etwas Anstand.

  • Das ganze wäre als sommerlochtheater abtubar, stünde dem nicht unsere Neigung entgegen lokale Probleme zu bundesgröße aufzublasen und vor allem, echte Probleme virtuell lösen zu wollen. Statt also einfach das Löwende (sind ja in Berlin) einzufangen und nachzuschauen ob es eine Katze, Hund oder Hirngespinst ist, oder einfach ein paar Wasserbüffel - oder wie man Badepolizisten nennen möchte in die paar Problembäder zu schicken, wird ein Megafass aufgemacht, bei dem sich das von Bad Dürkheim klein vorkommt: Vom Halteverbot für Tierexoten bis zum Ausweisungsgebot für Badexoten.



    Dabei haben wor für alles mehr als genug Gesetze und Verordnungen, Normen, Satzungen und Hausordnungen.



    Muss halt mit Personal umgesetzt, statt besödert, d.h. belabert werden.



    Richtig krass ist, dass gewisse Möchtegern AfD-ler mit Schuss, äh Substanz, Grundrechte abschaffen und Kontingentieren wollen. Wie groß wäre das Geheul eben dieser, käme jemand auf die Idee das Supergrundrecht nach Art.14 (1) aufzuheben und individuelles Eigentum auf Kontingente begrenzen oder gar individuell aufzuheben? Da würde nach Präventivhaft für Verfassungsfeinde gegreint!

  • Natürlich kann das Freibad kein Meer ersetzen. Warum sollte es auch? Genauso wenig kann eine Kletterhalle ein Bergmassiv mit Alpenpanorama ersetzen. Kommt es dort deshalb zu Pöbeleien, sexuellen Übergriffen und Schlägereien? Es ist eine einfache Gleichung: Diejenigen, die sich im Freibad nicht benehmen, werden sich auch am Meer nicht benehmen.

  • Das Prinzip des Ferienjobs ist auch in Vergessenheit geraten. Ich habe mit 12 Jahren Blumen gegossen, Katzen gefüttert, Hunde und Kinder gesittet, auf dem Friedhof Gräber betreut, Zeitungen ausgetragen. Dabei habe ich mir immer gut verdient und zusätzlich hat es die Langeweile gemindert.

  • Sommerferien dauern 6 Wochen. Wen man dann 2 weg fährt hat man auch 4 Frust, Enge usw. Alles merkwürdige Ausreden.

    In Zb München gibt es auch Klimawandel und Hitze, da fährt auch nicht jeder in den Urlaub.

  • Super Kommentar, ein Spiegelbild meine Kindheits- und frühren Jugendjahre.



    Kenn ich Alles: aber vor langweiliger Dummheit andere schlagen, rassistisch beleidigen und bedrohen?



    Dafür ist Langeweile und Dummheit kein hinreichender Grund und schon gar keine Rechtfertigung!

    PS: Ja, früher war auch alles schlecht und für uns Arbeiterschüler wurde ab 31.8. die Schule herbeigesehnt (trotz aller Demütigung dort). Gewalt rechtfertigt das nicht.

    Wer sich wie ein Arschloch verhält ist meist eins und das ist global so.