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Nato und russischer AngriffskriegDas ewige Bündnis

Stefan Reinecke
Essay von Stefan Reinecke

Die russische Aggression macht die Nato wichtiger denn je. Und dennoch darf die Kritik am größten Militärbündnis aller Zeiten nicht vergessen werden.

Die Rolle der Nato als globaler Ordnungsmacht wurde ins Regal geräumt Foto: Katja Gendikova

V ilnius liegt 30 Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt. Im Westen sind es keine 200 Kilometer bis zur russischen Enklave Kaliningrad. Die litauische Hauptstadt ist einer der Orte, an denen ad hoc einleuchtet, warum in Osteuropa viele die Nato für eine unverzichtbare Lebens­versicherung halten. Seit Putins Angriffskrieg gegen die ­Ukraine wirkt die gigantische US-Militärmaschine mit ihrer atomaren Overkillkapazität für jene, die in der Nähe russischer Grenzen leben, beruhigend.

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Dass der Nato-Gipfel in der nächsten Woche in Vilnius stattfindet, ist ein Zeichen. Putin spekuliert darauf, dass die dekadenten Stimmungs­demokratien im Westen irgendwann die Lust verlieren, Kiew in einem Krieg zu unterstützen, der viel Geld kostet, in dem viel gestorben wird und bei dem kein Ende in Sicht ist. Die Nato wird in Litauen grimmig entschlossen demonstrieren, dass Putin falschliegt. Russland bleibt, auch wenn die wüsten atomaren Vernichtungsdrohungen aus Moskau abgenommen haben, eine Bedrohung über die Ukraine hinaus.

Auch wer kritisch auf die USA schaut, fürchtet derzeit weniger eine entfesselte aggressive US-Außenpolitik als einen isola­tio­nistisch gesinnten, rechten US-Präsidenten, der den atomaren Schutzschirm über Europa einklappen könnte. Die Daseinsbegründungen der Nato nach 1991 waren flüchtig, brüchig und vage. Mal war sie, wie in Bosnien und im Kosovo, ein Instrument, um Bürgerkriege mit zwiespältigem Erfolg zu befrieden. Mal war sie für die Europäer ein Medium des durchweg gescheiterten Versuchs, die brachiale Gewalt und Hybris der US-Politik nach 9/11 einzuhegen.

Alles vergangen und vergessen. Das Bündnis hat wieder einen Gegner und eine moralisch wie strategisch einleuchtende Aufgabe. Die kann man in Abwandlung einer berühmten Bemerkung von Lord Ismay aus den 1950er Jahren so skizzieren: „die Amerikaner drinnen, die Russen draußen halten – und Osteuropa schützen“. Das ist seit dem 24. Februar 2022 so selbstverständlich, dass es kaum ausgesprochen werden muss. Die westliche Allianz verteidigt, glaubt man der Bundesregierung, „Frieden, Demokratie, Freiheit und die Herrschaft des Rechts“. Universalismus gegen Repression. Liberale Werte versus Autokratie. Gut gegen Böse. Ist das Bild so klar? Nur schwarz-weiß und ohne Grautöne? Oder hat der Blick von Vilnius aus auf die Welt Verkrümmungen und blinde Flecken?

Der Westen sollte vorsichtig mit Belehrungen sein

Ehe man die Nato allzu freudig als antiimperialistisches Bollwerk feiert, sollte man sich ins Gedächtnis rufen, dass die westlichen Truppen vor noch nicht mal zwei Jahren aus Afghanistan flohen und ein geschundenes, kriegsverwüstetes Land hinterließen. Das war nach 20 Jahren Erfahrung mit Isaf-Truppen, viel Demokratie- und Menschenrechtsrhetorik noch gewalttätiger, grausamer, elender als zu Beginn der Intervention 2001.

Der Westen neigt dazu, die blutigen Verwüstungen, die er im Irak, in Afghanistan und Libyen angerichtet hat, leichthändig zu verdrängen. In den westlichen Regierungszentralen gibt man das Scheitern der Interventionen von 2001 bis 2021 zwar zu – aber nur nuschelnd und halbherzig. Die Rolle der Nato als globaler Ordnungsmacht wurde stillschweigend ins Regal geräumt – aber kaum selbstkritisch verarbeitet. Das bedeutet für die Zukunft: Falls es opportun erscheinen sollte, kann man mit völkerrechtlich windigen Begründungen und militärischer Gewalt wieder auf ­Regime-Change setzen.

Viele Staaten im Globalen Süden scheuen sich, im Ukrainekrieg Täter und Opfer klar zu benennen. Manche wollen den Import russischen Öls und russischer Waffen nicht gefährden. Andere halten eine dritte Position in dem aufziehenden Konflikt zwischen dem Westen und China/­Russland für günstiger als die Parteinahme für Kiew.

Das muss man kritisieren. Allerdings sollte der Westen Belehrungen in Richtung des Globalen Südens lieber vorsichtig dosieren. Der Westen, der für sich überlegene Moral reklamiert, weckt nicht nur Assoziationen an die koloniale Ära. Auch die Bomben auf Libyen, den Irak und Afghanistan fielen im Namen von Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenrechten. Im Globalen Süden sind die Erinnerungen daran nicht so schnell ausgebleicht wie in London und Washington. Die Selbstinszenierung der Nato als Garantin von Freiheit und Frieden stößt von Brasilien bis Südafrika daher auf eine gewisse Skepsis.

Darüber aus der Höhe ethischer Überlegenheit den Kopf zu schütteln verdoppelt ein unbegriffenes Pro­blem. Die Erklärungen der Nato in Vilnius werden kristallklar und entschlossen klingen: dauerhafte Unterstützung für Kiew, Verteidigung von jedem Zentimeter der östlichen Staaten. Welche Rolle die Nato in der zerklüfteten, unübersichtlichen globalen Staatenwelt des 21. Jahrhundert spielen wird, ist weniger eindeutig. Ob die europäischen Nato-Staaten den Sidekick im Kampf der USA mit China um die globale Vorherrschaft geben werden, ist offen. Es ist auch möglich, dass sich eher Macrons Kurs einer von den USA weitgehend unabhängigen, auf eigene Interessen fokussierten, weicheren europäischen Chinapolitik durchsetzt.

Ernüchterndes Erbe der Friedensbewegung

Der Westen ist gut beraten, globale Konkurrenzen nicht reflexhaft in das Raster „Demokratie versus Diktatur“ zu pressen und moralisch aufzuladen. 71 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Autokratien. Kompromisse lassen sich leichter finden, wenn man Interessen abgleicht – und sich nicht als edler Ritter in Szene setzt.

Welche Rolle spielt Deutschland dabei? Die Bundesrepublik ist heute mehr als in den letzten 30 Jahren auf die USA und die Nato angewiesen. Die Debatten über europäische Souveränität und Sicherheit ohne Washington sind, was sie immer waren: akademisch.

Eher ernüchternd fällt die Inspektion des Erbes der bundesdeutschen Friedensbewegung der 80er Jahre aus. Die war immer vielfältig und heterogen. Ende der 90er Jahre spaltete sie sich in zwei fundamental entgegengesetzte Teile. Angesichts der Massaker in den Jugoslawienkriegen bildeten die Grünen eine moralisch begründete Pro-Nato-Haltung heraus, die den Antimilitarismus abstreifte wie ein altes Hemd.

2023 unterstützen nur WählerInnen der Grünen mehrheitlich deutsche Kriegsbeteiligungen, wenn diese sinnvoll seien. Unter Anhängern der Union ist es nur ein Drittel, unter denen der SPD ein Viertel. Die grüne Klientel ist auch entschieden für eine wertegeleitete Außenpolitik. In der heraufziehenden internationalen „Wolfswelt“ (Marc Saxer) ist der Westen nur ein Player unter anderen. Ob die grüne Mixtur aus Moral und Militär da ein angemessenes Werkzeug ist, kann man bezweifeln. Es ist klug, Pragmatismus größer als Prinzipien zu schrei­ben.

Auf der anderen Seite existiert eine kleine, teils mit der Linkspartei verbundene Fraktion, die eisern an der linken US-Kritik der 70er und 80er Jahre festhält. Dieser Steinzeit-Antiimperialismus folgt dem Motto, dass der Feind meines Feindes mein Freund sei, und hat Sympathien mit Regimen von Venezuela bis Moskau. Diese Gruppe würde Kiew ohne Wimpernzucken russischen Panzern überlassen. Seit dem 24. Februar 2022 ist diese Oldschool-Anti-Nato-Ideologie endgültig moralisch und politisch bankrott. Es ist kein Wunder, dass die Wagenknecht-Schwarzer-Demo ein One-Hit-Wonder war.

Die Interessensvertretung reicher Staaten

Beide Haltungen verkennen das Wesen der Nato. Das Bündnis ist weder die globale ­volonté ­générale noch der Teufel, in dessen Schatten Putins Verbrechen zu Nebensächlichkeiten schrumpften. Die Nato ist die robuste Interessensvertretung überwiegend demokratischer, überwiegend reicher Staaten. Sie ist keine bewaffnete NGO, die sich selbstlos für die gedeihliche Verbreitung der Demokratie einsetzt, sondern das mächtigste, einflussreichste Militärbündnis aller Zeiten.

Der Nato-Gipfel in Vilnius wird die Wendung des Bündnisses nach Osten markieren. Die Nato ist dabei, eine 300.000 SoldatInnen starke schnelle Eingreiftruppe aufzubauen. Dieses „Go east“ verändert auch die deutsche Rolle – sie wird größer und riskanter. 4.000 deutsche SoldatInnen sollen dauerhaft in Litauen stationiert werden. Vor einem Jahr zögerte Berlin noch und wollte nur Einheiten schicken, die zwischen Deutschland und Litauen rotieren.

Der Grund: In der Nato-Russland-Grundakte von 1997, in der Moskau die Nato-Osterweiterung anerkannte, sind ­dauerhaft ­stationierte Nato-Kampftruppen in früheren Warschauer-Pakt-Staaten ausgeschlossen. Berlin wollte offenbar Russland, trotz des Angriffskriegs gegen die Ukraine, keinen Vorwand liefern, die Nato-Russland-Grundakte zu kündigen. Das ist nun anders. Auch wenn man diesen Schwenk angesichts Putins ­Imperialismus für ein Detail hält, illustriert es die Dynamik der Situation. Die militärische Logik verdrängt die diplomatische.

Mit der Kampfbrigade in Litauen wird Deutschland zu einer Schutzmacht. Die Bundesrepublik verwandelt sich von einer Zivilmacht in eine Regionalmacht, die auch militärisch präsent ist. Die Geopolitik kehrt zurück, langsam, zentimeterweise. In der öffentlichen Diskussion kommt dieser Prozess kaum vor.

Das ist kurzsichtig. Bedingungslose Solidarität mit der Nato ist auch angesichts Putins Aggression die falsche, eine naive Haltung. Wir brauchen offene, kritische Debatten. Und es gibt ja auch ein produktives Erbe der Friedensbewegung der 80er Jahre, an das anzuknüpfen lohnt: das Bewusstsein, dass Abrüstung und die Stärkung der UN und multilateraler Institutionen nötig sind, gerade in Zeiten, in denen es dafür sehr wenig ­Beifall gibt.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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20 Kommentare

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  • "Bedingungslose Solidarität mit der Nato ist auch angesichts Putins Aggression die falsche, eine naive Haltung."

    Diese angeblich bedingunslose Solidarität kann ich nicht erkennen.

    "Wir brauchen offene, kritische Debatten."

    Die haben wir doch, nur kommen die regierenden eben zu teilweise anderen Schlussfolgerungen wie der Autor Sie vermutlich ziehen würde... und nur weils andere Ergebnisse gibt als man sich wünscht, wird noch lange "nicht genug diskutiert."

  • Danke,



    endlich mal ein Beitrag, der zur Diskussion einlädt.



    Die großen Mächte gehen ja m.o.w. dreist und brutal vor, aber sie (d.h. jeweils den Lieblingsgegner) nur als alleinigen Hort des Bösen zu bezeichnen, bringt niemanden einen Schritt (sei es in der Erkenntnis, sei es zur Lösung) voran.

  • Ich hätte hier zwei Kritikpunkte, auch wenn der Artikel wichtige alte Prinzipien vergegenwärtigt: Gerade Deutschland hat nicht pragmatisch, sondern krass opportunistisch gehandelt, als es die Ukraine bis auf ein paar Minisanktionen 2014 den Rachegelüsten der AfD in Russland, nämlich Putins nationalistischem Expansionismus und ihrer künstlich geschaffenen, oft umbenannten Bewegung "einiges Russland" überlassen hat.



    Wenn wir meinen, wir hätten unseren eigenen Schatten, unser übergriffiges deutsches Wesen inzwischen einigermaßen unter Kontrolle, so ändert das nichts daran, dass das weder Putin noch China interessiert.



    Unsere Politik des Wegschauens und immer mehr Gas-Importierens fand parteiübergreifend statt, Kritik kam nur von den Grünen und Fachleuten in anderen Fraktionen und natürlich den NGO's, die durch ihre Konzentration auf ein Thema oft eine große Kompetenz aufgebaut haben. Größer als die Politiker, die sich mit allem beschäftigen müssen - und am Ende, nach langem Sterbeprozess, AfD und FDP ins Auge blicken.



    Es wäre ein falsches Verständnis von Menschenrechten, dass man sich bei ihrer Betonung "als Ritter in Szene setzt".



    Der Verfasser orientiert sich in seiner Analyse an Regierungen, die in ihren Machtkonflikten Menschenrechte nur instrumentalisieren. Es ist aber die Bewegung, die zählt, und die Mittel, die wir haben könnten, wenn wir uns bewegen würden.



    Parteien verwalten nur die Misere, passen den Mindestlohn der Inflation an (und nicht einmal das). Ich kenne viele, die nicht einmal mehr die Grünen oder Linkspartei als kleinstes Übel wählen wollen. Trotzdem sollten mutige Politiker/innen sich an Grundwerten orientieren, wie z.B. jetzt bei Streumunition. Wir müssen die solidarische Weltbewegung in den Mittelpunkt stellen, z.B. Bündnisse wie AVAAZ, das mehrere zehn Millionen zählt, wo sich die Welt auf einen sehr breiten Themenkatalog einigt. Extinction Rebellion auch, sicher weniger die missionarisch-maoistische Letzte Generation.

  • Mit "politisch und moralisch bankrott" und einer Friedensdemo als "One-Hit-Wonder" ist es so eine Sache (über 800000 haben auch Schwarzers Petition unterschrieben www.change.org/p/m...t-f%C3%BCr-frieden - wer die alle für AfDler oder Steinzeitlinke hält, hat noch nicht erklärt, warum z.B. Ströbele noch am 1. Mai 2022 betonte, „bei dem Vorgehen, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern“, handele „es sich um erprobte, international seit Jahrzehnten anerkannte und auch gute Grundsätze der Friedenspolitik"

    Als Tucholsky 1931 schrieb „Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“, hatten die Nazis den Mordparagrafen noch nicht in ihrem Sinne (und wie er bis heute gilt) geändert: Heiko Maas: 》..viele Laien verstünden unter Mord eine geplante, genau überlegte Tötung - und unterTotschlageine Tötung im Affekt. Ungefähr so sei es auch bis 1941 geltendes Recht gewesen. Dann hätten die Nationalsozialisten die Mordmerkmale geändert und Begriffe wie „niedrige Beweggründe“ oder „Heimtücke“ eingeführt《 (faz.net, "Maas will Nazi-Begriffe streichen", 08.02.2014)

    Pazifismus als vulgär zu bezeichnen, knüpft an Heiner Geßler an, der sogar behauptet hat, er habe Auschwitz erst möglich gemacht

    www.swr.de/swr2/wi...h-gemacht-100.html

    und entzieht so eigenes Regierungshandeln jeder Kritik.

    Wird das hier z.B., Überschrift: "Zu viel Verständnis in Berlin", hier taz.de/Streubomben...-Ukraine/!5943312/ überhaupt wahrgenommen?

    》Nicht explodierte Sprengkörper aus Streubomben, die die USA vor Jahrzehnten in Vietnam, Laos und Kambodscha und später im Irakkrieg eingesetzt hatten, fordern nach wie vor jährlich Hunderte Todes- und Verstümmelungsopfer unter der Zivilbevölkerung der betroffenen Länder.《

  • Bitte auf die redaktionelle Sprache achten und nicht immer wieder und in Artikeln des gleichen Autors allein die russischsprachige Version des Namens der ukrainischrn Hauptstadt verwenden. Sprache ist politisch! Der Kritik sollte sich auch Stefan Reinecke stellen. Schliesslich hat der 2014 begonnene und am 24.2.22 ganzflächig ausgeweitete Krieg gegen die ukrainische Staatlichkeit nicht gerade kürzlich angefangen, um die entsprechende Sensibilität sprachlich knapp 10 Jahre nach dem Kriegsbeginn an den Tag zu legen.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Bedingungslose Solidarität mit der Nato ist auch angesichts Putins Aggression die falsche, eine naive Haltung. Wir brauchen offene, kritische Debatten.""

    ""...das Bewusstsein, dass Abrüstung und die Stärkung der UN und multilateraler Institutionen nötig sind, ...""

    ===

    Zwischen der Bundesrepubik und Russland bestand bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ein reger Kultur- und Bildungsaustausch. Während des Austausches mit der unabhängigen und demokratischen russischen Zivilgesellschaft, die sich vielfach im Exil im Ausland aufhält, wurden Kooperationen mit staatlichen russischen Stellen als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine eingestellt.

    Zudem hat die Bundesregierung auch die russische Rolle bei Cyber-Angriffen auf den Deutschen Bundestag sowie bei Versuchen der hybriden Einflussnahme immer wieder verurteilt. Die bilateralen Regierungskonsultationen sind seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 ausgesetzt.

    Darüber hinaus bemüht sich Putin jedwede Regung der russischen Zivilgesellschaft brutalst möglich zu unterdrücken - grausame Fensterstürze pflastern seinen Weg. - Wer aus der Opposition heraus eine Bedrohung gegen Putins Machtanspruch darstellt wird erschossen oder landet für Jahrzehnte in den berühmt berüchtigten russischen Folterknästen.

    Wie unter diesen Umständen eine offene, kritische Debatte zustande kommen soll unter der Prämisse, das russische Oppositionelle seit Jahren ihr Leben riskieren -- bleibt unklar. Darüber hinaus wird auch nicht deutlich, durch was und zu welchem Zweck eine wertegeleitete Außenpolitik ersetzt werden soll. Verbrechen gegen die Menschlichkeit -- siehe Angriffskrieg, Butcha, Sprengung des Staudamms, Ermordung und Folterung von Kindern sollen nun stillschweigend hingenommen werden -- und in den beabsichtigten Gesprächen keine Rolle spielen?

  • Ich verstehe den Artikel nicht. Jedes Millitärbündnis setzt auf Konfliktlösung mit Waffengewalt. Wer an die Grenze des Gegners geht provoziert und möchte Krieg

    • @Andreas Geiger:

      Ja.

      Auf freitag.de: 》Damals [im Sommer 2008] einigten sich die Bündnismitglieder auf den Grundsatzbeschluss, die Ukraine und Georgien eines Tages in die Allianz aufzunehmen. Deutschland und Frankreich verhinderten dessen Konkretisierung, indem sie sich dagegen aussprachen, den „Aktionsplan für die Mitgliedschaft“ (eine Art Fahrplan) einzuläuten. Während die USA, damals vom Präsidenten George W. Bush regiert, aufs Tempo drückten, bremsten Berlin und Paris in der Sorge, Moskau übermäßig zu provozieren.

      Aber der Schaden war angerichtet, der Grundstein für eine Rutschbahn in den Krieg gelegt. Es folgten der Georgien-Krieg im gleichen Jahr, die Annexion der Krim und die verdeckte Intervention in der Ostukraine 2014, schließlich Russlands Angriffskrieg ab Ende Februar 2022. Der Bukarester Beschluss ist gewiss keine Rechtfertigung für das völkerrechtswidrige Verhalten Moskaus, gehört aber zur Geschichte eines eskalierenden Machtkonflikts zwischen dem Westen und Russland, der in Vilnius neue Höhen erklimmen dürfte《

      is.gd/HHZm81

      Unter Konfliktvermeidung fällt auch kaum, dass die Nato die Vorschläge Russlands zu Verhandlungen 2021 nicht ernsthaft aufgegriffen hat:

      》Der eigentliche Text enthält die Verpflichtung der Parteien, sich jeglicher Maßnahmen zu enthalten, die die Sicherheitsinteressen der anderen Seite berührt (Art. 1) und nicht das Territorium anderer Staaten zu nutzen, um dort Maßnahmen zu ergreifen, die die wesentlichen Sicherheitsinteressen der



      anderen Seite tangieren (Art. 3). Weiter verpflichten sich die U.S.A., die NATO nicht weiter in östlicher Richtung auszudehnen (Art. 4).



      [...]

      Der Entwurf der Vereinbarung enthält zunächst die Verpflichtung auf eine friedliche Konfliktlösung (Art. 1) und zur Abhaltung von Konsultationen, darunter im Rahmen des NATO-Russland Rates

      www.ostinstitut.de...ropa_OL_2_2021.pdf

  • Zur " Stärkung der UN" bräuchte es eine Reform des Sicherheitsrates, was aber an den Vetomächten scheitert. Es ist also vishfull thinking diese notwendige Reform als Alternative zur Nato darzustellen. Solange sich in Sachen UN nichts tut und solange Kriminelle wie Putin an der Macht sind, solange ist es müssig und unrealistisch von Abrüstung zu reden.

  • Danke Stefan Reinecke, für das ausgwogene Essay.



    Solche, mMn objektiven Ansichten kommen leider zu selten zu Wort.



    Bevor die -Verrat - Schreienden sich wieder zu Wort melden, bin ich raus.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    Der Westen neigt dazu, die blutigen Verwüstungen, die er im Irak, in Afghanistan und Libyen angerichtet hat, leichthändig zu verdrängen.

    Davor waren es blühende demokratische Landschaften?

  • Es gibt praktisch keine geopolitischen Debatten in Deutschland. Wir traeumen hier einen Traum von einer multipolaren Welt, in der die EU ein eigenstaendiger Pol ist.



    Dabei sind wir davon weiter entfernt denn je. Um mit den USA und China gleichzuziehen, waere eine Eurasische Union von Lissabon bis Wladiwostok noetig gewesen und das war vor 20 Jahren unvorstellbar, und heute sowieso.

    Meiner Meinung nach, sind in der Geopolitik Staaten die Akteuere - und da die EU kein Staat ist, kann sie auch kein geopolitischer Pol sein. Auf jeden Fall spielt die EU aktuell keine Rolle.

    Geoplitisch gesehen ist die dauerhafte Stationierung von deutschen Soldaten unweit hinter der Memel die eigentliche Zeitenwende. Und es wird Russland mehr Kopfschmerzen bereiten als all die Sanktionen zusammen.



    Es ist hoffentlich die richtige Entscheidung, nur befuerchte ich, dass ohne die wahrscheinlich ausbleibene Debatte einem Grossteil der Bevoelkerung nicht klar sein wird, was das fuer Folgen haben koennte. "Ignorance is bliss"

    Mit Spannung darf man nun nach Frankreich schaun und an Rumaenien denken.

  • Die beste Legitimation der NATO als Militärbündnis liefert natürlich Wladimir Putin mit seinem brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Sollten wir uns dafür noch bei ihm bedanken? Das wäre in der Tat ein zynischer Gedanke.



    Ansonsten hat Stefan Reinecke recht: die Welt ist mit der NATO kein besserer, friedlicherer Ort geworden, eher im Gegenteil. Und auch wenn sich die Ukraine am Ende vom russischen Imperialismus befreien kann, wird es nicht besser. Vielleicht für die 40 Millionen Ukrainer, die dann auch unter den Schutzschirm der NATO schlüpfen, nicht aber für die Mehrheit der Menschen auf dieser Erde.



    Einen globalen Siegeszug der Demokratie wird es mit dem Ende Putins jedenfalls nicht geben, denn die westlichen liberalen Normen und Werte befinden sich auch dann weiter auf dem Rückzug. Weil diese Werte und Normen aus der Sicht des globalen Südens durchaus janusköpfig sind. Und weil Frieden, Freiheit und Menschenrechte sich niemals mit einer militärischen Logik der Konfliktlösung vertragen, wie sie die NATO verkörpert.

    • @Abdurchdiemitte:

      Die Welt ist für die Mitgliedsstaaten friedlicher geworden - wenn überhaupt führen diese Kriege aber werden nicht angegriffen. Seit Beginn der NATO hat es auch keinen Weltkrieg mehr gegeben - über 75 Jahre schon. Insofern liegen sie falsch.

      Zu dem Punkt mit Militär und Werten / Demokratie: Auch das passt nicht richtig. Was ist mit Japan, BRD? Und wichtiger: es gibt zwar militärische Konfliktlösung, aber weder steht diese alleine - wir handeln mit (fast) allen die etwas zu bieten haben - noch ist das der Grundzug der NATO. Die NATO war und ist überwiegend ein Verteidigungsbündnis. Wo sie oder einige Mitgliedsstaaten eingriffen, lief die "militärische Konfliktlösung" schon vor ihr, wenngleich der Irak vor allem eine unrühmliche und schlechte Angelegenheit war.

      Aber natürlich müssen Tyrannen hinweggespült werden, Völkermorde unterbunden werden, um Freiheit und Demokratie eine Chance zu geben. Und das geht in den meisten Fällen nur über militärische Konflikte, die ganze Menschheitsgeschichte ist dafür Zeuge.

    • @Abdurchdiemitte:

      "Ansonsten hat Stefan Reinecke recht: die Welt ist mit der NATO kein besserer, friedlicherer Ort geworden, eher im Gegenteil."

      Ohne NATO würde es noch mehr Kriege geben, da Russland versuchen würde, andere ehemalige Sovjetrepubliken zurückzuerobern.

  • Bedingungslose Solidarität ist nur was für Despoten. Das ist doch eine Binsenweisheit.



    Schon in den 80ern war das mein Lieblingslied:



    www.youtube.com/watch?v=wZYl0AThQLk

  • Das Einprügeln auf die Friedensbewegung teile ich nicht. Es ist und bleibt eine Behauptung, dass die Friedenbewegung der Meinung sei, dass die Ukraine kampflos Russland übergeben werden soll. Wer hat das je gesagt? Wo wurde das gesagt? Und wann wurde das gesagt?



    Die Friedenbewegung hat auch den Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien kritisiert und genau vor dem gewarnt was eingetreten ist: Eine dauerhafte Befriedung wurde nicht erreicht, der Konflikt ist nicht beigelegt und die NATO-Bomben haben viele Unschuldige getötet.

    • @uffbasse:

      Ja, richtig, wenn man nicht eingegriffen hätte, sondern abgewartet bis eine Seite die Oberhand gewinnt um dann ihre genozidalen Pläne durchzuziehen, hätte man heute vermutlich 'Frieden' in der Region.

      • @Ingo Bernable:

        Genau, "hätte, hätte und vermutlich" gewinne ich nächste Woche im Lotto.

        • @uffbasse:

          Das Resultat eines 'friedlichen' Gewährenlassens eines Aggressors können sie an Orten wie Srebrenica oder Butscha besichtigen, nicht im Konjunktiv, sondern in der Realität.