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Minister Özdemir bietet Kompromiss anWeniger Werbeverbote, mehr Kritik

Ernährungsminister Özdemir will nun Reklame für ungesundes Essen zu kürzeren Zeiten und an weniger Orten als geplant verbieten. Mediziner rügen das.

An Kitas und Schulen sollen Plakate für Süßigkeiten laut Kompromissvorschlag abgerissen werden Foto: Sascha Steinach/imago

Berlin taz | Bundesernährungsminister Cem Özdemir stößt mit seinem Kompromissangebot zu den von ihm geplanten Werbeverboten für ungesunde Lebensmittel auf Kritik. „Das sind Zugeständnisse, die die Effektivität dieser Regelung verringern. Das ist nicht so weitgehend und nicht so gut für die Kindergesundheit, wie die ursprünglichen Pläne des Bundesernährungsministers das eigentlich vorgesehen haben“, sagte Oliver Huizinga, politischer Geschäftsführer der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, am Montag der taz. Mit Werbeverboten will Özdemir unter 14-Jährige davor schützen, zu einer ungesunden Ernährung verleitet zu werden, die zu Übergewicht und damit verbundenen Krankheiten beiträgt.

Der Grünen-Politiker hatte am Samstag angekündigt, seinen Gesetzentwurf aufzuweichen. „Die Werbeeinschränkung für ungesunde Lebensmittel soll wochentags von 17 bis 22 Uhr, samstags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr und sonntags von 8 bis 22 Uhr gelten. Im ersten Entwurf war 6 bis 23 Uhr an allen Tagen vorgesehen. Im Hörfunk verzichten wir auf eine Sendezeit-Regelung“, sagte Özdemir der Rheinischen Post.

Beim Plakatverbot im Umkreis von 100 Metern von Plätzen, an denen Kinder sich aufhalten, wolle er sich konzentrieren auf Kindertagesstätten (Kitas) und Schulen. Vorher war auch von Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen die Rede, in deren Umkreis nicht für Lebensmittel mit mehr Zucker, Fett und Salz als im Gesetz erlaubt geworben werden soll.

Özdemir ergänzte: „Und wir stellen klar, dass es kein Verbot von Werbung für Lebensmittel in Schaufenstern gibt. Zudem weiten wir die bereits vorhandene Ausnahme von Milch und Fruchtsäften auf Joghurt aus, der nicht extra gesüßt ist“. Das bedeutet, dass für Naturjoghurt auch weiterhin zum Beispiel im Micky Maus-Magazin geworben werden dürfte.

Das ist nicht so gut für die Kindergesundheit

Oliver Huizinga,  Deutsche Adipositas-Gesellschaft

„Zugeständnisse an die FDP“

„Je weniger Werbung für ungesunde zuckerige, fettige, salzige Produkte die Kinder erreicht, desto besser ist der Schutz“, sagte Huizinga von der Adipositas-Gesellschaft, die Wissenschaftler, Therapeuten und andere Experten für das Krankheitsbild organisiert. Mit seinem Kompromissvorschlag nehme Özdemir in Kauf, dass der Kinderschutz geschwächt werde. „Das sind offenkundig Zugeständnisse an die FDP, die das ganze Vorhaben blockiert.“

Özdemir hatte seinen Referentenentwurf im März den anderen Bundesministerien vorgelegt. Doch bisher konnte er sich nicht mit den von der FDP geleiteten Ressorts einigen. Das Vorhaben wird massiv bekämpft von der Lebensmittel- und der Werbewirtschaft sowie der Bild-Zeitung und rechtsradikalen Medien.

Stärker dürfe der Entwurf nicht entschärft werden, verlangte Huizinga. Wenn die FDP dennoch auf weitere Abstriche poche, stelle sich „die liberale Partei gegen die Chancengerechtigkeit und die Kindergesundheit“. „Sie hat mit dieser Haltung die Eltern, die Ärzteschaft, medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften und Krankenkassen gegen sich.“ Huizinga warf der FDP einen „falsch verstandenen Freiheitsbegriff“ vor.

Der Vorsitzende der Stiftung Kindergesundheit, Berthold Koletzko, hatte bereits kritisiert, dass Plakatwerbung etwa für Süßigkeiten in der Nähe von Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen weiterhin erlaubt wäre. Auch mit den gekürzten Verbotszeiten für Fernsehwerbung zeigte er sich den RND-Zeitungen zufolge unzufrieden: „Wenn man Kinder und ihre Gesundheit wirkungsvoll schützen will, sollten die Zeiten von 6.00 bis 23.00 Uhr wochentags und am Wochenende eingeschlossen werden.“

Mal wieder Ampel-Clinch

Die FDP ist aber auch mit Özdemirs Kompromissangebot nicht einverstanden. „Ich halte die von Cem Özdemir nun vorgelegten und erneuerten Pläne weiterhin für falsch“, sagte Wolfgang Kubicki, Vize-Vorsitzender der Partei, der Rheinischen Post vom Montag. „Denn ob das Werbeverbot helfen wird, das eigentliche Gesundheitsproblem, nämlich den Bewegungsmangel der Kinder, zu beheben, wird auch der Ernährungsminister nicht behaupten“, so Kubicki. „Das Werbeverbot zielt ja darauf ab, die Kinder als die Verantwortlichen ihrer schlechten Ernährung zu sehen. Das ist aber in den seltensten Fällen richtig. In erster Linie werden die Kinder durch ihr Elternhaus geprägt. Ein Werbeverbot für Kinder läuft völlig ins Leere und ist deshalb nichts anderes als politischer Aktionismus“, ergänzte der Bundestagsvizepräsident.

Damit scheint Kubicki jedoch hinter den Koalitionsvertrag der Ampelparteien zurückzufallen. Darin haben sie vereinbart: „An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben.“

Fehlernährung trägt dazu bei, dass laut Robert-Koch-Institut 15 Prozent der 3- bis 17-Jährigen übergewichtig und damit später anfällig für Krankheiten wie Bluthochdruck, Typ-2-Dia­be­tes oder Herzinfarkt sind. Özdemirs Gesetzentwurf sieht deshalb Werbeverbote beispielsweise für alle Süßigkeiten vor. (mit epd)

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12 Kommentare

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  • Eine einfache billige Lösung, die nichts kostet, vielleicht nichts bis wenig bewirkt ( taz.de/Werbeverbot...nsmittel/!5918520/ ) und andere wirkungsvolle Maßnahmen in den Hintergrund drückt.

    Das Paket gegen Adipositas bei Kindern ist magersüchtig. Als Einzelmaßnahme, die nicht eingebettet ist in ein konzeptionelles Bündel von Maßnahmen ( www.rki.de/DE/Cont...ob=publicationFile, www.rki.de/DE/Cont...ob=publicationFile ) mutet es selber schon wie eine Werbemaßnahme, bei der sich Özdemir als "Macher" gerieren will.

  • Deutschland hat ein ganz anderes Problem:

    zuviel Aspartam

    Das Zeug ist pures Gift, vor allem für die Bauchspeicheldrüse.

    • @Tyramizou:

      Wenn Sie schon Gift erwähnen sollte man auch Saccharin nennen. Saccharin war früher ( bis zu ihrem verbot ) Bestandteil von Wachstumsförderer für Rinder, weil damit die Futteraufnahme erheblich gesteigert werden konnte. Saccharin war das erste Produkt von Monsanto, alleine das sagt alles.

  • Klar, dass die FDP, als Unternehmen der Werbebranche, da aufheult.

    Furchtbarer Verein.

  • Die Wirksamkeit von Werbeverboten ist empirisch belegt, die von den Gegnern angeführten „Argumente“ bereits berücksichtigt. Aber Empirie ist für die FDP nichts wert, lieber verschiebt man die Verantwortung auf die ohnehin Benachteiligten, damit Wirtschaftszweige wie Werbebranche oder Zuckerindustrie weiterhin horrende Gewinne machen. Als Gesellschaft würden wir nichts verlieren, wenn es gar keine Werbung mehr gäbe und Zucker nur noch in Süßspeisen enthalten wäre – im Gegenteil.

  • Das Kompromissangebot ist ja noch bürokratischer als der ursprüngliche Plan. Ansonsten muss ich der FDP hier ausnahmsweise Recht geben. Es ist zu bezweifeln ob ein Werbeverbot irgendwas bewirken würde. Unter den Stimmen von Gesundheitsverbänden und Adipositas-Gesellschaft etc. sind halt nur Ernährungsexperten aber keine Medienpsychologen. Fragt sich nicht, ob andere Arten von Regulierung (z.B Zuckersteuer wie in UK) effektiver wären.

    • @yeoldelloyd:

      Wenn Werbung nicht wirken würde, würde doch kein Unternehmen dafür Millionen ausgeben.

  • Es ist schon wünschenswert, wenn Eltern Ihre Kinder am frühen Wochenende nicht privaten Kindersendern überlassen. Und sie selbstverständlich gesund ernähren. Bei Fehlentwicklungen - ala Adipositas - sind sie auch in erster Linie in der Verantwortung.



    Als Ernährer muss man dann gegensteuern.



    Traurig, daß viele Menschen, die Lebenserwartung ihrer Kinder verantwortungslos vernachlässigen.

    Wir sind schon als Eltern gefragt, egal, ob mehr oder weniger Werbung. (Persönlich wäre ich für gar keine,)

  • Aus einem Artikel des Guardian, der sich dem Thema differenzierter widmet:

    "The Obesity Health Alliance acknowledges that weight stigma can have “psychological, behavioural and social consequences” and the World Obesity Federation links it to the avoidance of medical care, disordered eating patterns and stress-related illness. The attack on sugar is complicit in this harm. The demonisation of both sugar and fatness comes dressed in declarations of shared endeavour, but the reality is that the stigma sticks primarily to those already most disadvantaged.

    The focus on sugar keeps attention squarely on a narrowly defined problem of food choice, blurring out the wider social and cultural context. For example, for those living under conditions of poverty, feeding a hungry child a palatable and familiar meal that will fill them up without food waste is an act of healthcare in the present. But the relentless foregrounding of sugar not only discredits that act of care but also depoliticises poverty. It is an act of political forgetting that places the most disadvantaged on the losing side of every exchange and then holds them responsible for those losses."

    www.theguardian.co...t-of-living-crisis

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Octarine:

      Egalitäre Politik könnet hier ansetzen:



      In den Mensen der Kitas und Schulen konsequent die angestrebte Ernährung anbieten. Die Prägung stellt die Weichen.



      Kostet.



      Guten Tag Herr Finanzminister, ich hätte da ....



      Das können wir uns nur mit einer starken Wirtschaft ....

      • @31841 (Profil gelöscht):

        Vielleicht mit viel Geduld, aber Dönerlieferanten stehen jetzt schon Schlange zur Mittagszeit an der hiesigen Gesamtschule, während das Mensaangebot nur so lala gesund angeboten wird.

  • Werbeverbote, die nicht im Internet gelten und durchgesetzt werden, sind ohnehin kaum der Rede wert.