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Identitätspolitik in der KunstKunst braucht Eigensinn

Essay von Angela Fette

Im Zangengriff von Kapital und Identitätspolitik. Aktuelle Diskurse und Wokeness sind nicht zwingend maßgebend für autonom arbeitende Künstler*innen.

Kritik an der Gesellschaft kann in der Kunst enthalten sein, aber sollte keine Pflicht sein Illustration: Katja Gendikova

P olitische Einflussnahme sickert durch alle Ritzen. Sie bewirkt eine Domestizierung und Durchverwaltung der Kunst und lässt den Kunstgenuss zu einem Erlebnis werden, das einem beim Gähnen den Kiefer ausrenkt. Viele Rächer der Entrechteten tummeln sich in der Kunstsphäre und lassen ihrer Kontrollwut mit der Biederkeit eines mülltrennenden deutschen Hausmeisters freien Lauf.

Die Lektüre des Buches von Wolfgang Ullrich „Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie“ hat mir den Rest gegeben und mich dazu veranlasst, eine Gegendarstellung zu verfassen. In dem Buch ruft der Leipziger Kunsthistoriker das Ende der autonomen Kunst aus. Er bedauert den Tod der autonomen Kunst zwar, aber er stellt es so dar, als sei der Paradigmenwechsel nun mal unabwendbar, man müsse sich leider damit abfinden. Erstens möchte ich das stark bezweifeln, zweitens wäre das schrecklich, und zwar nicht nur für die ­Künstlerschaft, sondern für die ganze Gesellschaft.

Ich behaupte, die Autonomie der Kunst hat sich parallel mit der Entwicklung der Idee vom Individuum entwickelt, einem Menschenbild, das sich seit der Rückkehr des Humanismus in der Renaissance etablierte. Über die Jahrhunderte bedeutete es die mühsame und gewaltvoll verlaufene Emanzipation des einzelnen Menschen von den Interessen des Staates und der Religion. Seit der Zeit des Kapitalismus hieß das im Kunstbereich auch Emanzipation und Selbstbehauptung von den Interessen des Marktes.

Das steigende Bewusstsein dafür, dass die Interessen der Gesellschaft und die Interessen des Einzelnen mitunter auseinanderklaffen, ist eine Errungenschaft westlicher Gesellschaften. Autonom arbeitende Künst­le­r*in­nen sind das beste Beispiel dafür, dass man sich in einem dauernden Prozess befinden kann, ein Vor-und Zurückpendeln zwischen dem Dasein als soziales und politisches Wesen und der Implosion in inneren Welten. Der kreative Output resultiert aus beidem und ermöglicht eine Offenheit und notwendige Ambivalenz des Kunstwerks.

Außenposition der Künst­le­r*in­nen war lange unangetastet

Angela Fette

ist freie Künstlerin, Musikerin und Mitglied der Kunstkommission Düsseldorf. Sie betreibt einen Salon namens „Eyes Wide Shut “ in ihrem Atelier.

Das Privileg der Kunst war bisher eher von einer beobachtenden Außenperspektive geprägt, entweder analysierend und rational, auch politisch, oder auf verschlungenen Wegen der unterbewussten Wahrnehmung, des Humors, aus dämonischen Abgründen heraus die Welt zu kommentieren, das Verstörende, das Störende, das Wunderbare am Leben, an den Menschen, an der Gesellschaft und an der Welt.

Diese Außenposition der Künstler*innen, diese Autonomie der Kunst, war einigermaßen unangetastet, es wurde ihnen Narrenfreiheit gewährt, die schwer erkämpft war. Es war dem wohlhabenden Teil der Gesellschaft einen Obolus wert, wie auch der Staat die Existenz der Künst­le­r*in­nen zum Teil großzügig unterstützte und bezahlte.

Es gibt Künstler*innen, die sich als außenstehend-beobachtend empfinden, und jene, die sich mit der Vorstellung wohler fühlen, in einen gesellschaftlichen Kontext eingebettet, also „innen“ zu sein und sich aktionistisch für kritische Themen einzusetzen. Diese Spielarten fließen ineinander, sie bedeuten eine pluralistische Artenvielfalt in der Kultur, die auch Gesellschaft widerspiegelt.

Kritik an der Gesellschaft sollte keine Pflicht sein

Übrigens arbeiten auch Künstlerkollektive meist im Schutzbereich einer freien Kunst, die Künstlerindividuen erkämpft haben. Von den Synergieeffekten profitieren alle Beteiligten und das macht es spannend.

Die Kritik und Teilhabe an der Gesellschaft kann in der Eigenschaft als Künstler oder als Mensch erfolgen, aber sollte keine Pflicht sein. Das aber ist eine sich steigernde Forderung an die Künstlerschaft vonseiten der Politik, zunehmend auch von Kuratoren und Teilen der Künstlerschaft selbst. Wenn die Arbeit nicht auf teils platteste Weise bestimmte Themen mit einbaut, die sich gerade in der politischen Diskussion befinden, möchten sie die Kunst als nicht gesellschaftsrelevant brandmarken. Guter Trick.

Warum möchte man die Kunst aber überhaupt in einengende Begriffe zwängen wie „Autonomie“ oder „Nichtautonomie“ und sie durch die Zwangsmühle holzschnittartiger politischer Überprüfung schicken, die am Ende eine reine Kunstverhinderung darstellt?

Die Rede ist von Identitätspolitik und Genderfragen

Geht es etwa darum, das Individuum als Keimzelle des neoliberalen Bösen zu entlarven und in seine vermeintlich verstaubte Ecke der Geschichte zu stellen? Und die Idee des autonomen Künstlers als Verkörperung des Ultra-Indvidualismus gleich mit? Aber leider entspricht die Ausschließlichkeit, mit der sich politische Fragestellungen in den Vordergrund drängen, nicht den Kontexten und Motivationen, aus denen heraus die meisten Künstler arbeiten.

Bei manchen brodelt die Frust über die Kunst-Debatte so sehr, dass es qualmt Bild: Angela Fette

Von welchen diskursbestimmenden politischen Themen spreche ich eigentlich? Ich spreche von Identitätspolitik, Genderfragen, postkolonialem Diskurs, Rassismus, Klassismus, Klimapolitik. Diese Fragen kann man sehr schön an der Person des Künst­le­r*in aufhängen. Es geht darum, wer es gemacht hat, nicht, was es zu sehen gibt.

Das liefert den Ver­mitt­le­r*in­nen schnell zugängliches Textmaterial, aber die intellektuelle Unterkomplexität der benannten Themen, wenn sie auf Kunst übertragen werden, verursacht Unbehagen bis an die Schmerzgrenze.

Die Vermittlung des Werkes bleibt oft auf der Strecke

Biologistische und biografische Merkmale der Künstler*innen, die in der Identitätspolitik zum Tragen kommen, sind ja einfach zu verstehen und zu vermitteln: Hautfarbe – check, Alter – check, Nationalität – check, Geschlecht – check, Migrationshintergrund – check. Und schon generiert man Bedeutung, man nimmt an „bedeutenden Umwälzungen in der Gesellschaft“ teil.

Die feinfühlige Verarbeitung und Vermittlung des eigentlichen Werkes bleibt dabei oft auf der Strecke, auch systembedingt durch zu viel Druck, zu viel Zeitdruck, wenig Geld für viel Einsatz oder mangelnde Bildung der Kunstvermittler*innen. Zu kompliziert, zu viel Arbeit, sich in das Denken und Fühlen eines/r Künst­ler*­Künst­le­rin reinzufräsen, die verschlungenen Wege vom Kopf und Hirn über die Hand zur Leinwand, auch die Sinnlichkeit der Arbeit nachzuvollziehen und zu vermitteln. Lieber mal gucken, ob alles in der Checkliste stimmt, dann kann man sich ein weiteres Befassen mit der eigentlichen Arbeit gleich sparen.

Auch die für ein funktionierendes Kunstsystem notwendigen Individualitäten des Betrachters und Käufers leiden unter dem verordneten Diskurs. Im Tausch Kunst gegen Geld können sie eine Stärkung der eigenen Überzeugung erleben, die Möglichkeit, das geistig-ethisch-ästhetische Urteil ausleben zu können und sich im inneren Dialog mit dem Kunstwerk wiederzufinden: die Kunst im Auge des Betrachters. Wenn auch das unter einen verordneten Diskurs gestellt wird, schadet das System sich selbst.

Politischer Diskurs ist im modischen Trend

Die starke Verzahnung von Diskurs und Markt tut ihr Übriges. Vom Markt unabhängige Kritik ist rar geworden. Und wer im Diskursbereich die Definitionsmacht darüber hat, welche Kunst relevant ist, hat auch Einfluss darauf, wer auf dem Markt das Geld verdient: Die Kunstkritik liefert dem freien Markt die Verkaufsargumente. Diese gegenseitige Einflussnahme funktioniert in beide Richtungen, ist aber unempfänglich für Einflüsse von außen.

Es geht um Geld. Themen aus dem politischen Diskursbereich sind zu einem modischen Trend und zu Verkaufsargumenten geworden, die Quote bringen und Besucherzahlen steigen lassen. Das ist auch eine eklige Instrumentalisierung und Monetarisierung der eigentlich stattfindenden gesellschaftlichen Umwälzungen für die Kunst. Unter dem Vorwand, eine „bessere gerechtere Welt“ zu schaffen, sollen freie Ausprägungen von Kunst als diskursunwürdig gebrandmarkt und vom Markt gedrängt werden.

Der Staat greift passiv-aggressiv ein, zum Beispiel, indem er Geld bewilligt oder nicht. Indem er Jobs vergibt oder nicht. Indem er Geld für Ausstellungen dazugibt oder nicht. Auch hier greift die biologistisch-biografische Checkliste.

Diese Phänomene führen zu einer Verengung und Verkürzung im Diskurs und machen die notwendige Offenheit und Ambivalenz unmöglich. Die Verengung auf politische Diskurse und die strenge Trennung in Disziplinen dient im Endeffekt der Spaltung und Schwächung der Künstlerschaft.

Kunst als Propaganda

Besonders schädlich ist diese Attacke auf freie Kunst, wenn sie aus den eigenen Reihen kommt. Der Trick ist, die traditionelle Idee der oft männlich weiß geprägten klassischen Avantgarden zu verdammen, um nach eigenen Maßstäben eine neue fremdbestimmte Pseudo-Avantgarde zu formen, die sich den verordneten politischen Themen widmet. Der angebliche Paradigmenwechsel ist da.

Dabei benutzt diese „aufgeklärte“ Bewegung die gleiche chauvinistisch-provokative Attitüde, totalitär, exklusiv, autoritär und absolutistisch, wie schon die klassischen Avantgarden: Alle weg da, jetzt kommen wir. Im Endeffekt sägen sie aber an dem Ast, auf dem sie sitzen, es sei denn, es gäbe irgendwann eine vollständig abgeschlossene Kernschmelze von Kunst und Politik. Voilà, dann haben wir wieder Kunst als Propaganda.

Auf diese Weise ist die neue identitätspolitische Pseudo-Avantgarde das Reaktionärste, Biederste, Langweiligste, was sich derzeit auf dem bunten Jahrmarkt der Diskurse und Kunstszenen finden lässt.

Also: Lasst die Kunst in Ruhe! Wenn Kunst weiter der Spiegel einer pluralistischen Gesellschaft bleiben soll, müssen wir vorsichtig damit umgehen, was wir ihr aufhalsen.

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5 Kommentare

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  • Jens Kastner , Autor , Soziologe & Kunsthistoriker

    Solch ein oberflächlicher Text! Die Frage nach der Autonomie der Kunst ist doch um einiges komplexer: Wieder wird die Autonomisierung eines Feldes, die sich historisch entwickelt hat, mit der Autonomie des Werkes verwechselt, die schon immer ein ideologisches Konstrukt von privilegierten "Kunstliebhaber*innen" war. Identitätspolitiken, Antirassismus, Gender, Antikolonialismus – alles wird in einen Topf geworfen und der Kumstfeindschaft bezichtigt. Aber mit welchem Argument? Wo soll es eine Kunst gegeben haben, die frei von jedweder gesellschaftlichen Einflussnahme existiert hat? Wo eine, die auf Eingriffe in die Betrachtungsweisen ihrer selbst verzichtet haben soll?



    Inhaltliche Ansprüche von künstlerischen Arbeiten fernhalten zu wollen, ist letztlich noch um einiges reaktionärer, als es hier der angeblich lust- und kunstfeindlichen Linken unterstellt wird zu sein. Und niemand geht mit einer solchen Checklist durch eine Ausstellungskonzeption. Einfach all die Texte, Bücher, Ausstellungen zu ignorieren, die unter Bezugnahme auf antirassistische und feministische Kämpfe auch gute Kunst hervorgebracht haben, ist schon extrem bequem.



    Lasst die Kunst in Ruhe – ob solch ein armseliger Aufruf zur Diskussionsverweigerung und Effetklosigkeit im Dienste der Kunst sein kann, sollte doch auch fraglich sein.

  • Ein interessant argumentierter Text den ich bedenkenswert finde. Bravo!



    Aber:



    Etwas schade, dass er nur so kurz auf der Startseite der TAZ zu sehen war.

  • Ich kann jedes Wort unterschreiben…Leider ist in meinen Augen nun auch Wolfgang Ullrich trotz gegenteiliger Beteuerungen in das Lager derjenigen hinübergewechselt, die die Kunst reglementieren wollen. Das wird besonders deutlich in einem ZEIT-Gespräch vom 29.1.23 mit Wolfgang Ullrich und dem Philosophieprofessor Markus Gabriel.



    Ullrich:



    „Weshalb sollte es daher falsch sein, von vornherein darauf zu achten, dass Kunst möglichst nicht als diskriminierend, rassistisch oder klassistisch wahrgenommen werden kann?...Umso wichtiger werden daher Regeln des Umgangs miteinander. Auch für Kunst gibt es also Grenzen.“

    War es bis vor einiger Zeit noch konsensfähig zu sagen, dass die Freiheit der Kunst dort aufhört, wo das geltende Recht verletzt wird, soll es für die Einschränkung der Freiheit der Kunst jetzt schon reichen, dass ein Werk z.B. als rassistisch „wahrgenommen“ werden kann. Was aber ist „rassistisch“? Wenn jemand einen Farbigen fragt, woher er kommt? Das wird vor allem unter woken Weißen als rassistisch empfunden. Wohingegen Farbige wie Ijoma Mangold in dieser Frage Interesse für seine Person sehen. Wer richtet hier also? Wolfgang Ullrich?

    Oder Markus Gabriel? Dieser behauptet in einem Gespräch mit dem Börsenblatt:



    „Es gibt moralische Tatsachen, die unbestreitbar sind und keiner weiteren Begründung bedürfen.“



    Ich halte diese Selbstherrlichkeit, aus der heraus Gabriel und Ullrich der Kunst die „moralischen Tatsachen“ diktieren und ihr Regeln und Grenzen setzen wollen, für hochbedenklich.

    Da freuen wir uns doch über Ijoma Mangold, der in der aktuellen Zeit schreibt: „Die Leute (er meint das woke Milieu) lassen sich wieder schocken. Liebe Künstler, nutzt diese Chance, das ist euer Job!“

  • Was für eine tolle Analyse, was für ein wunderbares Statement! Danke! Finde dank dieses Artikels bessere Worte für mein Unbehagen über die Entwicklungen in der Szene.

  • Soweit hier beklagt wird, dass der Kunstbetrieb für alle möglichen Zwecke eingespannt wird, stimme ich voll zu. Früher hieß es immer, Kunst dürfe nicht affirmativ sein. Heute ist sie genau das. Früher war sie sich selbst genug, heute soll sie gefälligst zum Gemeinwesen beitragen: den sozialen Zusammenhalt stärken, die Bildung stärken, die Demokratie stärken, die Diversität stärken, die 'Kreativitat' stärken. Und so türmt sich Projekt auf Projekt, Kunst mit Kindern, Kunst mit Migranten, Kunst mit Benachteiligten, und alles ist vorhersehbar, stromlinienförmig, politisch korrekt und unsagbar langweilig...ich weiß schon, es gibt immer noch tolle Sachen, tolle Künstler, tolle Künstlerinnen, sicher, aber wer aus der Reihe tanzt, riskiert Ärger, siehe #allesdichtmachen, dann kommt der der Rundfunkrat und droht mit dem Tatort-Aus, nix ist's mit der Narrenfreiheit. "Die neue identitätspolitische Pseudo-Avantgarde (ist) das Reaktionärste, Biederste, Langweiligste, was sich derzeit auf dem bunten Jahrmarkt der Diskurse und Kunstszenen finden lässt". Gefällt mir, der Satz.