Alternative Belarussische Botschaft: Eine Botschaft erhalten als Kunst

Ein Symbol für den Kampf von Be­la­rus­s:in­nen ist die Alternative Botschaft in Berlin-Treptow. Ak­ti­vis­t:in­nen bemühen sich um ihr Fortbestehen.

Der Anhängerwagen der alternativen belarussischen Botschaft mit künstlerischen Darstellungen von Demonstranten.

Die alternative belarussische Botschaft am Treptower Park soll als Symbol des Widerstands bleiben Foto: Christian Mang

Lina Gabt* rollt eine weiß-rot-weiße Fahne aus und schwenkt das Stück Stoff energisch hin und her, wieder und wieder. „Die ist von Hand genäht von einer belarussischen Mitstreiterin“, erzählt sie, während sie auf dem Vorbau eines kleinen Anhängerwagens steht, der unauffällig zwischen anderen Autos auf dem Parkstreifen am Treptower Park abgestellt ist. „So haben wir während unserer Mahnwachen und Protestaktionen häufig gegenüber der offiziellen Botschaft gestanden, wir haben abwechselnd die Flagge geschwungen.“

Gabt, eine Frau im Rentenalter, trägt ein weißes Kleid und einen weißen Hut mit rotem Band. Wenn man weiß, dass sie 16 Jahre ihres Lebens in Belarus verbracht hat, erkennt man unschwer, dass sie der Protestbewegung gegen das Lukaschenko-Regime angehört.

Der Anhänger, auf dem sie steht, ist die „Botschaft der freien Republik Belarus“. Im September 2020 hat der in Berlin lebende belarussische Künstler Taras Siakerka die alternative Botschaft direkt gegenüber der offiziellen belarussischen Botschaft initiiert: eine kleine Holzhütte auf Rädern, eigentlich eine mobile Sauna. Das Projekt wird heute von einer elfköpfigen Gruppe betrieben, der Lina Gabt angehört. Die Initiative ist zivilgesellschaftlich und privat organisiert, als Verein ist sie nicht angemeldet.

Monatelang fanden an dem Wagen Proteste statt. Ak­ti­vis­t:in­nen demonstrierten gegen Verhaftungen, Repressionen, Folter und Morde an Oppositionellen in Belarus. Der offiziellen Botschaft war der Anhänger ein Dorn im Auge. Weltweit hat diese einzigartige Aktion für Aufsehen gesorgt, Medien in Indien und Taiwan berichteten.

Seit dem 24. Februar aber wird die offizielle Botschaft durch eine von der Polizei eingerichtete Sicherheitszone geschützt. Daraufhin mussten auch die In­itia­to­r:in­nen der alternativen Botschaft den Standort räumen. Nun steht der Anhänger gut 500 Meter entfernt auf Höhe des Karpfenteichs.

Existenz des Projekts in Gefahr

Doch der Standort ist nicht das einzige Problem. Lina Gabt und Ara Tama*, eine Mitstreiterin ebenfalls im Rentenalter, sehen die Existenz des Projekts in Gefahr. Zum einen fehle es an Geld, erzählen sie, nachdem beide nebeneinander auf dem Vorbau des Anhängers Platz genommen haben: Den Anhänger hat ein deutscher Unterstützer für rund 6.000 Euro gekauft, die Gruppe will ihm die Summe zurückerstatten – verfügt aber nur über 1.000 Euro.

Zudem gebe es behördliche Probleme: Der Anhänger hat keine TÜV-Genehmigung mehr, er bekam zunächst eine Sondererlaubnis des Bezirks Treptow-Köpenick, die nun auch ausgelaufen ist.

Wie es weitergeht, ist völlig offen: „Wenn wir keine Unterstützung erhalten, wird das Projekt irgendwann einschlafen“, glaubt Gabt. „Wir brauchen mindestens 10.000 Euro, um den Ort erhalten zu können.“

Denn neben den Fixkosten für den Anhänger fielen noch Renovierungskosten an sowie Geld für Demomaterial und künstlerische Arbeiten. „Aus eigener Tasche können wir das nicht bezahlen. Wir hoffen, dass sich eine Firma findet, die das Projekt unterstützen will und das Fahrzeug erst mal durch den TÜV bringt“, sagt Gabt.

Behördliche Hürden überwinden

In der Zeitung wollen die beiden Ak­ti­vis­t:in­nen nur unter Pseudonymen genannt werden, um sich und Angehörige nicht zu gefährden. Gabt stammt gebürtig aus Russland, lebt seit gut vierzig Jahren in Deutschland und hat die prägende Zeit ihres Lebens in Belarus verbracht. Die Belarussin Tama war 2020 bei den Protesten gegen das Lukaschenko-Regime in Minsk dabei, lebt jedoch seit Ende 2020 in Berlin.

Die beiden Ak­ti­vis­t:in­nen hoffen, dass der Bezirk Treptow-Köpenick den Protestwagen als künstlerisches Projekt oder als historisches Denkmal anerkennt, damit es besonderen Schutz genießt. Claudia Leistner (Grüne), zuständige Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung, sagt dazu: „Mit den Ak­ti­vis­t:in­nen habe ich mich darüber ausgetauscht und werde dies mit dem Amt besprechen.“ Ein erster Schritt soll es nun sein, den Infowagen als „Gegenstand“ und nicht als „Fahrzeug“ zu klassifizieren – in dem Fall wäre immerhin keine TÜV-Plakette mehr notwendig.

Grundsätzlich, so Leistner, unterstütze sie das Ansinnen der Aktivist:innen, als Korrektiv der offiziellen belarussischen Erzählung sei die alternative Botschaft „richtig und wichtig“. Es sei entsprechend sinnvoll, wenn der Wagen möglichst nah an der offiziellen belarussischen Botschaft platziert werden könnte. Die Bezirksverordnetenversammlung hat dazu bereits im März einen Beschluss verfasst, dem Projekt soll „eine Sondergenehmigung zur Aufstellung in Sicht- und Hörweite der Botschaft von Belarus (Am Treptower Park 32)“ ermöglicht werden.

Informationen über freie Medien

Einen prominenteren Platz hätte der Wagen zweifelsohne verdient: An der Außenwand der Holzhütte prangt ein Tape-Art-Kunstwerk, abgebildet ist ein ikonisch gewordenes Bild zweier DJs, die bei Demonstrationen im August 2020 die Fäuste und Finger zum Siegeszeichen der Opposition reckten und verhaftet wurden. Am Waggon sind zudem Informationen über freie Medien und Berichte über Menschenrechtsverletzungen angepinnt.

Auch Dichterlesungen finden hier statt, meist am Wochenende. Drinnen hängen Porträts der Opfer des belarussischen Regimes. Darunter Konstantin Schischmakow, Direktor des militärhistorischen Museums Vaukavysk, der 2020 tot aufgefunden wurde, sowie der 2021 gestorbene Oppositionspolitiker Vitold Ashurak. „Die alternative Botschaft ist ein Symbol für den Kampf der Belarussinnen und Belarussen für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte“, sagt Lina Gabt.

Aktuell ist dieser Kampf vielleicht wichtiger denn je, weil die Menschenrechtslage in Belarus während des Ukrainekriegs wenig Aufmerksamkeit erfährt oder Be­la­rus­s:in­nen gar als Un­ter­stüt­ze­r:in­nen des Kriegs diffamiert werden. Währenddessen dauert der Terror des Lukaschenko-Apparats gegenüber der Zivilgesellschaft an, die Zahl der politischen Gefangenen steigt weiter. Über 1.200 Oppositionelle sind aktuell inhaftiert, allein im ersten Jahr nach den 2020er-Protesten wurden mehr als 35.000 Menschen festgenommen.

Ein besonders hübsches Artefakt hält Lina Gabt gegen Ende unseres Treffens in der Hand: einen alternativen belarussischen Pass. Der Initiator des Wagenprojekts, Taras Siakerka, hatte für Sym­pa­thi­san­t:in­nen solche Dokumente drucken lassen, rote Heftchen mit der Aufschrift: „Pass des Bürgers der freien demokratischen Republik Belarus“.

Auch diese Aktion ist eingeschlafen, auch sie kostet Geld, erklärt Gabt. Nicht nur die Pässe, sondern das ganze alternative Botschaftsgebäude erzählen ein wichtiges Stück Widerstandsgeschichte (und -gegenwart!) in Berlin. Für den Erhalt sollten sich nicht nur Belarussinnen und Belarussen einsetzen.

*Namen von der Redaktion geändert

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Mehr Geschichten über das Leben in Belarus: In der Kolumne „Notizen aus Belarus“ berichten Janka Belarus und Olga Deksnis über stürmische Zeiten – auf Deutsch und auf Russisch.

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