Einberufung in Russland: Erst überwacht, dann an die Front
Der russische Staat geht immer strenger vor, um Männer für das Militär zu rekrutieren. Kritiker sprechen bereits von einem „elektronischen Gulag“.
Bisher konnte sich in Russland jeder einer Einberufung entziehen, wenn er für die Wehrbehörden nicht erreichbar war. Wer also in einer Wohnung lebte, in der er nicht wohnbehördlich gemeldet war, brauchte sich auch nicht vor einer Einberufung fürchten. Damit ist nun Schluss: Eine Vorladung zur Erfassung und Einberufung gilt jetzt bereits als zugestellt, wenn sie per E-Mail versandt wurde. Heißt: Die Begründung, man habe seine Mails nicht gecheckt, ist fortan keine Ausrede mehr.
Die Vorladungen werden an den Account eines Bürgers im staatlichen Portal „Gosuslugi“ versandt. Wer sich nicht um seine auf diesem Portal bereitgestellten Nachrichten kümmert, hat nun das Nachsehen: Wer eine Einberufung „erhalten“ hat, darf Russland nicht mehr verlassen. Wenn er sich nicht innerhalb von 20 Tagen bei der Einberufungsstelle meldet, darf er zudem kein Auto mehr fahren, keine Immobilien erwerben, keine Kredite aufnehmen und sich nicht als Selbständiger registrieren lassen.
Doch damit nicht genug. Moskau hat inzwischen auch ein Gesichtserkennungssystem installiert, mit dem wehrpflichtige Bürger ausfindig gemacht werden sollen, berichtete der Militärkommissar der Hauptstadt, Oberst Maxim Loktew, jüngst der Nachrichtenagentur TASS.
Zwar versprach Loktew, dass kein Wehrpflichtiger in den ukrainischen Kampfgebieten eingesetzt werde. Die meisten Einberufenen müssten ihren Wehrdienst im westlichen Militärbezirk ableisten. Allerdings befinden sich eben dort Städte wie Belgorod, Brjansk und Kursk, die regelmäßig von ukrainischer Seite beschossen werden.
Selbst das Tragen von Mützen oder Masken schützt nicht
Gegenüber dem vom US-Kongress finanzierten Portal Krym Realii erklärte der Journalist Andrei Sacharow, dass es schwierig sei, sich dieser totalen elektronischen Kontrolle zu entziehen. Er geht davon aus, dass dieses Überwachungssystem bereits seit Monaten besteht. So wisse er von jungen Männern, die im vergangenen Herbst Besuch von der Wehrbehörde erhalten hätten – obwohl sie in der Wohnung, in der sie sich aufhielten, gar nicht gemeldet waren.
Für die elektronische Überwachung, führt Sacharow aus, sei es nicht schwierig, herauszufinden, ob eine Person regelmäßig einen Ort aufsuche oder ob ein Besuch nur einmalig sei. Wenn eine Überwachungskamera regelmäßig einen Mann filme, der den Müll entsorge, könne man davon ausgehen, dass dieser auch in diesem Haus wohne, so der Journalist.
Wenn man also wissen wolle, wo eine Person wohne, brauche man nur dessen Foto in das System eingeben und schon wisse man, wo dieser wohne. Schließlich würden ja Hauseingänge und Freisprecheinrichtungen an Türen von Kameras überwacht. In Moskau, so Sacharow, sei eine aus Belarus stammende Software installiert, die in Belarus Personen ausfindig machen konnte, die an Demonstrationen teilnahmen. Selbst das Tragen von Masken oder Mützen verberge nicht die Identität, da die Software Personen auch aufgrund ihrer Silhouette identifizieren könne.
Angesichts von mehreren hunderttausend Mobilisierten komme nun als Nächstes sicherlich ein Gesetz zu elektronischen Beerdigungen, kommentierte der Politologe und ehemalige Redenschreiber Putins, Abbas Galljamow, das Gesetz mit reichlicher Portion Sarkasmus.
„Mit diesem Gesetz wollen die Machthaber den massiven passiven Widerstand derjenigen brechen, die nicht in den Krieg ziehen wollen“, sagte der russische Anarchist Andrei, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, der taz. Nun werde den Machthabern eine riesige, einheitliche Datenbank zur Verfügung stehen, in der sich alle Daten, von den Finanzbehörden bis zu den Krankenhäusern, abrufen ließen. „Damit kann der Staat die Bevölkerung vollständig überwachen, ein elektronischer Gulag.“
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