Mesut Özil beendet Fußballkarriere: Der Verkomplizierer
Fußball-Weltmeister Mesut Özil hat seine Karriere beendet. Er machte die Dinge, die man so gern einfach haben will, komplizierter – nicht nur im Fußball.
Der Fußball sorgt in einer komplizierten Welt für klare Verhältnisse. Das ist an diesem Spiel das Schöne – das schnell auch gefährlich werden kann. Das ist der Grund, warum so viele Menschen Woche für Woche in die Stadien strömen oder bei bestem Wetter vor dem Fernseher sitzen. Das Leben ist nicht schwarz-weiß. Dieser Einwand gilt hier nicht. Denn wenn man Fußballfan ist und für einen Verein brennt, dann ist klar: Es geht ums Gewinnen oder Verlieren; die Spieler meiner Mannschaft sind die Guten, die Spieler der anderen mag ich nicht; dann ist auch klar: ich möchte um jeden Preis, dass meine Mannschaft gewinnt, und ich unterstütze sie, so gut ich kann, ich verausgabe mich für sie, denn ich liebe sie.
Mesut Özil, der nun mit 34 Jahren seine Karriere beendet, hat so sehr polarisiert, weil er kein Typ der Klarheit und Eindeutigkeit ist. Er verkomplizierte die Verhältnisse im Stadion auf eine Weise, die nicht für alle Fußballfans zumutbar gewesen ist – und auch ihn selbst immer wieder in schwierige Situationen gebracht hat.
Zunächst durchkreuzte Özil in sportlicher Hinsicht die Erwartungen der Deutschen: Er glänzte nicht durch harte körperliche Arbeit und hohe physische Wettbewerbsfähigkeit, was den deutschen Fußball vermeintlich auszeichne, sondern mit Überblick, Spielintelligenz und Kreativität, wie es die Fußballintelligenzija in Deutschland eher anderen Fußballnationen zuspricht. Schlechte Körpersprache, hängende Schultern, mäkelten Experten immer wieder, weil ein Özil sich auf dem Platz nicht so aufspielen musste wie ein Thomas Müller.
Wenn man bei Youtube „Best of Özil“ eingibt, dann sind es nicht dessen Tore, die ganz oben in der Ergebnisliste erscheinen, sondern Zusammenschnitte von Pässen und Assists, die man von einem deutschen Spieler tatsächlich nicht gewohnt war. Oft wurde er deshalb als uneigennützig bezeichnet, Özil mache eben seine Mitspieler besser. Aber wenn es mehr Spaß macht, sich die Torvorlagen eines Spielers anzusehen als die Tore eines anderen, dann bedeutet das etwas. Viele faszinierte diese sportliche Eigenheit Özils, andere machte sie sauer. Sie nahmen sie, bewusst oder unbewusst, als Delinquenz wahr – und das auch noch von einem Türken, der doch einfach froh sein sollte, dass er sich das weiße Trikot mit dem schwarzen Adler überhaupt überstreifen darf!
Unrecht getan, Unrecht erfahren
Jetzt, wo er aufhört und die Meldungen durch das Netz gehen, denken viele wohl nicht als Erstes an das Sportliche. Viele erinnern sich wohl eher an das umstrittene Foto mit dem türkischen Präsidenten; oder daran, wie er sich mit Rassismusvorwürfen von der deutschen Nationalmannschaft verabschiedet hat, nachdem einige ihn und die Diskussionen über ihn für das Vorrunden-Aus der Deutschen bei der WM 2018 verantwortlich gemacht hatten; daran, dass immer wieder Thema war, dass er die deutsche Nationalhymne nicht mitsingt; oder daran, dass jener türkische Präsident sogar zu seiner Hochzeit geladen war; vielleicht auch daran, dass er ganz am Ende auch noch zum Erdoğan-Verein Başakşehir gewechselt ist.
Özil wurde Unrecht getan. Aber Özil hat auch Unrecht getan. Dafür wurde er zu Recht kritisiert. Man macht eben keine netten Gefälligkeitsfotos mit einem Autokraten. Man muss aber auch nicht gleich alte rassistische Vorurteile aufwärmen, wenn doch einer so ein Foto macht. Über all das wäre jedenfalls nicht so erregt und ausdauernd diskutiert worden, wäre Özil nicht einer der besten Fußballer, die dieses Land je hervorgebracht hat.
Mesut Özil hat also die etwas seltsame Frage nach dem deutschen Fußball verkompliziert. Dasselbe hat er auch mit jener nach dem Verhältnis von Fußball und Politik getan; und schließlich ist auch die Frage nach Identität und Zugehörigkeit in Deutschland durch ihn komplizierter geworden. Sie war schon vor ihm nicht einfach, aber er hat gezeigt, wie kompliziert sie tatsächlich ist. Mit Özil konnte niemand mehr wegschauen und die Sache mit einem abstrakten Multikulti-Bekenntnis erledigen.
Yıldıray Baştürk, Hamit und Halil Altıntop, Nuri Şahin – jedes Mal erleichterte es mich als Jugendlicher, wenn sich ein namhafter deutschtürkischer Fußballer für die türkische statt für die deutsche Nationalmannschaft entschied. Die Deutschen waren eh schon gut genug. Und sowieso war ich für die Türkei und nicht für Deutschland, wie viele andere, die in Deutschland geboren wurden, aber als Ausländer aufwuchsen.
Kein Jubel
Dann kam Mesut Özil und streifte sich das deutsche Trikot über. Am 8. Oktober 2010, beim EM-Qualifikationsspiel Deutschland gegen die Türkei im Berliner Olympiastadion, traf er in der 79. Minute zum 2:0 (Endstand 3:0). Nach dem Tor nahm er die Glückwünsche der Mitspieler an, er schmunzelte höchstens ein bisschen, aber er jubelte nicht. Ich sah Özil an diesem Abend zum ersten Mal live, war für dieses so symbolträchtige Spiel, dessen Bedeutung die meisten, die ähnlich empfanden, gar nicht genau benennen konnten, extra in die Hauptstadt gereist.
Als viele der deutschen Türkei-Fans, bei denen ich im roten Trikot stand, Özil nach seinem Tor beleidigten und auspfiffen, da machte Özil einem das Leben mal wieder schwer. War er wirklich ein Verräter, wie die Kurve schrie? Oder war dieses Geschrei heuchlerisch, weil auch jeder der Schreienden an Stelle Özils das deutsche Trikot getragen hätte? Klar schien in dieser 79. Minute im Olympiastadion nur, dass es auf diese Fragen keine einfachen Antworten gab. Und spürbar war der Schmerz über diesen Umstand, den vielleicht auch der Torschütze selbst empfand und der nicht nur mit Fußball oder einem selbst zu tun hatte, sondern auch mit der Gesellschaft, die einen umgab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn