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US-amerikanischer Blick auf die UkraineWenn niemand über den Krieg spricht

Unsere russische Autorin ist nach einem Jahr im lettischen Exil für ein paar Wochen in New York. Dort interessiert sich kaum jemand für die Ukraine.

Niemand interessiert sich in New York für die Ukraine und Energie wird auch nicht gespart Foto: imago

E s hat sich ergeben, dass ich Riga, den Ort meines „dauerhaften“ Exils, verlassen habe und für zwei Monate in New York bin. Und der Krieg, der mein Leben um 180 Grad gewendet hat, der es hat entgleisen lassen – dieser Krieg ist verschwunden. Komplett weg. Er hat aufgehört zu existieren.

Война и мир – дневник

Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.

Es gibt ihn nicht in den Nachrichten (nur manchmal in Vice-Reportagen), nicht auf den Straßen (ukrainische Flaggen sieht man hier praktisch keine), nicht in Gesprächen. Er existiert auch nicht bei Fernsehjournalisten. Die kümmern sich mehr um die Lügen des Kongressabgeordneten George Santos als um die Kämpfe im ukrainischen Bachmut. Es gibt den Krieg auch nicht bei den Dozenten an der New Yorker Filmakademie, wo ich studiere: Sie reden über „objektiven“ Journalismus, über die Notwendigkeit, beiden Seiten zuzuhören.

Ich ärgere mich und sage, dass ich dem russischen Außenminister Sergei Lawrow nicht das Wort erteilen würde. Alles, was er und andere Beamte in Putins Russland sagen, sind nichts als die bereits bekannten Lügen.

Aber die Dozenten verstehen mich nicht so gut. Sie sind aus verständlichen Gründen besorgt über inneramerikanischen Probleme – wie man die Aufmerksamkeit des Publikums aufrechterhält, wie man ethische Arbeitsstandards einhält. Und wenn man ihnen erklärt, dass der russische Journalismus – der echte, nicht die Propaganda – gerade mit komplett anderen Herausforderungen und ethischen Dilemmata kämpft, dann seufzen sie, nicken und rufen unisono „how horrible“.

Maria Bobyleva

ist Chef-Redakteurin beim Portal „Takie dela“ (Russland) und Autorin der Bücher „So sprechen wir. Verletzende Wörte und wie man sie vermeidet“ und „Poetik des Feminismus“ Seit März 2022 lebt sie in Riga (Lettland).

Auch bei den ganz normalen Menschen gibt es keinen Krieg. Im letzten Jahr sind die Preise, vor allem für Lebensmittel, merklich gestiegen. Die New Yorker sind alle wütend und reden ständig darüber. Aber sie denken wenig über die Gründe nach. Einige von ihnen können etwas über die Vogelgrippe sagen. Aber fast keiner sagt, dass der Krieg in der Ukraine der Grund dafür ist. Für die Öl- und Gaskrise und die Unterbrechung des ukrainischen Getreideexports.

Der Krieg existiert vielleicht nur bei liberalen Emigranten alten Schlags – aber sie äußern sich eher im Sinne von „jetzt haben wir unser Russland endgültig verloren“. Oder bei Aktivisten wie Finley Muratowa, dem Kind von Dmitri Muratow, Gründer der oppositionellen Zeitung Nowaja Gaseta und Friedensnobelpreisträger. Solche Aktivisten versammeln sich regelmäßig am Times Square zu Aktionen.

Die US-Amerikaner interessiert dieser Krieg nicht. Und während in Europa alle Strom und Gas sparen und sie trotz allem weiter Nachrichten aus ihren östlichen Außenbezirken verfolgen, ist New York immer noch zu 800 Prozent beleuchtet. Die Wohnungen der US-Amerikaner sind weiterhin warm, die Autos immer noch groß mit riesigen Motoren. Nur Eier kosten jetzt nicht mehr 3 Dollar, sondern 5.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.

Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag edition.fotoTAPETA im September 2022 herausgebracht.

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17 Kommentare

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  • Ok, die Amis sind egozentrisch und ignorant. Ist das nicht ein alter Hut?

  • Der Kongressabgeordneten George Santos der sich als Jude ausgab um Erfolg zu haben oder die wirklichen Sorgen der US-Amerikaner im Zusammenhang mit der Inflation sowie die inneramerikanischen Probleme sind die Themen in den USA. Das bestätigen mir Verwandten die in den USA. Tatsächlich spielt die Ukraine in der Wahrnehmung der US-Bürger kaum eine Rolle.



    Tatsache dürfte aber auch sein, dass d.d. Ukraine Krieg die Fracking- und Rüstungsindustrie in den USA wegen dem Krieg in der Ukraine volle Auftragsbücher aufweist und so Arbeitsplätze in den USA sichert. Kurz, dass diese Vorteile die Nachteile durch erhöhte Energiekosten im weiten wettmachen.



    Schließlich spielen russische Energieträger Importe (Öl, Gas usw,) in die USA wegen dem geringen Anteil von unter 10% keine Rolle.

    Das die US-Amerikaner mehr von der Vogelgrippe wissen als aus dem Krieg in der Ukraine liegt einfach mit der Tatsache zusammen, dass eben die Eier wahnsinnig teuer geworden sind. Eine Schachtel kostet nicht selten 5$ und mehr. Dies deswegen, weil der Ausbruch der Vogelgrippe laut Landwirtschaftsministerium (USDA) dazu führte, dass seit Februar 2022 landesweit rund 60 Millionen Legehennen ums Leben gekommen sind.

  • Jeden Tag gibt es z.B. in der NYT mehrere Artikel/Kommentare über den Krieg in der Ukraine. Im Parlament wird darüber im Zusammenhang mit dem Budget geredet, wobei die Reps die Unterstützung lieber einstellen möchten. Was jedoch stimmt ist, dass Menschen außerhalb solcher Institutionen seit dem Vietnamkrieg nicht über Kriege - aber auch generell über andere Länder - reden. Das Desinteresse war auch während der Kriege in Afghanistan und Irak. Denn die Schauplätze sind weit weg. Lediglich für Familien der eingesetzten Soldaten waren diese Kriege von Belang. Da es im Ukraine-Krieg keine US-Soldaten gibt, kümmert dieser Krieg die Menschen noch weniger.

  • Grad heute eine amerikanische Umfrage gesehen, wo 48% die Unterstützung der Ukraine befürworten und unter 20% dagegen sind. Ich weiß, dass die Amis sich gerne mit sich selbst beschäftigen (so wie die deutschen auch), aber das der Ukraine Krieg kein Thema dort ist, scheint mir nicht so. Mag natürlich in NY in gewissen Kreisen kein Thema sein, aber die Finanzierung der Ukraine wird von einigen dort gerne als Kampfthema bespielt. Nur, man muss auch im Kopf behalten, dass die militärische Hilfe für die Ukraine halt auch Peanuts aus amerikanischer sicht sind (3% des jährlichen Wehretats des Pentagon, wenn mich nicht alles irrt). Daher mag das kein so großes Thema sein, wie im Baltikum zum Beispiel, weil es weder existentiell noch einschneidend ist.

    • @Okti:

      "so wie die deutschen auch"

      War das ironisch gemeint?

      Welches Land auf der Welt ist den in dieser Frage extremer als Deutschland? Jedes noch so kleine moralische Dilemma ist hier Thema. Wenn wir irgendwo was anführen dann doch die Moral-Randliste.

      • @lord lord:

        The grass ain't greener on the other side of the fence - trifft es ganz gut. Deutschland ist nicht das einzige Land wo Kulturkämpfe ausbrechen wegen jedem Blödsinn. Die Amis sind da teils eine Ecke extremer. Aber auch andere Industrieländer sind da nicht viel besser. Man kriegt es nur nicht mit, da Medien hier halt nicht über die komplette Innenpolitik Frankreichs z.b. berichten. 😉

  • Die Ukraine ist nicht der Nabel der Welt. Menschen haben auch andere Sorgen und Kriege gibt es sowieso all überall.

  • kriege und bewaffnete auseinandersetzungen nebst des krieges in der ukraine finden momentan in Äthiopien, Afghanistan, Aserbaidschan – Armenien, Bosnien und Herzegowina, Israel - Palästina, Iran, Jemen, Kenia, Kolumbien, Kongo, Myanmar, Nigeria, Philippinen, Ruanda, Sri Lanka, Syrien, Venezuela statt ... und ich habe mit sicherheit etwas vergessen ... diese kriege nehmen unterschiedliche formen an. betroffene in den jeweiligen regionen erleben alle krieg. der europäische nahezu ausschliessliche fokus auf der ukraine, ist wegen geografischer nähe vielleicht nachvollziehbar, aber auch ein zeichen unseres eurozentrismus. für freund_innen aus syrien zum beispiel ist das schmerzlich ignorant.

    • @Nafets Etnep:

      Die Aufzählung ist unbestritten, aber das ist auch nach einem Jahr wichtig zu verstehen:

      Nennen sie mir einen dieser Kriege, der zwischen Staaten geführt wird und bei dem ein Staat Territorium des anderen Staates annektiert hat.

      Das in der Ukraine ist ein ganz und gar anderer und für die internationale Ordnung schlimmerer Krieg als die anderen (Das was Putin macht ist so etwas wie die Landnahmen Hitlers in den 30ern die dann im Überfall auf Polen und Beginn des 2. Weltkriegs gipfelten) und das liegt nicht an der geographischen Nähe.

      Das kann man von interessierten und denkenden Menschen denke ich nach über einem Jahr erwarten, dass sie das verstanden haben.

  • Das sollte allen zu denken geben die Scholzs zögerlich Kurs gut finden.

    • @schnarchnase:

      So gesehen finde ich Scholzens zögerlichen Kurs gar nicht gut, der Mann sollte sich schleunigst für Waffenstillstandsverhandlungen stark machen. „in der Ukraine sterben“ (ihre Worte) täglich hunderte Menschen, ab wann soll den verhandelt werden? Sind 1 Million vom deutschen Sofa aus angefeuerte tote Verteidiger der westlichen Werte genug?

      • @guzman:

        Die Ukraine kämpft auch für unsere demokratischen Werte und verdient unsere volle Solidarität und Unterstützung! Verhandeln mit Putin ist sinnlos!

      • @guzman:

        Bis jetzt sind mehr als 100k pro Seite tot. Wenn Putin weiter Krieg führen will muss die russische Bevölkerung auch noch gehörig Federn lassen. Am Ende wird der kriegerische russische Nationalismus hoffentlich endgültig abgewirtschaftet haben. Dann könnten bessere Leute übernehmen und den Weg für ein wahrhaft grenzenloses Europa öffnen. Ein zweites 89. Wenn es dann auch noch die Leute aus ihrer nationalen Blase heraus schaffen.

        ... Dann können wir auch wieder die Russen umarmen (außer den Putinisten).

      • @guzman:

        Machen Sie doch bitte einen Vorschlag, wie, worüber und mit wem die Verhandlungen ablaufen sollen, statt diese ewige populistische "Die sollen verhandeln"-Litanei abzulassen, an der ja immer das "Aha, tun sie nicht, also wollen sie den Krieg" dranhängt.

        • @dites-mois:

          Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hingehen müssen.

          Erich Maria Remarque, 1963

      • @guzman:

        Verhandelt wird die ganze Zeit.

        Friede wird sich aber ert dann einstellen, wenn Russland davon abgekommen ist, sich an der ukrainischen Zivilbevölkerung vergreifen zu müssen oder dazu nicht mehr in der Lage ist. Oder wenn in der Ukraine niemand mehr lebt, der sich nicht für einen Russen hält.

      • @guzman:

        Scholz telefoniert regelmäßig mit Putin der will nicht verhandeln. Der wird erst verhandeln wenn er den Krieg verliert und dafür müssen noch viele viele Menschen sterben.