Kriegsauswirkungen in Russland: Wie der Krieg Familien entzweireißt

Der russische Angriff auf die Ukraine spaltet die russische Gesellschaft. Freundschaften und familiäre Beziehungen werden zerstört.

Uniformierte in einem Saal

„Das Imperium ist böse.“ Russische Militärführung bei einer Rede von Präsident Putin am 21. Dezember Foto: Sputnik/ap

Der Krieg hat neben dem ganz offensichtlichen Leid auch jede Menge Schwierigkeiten mit sich gebracht. Diese Schwierigkeiten ließen die Ukrainer näher zusammenrücken, aber sie spalteten die Russen umso mehr.

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Der Krieg ist zu einem Thema geworden, über das man sich nicht mehr einigen kann. Es ist unmöglich geworden, anderen zuzuhören, Kompromisse zu finden. Meinungsverschiedenheiten, selbst wenn sie zunächst friedlich beginnen, mit dem Versuch, sich über Tatsachen zu verständigen, Argumente auszutauschen, enden im bestem Fall mit tödlichem Schweigen und einer noch größeren Distanzierung.

Oder – im schlimmsten Fall – mit Hass, Verwünschungen und einem endgültigen Bruch. Das ist sehr schmerzhaft. Ein Ausweg ist nicht in Sicht. Denn es gibt diametral entgegengesetzte Wahrnehmungen der Realität.

Ich gehöre zu denen, die „Glück“ hatten. Meine Eltern sind gegen den Krieg. Aber es gibt Nuancen. Meine Mutter ist ein leicht zu beeinflussender Mensch. Sie hat viele Jahre staatliches Fernsehen geschaut. Ich weiß noch, wie sie vor etwa zehn Jahren am 9. Mai eine Militärparade auf dem Roten Platz gesehen hatte, mich anrief und sagte: „Mascha, es macht mich stolz, unsere Jungs zu sehen, ich musste ein paar Tränen vergießen.“

Auf verschiedenen Seiten

Ich schauderte vor Entsetzen und sagte ihr alles, was ich über die Militarisierung der Gesellschaft dachte. Aber dann habe ich sie vor ein paar Jahren mal vor den Sender Doschd gesetzt und dann fing sie an, die Welt so zu sehen, wie sie ihr dieser oppositionelle und liberale Sender präsentierte. Dann ging ihr Fernseher kaputt und sie schaute die gesellschaftspolitischen Sendungen, die ich ihr empfohlen hatte, nur noch auf Youtube. Als der Krieg begann, war sie schon lange auf der richtigen Seite.

Mit meinem Vater ist es schwieriger. Seit der Annexion der Krim 2014 sagt er, dass „alles kompliziert“ und „jeder gut“ sei. Allerdings hat er auch bewusst begonnen, ukrainisches Fernsehen zu schauen, um besser zu verstehen, was passiert. Und jetzt glaubt er niemandem: „Das Imperium ist böse. Aber ich lasse es in Ruhe – und es lässt mich in Ruhe. Ich bleibe in meiner Datscha und kümmere mich um meine Weintrauben.“

Und dann ist da noch meine Ex-Freundin, sie ist für den Krieg. Das war keine Überraschung und keine Tragödie. Sie arbeitet im russischen Außenministerium und vertritt durchgehend staatliche Positionen. Dank ihr weiß ich, dass es wirklich Menschen gibt, die aufrichtig an eine globale Verschwörung gegen Russland und Intrigen des Westens glauben, der „unseren großen Staat“ zerschlagen will. Sie verteidigt Stalin. Sie meint, dass ein Staat stark und totalitär sein muss, weil „sonst Anarchie herrscht und es noch schlimmer wird“. Als wir uns vor 15 Jahren getrennt haben, waren wir noch lange gute Freundinnen, aber irgendwann um 2019 haben wir den Kontakt abgebrochen – aus politischen Gründen.

Also, ich sage es noch mal, ich habe Glück. Aber ich kenne sehr viele Fälle, wo der Riss mitten durch die Familien geht. Er trennt Eltern und Kindern, Geschwister, Ehe­part­ne­r*in­nen voneinander. Es sind Geschichten voller Schmerz und Hoffnungslosigkeit.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag edition.fotoTAPETA im September herausgebracht.

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ist Chef-Redakteurin beim Portal „Takie dela“ (Russland) und Autorin der Bücher „So sprechen wir. Verletzende Wörte und wie man sie vermeidet“ und „Poetik des Feminismus“ Seit März 2022 lebt sie in Riga (Lettland).

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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