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Jelena Ossipowa demonstriert in Russland„Den Krieg sofort beenden“

Die 77-jährige Frau protestiert seit einem Jahr in Sankt Petersburg. Sie sagt, sie habe nichts zu verlieren – und kein Geld, um Strafen zu bezahlen.

„Inzwischen verhaften sie mich nicht mehr.“ Die Allein-Aktivistin Jelena Ossipowa in Sankt Petersburg Foto: Anonymous
Jens Uthoff
Interview von Jens Uthoff und Pavel Filipov

Jelena Ossipowas Wohnung in St. Petersburg ist vollgestellt mit Gemälden: Porträts, Landschaftsmalerei, vor allem aber Antikriegsplakate. Ossipowa ist berühmt in ihrer Stadt, sie protestiert auf den Straßen mit ihren Bannern und Plakaten ­gegen das Putin-Regime und gegen den Krieg. Ende Januar wollte die oppositionelle Jabloko-Partei eine Ausstellung mit ihren Bildern in der Parteiniederlassung in St. Petersburg zeigen. Einen Tag blieb die Schau geöffnet, dann beendete die Polizei sie und konfiszierte alle Gemälde.

taz: Frau Ossipowa, protestieren Sie immer noch auf den Straßen von St. Petersburg?

Jelena Ossipowa: Ja. Ich sehe das als meine Lebensaufgabe an. Ich kann nicht zu Hause bleiben und nichts tun. Im normalen Leben male ich gerne Blumen, Landschaften oder Architektur. Jetzt male ich Antikriegsbanner und protestiere gegen den Krieg.

Sie kämpfen seit 21 Jahren gegen das Putin-Regime an, sind immer wieder von der Polizei abgeführt oder verhaftet worden …

Im Interview: Jelena Ossipowa

Jelena Ossipowa wurde 1945 in Sankt Petersburg geboren. Sie studierte Kunst an der Tawritscheskoja-Kunstschule in ihrer Heimatstadt und arbeitete als Kunst­pädagogin. Bereits während des 2. Tsche­tschenienkrieges protestierte sie gegen das Putin-Regime.

… inzwischen verhaften sie mich nicht mehr. Sie nehmen mir meine Plakate weg und bringen mich nach Hause. Vor dem russischen Angriffskrieg hat die Polizei manchmal noch versucht, mich zu schützen, wenn ich auf der Straße protestiert habe. Einige von ihnen sind gute Menschen.

Haben Sie heute Angst, wenn Sie gegen den russischen Angriffskrieg auf die Straße gehen­?

Nein, ich habe keine Angst. Was können sie jetzt schon mit mir machen? Ich bin alt, gesundheitlich geht es mir nicht gut. Ich habe sowieso kein Geld, um die Geldstrafen zu bezahlen, die sie mir aufbrummen. Ich habe nichts mehr, nur meine Bilder. Ich bekomme monatlich 6.000 Rubel Rente (umgerechnet ca. 75 Euro; d. Red.). Eigentlich sollte sie 12.000 Rubel betragen, aber sie zahlen mir nur die Hälfte. Kürzlich konnte ich immerhin zwei meiner Bilder verkaufen. Oft aber haben die Leute, die meine Bilder mögen und wertschätzen, nicht das Geld, um sie zu bezahlen.

Vor Kurzem haben Sie eine Ausstellung mit Antikriegs­plakaten in St. Petersburg eröffnet. Einen Tag später wurde sie von der Polizei geschlossen, die Kunstwerke wurden beschlagnahmt. Was wirft man Ihnen vor?

Mein Fall wird gerade untersucht. Sie werden sicher etwas finden, dessen ich schuldig bin! Die Polizei hat mich angerufen und nach den Namen der Leute gefragt, die mir bei der Organisation der Ausstellung geholfen haben. Ich habe sie natürlich nicht verraten.

St. Petersburg war lange ein Zentrum der russischen Opposition – wie viel ist davon geblieben? Mit wem stehen Sie in Kontakt?

Viele Oppositionelle haben das Land verlassen. Andere sind in Haft oder tot. Ich hatte zum Beispiel Kontakt zu Olga Smirnowa, der Gründerin der Gruppe „Der friedliche Widerstand“. Sie ist im Mai 2022 verhaftet worden (ihr drohen 10 Jahre Gefängnis wegen „Diskreditierung der russischen Armee“; d. Red.). Jelena Grigorjewa wurde 2019 getötet, sie war eine Aktivistin der Antikriegs- und LGBTIQ*-Bewegung. Zu ihr hatte ich eine gute Beziehung, manchmal standen wir zusammen mit unseren Plakaten am Newski-Prospekt. Die Journalistin und Oppositionspolitikerin Irina Slawina aus Nischni Nowgorod war auch eine wichtige Figur, sie hat sich 2020 durch Selbstverbrennung das Leben genommen. Es existiert zwar immer noch eine innerrussische Opposition, aber die Informationen darüber sind natürlich kaum zugänglich.

Wie kann man denn seinen Protest derzeit überhaupt noch äußern?

Es gibt immer noch einige Formen der Opposition wie Flugblattaktionen und Antikriegsgruppen im Internet. Ich hatte auch die Idee, einen meiner Slogans auf T-Shirts zu drucken, zum Beispiel: „Wer bleibt noch übrig, wenn ihr alle Feinde tötet?“ Wenn viele Menschen diese T-Shirts gleichzeitig auf der Straße tragen, können die Behörden ja nicht jeden von ihnen verhaften. Ich habe kürzlich einigen jungen Oppositionellen diese Aktion vorgeschlagen.

Warum haben Sie nie daran gedacht, ins Exil zu gehen?

Ich wollte einfach nie aus Russland auswandern. Ich würde mir natürlich gern andere Länder ansehen, aber ich möchte mein Heimatland nicht verlassen.

Was sind Ihre Gedanken und Wünsche gut ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges?

Russland muss den Krieg sofort beenden und die Armee aus der Ukraine abziehen. Ein neuer Präsident muss gewählt werden. Es sollte in Russland Gesetz werden, dass ein neuer Präsident nicht für die sowjetischen oder russischen Sicherheitsbehörden gearbeitet haben darf. Wir dürfen nie wieder dahin kommen, wo wir jetzt sind.

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15 Kommentare

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  • Gibt es eine Möglichkeit, die Dame finanziell zu unterstützen?

    • @ubk:

      Keine gute Idee. Das würde sie zum "ausländischen Agenten" machen und böte einen wunderbaren Grund, sie endgültig mundtot zu machen.

  • „Wer bleibt noch übrig, wenn ihr alle Feinde tötet?“



    Vielen dank an Frau Ossipowa für diesen ewig bleibenden, wachen Slogan und der taz für das Interview.



    Jetzt heißt es ran an die t shirt Drucker und Maler. Der Slogan tut beinahe jeden gut an der Brust!

  • Bitte berichten Sie auch über die Legion "Freies Russland", die unter ukrainischem Kommando in Bachmut kämpfen. Also "Russen gegen Russen".



    Zu Beginn, im März 2022 war eine ganze Kompagnie übergelaufen.



    Es gab ein paar Artikel in anderen Blättern.

  • ...couragierte Dame, mit sicher viel Lebenserfahrung - mich würde sehr interessieren , was sie von den Ukrainern und ihrem Präsidenten hält....

    • @Alex_der_Wunderer:

      Sie könnten ihr ja mal einen Brief schreiben. Bestimmt kann die Dame Sie bei Ihrer Unsicherheit, ob denn nun eher der russische oder der ukrainische Präsident vorzuziehen sei, kompetent beraten.

  • Gibt es eine Möglichkeit Jelena Ossipowa Geld oder irgendeine andere Art der Unterstützung zu senden ?

  • Ja, sehr gut, danke TAZ. - Hier noch eine Info, die ukrainische Tennisspielerin Marta KostJuk (Kostyuk), bisher Rang 50 , hat ihren sensationellen Sieg über die Russin Gratschewa den ukrainischen Volk gewidmet, 'to all the people who are fighting and dying' . Quelle Guardian und Spiegel .

  • Beeindruckende Frau! Ich stoße auf sie an.

  • Respekt vor dieser Frau.

  • Ich wünsche mir, Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer würden das Interview mit dieser mutigen Frau lesen.

    Vielleicht würde ihr zementiertes Denken ein bisschen in Bewegung kommen.

    • @Jim Hawkins:

      Ich denke nicht das bei Schwarzer und Wagenknecht irgendwas in Bewgung kommen kann. Dazu Bedarf es der Fähigkeit zur Selbstreflexion! Wenn eine Frau Schwarzer davon schwafelt die Ukraine kann einen Krieg gegen Russland nicht gewinnen, so ist das eine Verdrehung der Tatsachen. Nicht die Ukraine führt Krieg gegen Russland, sondern Russland führt Krieg gegen die Ukraine. Und dass die Ukraine mit Unterstützung sich nicht erfolgreich VERTEIDIGEN kann, dass bezweifle ich im Angesicht der geschichtlichen Beispiele Vietnam und Afghanistan ebenfalls, um nur zwei zu nennen.

      Ich bin sehr froh, dass es in Russland mit Jelena noch Menschen mit Anstand gibt, Russland wird diese Menschen noch dringend brauchen ...

    • @Jim Hawkins:

      Tja, fürchte, da gibt's wenig Grund zur Hoffnung. Wahrscheinlich würden sie diese Frau wohl sogar loben und sagen, dass es in Kiew auch so eine bräuchte. Schließlich kämpft hier ja "ein oligarchisches System gegen das andere".

      • @dites-mois:

        Und @Inslot:ihr habt wohl beide recht.

        Ich finde das Interview eben so bewegend, dass ich dachte, das müsste doch Zugang in jedes Herz finden.

        Aber die Rede von den "reinen Herzen" war wohl so hohl wie der ganze unappetitliche Rest.

        • @Jim Hawkins:

          Achso, die "reinen Herzen" der "Friedensfreunde" mal beim Wort nehmen . . auf die Idee war noch gar nicht gekommen.