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Weitere Panne bei Wahl in BerlinMehr Stimmen als Wäh­le­r*in­nen

In vorläufigen Ergebnissen der Berlin-Wahl tauchen mehr Stimmen als Wäh­le­r*in­nen auf. Der Wahlleiter kann keine konkrete Erklärung dafür liefern.

Aushang in den Wahllokalen vergangenen Sonntag Foto: Paul Zinken/ dpa

Berlin taz | Wer die vorläufigen Ergebnisse der Berlinwahl genauer anschaut, stolpert über Ungereimtheiten. In mehreren Bezirken, darunter Steglitz-Zehlendorf und Marzahn-Hellersdorf, gab es laut taz-Recherchen bei der Abgeordnetenhauswahl mehr Stimmabgaben als Wählende. Das geht aus einem vorläufigen Bericht des Landeswahlleiters Stephan Bröchler hervor, den das Statistische Landesamt auf seiner Website veröffentlicht hat.

Sowohl bei den gezählten Erststimmen als auch bei den Zweitstimmen weist der Bericht Differenzen aus: In rund 14 Prozent der Brief- und Urnenwahllokale in ganz Berlin wurden laut Bericht mehr Erststimmen abgegeben als überhaupt Wäh­le­r*in­nen registriert waren. Bei den Zweitstimmen ist das bei 8,3 Prozent der Lokale der Fall. Insgesamt sind 1.248 Erststimmen mehr vermerkt, als registrierte Wählende eingetragen sind; bei Zweitstimmen beträgt die Differenz 726. Die Ursache für diesen Fehler ist bislang unklar.

Ein Beispiel aus Steglitz-Zehlendorf verdeutlicht das Problem: In einem Urnenwahllbezirk wurden laut Bericht 100 Stimmen mehr abgegeben als Wählende registriert wurden. Dort gab es konkret 372 gültige und drei ungültige Stimmen bei lediglich 275 registrierten Wähler*innen.

Auch in anderen Berliner Bezirken stimmt die Anzahl der abgegeben Stimmzettel nicht mit den Wäh­le­r*in­nen überein. So sind zum Beispiel in einem Wahlbezirk in Marzahn-Hellersdorf 59 Zweitstimmen zu viel angegeben.

Wahl unter besonderer Beobachtung

Auf Anfrage der taz bestätigte Landeswahlleiter Stephan Bröchler, dass im vorläufigen Ergebnis eine „Differenz zwischen der Anzahl der Wählenden und der Anzahl der abgegebenen Stimmen“ bestehe. Für das abschließende Wahlergebnis, das am 27. Februar verkündet werden soll, seien die Bezirksämter derzeit dabei, “Schnellmeldungen aus den betroffenen Wahllokalen und Wahlniederschriften zu prüfen“.

Die Zahlen müssten angepasst werden, wenn es sich um eindeutige Fehler handele, zum Beispiel Erfassungsfehler in der Statistik. Die Anpassung von Teilergebnissen sei ein ganz normaler Schritt und vom Wahlrecht abgedeckt, so Bröchler weiter.

Die Organisation der Wahlen stand dieses Mal eigentlich unter ganz besonderer Beobachtung. Wegen der zahlreichen Pannen bei der Wahl im September 2021 hatte der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass die Wahl wiederholt werden muss. Zum erneuten Wahltermin am 12. Februar hatte der Wahlleiter etwa 8.000 Wahl­hel­fe­r*in­nen mehr als 2021 eingesetzt – insgesamt 42.000.

Auch ein Team des Europarats kam zur Wahlbeobachtung. Die Bilanz der Be­ob­ach­te­r*in­nen fiel insgesamt sehr positiv aus, auch Landeswahlleiter Bröchler war nach der Wahl zufrieden, da es zum Beispiel anders als 2021 keine langen Schlangen vor Wahllokalen gab.

Ursache für mehr Stimmen nicht klar

Im Nachgang wurden zwei größere Pannen bekannt: Im Bezirk Lichtenberg wurden 466 Briefwahlzettel erst am Montag gefunden. Die zuvor nicht berücksichtigten Stimmen für die Abgeordnetenhauswahl hatte die gleiche Stimmenzahl für den CDU-Direktkandidaten und seine Konkurrentin von der Linke ergeben, nachdem bis dahin der CDU-Kandidat vorne lag. In Kreuzberg bewirkte ein Eingabefehler, dass fast alle Parteienergebnisse noch einmal korrigiert werden mussten.

Die Ursache für die nun aufgetauchte Zahlendifferenz der Wählenden und der abgegebenen Stimmen lässt sich nicht auf Anhieb erklären. Der Wahlkreisleiter von Steglitz-Zehlendorf, Joachim Stürzbecher, nennt sie auf taz-Anfrage “unglücklich“.

Eine gewisse Differenz von einer bis fünf Stimmen sei normal, so Stürzbecher weiter. Genau für solche Fälle gebe es aber jetzt die Nachprüfungen in den Bezirken. Bei denen werde der Bericht des Landeswahlleiters genau angeschaut. Manchmal müsse dann neu ausgezählt werden; an anderer Stelle würden die Wahl­hel­fe­r*in­nen noch einmal vom Wahlvorstand befragt.

Stürzbecher betont ähnlich wie Bröchler, dass die Ergebnisse nur vorläufig sind. Wie es zu den Differenzen kommt, könne er nur vermuten. Eine Möglichkeit sei, dass Wahl­hel­fe­r*in­nen nicht aufmerksam waren und vergessen haben, den Namen durchzustreichen.

Bröchler äußerte sich bisher weder zu möglichen Gründen der Stimmdifferenzen, noch zu den Auswirkungen von möglichen Fehlern. Bei den jetzt laufenden Überprüfungen in den Bezirks- und Landeswahlausschüssen werde “offensichtlich Falsches korrigiert“. So knapp, wie das Ergebnis zwischen den Grünen und der SPD ist, zählt bei dieser Wahl jede Stimme: Die Sozialdemokraten führen lediglich mit 113 Zweitstimmen.

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21 Kommentare

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  • Um mal etwas Klarheit reinzubringen:

    Alle Daten liegen hier als CSV vor: www.wahlen-berlin....agh/downloads.html

    1. In keinem Wahlbezirk gab es mehr Stimmen als Wahlberechtigte. Auch nicht in Briefwahlbezirken, wo dies (mandatsirrelevant) theoretisch vorkommen könnte.

    2. In allen Wahlbezirken stimmt die Anzahl der Stimmen mit der Anzahl der gültigen Stimmen überein. Es gibt in über 3000 Wahlbezirken nicht eine einzige Abweichung davon.

    3. Die einzige Differenz ist die Anzahl der Wählenden.

    Und da gibt es mehrere Begründungen.

    Abweichungen über 5 Stimmen gab es in 171 Wahlbezirken. Wohlgemerkt: Nicht bei den gültigen Stimmen, sondern nur zwischen der Anzahl der Stimmen und der Angabe der Wählerzahl.

    In dem einen im Text genannten Fall handelt es sich wohl um einen Übertragungsfehler. Da ist wahrscheinlich die 375 bei der Anzahl der Wähler undeutlich geschrieben worden und deshalb mit 275 ins System gestellt worden.

    In drei Fällen wurde die Anzahl der Wahlberechtigten ohne Wahlschein aus dem Wählerverzeichnis in dieses Feld übernommen.

    In 114 Fällen wurde die Anzahl der Wahlscheine in dieses Feld übernommen. Das betrifft nur Briefwahllokale. Dabei gibt es immer Unterschiede, weil der Wahlschein für alle drei Wahlen gilt, aber nicht jeder bei jeder Wahl eine Stimme abgibt.

    Bei einem Klopper mit 455 Abweichung wurde nicht nur der falsche Wert (Wahlberechtigte ohne Wahlschein) in das Feld eingetragen, sondern dieser Wer sogar noch falsch (742 statt 743).

    Dann haben wir noch 45 Abweichungen bis zu 20, die ich mir noch nicht erklären kann. 6 weitere sind im zweistelligen Bereich. Und bei einem lässt sich die Abweichung von 187 gut dadurch erklären, dass das halt in Spandau war.

    Keiner dieser Fehler hat Auswirkungen auf das Wahlergebnis, sondern nur auf die Angabe der Wahlbeteiligung, allerdings in einem zu vernachlässigenden Ausmaß.

    Jeder dieser Fehler kann überprüft werden, da die dazu notwendigen Unterlagen vorliegen.

  • Wer noch niemals als Wahlhelfer*in tätig war, sollte die Steine liegen lassen.



    Ja, es gibt immer wieder Fehler, meistens allerdings werden sie im Wahllokal direkt gefunden und korrigiert, aber der gesamte Wahlvorstand steht während der Auszählung unter Zeitdruck - einmal soll das Ergebnis möglichst schnell übermittelt werden und jede*r möchte auch bald nach so einem langen Tag nach Hause. In letzer Zeit haben sich zumindest bei uns auch viele junge Menschen bereit erklärt dieses Amt auszufüllen und gerade bei Anfänger*innen können Fehler nicht vermieden werden. Das nächste Problem ist dann die Schnellmeldung, bei der es auch immer Fehler gibt, das heißt sie weichen von dem ermittelten Ergebnis ab. Aber jeder*m steht es frei, als Bürger*in die Auszählung zu beobachten!



    18.02.2023 14.05 Uhr

    • @felixul:

      Aber zu kontrollieren, ob das ermittelte Ergebnis wenigstens plausibel sein kann - das darf man doch von jedem Auszählungsleiter verlangen. Ansonsten sollte dafür in Zukunft halt ein professionelles Unternehmen beauftragt werden.

      • @Horst Flugfeld:

        Essentielle demokratische Vorgänge privatisieren? Ernsthaft??



        Ist bei so einer Privatisierung jemals etwas besser geworden? Das macht man doch nur, um Verantwortung abzuschieben und nach der Politkarriere einen guten Posten zu kriegen.

  • Schön, bekommt man endlich mal.mit, was uns mit anderen Ländern verbindet.



    Demokratie ist wohl nicht einfach.

    • @Frau Flieder:

      Nein, Demokratie erfordert den ganzen denkenden Menschen. Nur in der Diktatur ist es, zumindest für einige wenige, einfach.

  • Cool, wie in der Türkei und Russland, man stolpert ständig über Urnen mit vor Wochen vorher ausgefüllten Stimmzetteln. Damit ist ja wohl klar, dass auch diese Wahl wiederholt werden muss! Ein absoluter Wahnsinn ist diese Hauptstadt.

    • @hedele:

      Schreiben Sie doch bitte hier nicht so einen Unsinn! 14.06 h

  • Endlich ein gewichtiges Argument, um Nicht-Wähler vom Wählen zu überzeugen:



    Je dichter die Wahlbeteiligung an den 100 % ist, desto einfacher fallen solche "Fehler" auf.

    • @Herma Huhn:

      Das ist nicht ernst gemeint oder?

      • @Frau Flieder:

        Tschuldigung, hab mein Sarkasmusfähnchen vergessen.



        ;-)

  • Mehr Stimmen als Wähler*innen: das „Wunder“ von Berlin.

    • @Abdurchdiemitte:

      Wunder gibt es immer wieder, heute oder morgen, werden sie geschehen.... Kata Ebstein hat in die Zukunft geschaut.



      Berlin bleibt doch Berlin.

      Ich war sogar mal ein wenig stolz, in dieser Stadt zu wohnen - 80er Jahre. Nun muss man sich schämen!

  • Wieso? Das ist doch uberhaupt kein Wunder.



    Zusätzlich reingestopft ist halt schnell - Rausgefummel dagegen kaum möglich.

    Ist doch wie des Zauberers Zylinderhut:



    Allen schauen hinein: Leer.



    Und schwupps: Plötzlich fliegen ein Duzend Tauben heraus...

    • @Bolzkopf:

      Wollen Sie 42.000 freiwilligen Wahlhelfern Wahlbetrug vorwerfen? Kann es sein, dass Sie keine Ahnung davon haben, wie bei uns die Auszählung organisiert ist?

  • Fehler können nicht nur passieren, sondern sie passieren mit Sicherheit. Die Frage ist ob sie ergebnisverfälschend sind.



    Ich verstehe allerdings, dass man auf diese Wahl ein besonders strenges Auge hegt.

    • @m.d.bichlmeier:

      Fehler passieren, das ist wahr.

      Aber dass gleich an mehreren Stellen signifikante Fehler auftreten verwundert doch sehr.

      Wahlen sind ja vergleichsweise einfache Prozesse und zudem sind sie die tragende Säule unserer Demokratie.

      Und da noch nicht mal Das fehlerfrei gelingt, wundere ich mich überhaupt nicht, über das Versagen der staatlichen Stellen bei Maskenbeschaffung, Coronatestbetrug, Übergewinnsteuer und Cum-Ex.

      Und das zu Grunde liegende Problem ist die Fehlerkultur.



      Da rollen keine Köpfe (im politischen Sinne natürlich)



      oder es hagelt Rücktrittsgesuche.

      Nein. Nichts passiert.



      Es wird keine Verantwortung übernommen.



      Es ändert sich nichts.

      Nur der Korpsgeist bleibt.

      • @Bolzkopf:

        Alle Fehler werden korrigiert, die Fehlerkultur funktioniert.

        Der Fehler liegt hier nach Analyse der Daten nicht bei den Behörden, sondern bei den Wahlhelfern, die das Feld "Wähler" in den Protokollen falsch ausgefüllt haben. Die Wahlhelfer sind keine staatlichen Stellen, sondern Freiwillige.

        Bitte beschäftigen Sie sich mit der konkreten Durchführung von Wahlen, bevor Sie pauschal über Dinge meckern, die gar nichts mit diesem Thema zu tun haben.

  • Auf in Runde drei.

    • @SimpleForest:

      Hätten Sie gern, wird aber nicht passieren, da unsinnig.

  • Eine mögliche Ursache ist, dass an Unionsbürger*innen und an 16 und 17jährige Jugendliche teils auch die beiden Wahlzettel fürs Aghs ausgegeben wurden, obwohl sie nur zur BVV wahlberechtigt sind. Selbst so erlebt bei einer 17jährigen. In den Kommentarspalten des Tagesspiegels finden sich weitere Beispiele für den selben Fehler.

    Berlin kann halt keine öffentliche Verwaltung.