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Boeing 747 zum letzten Mal ausgeliefertJumbo oder Spannbettlaken?

Unser Autor erinnert sich an seinen ersten Langstreckenflug, nachdem die letzte Boeing 747 gerade geliefert wurde. Und fragt sich, wann eigentlich alles besser wird.

Eine Pan Am Boeing 747 nach ihrem ersten kommerziellen Transatlantikflug im Janura 1970 auf dem Flughafen Heathrow Foto: Lawrence Harris/ap

E s rumpelte und ratterte überall, alles vibrierte und klapperte und dann, gefühlt ganz am Ende der Startbahn, hob sich das Riesending müüüühsam in die Luft. Das war im Sommer 1986 und mein erster Langstreckenflug: von Frankfurt nach New York, in einem Jumbojet. Jetzt wurde die letzte „Königin der Lüfte“ bei Boeing in Seattle ausgeliefert. Großer Bahnhof auf dem Flughafen, Fahnen, Musik, sentimentale Nachrufe überall – für eine Erfindung, die das Fliegen billig machte und damit „demokratisierte“.

Nun ja. Mit der Demokratie hat eine Königin ja so ihre Probleme. Nur etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung haben überhaupt schon mal in einem Flugzeug gesessen. Und die Begeisterung für den Riesenflieger verdrängt den elefantös großen ökologischen Radabdruck eines Jumbos.

Nicht nur durch die 70 Tonnen Kerosin, die jeder Flug von London nach New York in Treibhausgase verwandelt. Sondern durch seine Rolle als Türöffner für die Massenfliegerei. Auf den Azoren überwintern oder mal eben nach Vietnam oder Bali jetten – ohne den Jumbo wäre das ein exklusiver Luxus. Mit dem Jumbo muss man sich rechtfertigen, wenn man im Schwarzwald Urlaub macht.

Die Begeisterung für die Höllenmaschine am Himmel erinnert an die kollektive Besoffenheit zum 100. Geburtstag des Verbrennerautos im Jahr 1986. Technischer Fortschritt aus der Mottenkiste des fossilen Zeitalters. Als Unfälle, verbrannte Ressourcen und verheiztes Klima noch egal waren. Die Begeisterung für den Jumbojet fühlt sich an, als würde man die Weiterentwicklung vom Gewehr zum Maschinengewehr bejubeln.

Und wann kommt die „bessere Welt“?

Dabei gibt es echten technischen Fortschritt: Einen Nobelpreis verdient haben die ErfinderInnen des Reißverschluss, von „copy and paste“ und von Spannbettlaken. Wir sollten klatschend Spalier stehen, wenn der nächste Wasserstoff-Elektrolyseur ausgeliefert wird, über 200 Meter hohe Windräder staunen, die Solaranlage auf dem Dach mit Blaskapelle begrüßen und Technik zur Wärmedämmung so kultig finden wie die nächste Generation der Superstromspeicher.

Ein echtes „Land der Ideen“ sind wir aber erst, wenn wir endlich auch soziale Erfindungen würdigen: Haben die ErfinderInnen des Carsharings schon ihr Bundesverdienstkreuz? Wann kommt der bundesweite Feiertag für die VorschmeckerInnen des vegetarischen Lebens? Wo gehen wir hin, um das Jubiläum der Fußgängerstadt zu feiern? Wann ändern wir das olympische Motto in „Weniger, kleiner, langsamer“? Wo bleiben die TV-Formate „Non-Shopping Queen“ statt Dauerwerbesendungen, wann kommt „Gebraucht und repariert“ statt dem hirnerweichenden „Bares für Rares“?

Mich hat als Kind jedenfalls schwer beeindruckt, wenn die „Sesamstraße“ mir zum Schluss befahl, jetzt den Fernseher auszumachen. Das war so um 1970. Als sie gerade die erste Boeing 747 aus dem Hangar rollten. Und die Ära des Fluchzeugs begann.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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9 Kommentare

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  • Mobilität wenn nicht für Alle, so doch für Viele war ein großes Versprechen, das auch tatsächlich umgesetzt wurde und ganze Gesellschaften verändert hat. Ob diese Mobilität nun mit der Bahn, dem Auto oder eben mit dem Flugzeug stattfand, es war und ist eine Form der Demokratisierung, daß Reisen, und noch dazu Fernreisen, nicht mehr nur den Reichen vorbehalten waren. Diese Ära geht nun zu Ende, muss zu Ende gehen, da der Klimawandel aufgehalten oder zumindest auf ein (halbwegs) erträgliches Maß reduziert werden muss. Es ist der Abschied von einer großen Idee, und er fällt schwer.

  • Zum 'technischen Fortschritt aus der Mottenkiste' sei der Vollständigkeit halber angemerkt, dass Hermann von Jacobi bereits um 1836 herum funktionstüchtige elektromechanische Wandler, vulgo Elektromotoren, baute. Der Verbrennungsmotor ist somit das modernere und fortschrittlichere Antriebskonzept, zumindest gemäss historischer Abfolge auf der t-Achse.

    • @Magic Theo:

      Die Gasturbine (und um die geht es beim Jumbo) wurde schon 1791 patentiert, wenn wir dieser Logik folgen wollen ;-)

      Und eigentlich ist schon der Äolsball der alten Griechen eine Art Turbine, zumindest eine Wärmekraftmaschine. Elektrizität zu nutzen war damals noch wirklich weit entfernt.

      Der erste funktionierende Verbrennungsmotor, das/der/whatever Pyréolophore, wurde im Jahr 1807 gebaut.

      War natürlich alles damals noch nicht wirklich praxistauglich, aber das waren die ersten Elektromotoren auch noch nicht.

      Praxistauglich waren wohl immerhin chinesische Raketen im Jahr 1232. Nimm das, Elon Musk!

      Und der Fortschritt beim E-Motor in den letzten Jahrzehnten lag natürlich an der Entwicklung der Speicher/Akkutechnologie. Bei Zügen (Konkurrenten des Jumbo) ebenfalls nicht unbedingt beim Motor, sondern bei Aerodynamik und Struktur.

  • Sie hat das Klima nicht besser gemacht, dafür wurde sie auch nicht gebaubt. Die 747 wurde aber entworfen, als jedenfalls vom Klimawandel nun wirklich noch nicht die Rede war. Und auch sonst ja ein ganz anderer Optimismus und Erwartungen dominierten. Oder als man Zukunft noch ausfüllen konnte. Aber das war das 20. Jahrhundert. Kann man von ihrer gescheiterten Möchtegern-Erbin des 21. auf der anderen Seite des Teiches nicht behaupten, aber wenn's darum geht überwiegen ja doch die Skrupel der nicht immer bewussten Lokalpatrioten. Möglichst weit wegzielen, immer sichere Nummer. Erst recht bei so hohen, und erhabenen Zielen. Sich dann noch über die "nur" 20 % zu beschweren, passt nicht ganz in's Bild. Ohne den Jumbo jedenfalls wäre dieser Anteil nicht höher, sowieso ein Flugzeug, das viele auf ihrer Langstreckenpremiere trug, so ja auch hier bezeugt. Und mit seinen vier Triebwerken auch versicherte. Aber dann eben auch typischerweise die lange Strecke bediente und dabei viele Passagiere zugleich; ob es wirklich ökonomischer gewesen wäre, stattdessen drei hintereinander zu schicken, die dann evtl. auch noch ein-, zweimal nachtanken müssten, also auch öfter Landen und Starten, die waren ja nicht immer so effizient, das müsste man ausrechnen. Unabhängig davon ein sehr schönes Flugzeug, das Geschichte schrieb, bis in die Kinos, da können nicht viele mithalten.

  • Wie es der Zufall will, bin ich auch 1986 das erste Mal mit einer 747 die Langstrecke geflogen. Und überhaupt das erste Mal geflogen.

    Von FRA über LAX nach SFO.

    Bei Start und Landung hörte ich "What Goes On" von Velvet Underground und für mich war das das zweitbeste Erlebnis nach Sex.

    Der Flieger war zweistöckig und das Bier war umsonst. Beim Anflug auf den Flughafen von San Francisco dachte ich, wenn ich jetzt sterben muss, ist das OK.

    Ansonsten würde ich dem Autor raten, nicht in jedem zweiten Satz "Wir" zu schreiben. Ich finde das furchtbar.

    Was das "hirnerweichende Bares für Rares" anbelangt, da werden gebrauchte, Gegenstände, teilweise Antiquitäten von Privatleuten an Händler verkauft. Es war die Lieblingssendung meiner Mutter und weil ich sie pflegte, irgendwie auch meine.

    Jedenfalls ist das eine nachhaltige Geschichte und mir ist sie lieber als ein Livestream aus dem Repair-Café.

    Und jetzt, Saft auf den VU-Meter:

    www.youtube.com/watch?v=kym3xgrEISA

  • Och, da wird nichts draus. Nehmen wir doch z.B. nur mal die Generation Smartphone: Die ist schon zu faul, ein Ladekabel an ihr Schnüffelfon anzuschließen. Also wurde die induktive Ladeschale erfunden, die den Stromverbrauch kurz mal um 50 % erhöht [1]....



    [1] www.test.de/Ladest...t-5485374-5485380/

  • Der Jumbo und die Auslistung, ein schönes Symbol. PanAm ist auch schon länger nicht mehr. Und vielleicht sind in 50 Jahren auch Flüge eine geschichtliche Randnotiz. Dabei hat der Flugverkehr an sich nicht den CO2 Gehalt so hoch werden lassen. Ist nun seit 1970 alles schlecht geworden, mit oder wegen dem Jumbo?



    1970 - gab es noch verbleibtes Benzin, der Käfer schluckte 10l und ja man freute sich, dass sich nicht nur die Eliten mal im Urlaub fortbewegen konnten. Die Frage ist, hätte man diese und weitere Verbesserungen, wie zB bleifreies Benzin und sparsame Autos auch erreicht, wenn man da schon auf Wachstum (wofür der Jumbo ein Symbol ist) verzichtet hätte? Wäre eine Bekämpfung von Armut oder die Entwicklung von Impfstoffen ohne die Entwicklung, die auch Flüge umfasste, möglich gewesen?



    Mir werde es nie wisse.

    • 1G
      14397 (Profil gelöscht)
      @fly:

      Mein Käfer, Baujahr 1964 verbrauchte 6,8 Liter Normalbenzin. Pro 100 km.