Selenskis Besuch in Großbritannien: Es geht nicht nur um Waffen
Worum in der Ukraine eigentlich gekämpft wird, wird im Streit um Waffenlieferungen inzwischen fast vergessen. Selenski hat in London daran erinnert.
D ie Ukraine will Kampfjets – dies bleibt nachrichtlich vom Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski in Großbritannien am Mittwoch hängen. Die Forderung nach den „Flügeln der Freiheit“ stand im Mittelpunkt seiner Rede vor den britischen Parlamentariern, ähnlich wie die nach Patriot-Luftabwehrraketen bei seinem Auftritt vor dem US-Kongress kurz vor Weihnachten. Patriots hat er danach bekommen. Folgen jetzt die Kampfjets, ohne die die vielen angekündigten Kampfpanzer aus dem Westen an der Front schutzlos bleiben?
Es ging bei diesem Besuch aber um viel mehr als neue Rüstungslieferungen. Es ging auch darum, wofür die Ukraine überhaupt kämpft. Das ist mehr als einfach nur der Sieg über Russland, den in Großbritannien kaum jemand ernsthaft als Kriegsziel hinterfragt. „Wir wissen, dass Russland verlieren wird; und wir wissen genau, dass der Sieg die Welt verändern wird“, rief Selenski und zeichnete die Konturen einer „neuen Welt“ nach dem Sieg: eine Welt, „die weiß, wie man schnell hilft, wie man sich effektiv wehrt, die in dunklen Stunden prinzipienfest bleibt, die ehrlich verhandelt, den Tätern keine Immunität gewährt, die Vetos überwinden kann; die keine Furcht kennt und die weiß, wie man siegt“.
Man kann das als hohle Rhetorik abtun, aber von Selenski formuliert klang es wie ein klares Zukunftsprojekt mit eindeutigen Wurzeln in der Geschichte: dem gemeinsamen Kampf gegen „das Böse“ im Zweiten Weltkrieg, der das Böse damals aber nicht aus der Welt schaffte.
In der deutschen Ukraine-Debatte ist vom politischen Fernziel des Kampfes gegen Putins Aggression kaum die Rede. Man führt eine sinnfreie Dauerdebatte um Waffenlieferungen, es kursiert das böse Wort vom „Überbietungswettbewerb“, der Begriff „moralisch“ dient als herablassendes Schimpfwort. In London hat Selenski an den eigentlichen Sinn des ukrainischen Abwehrkampfes erinnert: den Aufbau einer gerechteren Weltordnung. Er sollte auch anderswo Gehör finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein