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Türkei droht SchwedenAm Ende profitiert nur Erdoğan

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Erdoğan-Puppen und ein brennender Koran: Provokationen aus Schweden verzögern den Nato-Beitritt. Und schaden vor allem der türkischen Demokratie.

Protest in Stockholm gegen Erdogan und den Versuch Schwedens der Nato beizutreten am 21.01.2023 Foto: Christine Olsson/imago

F ür den Beitritt Schwedens zur Nato sieht es momentan schlecht aus. Die Proteste in Schweden und insbesondere die Verbrennung eines Korans vor der türkischen Botschaft in Stockholm haben den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan jetzt veranlasst, die Ratifizierung des schwedischen Nato-Beitritts erst einmal auf Eis zu legen. Dabei darf man getrost davon ausgehen, dass in Ankara niemand um den Schlaf gebracht wird, weil ein paar kurdische Aktivisten eine Erdoğan-Puppe verbrennen und ein als notorischer Provokateur bekannter Rechtsradikaler einen Koran anzündet.

Im Gegenteil, die Protestaktionen spielen Erdoğan eindeutig in die Karten. Er kann im bevorstehenden Wahlkampf für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai den einheimischen Nationalisten und Islamisten gegenüber den harten Mann spielen, und die vermeintlichen Provokationen sind ein hervorragender Vorwand, um den Preis für den schwedischen Nato-Beitritt weiter in die Höhe zu treiben.

Nun sind die Demonstrationen der schwedischen Linken und kurdischen Aktivisten ja wahrscheinlich genau darauf ausgerichtet. Sie wollen einen Nato-Beitritt Schwedens verhindern und nutzen Erdoğan, um ihr Ziel politisch durchzusetzen. Dass die schwedische Regierung dies weiß und die Demos dennoch stattfinden, zeigt, dass das Land auch nach dem Rechtsruck bei den letzten Wahlen seine demokratische Grundhaltung nicht verloren hat.

Anders sieht es mit der Koranverbrennung aus, die mit einem demokratischen Protest nichts zu tun hat. Es handelt sich um eine reine Provokation, die zuverlässig empörte Reaktionen in der muslimischen Welt triggert. Niemand konnte davon ausgehen, dass Erdoğan die Aktion einfach schulterzuckend zur Kenntnis nimmt. Deshalb ist auch die US-amerikanische Vermutung, dass das Ganze vielleicht sogar von Russland gesteuert war, nicht völlig abwegig. Warum die schwedische Regierung sie dennoch zugelassen hat, ist unverständlich, sie nutzt nur Erdoğans Wiederwahl.

Schweden muss sich nun wohl auf eine längere Wartezeit gefasst machen und Finnland wird wohl erst einmal alleine Nato-Mitglied. Am Ende wird das aber auch für Schweden keinen großen Unterschied machen. Das Land wird ja bereits de facto wie ein Nato-Mitglied behandelt und eine unmittelbare Bedrohung ist auch nicht auszumachen.

Am Ende hätte dann nur einer von der ganzen Affäre profitiert: Recep Tayyip Erdoğan. Ob es der schwedischen Demokratie nützt, rechtsradikalen Provokateuren freie Bahn zu lassen, müssen die Schweden beantworten. Der Demokratie in der Türkei schadet es auf jeden Fall.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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9 Kommentare

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  • Vielleicht ist es ja auch nur halb so schlimm, wenn es mit dem schwedischen Nato-Beitritt nix wird.



    Das war ja auch niemals so, dass die Schwed:innen alle Jahre lang ungedultig darauf gewartet haben, endlich nicht mehr ein "neutrales" Land zu sein und Nato beizutreten.



    Es war vielleich sogar eher so, dass mit dem Bekenntiss zum Nato-beitritt ein Zeichen gegen den Angriffskrieg der Putin-Crew gestezt werden sollte, damit sie damit vielleicht schneller aufhört. Hat sie ja erstmal nicht. So gesehen ist die schwedische Nato-Karte ohne klar erkennbare Wirkung gespielt worden und kann jetzt in den Stapel zurückgesteckt werden. Wenn Erdogan dadurch weniger Punkte im Wahlkampf bekommt ist das ja auch nicht wirklich schlimm.

  • Ich hab' eine Idee. Man liefert Rasmus Paludan an die Türkei aus -- danach kann man sich rausreden, man hätte ihn für einen gesuchten Gülen-Anhänger gehalten oder was (jaja, die Polizei ist zuweilen dreist...).

    Dann ist man ihn los, und man hat guten Willen gezeigt. Win-win!

    • @tomás zerolo:

      Rasmus Paludan wohnt aber in Dänemark und ist dänischer Stastsbürger, er kommt nur für seine Propaganda Show nach Schweden und die dürfen ihn nicht mehr rausschmeißen, weil er wegen seinem schwedischen Vater auch schwedischer Stastsbürger ist.

      Sobald seine Krawallshow vorbei ist, verschwindet er sofort wieder über den Øresund.

    • @tomás zerolo:

      Hi hi....Danke! Das ist wirklich eine sehr sehr gute Idee. Hat alles; win-win und witzig.

  • ... "weil ein paar kurdische Aktivisten eine Erdoğan-Puppe verbrennen und ein als notorischer Provokateur bekannter Rechtsradikaler"

    "Nun sind die Demonstrationen der schwedischen Linken und kurdischen Aktivisten" ...

    Was denn nun? Links oder Rechts? Ich bin verwirrt.

    • @jwie:

      Man sollte sich vielleicht von den Begriffen links und rechts insgesamt verabschieden. Es geht in der Politik fast immer um Partikularinteressen, und die haben mit der Sitzordnung im französischen Revolutionsparlament 1789 ff wenig bis gar nichts zu tun.

  • Danke für diese gute Analyse. Dem ist noch zuzufügen, dass auch die Proteste der Kurden, zum gleichen Zeitpunkt wie die Koranverbrennung, sehr unglücklich gewählt war und Erdogan zusätzlich Munition gegen die Kurden gibt. Etwas mehr politische Weitsicht wäre gut gewesen.

    • @Rinaldo:

      Halten Sie die Proteste für von der schwedischen Regierung gesteuert?

      Ansonsten wäre Ihre Idee ja nicht ansatzweise umsetzbar.

  • "Anders sieht es mit der Koranverbrennung aus, die mit einem demokratischen Protest nichts zu tun hat. "



    Das sehe ich anders. Selbstverständlich muss es in einer Demokratie auch möglich sein, unbeschadet ein Buch zu verbrennen. Es ist nicht fein, es ist "ein wenig Assi" (ich selbst würde niemals ein Buch verbrennen, wegwerfen o.ä.), aber in demokratischen Ländern muss das erlaubt sein. Ich bin der Ansicht, wir sollten uns kein Beispiel an den Ländern nehmen, in denen das Verbrennen eines Buches mit dem Tod geahndet wird.