piwik no script img

Frauenrechte in DeutschlandParagraf 218-Kommission verzögert

Eigentlich sollte im Bundestag längst eine Kommission darüber diskutieren, ob der Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden kann.

Demos gegen Paragraf 218 gibt es schon lange: Hier im Jahr 2015 in Berlin Foto: Paul Zinken/dpa

Berlin taz | Die geplante Kommission zum Paragraf 218 im Strafgesetzbuch (StGB) verzögert sich. Im derzeitigen Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass „Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ in einer solchen Kommission geprüft werden soll.

Der taz liegt eine schriftliche Anfrage von Linken-Abgeordneten Heidi Reichinnek vor, wonach laut Sabine Dittmar (SPD), Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, „ein konkreter Zeitpunkt für die Errichtung der Kommission noch nicht feststeht“.

Begründet wird dies damit, dass „der Austausch innerhalb der Bundesregierung über die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin noch nicht abgeschlossen ist“.

Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der „altruistischen Leihmutterschaft“ sollen in derselben Kommission überprüft werden.

Hinhaltetaktik der Regierung?

„Die Regierung verstrickt sich mal wieder im Kompetenzgerangel und am Ende passiert: nichts“, kritisiert Reichinnek, frauenpolitische Sprecherin der Linken. „Es wirkt wie eine Hinhaltetaktik. Es ist Anfang Dezember und die Regierung kann immer noch nicht den Zeitpunkt nennen, wann die Kommission ihre Arbeit aufnehmen soll“, so Reichinnek. Im August hatte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) noch darauf hingewiesen, dass die Kommission nach der Sommerpause „zügig eingesetzt“ werde.

Anfang November lagen der taz Informationen vor, nach denen sich die Kommission im selben Monat zusammenfinden werde. Auch das ist nicht geschehen. „Die Ampel-Koalition wurde besonders von Frauen und Fe­mi­nis­t*in­nen als lange erhoffte Chance wahrgenommen. Die Kommission muss endlich ihre Arbeit aufnehmen, damit Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden kann“, fordert Reichinnek die Koalition auf und weist daraufhin, dass auch noch nicht feststehe, wer an der Kommission teilnehmen wird.

Auch der Deutsche Juristinnenbund (djb), der am Donnerstag ein Papier mit Vorschlägen zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des StGBs vorstellen wird, spricht sich für ein baldiges Einsetzen der Kommission aus: „Die Kommission der Bundesregierung ist ein enorm wichtiges Vorhaben mit einem absehbar dichten Arbeitsprogramm. Ich hoffe sehr, dass sie zeitnah eingesetzt wird“, so Maria Wersig, Präsidentin des djb.

Durch den Paragraf 218 im StGB sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland verboten, lediglich in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft und nach vorheriger Beratung bleibt der Abbruch straffrei. Fe­mi­nis­t:in­nen setzen sich seit Jahrzehnten für die Abschaffung des Paragrafen 218 ein, der Ärz­t:in­nen und Schwangere bei einem Abbruch unter Strafe stellt. Die Urfassung entstand im Jahr 1871. Ob der Paragraf tatsächlich aus dem StGB gestrichen wird, ist unklar: Die Grüne Familienministerin Lisa Paus spricht sich dafür aus, Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will an dem Paragrafen festhalten.

Korrektur: In einer vorherigen Fassung war davon die Rede, dass Familienministerin Lisa Paus (Grüne) sich für eine Streichung des Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch einsetzt. Das ist nicht der Fall.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • "wichtiges Vorhaben mit einem absehbar dichten Arbeitsprogramm": das sehe ich auch so. Die geplanten Schritt müssen reiflich überlegt werden.

    Eine Kommission, die mitreden sollte, gibt es schon: die Ethikkommission. Die wichtigste Frage, die zu klären ist, ist ethischer Natur: Wann genau beginnt das menschliche Leben und ist dann auch von Art. 1 GG mit seiner unantastbaren Würde geschützt? Diesen Schutz kann man unter Umständen auch außerhalb des StGBs regeln. Aber zunächst braucht es eine breite gesellschaftliche Debatte über diesen wichtigsten Punkt in der ganzen Angelegenheit: Ab wann ist der Mensch ein Mensch? Bis wann ist er nur ein Zellhaufen, den ein Arzt entfernen darf?

  • "... Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will dagegen an dem Paragrafen festhalten."

    Ach ja? Wofür ist eigentlich diese FDP überhaupt noch gut?

  • Nanu? Ein BundesjustiministEr ist dagegen? Dze vorgebliche Bürger*innenrechtepartei doch bloß eine BürgERrechtspartei?



    Zum Thema läudz aktuell ein sehenswerter Film im Kino: "Call Jane". In ihm wird quasi die Vorgeschichte zum damals bahnbrechenden Urteil "Roe vs. Wade" erzählt. Never again! Leider hat es sich zuletzt in den USA anders entwickelt. Ich hoffe, es entwickelt sich wieder um besseren - auch in Deutschland neben der Abschaffung von Paragraf 218 die tatsächlichen Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruches in der Region des eigenen Wohnsitzes. Reproduktionsrechte sind Menschenrechte!

    • @Uranus:

      Bis zu welchem Zeitpunkt soll eine Abtreibung denn möglich sein?



      Konnte hierzu nicht eine Zahl finden.



      Also Abtreibung in den Wehen liegend?



      Das kann es doch wohl nicht sein.

      • @Stoffel:

        § 211, 212, 213 gibt es ja immer noch. Wenn dem noch nicht geborenen Menschen vom Verfassungsgericht das Menschsein nicht abgesprochen wird, dann gelten die auf jeden Fall so kurz vor der Geburt.

        Das Verfassungsgericht wird dann entscheiden müssen, ab wann ein Mensch eigentlich ein Mensch ist. Der Zeitpunkt wird mit Sicherheit lange vor der Geburt liegen müssen. Das ist aber genau die Frage, vor der sich alle drücken, die jetzt lautstark die Abschaffung von 218 fordern.

  • >Die Kommission muss endlich ihre Arbeit aufnehmen, damit Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden kann“, fordert Reichinnek die Koalition auf und weist daraufhin, dass auch noch nicht feststehe, wer an der Kommission teilnehmen wird.

    Würde er gestrichen, wäre jeder Schwangerschaftsabbruch legal, auch der gegen den Willen der Schwangeren, denn auch dieser ist gegenwärtig von § 218 erfasst. Ohne ihn fiele die Tat gegen den Willen der Schwangeren höchstens unter andere Tatbestände wie Körperverletzung. Ob das ein feministischer Erfolg wäre, mag jederR selbst beurteilen

  • Ob die Kommission kommt oder nicht, der Paragraf wird bleiben. Weder wird gar keine Regelung kommen, noch eine Regelung außerhalb des Strafrechts. Die Mehrheiten gibt es nicht. Das Bundesverfassungsgericht würde wahrscheinlich auch nicht mitspielen. Unabhängig davon wie man zu dem 218er steht, man sollte keine Illusionen schüren.

  • Es ist doch kaum davon auszugehen, dass der Paragraph 218 aus dem deutschen Gesetzt gestrichen werden wird.

  • Ich vermute mal stark, dass der Hintergrund ist, dass in der jetzigen Situation niemand Lust hat, einen weitgehend symbolpolitischen Kulturkampf mit weitgehenden Folgen aufzumachen. Wir sehen in den USA, welche politische Sprengkraft das Thema hat. Das gültige Abtreibungsrecht ist ein über Jahrzehnte mühsam erarbeiteter Kompromiss, der es in der ganz überwiegenden Mehrheit der Fälle ermöglicht, an eine legale Abtreibung zu kommen. Will man die Situation betroffener Frauen verbessern, würde man besser daran tun, den Zugang zu Abtreibungen in diversen Regionen Deutschlands (Bayern z.B.) durch gezielte Förderung zu verbessern, anstatt durch Aufkündigung eines durchaus funktionalen Kompromisses eine unnötige gesamtgesellschaftliche Debatte anzuheizen.