Kandidatur für Linkenvorsitz: Reichinnek tritt gegen Wissler an
Die Expertin für Frauenpolitik Heidi Reichinnek kandidiert für den Linken-Parteivorsitz. Sie will für Feminismus und für soziale Themen kämpfen.
Berlin taz | Janine Wissler bekommt Konkurrenz: Die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Heidi Reichinnek, hat am Mittwochmittag ihre Kandidatur für den Parteivorsitz bekannt gegeben. Die Linke wählt im Juni den gesamten Parteivorstand und eine neue Doppelspitze. Da sich für einen der beiden Plätze qua Satzung nur Frauen bewerben dürfen, tritt Reichinnek direkt gegen die amtierende Vorsitzende Wissler an, die bereits bekannt gab, wieder zu kandidieren.
„Wenn wir die Krise unser Partei überwinden wollen, muss sich die vielbeschworene Erneuerung auch im Parteivorstand wiederspiegeln“, schreibt Reichinnek in einer Presseerklärung. Es brauche Menschen, die die Sprache der Leute sprechen, für die man Politik machen wolle. Viele Menschen fühlten sich von der Politik nicht mehr vertreten, gingen nicht mehr zu Wahl. Genau diesen Personen müsse die Linke zeigen, dass man für sie da sei.
Reichinnek nennt soziale Gerechtigkeit als zentrales Anliegen der Linkspartei. Sie sieht aber auch die Klimafrage als soziale Frage und die Linkspartei an der Seite von sozialen Bewegungen, ob für Frieden oder für Klimagerechtigkeit.
Damit versucht Reichinnek genau wie Wissler eine Brücke zu schlagen zwischen verschiedenen Themen und Milieus, die von manchen in der Linkspartei in der Vergangenheit als Gegensätze behandelt wurden.
Favoritin der Fraktionsspitze
Während Wissler als Favoritin der Bewegungslinken ins Rennen geht, einer Parteiströmung, die stark auf die Verankerung der Partei in sozialen Bewegungen setzt, gilt Reichinnek als Kandidatin der Fraktionsspitze.Auf taz-Anfrage äußerte sich Reichinnek dazu nicht.
Mit der Unterstützung der beiden Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch und deren Mehrheitsbündnis in der Fraktion war Reichinnek im Herbst in den Fraktionsvorstand gewählt worden, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt erst einen Monat im Bundestag saß.
Die 34-Jährige Politikwissenschaftlerin und Nahostexpertin, die zuletzt in der Jugendhilfe arbeitete, ist in Sachsen-Anhalt geboren und aufgewachsen. Sie studierte zunächst in Halle-Wittenberg, später in Marburg und arbeitete dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Forschungsprojekt des Auswärtigen Amtes zu Islamismus und Salafismus in den arabischen Transformationsgesellschaften.
2015 trat Reichinnek in die Linkspartei ein, seitdem ging es für sie in der Partei steil nach oben: Ab 2016 vertrat sie die Linke im Stadtrat von Osnabrück, ein Jahr später wurde sie zur Landessprecherin der Linksjugend solid und 2019 zur Landesvorsitzenden der Linken in Niedersachsen gewählt. 2021 zog sie über die Landesliste in den Bundestag ein.
Wissler, die zwar ebenfalls neu im Bundestag ist, aber zuvor dreizehn Jahre lang Fraktionsvorsitzende in Hessen war, ist klar die erfahrenere Politikerin. Sie ist jedoch angeschlagen durch Sexismusvorwürfe in ihrem Landesverband, denen sie angeblich nicht konsequent genug nachgegangen sei. Hinzu kommt der desolate Zustand der Partei, die zuletzt mehrere Wahlniederlagen verkraften musste.
Reichinnek verspricht in ihrer Bewerbung, den Stimmen der Mitglieder mehr Gehör zu verschaffen. Außerdem stehe sie für eine feministische Partei: „Das Eintreten für Feminismus heißt auch, unsere eigenen Probleme in den Griff zu bekommen“, schreibt Reichinnek.
Am Dienstag dieser Woche hatten auch der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann und der Europaabgeordnete Martin Schirdewan ihre Kandidatur bekannt gegeben. Schirdewan hatte der taz erklärt, er könne sich gut vorstellen die Partei gemeinsam mit Wissler zu führen. Der ehemalige Vorsitzende der Linken Bernd Riexinger warb gegenüber der taz ebenfalls für Wissler und Schirdewan als künftige Parteivorsitzende: „Ich traue es Janine Wissler und Martin Schirdewan zu, die Partei zu führen und gegenüber der Fraktion als politisches Zentrum zu stärken.“
Die Delegierten der Basis werden vorraussichtlich am 25.Juni darüber abstimmen, welches Duo die Linkspartei künftig führt.
Leser*innenkommentare
Ruediger
Ich bin kein Anhänger der Linken, aber als politisch denkender Mensch finde ich dieses Kandidatenfeld trotzdem enttäuschend.
Sollte hier nicht das neue Gesicht, die neue Stimme einer erfolgreichen linken Bewegung gewählt werden, die fulminante Wahlergebnisse einfährt? Müsste es hier nicht um den faktischen Oppositionsführer gehen, der die Regierung rhetorisch vor sich hertreibt und die wichtigen Debatten im Land anstößt? Geht es hier nicht darum, jemanden zu wählen, den die Menschen weit über die eigene Stammwählerschaft als den nächsten Vizekanzler einer erfolgreichen rotrotgrünen Regierung sehen (andere haben bei einer Erwartungshaltung von 18% schon Kanzlerkandidaten aufgestellt)?
Sehen sich Wisslerpellmannschirdewanwiehießsienoch ernsthaft in zumindest einer dieser Rollen? Oder ist ihr Ziel nicht doch eher, die Flügelkämpfe einigermaßen im Zaum zu halten und bei irgendwelchen Sexskandalen höchstens eine Nebenrolle zu spielen?
Wo sind eigentlich die bekannten Gesichter der Linken, die allwöchentlich durch die Talkshows fabulieren? Wo sind die Linken, die in diversen Landesregierungen sitzen oder diese führen? Wären das nicht die prädestinierten Anführer ihrer Partei?
Oder wollen die Linken ihren Untergang, weil sie wissen, dass die anderen es eigentlich besser können? Ist das nicht ein bisschen peinlich?
Dietmar Rauter
Wir erleben eine schwere Krise der linken Parteien: Die Grünen verbürgerlichen weg von ihrer früheren Wählerschaft z.B. bei der Umweltbewegung. Beispiel Schleswig-Holstein: 2018 Europawahl Höhepunkt der Grünen mit 400000 Stimmen , die Mitgliederzahl -alles liebe, engegaierte Menschen, auch vernetzt, die 'etwas tun' wollen- verdoppelt sich und verschwindet in den parlamentarischen Gremien. Habeck wird Spitzendarsteller im parlamentarischen Theater. Und trotzdem -sie stellen zwei Minister*innen und eine stellvertretene Landztagspräsidentin- bekommen die Grünen bei der letzten Landtagswahl nur noch 260000 Stimmen, ein Drittel weniger ! Was läuft da falsch? Die Klimakatastrophe wird schlimmer, als die Mahner unter den Wissenschaftlern vorhergesagt haben und wir brauchen einen großen gesellschaftlichen Zusammenhalt, um all diese Krisen zu überwinden. Bei den Linken erscheinen in der Öffentlichkeit Persönlichkeiten, die sich widersprechen: Eine von den Medien hofierte Sarah Wagenknecht mit merkwürdigen Impfthesen, Putin-Versteher, aber auch Leute, die erkannten, dass die 'Wiedervereinigung' eben nicht für alle Beteiligten eine Verbesserung der persönlichen Situation mit sich brachte, wenn sie Jobs und Mitsprache verloren. Da bekommt das zynische Wort 'Wirtschaftsflüchtling' eine ganz neue Bedeutung, jedenfalls gehungert hat in der DDR kaum jemand, anders als unter den Brücken Berlins heute. Ich persönlich bin alles andere als ein Freund von der letztlich hilflosen SED-Cliquen und habe großen Respekt, vor denen, die mehr 'Freiheit' wie das freie Wort erstritten. Warum sind die so wichtigen Gruppen in der Gesellschaft so sehr mit sich selbst beschäftigt und erreichen ihre Mitmenschen nicht, obwohl der Zusammenhalt immer wichtiger wird, bevor die Querdenker komplett Trumpsche Ideen entwickeln ?
CRSvsLOWA Fanboiii
"...nicht mehr vertreten, gingen nicht mehr zu Wahl. Genau diesen Personen müsse die Linke zeigen, dass man für sie da sei."
Kostenlose Beratung: Bei mir in HH-Wil. hat die Linke zwar als einzige(?) Partei nen Büro, zentral, sichtbar, inklusive Plakat "für euch da, ganz nah"(oder ähnlich). Da ist nur nie jemand. Für Miete reichts aber nicht fürs bespielen? Was man da alles machen könnte, von ALG Beratung über Jugendarbeit der Partei usw. Das wäre hier mehr als n Heimspiel...
Pia Mansfeld
Wen interessiert es schon, wen diese Splitterpartei von ewig Gestrigen und Abgehobenen jedweder sozialen Probleme der Bevölkerung als Vorsitzende hat?
WeissIchs
„Die Partei zu führen und gegenüber der Fraktion als politisches Zentrum zu stärken“, das ist wohl das wichtigste was geschehen muss. Das bedeutet aber faktisch, dass der Einfluss der Bundestagsfraktion geringer wird. Höchst zweifelhaft, dass die das so einfach abnicken werden. Man denke nur daran wie sie den Vorsitz des Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie mit einem Schnarchsack besetzt haben. Wenn jetzt schon wieder zwischen einem Duo der Bewegungslinken und eines von den Fraktionsvorsitzenden, des personifizierten Stillstands, favorisierten entschieden werden soll, wird sich nichts ändern.
Šarru-kīnu
Die Linke will also jemand nominieren der die Sprache der Leute spricht die sich abgewendet haben? Wenn ich mir den Werdegang der Kandidatin so anschaue, mit der heute üblichen Karriere von der Uni direkt in die Politik kommen mir da ernste Zweifel. Bei uns vor Ort stellt die AfD Polizeibeamte, Feuerwehrleute und den Malermeister aus dem Nachbardorf auf und gewinnt damit locker Wahlen ohne jede echte Programmatik nur mit der Aussage "Einer von uns". Ich jedenfalls wähle keinen Kandidaten der Linken mehr der die inzwischen leider übliche Vita mitbringt. Leider werden die Listenplätze in unseren Wahlkreisen, in denen die Linkspartei wegen der Altwähler noch gute Ergebnisse einfährt, reihenweise mit Personen besetzt die hier direkt keiner wählen würde.