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Krieg in der UkraineNicht blauäugig sein

Kommentar von Barbara Oertel

Russland scheint sich angesichts fehlender Erfolge auf einen längeren Krieg einzustellen. Für Putin sind Verhandlungen derzeit keine Option.

Ein ukrainischer Soldat hebt einen Teppich an, darunter versteckte russische Munition

E s handelt sich wieder nur um eine Nebelkerze, die, gerade geworfen, schon wieder erloschen ist. Noch am Mittwochabend dürften diejenigen Aufmerksamkeit erzeugt haben, die diplomatischen Bemühungen zwischen Moskau und Kiew das Wort reden. Wobei stets nebulös bleibt, wer mit wem und worüber genau reden soll.

Doch derartige Überlegungen traten in den Hintergrund angesichts der optimistischen Nachrichten, die der Präsident von Guinea-Bissau, Umaro Sissoco Embaló, in seiner Eigenschaft als Pendeldiplomat zwischen Russland und der Ukraine angeblich im Gepäck hatte. Russlands Präsident Wladimir Putin sei zu Verhandlungen bereit, er wolle Brücken bauen und sei an einem Dialog interessiert. Da schau her! Dieses Ansinnen mutet bizarr an, solange in der Ukraine Kraftwerke, Stromnetze, Wohnhäuser und Brücken in Schutt und Asche gebombt werden.

Aber jetzt ist ja wieder alles ins rechte Licht gerückt. Moskaus Position habe sich nicht geändert, heißt es aus dem Kreml. Das könnte darauf hindeuten, dass dieser Krieg noch länger dauern könnte – zumal sichtbare militärische Erfolge, die den Rus­s*in­nen auch als solche verkauft werden könnten, sich nicht einstellen wollen.

Genau da liegt, zumindest für Wladimir Putin, ein weiteres Problem. Die Reihen der russischen Armee lichten sich. Zigtausende russische Männer im wehrfähigen Alter haben sich der „Teilmobilisierung“ bereits durch Flucht entzogen; im Kampf gänzlich unerprobte Soldaten kommen schon nach wenigen Tagen in Särgen zurück. Jetzt sind Kreml-Emissäre nicht nur in zentralasiatischen Ländern wie Turkmenistan auf Rekrutierungstour, sondern auch in Afghanistan – unter Kämpfern der einstigen afghanischen Nationalarmee.

Ob diese Versuche einer personelle Aufstockung fruchten und etwas am Kriegsverlauf ändern? Das ist derzeit genauso wenig absehbar wie tatsächliche Offerten des Kreml, sich an den Verhandlungstisch setzen zu wollen. So oder so: Blauäugigkeit und Naivität sind in jedem Fall fehl am Platz. Der bisherige Kriegsverlauf beweist das.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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10 Kommentare

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  • Putin würde gerne mit der Ukraine wieder zurück an den Verhandlungstisch. Die Ukraine allerdings nicht. Und die USA ebensowenig.

    www.zdf.de/nachric...-russland-100.html

    • @SeppW:

      „Ein Sprecher der US-Regierung erklärte, die Ausführungen Putins erhielten wenig Neues und deuteten nicht darauf hin, dass das Land seine strategischen Ziele verändert habe.“

      „Putin sei nicht an einer Verhandlungslösung interessiert, sagt Margarete Klein, Expertin für russische Militärpolitik, im Oktober bei "maybrit illner". "Putin will nur über die Kapitulation der Ukraine verhandeln." “

      • @metalhead86:

        Natürlich haben sie ihre strategischen Ziele nicht verändert. Damit sich ein Treffen in der goldenen Mitte lohnt müssen beide Seiten erstmal übertriebene Forderungen stellen. Kennt man ja auch hier von unseren Gewerkschaften ;)

  • Blauäugigkeit ist fehl am Platz.



    Wie wahr!



    Vor Kurzem war hier viel vom Vorrücken der ukrainischen Armee die Rede, ein Sieg schien nur noch eine Frage der Zeit.



    Nun werden in der ganzen Ukraine Städte bombardiert und die Schäden an der Infrastruktur sind, auch mit Blick auf den Winter, deutlich erschreckender als für uns deutsche JammerlappInnen.



    Was die Auswahl der gelieferten Waffen betrifft, so hat diese erst das Vorrücken der Ukraine und jetzt die Verteidigung maßgeblich gestärkt.



    Es wäre angebracht, wenn die ewig Meckernden das mal bemerken würden.



    Krieg ist ein Scheißspiel.



    Die russischen Toten, von denen so lapidar berichtet wird, hatten den Tod auch nicht verdient.



    Die Maximalforderungen, die Selensky für Verhandlungen aufstellt, werden keinen Frieden bringen.



    Dass eine Partei siegreich ist, glaube ich auch nicht.



    Es bleibt zu hoffen, dass kluge Köpfe einen Weg aus diesem Irrweg finden.

    • @Philippo1000:

      "ein Sieg schien nur noch eine Frage der Zeit."



      So ist es ja auch weiterhin. Nur wird leider immer deutlicher, dass Putin das nicht verstehen kann, oder will, oder vor sich selber wegleugnet. Es wäre ja nicht der erste Fall der Weltgeschichte, dass ein Diktator mit Tunnelblick einen verlorenen Krieg weiterführt, solange es geht. Von Parlament, Generalstab, Gouverneuren, Ministern, Medien oder Oligarchen, alle von Putin gefügig und abhängig gemacht in 22 Jahren Herrschaft, wird kein "Nun reicht es aber" kommen. "Solange es geht" bedeutet deshalb: Bis die russischen Bodentruppen so starke Auflösungserscheinungen zeigen, dass sie nicht mehr kämpfen können. Und wenn Putin seine Truppen dann nicht abzieht, werden sie von selbst gehen, in die Gefangenschaft, oder nach Hause.

  • "Erfolge, die den Rus­s*in­nen auch als solche verkauft werden könnten" - braucht er die denn wirklich? Ist nicht auch eine "nationale Schmach" fruchtbarer Nährboden für eine völkisch-nationalistisch-expansionistisch-faschistische Bewegung, ein neues Russland, womöglich ein Drittes? Wird sich schon wer finden, der nen Dolch gestoßen haben wird …

    Anders gefragt: wie kommen wir aus dem Schlamassel raus, ohne wahlweise im ehemaligen Russland sich gegenseitig bekriegende Warlords oder ein Volk das nach Kanonen statt Butter ruft? Jeweils versehen mit Atomwaffen, versteht sich. Weshalb auch die Lösung vom letzten mal ausfällt: Kein Chinesisch-Amerikanischer Handschlag an der Wolga, wohl.

    Keine Frage, die Ukraine muß in diesem Krieg bestehen - aber dann? Wer rettet besagte Russ*in­nen und wie? Wir sitzen immerhin auf demselben Kontinent.

    Weniger dramatisch: Wo sind die Entwürfe für eine Russland-Politik nach dem Krieg?

    • @O-Weh:

      "Wer rettet besagte Russ*in­nen und wie?"



      Die RussInnen retten sich selbst, vorausgesetzt, sie kriegen nicht aus dem Westen einen Dolch in den Rücken.



      taz.de/Nach-dem-Krieg/!5849319/

      • @Barbara Falk:

        Die RussInnen werden sich nicht selbst retten. Irgendwelche "Dolchstöße" jetzt schon zu beschwören ist ganz schön hässlich.



        Die russische Gesellschaft krankt schwer. Die Kultur ist brutal und verroht, man behandelt sich gegenseitig schlecht, ein Leben ist kaum noch etwas wert.



        Die Russen haben resigniert oder sich der kremlschen Propaganda angeschlossen. Von einer gewissen Anti-Haltung wie zu Sowjetzeiten fehlt dieser Tage jede Spur. Die Unterstützer für Demokratie sind in der Minderheit. Das Land ist voll von Korruption und Ungleichheit. Eine Selbstrettung ist einfach nicht in Sicht.



        Die russische Gesellschaft wird sich neu erfinden müssen und das dürfte ein langer Prozess werden. Wobei die Frage dabei ist wer diesen Prozess anstoßen und aufrechterhalten soll, bei einer Zivilgesellschaft die derart am Boden liegt.

    • @O-Weh:

      Russland liegt größtenteils in Asien und es sind asiatische Länder die noch zu Russland halten.

      • @Eva Kern:

        Russlands Kernsiedlungsgebiet (ca. 84% der Russen) liegen in Europa.