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Geschlechtsspezifische Gewalt im TVIn jeder dritten Geschichte

Das deutsche Fernsehen hat ein Problem: die Darstellung von geschlechtsspezifischer Gewalt. Ver­tre­te­r:in­nen der Film- und TV-Branche diskutieren.

Sie könne ihre Kritik heute besser in Worte fassen, sagt „Tatort“-Schauspielerin Maria Furtwängler Foto: Swen Pförtner/dpa

Die Darstellung von Gewalt, Opfern und Tätern in Filmen prägt uns. Sie hat einen Einfluss darauf, wie wir andere Menschen, und auch wie wir Geschlechterrollen wahrnehmen. Am Dienstag haben deshalb Ver­tre­r:in­nen der Fernseh- und Filmbranche den Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt im deutschen TV diskutiert. Geladen hatte das Grimme-Institut für Medienforschung in die Kinemathek Berlin.

Anlass für die Diskussionsrunde ist ein „Tatort“. Genauer, eine Programmbeschwerde, die der Verein Pro Quote Film im April wegen eines „Tatorts“ an die ARD gerichtet hatte. Pro Quote setzt sich für ausgewogene Geschlechterverhältnisse in allen Bereichen der Filmproduktion ein. Den „Tatort“ „Borowski und der Schatten des Mondes“ vom April fand der Verein aufgrund seiner Gewaltdarstellung problematisch. Vor allem die Objektifizierung der Opfer sowie, dass bei Zuschauenden Mitleid für den Täter erzeugt werde.

Diskutiert wurde außerdem eine Studie der Hochschule Wismar von Ende 2021. Die Studie hatte geschlechtsspezifische Gewalt untersucht, im Programm von Das Erste, ZDF, RTL, RTL Zwei, Vox, ProSieben, Sat.1 und Kabel Eins. Geschlechtsspezifische Gewalt bedeutet, dass Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder wegen Sexismus Gewalt angetan wird.

Bedingte Entscheidungsgewalt

Die Studie fand heraus, dass im Bereich Fiktion in gut jeder dritten Sendung geschlechtsspezifische Gewalt auftaucht, meist in Form von expliziter und schwerer Gewalt gegen Frauen und Kinder. Von diesen Filmen und Serien wiederum habe bloß ein kleiner Bruchteil die Perspektive der Opfer eingenommen, so die Kritik. Auch fehlten generell Vorwarnungen für die Zuschauenden bezüglich des Inhalts sowie Hinweise auf Hilfsangebote.

„Früher begannen Krimis oft mit der sogenannten hübschen Frauenleiche“, sagt Kathrin Hollmer. Sie ist freie Medienjournalistin und Vorsitzende der Nominierungskommission Fiktion des Grimme-Preises. „Die gibt es zwar immer noch, aber nicht mehr so oft.“

Die Teilnehmerinnen der Diskussionsrunde finden: Ein bisschen was tue sich schon – aber nicht genug. „Tatort“-Schauspielerin Maria Furtwängler: „Ich kann mein Unbehagen bezüglich mancher Szenen besser zum Ausdruck bringen als früher.“ Erfolg habe sie mit ihrer Kritik allerdings nicht immer. Als Schauspielerin sei sie eben keine Produzentin und habe nur bedingt Entscheidungsgewalt.

Hollmer findet, problematisch sei zum Beispiel noch immer die Erzählperspektive vieler „Tatorte“. Die sei zu stark auf den Täter fixiert. „Täter- und Gewaltfantasien bekommen sehr viel Raum. Dabei wäre es wichtiger, die Aufmerksamkeit auf die Betroffenenperspektive und die Auswirkungen einer Gewalttat zu lenken.“

Furtwängler findet die Wehrhaftigkeit der Opfer ein wichtiges Thema: „Das Narrativ, das Frauen sich besser nicht wehren sollten, wenn sie von Männern angegriffen werden, entspricht einfach nicht der Wirklichkeit.“

Achtung, Gewalt!

Lange diskutiert wird an diesem Abend auch das Thema sogenannter Triggerwarnungen, auch bekannt als Inhaltswarnung. Diese könnten zu Beginn des Films eingeblendet werden, um Zuschauende über mögliche verstörende Inhalte zu informieren. Bei Darstellungen von Suiziden sind solche Vorwarnungen bereits üblich. Sie können auch Bewusstsein für problematische Darstellungen schaffen. Triggerwarnungen seien allerdings in der deutschen Filmbranche ihrer Erfahrung nach bisher nicht so beliebt, sagt Maria Furtwängler. „SOKO Leipzig“-Produzentin Katharina Rietz sieht an dieser Stelle Potenzial: Insbesondere im stressigen Produktionsalltag würde es helfen, konkrete Regeln zu haben. Die Redaktion der „SOKO Leipzig“ habe sich bereits dafür eingesetzt, Triggerwarnungen verwenden zu dürfen, aber: „Es ist schwierig, konkrete Regeln zu finden, wann sie eingesetzt werden und wann nicht.“

Inspiration dafür könne man beispielsweise in Großbritannien finden, meint Karin Heisecke, Leiterin der MaLisa-Stiftung, die sich auf internationaler Ebene für die Beendigung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen engagiert. Die dortige Branche arbeite bereits mit exakten Regelwerken zum Thema.

Es bleibt die Frage, ob Triggerwarnungen wirklich verhindern können, dass sich stereotype Geschlechterrollen in den Köpfen von Menschen festsetzen oder ob es vielleicht ganz neue Ansätze braucht, Geschichten über genderspezifische Gewalt zu erzählen. Denn das Ungleichgewicht sei noch immer beachtlich, findet Hollmer: „Männer werden Opfer, weil sie entweder selbst Verbrechen begehen oder weil sie diese aufklären. Sie werden selten zu Opfern, einfach weil sie Männer sind.“

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14 Kommentare

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  • Triggerwarnungen lenken aber den Fokus der Zuschauenden genau auf die entsprechenden Szenen. Diese Erfahrung habe ich kürzlich mit einem Roman gemacht, wo es auf Seite 1 eine Triggerwarnung wegen einer Vergewaltigung auf Seite .. gab. Gestört hat mich das enorm, weil ich dann alles andere vorher in Bezug zu diesem Ereignis gelesen habe (es war kein Krimi und kein Buch für Kinder - die Vergewaltigung wurde auch nicht bildlich beschrieben). Ich finde, Erwachsene sollten nicht dermaßen an die Hand genommen werden.

  • "Männer werden Opfer, weil sie entweder selbst Verbrechen begehen oder weil sie diese aufklären. Sie werden selten zu Opfern, einfach weil sie Männer sind."

    Ich weiß nicht, ob diese Behauptung einem objektiven Faktencheck standhalten würde. In jedem Krieg sterben zum Beispiel deutlich mehr Männer als Frauen, denn in der Regel werden nur Männer zum Wehrdienst zwangsverpflichtet. In den letzten Monaten gab es allein im Ukrainekrieg Zehntausende Gefallene. Die meisten haben nicht freiwillig mitgekämpft, sondern "einfach weil sie Männer sind".

    Auch in Kriegsfilmen (sei es fiktiv oder dokumentarisch) ist das nicht anders.

    • @Winnetaz:

      Das ist so. Gerade jetzt wieder. Und ich glaubte, dass wir in beiderlei Hinsicht schon weiter wären.

  • „Männer (...) werden selten zu Opfern, einfach weil sie Männer sind.“

    Auch Frauen dürften eher selten Opfer werden, weil sie Frauen sind.



    Typisch sind Beziehungsdynamiken, die aus unterschiedlichen Gründen 'schief laufen', woran nicht selten beide Partner ihren Anteil haben,

    Aggressives Verhalten findet sich ebenso bei der Frau wie beim Mann - die Formen mögen sich unterscheiden.

    Die Forscherin Limor Gottlieb:



    "Research consistently finds that women in heterosexual relationships tend to perpetrate violence against intimate partners at least as often as men."



    "Consequently, the view that all acts of domestic violence are the result of patriarchy alone is not only misleading but also dangerous because a) it ignores male victims, and b) it fails to explain female-inflicted violence towards male intimate partners."

    "The research into attachment styles and IPV consistently shows that people with insecure attachment styles, specifically those with an anxious attachment style, tend to perpetrate more violence against intimate partners. "



    quillette.com/2022...in-domestic-abuse/

    "In nonclinically abusive relationships, perpetrators were primarily women. In clinically abusive relationships, men and women used physical abuse, although more women needed medical treatment for injury. Women in clinically abusive relationships had childhood family adversity, adolescent conduct problems, and aggressive personality; men had disinhibitory psychopathology since childhood and extensive personality deviance."



    psycnet.apa.org/record/2004-13593-009

  • In diesem Artikel wird die Ausdrucksweise die "Zuschauenden" verwendet.



    Ich habe noch nie in meinem Leben das Wort "Zuschauer" mit einer männlichen Zuordnung in Verbindung gebracht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich da nicht der Einzige bin.



    Ist es hilfreich, jedes noch so harmlose Wort zu abzuändern?



    Ich meine, wenn mit einem Wort keine Zuordnung zu einem Geschlecht suggeriert wird, sollte es nicht gendergerechter gemacht werden (müssen).



    Ansonsten steht nämlich auch der schöne Artikel "die" auf dem Prüfstand. ;-)

    • @MeineMeinungX:

      Mensch sagt doch auch die Zuschauer bzw. die Zuschauerinnen. Also ist die Zuschauenden oder auch die Zuschauer*innen doch ok.

  • Triggerwarnung vor einem Krimi oder Thriller? Wer das schaut, muss wohl mit entsprechenden Szenen rechnen. Im Zweifelsfall gibt es noch Informationen im Videotext, Internet oder ganz klassisch der Programmzeitschrift, worum es in der Sendung geht.

  • Ich finde es immer wieder bedenklich wie die Gewalt dargestellt wird. Gewalt gegen Frauen in Filmen und vor allem sexuelle Gewalt wird oft sehr direkt dargestellt. So direkt das ich häufig glaube der Produzent genießt die Szene. Ich persönlich würde mir wünschen das sich das ändert. Eine Triggerwarnung würde mir zumindest die Bilder ersparen, die nicht zuletzt, auch wegen eigener Erlebnisse, noch Wochenlang in meinem Kopf sind. Auch wenn es nur ein Bruchteil einer Sekunde ist.

  • Eine Triggerwarnung bei einem Krimi manche Sachen kann man sich nicht ausdenken, zumal der Nutzen ja auch widersprüchlich gesehen wird.

  • "Es bleibt die Frage, ob Triggerwarnungen wirklich verhindern können, dass sich stereotype Geschlechterrollen in den Köpfen von Menschen festsetzen"



    Dafür sind Triggerwarnungen gar nicht da. Sie sind dafür da, um Menschen zu schützen, die durch die Darstellungen, vor denen gewarnt wird, psychischen Stress erleiden könnten (und womöglich sowieso umschalten würden, sobald entsprechende Szenen auftauchen).



    Falls die Beschäftigung mit dem, was psychischen Stress auslösen (triggern) kann, zu mehr Bewusstsein dafür führt, was man so täglich an Müll in Filmform gießt, wäre das durchaus begrüßenswert. Ich habe da allerdings wenig Hoffnung. Nach dem genannten Vorbild aus dem britischen Raum zu urteilen, dürften halt vor dem Film die entsprechenden Warnungen kurz runtergerattert werden wie die üblichen Disclaimer in der Medikamentenwerbung ("Zu Risiken und Nebenwirkungen ..."), und dann geht's weiter wie gehabt. Aber wenigstens wird man gewarnt.

  • Muss eigentlich immer alles bis ins Detail gefehlt werden? Demnächst muss man online zustimmen, dass man einen Film auch sehen will. Das wird noch richtig grausam.

  • Wenn ich mich recht erinnere ist ja ein Hauptkritikpunkt, dass Frauen in Filmen gar nicht erst vorkommen (Bechdel-Test etc.).



    Dem folgend ergibt sich zunächst logisch, dass Männer im Filmen häufiger Opfer von Gewalt werden - schließlich sind keine Frauen da. Dazu existieren ganze Genres, die die Gewalt von Männern gegen Männer aufgrund anwesender Frauen thematisieren - so die denn vorhanden sind, ansonsten auch gerne wegen Geld, Macht, put favourite macho cliché here.



    Oder ist das jetzt keine "geschlechtsspezifische Gewalt"? Der im Artikel zu lesenden Definition folgend würde ich jetzt vermuten müssen, doch, ist es.



    Das muss aber im Gegensatz zu Gewalt gegen Frauen und Kinder (also ehrlich, was kuckt Ihr denn für Filme?) nicht thematisiert werden, weil?

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    "Von diesen Filmen und Serien wiederum habe bloß ein kleiner Bruchteil die Perspektive der Opfer eingenommen, so die Kritik. "

    Es ist halt spannender der die Bösewicht*inn zu beobachten! Immerhin geht es noch um Unterhaltung.

    • @49732 (Profil gelöscht):

      Es ist für Sie also unterhaltsam, Männern beim Frauenschlagen zuzusehen?

      Mir geht es hier übrigens nicht um eine rhetorische Frage oder um Unterstellungen. Ein Grund, warum Gewaltdarstellungen im Film wirklich nahezu immer die Täter:innenperspektive einnehmen, ist auch, dass die "Außensicht" in der Totalen oder die Opferperspektive bei einer realistischen Darstellung oft nur schwer auszuhalten sind. Die Identifikation mit denen, die Gewalt ausüben statt ihr ausgesetzt zu sein ist psychologisch leichter für die Zuschauenden.

      Sie führt aber eben in der Praxis auch dauernd dazu, dass Filmschaffende solche Taten glorifizieren, dass solche Handlungsmuster bagatellisiert und normalisiert werden, weil wir ohne die Opfersicht die Folgen ausblenden können und so auch die dehumanisierende Sicht auf die Opfer übernehmen und verinnerlichen.