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Bericht zu Antisemitismus in DeutschlandDammbruch Documenta

Mit der Kunstausstellung in Kassel erhielt Antisemitismus eine riesige Bühne. Auch sonst frisst sich Judenhass wieder in die deutsche Gesellschaft.

Das Banner „People's Justice“ der Künstlergruppe Taring Padi wurde zuerst abgedeckt und dann entfernt Foto: Swen Pförtner/dpa

Berlin taz | Antisemitische Vorfälle ziehen sich durch die Geschichte der Bundesrepublik. Doch dass Judenhass eine so große – und teils steuerfinanzierte – Plattform wie die Documenta erhält, ist neu. Die Dramatik dessen, was sich dieses Jahr auf der Kunstausstellung in Kassel zugetragen hat, zeigt das Lagebild Antisemitismus, das die Amadeu-Antonio-Stiftung am Donnerstag vorgestellt hat.

Ein „Dammbruch“ sei es gewesen, Kunstwerke wie das Banner „People's Justice“ auszustellen, auf dem Juden mit SS-Runen und als Schweine gezeigt werden, sagte Nikolas Lelle von der Stiftung. Auf einem zentralen Platz der Ausstellung war das Werk zu sehen, wurde erst nur verhüllt, bevor es wegen heftiger Kritik doch ganz abgehängt wurde. Selbst im Angesicht offensichtlichen Judenhasses sei so zunächst noch „kleingeredet und relativiert worden“, beklagt Lelle.

Diese Nachsicht gegenüber Intoleranz strahle in die ganze Gesellschaft aus. „Bisher galt: Offener Antisemitismus und klarer Israelhass darf nicht geäußert werden“, so Lelle. Dieser Grundsatz wanke nun. Stiftungs-Vorständin Tahera Ameer: „Die Grenzen des Sagbaren haben sich verschoben.“

Der Bericht der Stiftung zeigt auch, wie jüdische Stimmen ignoriert wurden, die vor Beginn der Documenta auf drohenden Antisemitismus hingewiesen hatten. Ganz ähnlich sei es im Fall der sogenannten Judensau in Wittenberg gewesen, einer mittelalterlichen antisemitischen Darstellung an der Schlosskirche in der Stadt. Auch hier seien jüdische Stimmen lange Zeit nicht gehört worden. Eine Abnahme des Reliefs, wie sie etwa der Zentralratspräsident Josef Schuster wünschenswert genannt hatte, plant die Kirchengemeinde weiterhin nicht, lediglich eine neue Infotafel soll angebracht werden.

Angriff auf Synagoge Hannover

Auch die Art und Weise, wie in Deutschland über Antisemitismus diskutiert werde, erschwere die Bekämpfung des Judenhasses. Eine Verbindung zwischen Antisemitismus und Hass auf Israel werde abgestritten, die Schoah oftmals als Grund angeführt, warum die Deutschen einen voreingenommenen Blick auf Israel hätten. Hier schwappe Antisemitismus auch in eigentlich progressive Milieus.

Gefährlich blieben auch die kruden Vorstellungen, wie sie auf Demonstrationen von Ver­schwö­rungs­anhänger*innen geäußert werden. Der Judenhass verbinde die unterschiedlichen Gruppen, egal ob gegen die Coronapolitik oder die Energiepolitik der Bundesregierung demonstriert werde. Immerhin: Hier habe es in der deutschen Gesellschaft auch „Lernerfolge“ gegeben, so Lelle: „Vor drei Jahren wussten viel weniger Menschen, was das Problem an Verschwörungserzählungen ist.“

Dass von Antisemitismus weiter eine klare, physische Gefahr für Jü­d*in­nen ausgeht, verdeutlicht ein Angriff auf die Synagoge in Hannover vom Mittwoch. Unbekannte warfen ein Fenster des Gebäudes ein, während sich 150 Gläubige darin aufhielten, um Jom Kippur zu begehen, den höchsten jüdischen Feiertag. 2019 hatte ein rechtsextremer Angreifer versucht an Jom Kippur ein Blutbad in der Synagoge Halle anzurichten. Er scheiterte allerdings an der Tür des Hauses und erschoss daraufhin auf der Straße und in einem nahegelegenen Imbiss zwei Menschen. Die Tat jährt sich am Sonntag zum dritten Mal.

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19 Kommentare

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  • Habe heute vermutlich Leseschwäche, aber konnte nirgendwo das Wort Islam entdecken.

  • 》Eine Abnahme des Reliefs, wie sie etwa der Zentralratspräsident Josef Schuster wünschenswert genannt hatte, plant die Kirchengemeinde weiterhin nicht, lediglich eine neue Infotafel soll angebracht werden《

    Wenn wan den Faschismus in Europa, den Judenhass an der Wurzel bekämpfen will, könnte wan ja mal (zur Sicherheit: eine Metapher!) so eine Panzerhaubitze nach Wittenberg schaffen und dort einmalig zum Einsatz bringen.

    Statt sie an ein Land zu liefern, das die Organisation Ukrainischer Nationalisten, am Massaker von Babi Jar beteiligt, per Parlamentsbeschluss zu Unabhängigkeitskämpfern erklärt hat, ihrem Anführer Bandera - "unser Held" (Botschafter Melnyk) - Denkmäler errichtet, Straßen nach ihm benennt - macht sich wirklich niewand klar, was für ein verheerendes Signal es in dieser Hinsicht ist, nahezu kritiklos mit solchen Bewunderern der Nazikollaborateure von einst zu paktieren, sich nicht an ihren Symbolen is.gd/ddojBO zu stören?

    Ich teile die Kritik an der Dokumenta, finde auch, dass sich "diese Nachsicht gegenüber Intoleranz" auch aktuell in einer Art politischem Achselzucken angesichts der Proteste im Iran äußert, typisch für einen postkolonialen Diskurs ist, in dem sowohl patriarchale Gewalt als auch eben Antisemitismus gewissermaßen zu Inhalten werden, die zu kritisieren dem Westen nicht zustände - während gleichzeitig etwa Selenskyj fast nur noch in Israel z.B. für seine Vergleiche, Gleichsetzungen mit dem Holocaust kritisiert wird is.gd/RMeiT3

  • Das Erschütterndste für mich an der ganzen Sache war die Gleichgültigkeit, die Ignoranz und die Arroganz, mit der mit Kritik an der antisemitischen Kunst umgegangen wurde.

    Die Kuratoren sprachen von Dialog und verweigerten ihn dabei von Anfang an und zogen es vor, die permanent beleidigte Leberwurst zu spielen. Die Geschäftsführung spielte den dummen August und die Freunde der "Antisemitismuskeule" kramten ihre rassenkundlichen Unterlagen heraus, um zu beweisen, dass es sich nicht um Antisemitismus handele.

    Diese Kunstschau ist für die linke und linksliberale Öffentlichkeit ein Offenbarungseid und ein trauriges Zeichen dafür, wie weit es in dieser Sache schon gekommen ist. Die Kunstszene reist auf dem BDS-Ticket und was man sich selbst (noch) nicht zu sagen wagt, lässt man den "Globalen Süden" sagen.

    Alles in allem ein gruseliges Vorzeichen für das, was da wohl noch alles kommt.

    • @Jim Hawkins:

      Wahre Worte. Jedoch ist es nicht erst seit der diesjährigen documenta so, daß linke und linksliberale Menschen, Gruppen u. Organisationen dazu schweigen oder als Trittbrettfahrer des BDS darstellen, die Geschichte ist schon älter. Mindestens so alt, als sich deutsche Terroristen in den 70ern von palästinensichen Milizen haben ausbilden lassen und deren Weltbild übernommen und kolportiert haben. Weite Teile der linken Gesellschaft teilten und teilen immer noch die Ansicht, daß Israel, von der USA Gnaden, der Unrechtsstaat in der Region schlechthin sei und es nur auf palästinensicher Seite unschuldige Opfer gebe. Das geht soweit, daß jedwede Kritik an Islamisten (sic!) deren Terror und Weltanschauung der Rassismuskeule und Verortung in die rechte Ecke zur Folge haben. Dies bei gleichzeitiger Anbiederung an alles was mit dem Islam, dessen Weltanschauung und Kultur - die Grenzen sind dort fließend und z.T. überlagernd - zu tun hat. Bei gleichzeitiger Ausblendung und schweigen zu der Ungerechtigkeit und Intoleranz innerhalb dieser Religion und Kultur, wird dann, um nicht in die rechte Ecke sortiert und als Rassist angesehen zu werden, gerne zur Unterdrückung der Frau, s. aktuelle Ergeignisse zum Kopftuch und Iran, geschwiegen. Hält man hier aber mal einer Frau (und ich würde es auch für jede andere Person auch machen) aus Höflichkeit die Tür auf, durch die man zuvor selbst gegangen ist und bevor diese wieder zuschlägt, wird man von den gleichen Leuten als Macho, Cheauvie und sonstwas betitelt.



      Sorry, das war jetzt sicher sehr polemisch und auch nicht allgemeingültig, gibt aber meine momentane Eindrücke wieder.

      • @Lars B.:

        Wenn Ihre Aussagen "sicher sehr polemisch" und "nicht allgemeingültig" sind, dann sind sie eben unsachlich und falsch.

        Nur zur Erinnerung, es sind heute nicht zufällig Parteien aus dem rechten und ultrarechten Spektrum, Trumpisten, AfDler usw., die spezielle Sympathien für die menschenfeindl Politik eines Benjamin Netanjahu äußern (für Frauenrechte interessieren sich diese Parteien i. A. auch nicht) Wenn sich Linke gg Rassismus gegen Muslime äußern, biedern sie sich nicht bei Islamisten an. Sie setzen sich nur für die Befolgung "unserer Werte" ein. Besagte rechte "konservat" Parteien, getreu ihren Wertvorstellungen, unterstützen wenig erstaunlich ultrarechte israelische Politiker wie B. Netanjahu und finden es natürlich gut wenn Muslime in dem Fall Palästinenser drangsaliert werden. Dass auch einige Politiker demokrat. Parteien Israel in dieser Politik unterstützen u reflexartig d Antisemitismuslied mitsingen ist eine schwere Verwirrung u deckt sich nicht mit unseren Werten. Die Lehre aus dem Holocaust ist nämlich nicht, dass wir no matter what Juden o dem jüd. Staat verpflichtet sind sondern den Menschenrechten, Rechtsstaat u Demokratie. Der andauernde Verweis auf angeblichen Antisemitismus von links ist reine rechte Propaganda – um für Netanjahu die Palästinasolidarität abzuwürgen und die Kolonialisierung d WB zum Erfolg zu bringen und für europ. u amerik. Rechte eine billige Gelegenheit um einfach mal auf Linke u Muslime dreschen zu können (und nebenbei ihren rechten Antisemitismus vergessen zu machen)

        • @ingrid werner:

          Sie leugnen also, dass es Antisemitismus in Teilen der linken Szene gibt, ja? Und weiterhin behaupten Sie, daß die Behauptung es gäbe linken Antisemitismus von rechter Seite Propaganda ist, ja?



          "...dem jüd. Staat verpflichtet sind sondern den Menschenrechten, Rechtsstaat u Demokratie" hier zeigt sich Ihre Anschauung. Statt Israel schreiben Sie vom jüdischen Staat und behaupten indirekt, daß es hier mit Menschenrechten, Rechtsstaat und Demokratie weit her wäre, da wir diesen Dingen zwar verpflichtet sind, aber im Falle Israels singen wir das falsche Lied. Und was Sie als unseren Werten verstehen, muß jedoch für alle Seiten gelten und darf auf der Seite der Gegner Israels außer Acht gelassen werden wenn diese mannigfach dagegen verstoßen oder diese Werte gar nicht haben.



          Danke für meine Bestätigung.

    • @Jim Hawkins:

      mir scheint ja, der palästinenserinhass reist auf dem BDS-ticket.

      • @christine rölke-sommer:

        Das nenne ich mal eine ausgemachte Wahrnehmungsverzerrung.

      • 0G
        04405 (Profil gelöscht)
        @christine rölke-sommer:

        bezeichnend, dass hier Palästinser:innen-Hass als Gegenstück zu Judenhass erscheint. Freudsche Fehlleistung oder Kernbotschaft?

        • @04405 (Profil gelöscht):

          Sagen Sie mir, was leutz antreibt, die nach solidaritätserklärungen mit palästinenserinnen suchen, um diese unter antisemitismusverdacht zu stellen.

          • @christine rölke-sommer:

            Welche Solidaritätsbekundungen für die palästinensische Sache gab es denn auf der Documenta?

            Meinen Sie die Filmchen der japanischen Roten Armee?

            Oder das IDF = Legion Condor Motiv?

            • @Jim Hawkins:

              Sie haben also schon vergessen, wie+womit die antisemitenhatz losging? interessant!

              • @christine rölke-sommer:

                Die Antisemitenhatz, wie Sie es diffamierend formulieren, ging damit los, dass man die Unterstützung der antisemitischen und antiisraelischen BDS-Bewegung unter Documenta-Kuratoren thematisierte.

              • @christine rölke-sommer:

                "Antisemitenhatz"?

                Ihre Wortwahl erübrigt jede weitere Debatte.

                • @Jim Hawkins:

                  was gefällt Ihnen an antisemitenhatz nicht? ich dachte, das sei Ihr lieblingssport.

                  • @christine rölke-sommer:

                    Wer konkret als Person leidet denn unter dieser "Hatz". Wüsst ich gern, wer Ihrer Meinung nach Antisemit ist.

                    • @Nansen:

                      unter den anti-anti-semiten dürften tlich zu finden sein.

                      • @christine rölke-sommer:

                        Oder sind es doch eher die Anti-anti-anti-semiten?

    • @Jim Hawkins:

      Ihre Kritik und Einschätzung teile ich voll und ganz und bin froh, dass es Ihre Stimme hier im Forum gibt!